Titel: Ueber das zwischen den Derivationsbeträgen der mit Seldladung abgeschossenen Granaten und Shrapnels des gezogenen Sechspfünders bei gleicher Zielentfernung bestehende Verhältniß.
Fundstelle: Band 179, Jahrgang 1866, Nr. VIII., S. 21
Download: XML
VIII. Ueber das zwischen den Derivationsbeträgen der mit Seldladung abgeschossenen Granaten und Shrapnels des gezogenen Sechspfünders bei gleicher Zielentfernung bestehende Verhältniß. Ueber das Derivationsverhältniß der aus dem gezogenen Sechspfünder bei gleicher Zielentfernung abgeschossenen Granaten und Shrapnels. Die im Anfange des Jahres 1865 erschienene Schrift des Referenten: „Die Derivation der Spitzgeschosse als Wirkung der Schwere“ führt zu der auf Seite 106 enthaltenen Schlußfolgerung, daß bei jedem nach Richtung der Längenachse seiner Figur und mit Rotation um diese Achse abgeschossenen Spitzgeschosse die Ausweichungen der Geschoßspitze nach der Rotationsrichtung ihrer eben obersten Punkte hin, für einen nahezu constant angenommenen Neigungswinkel der Geschoßachse gegen den Horizont und innerhalb der S. 105 angegebenen Rotationsgeschwindigkeitsgrenzen, seyn müssen: 1) proportional dem Gewichte Mg = P des Geschosses, 2) proportional der Entfernung γ des Geschoßschwerpunktes vom Angriffspunkte des Luftwiderstandes, 3) beinahe proportional der Geschoßflugzeit t, 4) umgekehrt proportional dem Trägheitsmomente C = Mk² des Geschosses in Bezug auf seine Längenachse, und endlich 5) umgekehrt proportional der Rotationsgeschwindigkeit w des Geschosses um diese Längenachse herum. Es dürfte nicht uninteressant seyn, dieses Resultat der Theorie mit denjenigen Resultaten der Schießpraxis zu vergleichen, welche bezüglich des Verhältnisses der Derivationsbeträge von mit 1,2 Pfd. Pulverladung bei gleicher Zielentfernung abgeschossenen Granaten und Shrapnels des gezogenen preußischen Sechspfünders bereits vorliegen, und bestimmt man zu dem Ende das Verhältniß, welches zwischen den durch Einwirkung der. Schwere auf die Geschoßrotation hervorgebrachten Ausschlagswinkeln ψ und ψ₁ von Granate und Shrapnel bestehen würde, die auf letzteres bezüglichen Symbole immer mit Algorithmus 1 bezeichnet, nach obiger Theorie durch die Proportion: ψ : ψ= Mg/M k² w . γt : Mg/Mk₁² w₁ . γt₁, so ergibt sichworaus, wenn man in diesem Falle die Trägheitsmoment-Vermehrung und die Rotationsgeschwindigkeit-Verminderung des Shrapnels als insoweit sich ausgleichend betrachtet, daß k² w = k₁² w gesetzt werden kann, die Proportion ψ : ψ= γt : γt und, weil sich in diesem Falle die Geschoßflugzeiten umgekehrt wie die Anfangsgeschwindigkeiten, letztere aber wieder umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Gewichtszahlen P und P₁ der Geschosse verhalten (man vergleiche Prehn's Ballistik der gezogenen Geschütze Seite 36 und 60), auch die weitere Proportion: ψ : ψ= γ √P : γ√P₁, wornach folgt, wornach ψ₁/ψ = γ₁/γ √(P₁/P) ist. Von diesen Ausschlagswinkeln ψ und ψ₁ der respectiven Geschoßspitzen sind aber die Kräfte K und K₁ mit denen Granate und beziehungsweise Shrapnel von dem in der Schußebene wirkenden Luftwiderstande senkrecht zu dieser Ebene nach derjenigen Seite hin gedrängt worden, welche der jedesmaligen Rotationsrichtung ihrer eben obersten Punkte entspricht, insoweit abhängig als sich für die Geschoßgeschwindigkeiten c und c₁ in diesem Falle gleicher Geschoßoberflächen immer K : K= c² sin² ψ cos ψ : c² sin² ψcos ψ verhalten wird, woraus, wenn man die Geschoßgeschwindigkeiten c und c₁ den Quadratwurzeln aus den Geschoßgewichten √P und √P₁ umgekehrt proportional, also c²/c² = P/P und außerdem auch noch den Cosinus der kleinen Ausschlagswinkel ψ und ψ₁ gleich Eins, den Sinus derselben aber den Winkeln selbst proportional setzt: K₁/K = P/P₁ . ψ²/ψ² folgt, was durch Substitution von ψ₁/ψ = γ₁/γ √(P₁/P) das Kräfteverhältniß K : K=γ² = γ² ergibt. Die durch diese Kräfte K und K₁ hervorgebrachten Derivationsbeschleunigungen per Zeitsecunde stehen also, für die Geschoßgewichte P und P₁, in dem Verhältnisse: K/P : K₁/P= γ²/P : γ²/P₁; das Verhältniß der dadurch für t und beziehungsweise t₁ Zeitsecunden bedingten Wege oder Derivationsbeträge D und D₁ aber ist dann: D : D= γ²/P t² : γ²/Pt² und da nach Obigem im vorliegenden Falle immer t²/t = P₁/P seyn wird, so müssen, der in Rede stehenden Theorie entsprechend, die Derivationsbeträge D und D₁von Granaten und Shrapnels desselben Kalibers gezogenen Geschützes bei gleichen Pulverladungen und gleichen Zielentfernungen sich verhalten wie 1 : (γ₁/γ), was beim gezogenen Sechspfünder, wenn man, da es sich hier ja doch nur um Verhältnißzahlen handelt, den Angriffspunkt des Luftwiderstandes mit der Geschoßspitze identificirt, γ und γ₁ also gleich den Schwerpunktsabständen 3'',95 und 4'',27 der Granaten und Shrapnels dieses Geschützes von ihren respectiven Spitzen setzt, das Derivationsbetrags-Verhältniß: 1 : 1,3 ergibt. Nach den Schußtafeln des gezogenen Sechspfünders hat man nun bei 13,8 Pfund schweren Granaten und 1,2 Pfund Pulverladung sowie Zielentfernungen von: 800,  1200,   1500,   1700,   1900, 2100,  2300 Schritt an Seitenverschiebung zu nehmen beziehungsweise:  0,5,         1,        1,5,           2,        2,5,        3,         3,5    1/16 Zoll. Der obigen Theorie nach würde demselben Geschütze bei 15,7 Pfd. schweren Shrapnels und sonst gleichen Verhältnissen an Seitenverschiebung also zu geben seyn: 0,65,        1,3,      1,95,         2,6,      3,2,      3,9,        5,2    1/16 Zoll. Die Schußtafeln verlangen in diesem Falle aber Seitenverschiebungen von beziehungsweise:     1,         1,5,      2,             2,5,       3,         3,5,        4       1/16 Zoll. woraus, da die Seitenverschiebungsbeträge dieser Schußtafel nur nach halben Sechzehntel-Zollen steigen, bis zu 1900 Schritt Zielentfernung eine wohl befriedigend zu nennende Uebereinstimmung von Theorie und Praxis folgt. Für Zielentfernungen von 2100 und von 2300 Schritt betragen aber die durch Schießversuche festgestellten Seitenverschiebungsbeträge der bezeichneten Art nur etwa 7/8 und beziehungsweise 4/5 der nach obiger Rechnung festgestellten Resultate, und es dürfte nun zunächst die Frage auftauchen, ob man nicht etwa, statt die Derivationsbeträge von Granaten und Shrapnels desselben Kalibers, wie es oben geschehen ist, einfach den Geschoßflugzeiten proportional zu setzen, diese Derivationen vielmehr, den schärfer genommenen Forderungen der Theorie entsprechend, nach Seite 105 der Schrift: „Die Derivation der Spitzgeschosse als Wirkung der Schwere“ dem Größencomplexe: t – A/Cw sin (t Cw/A) proportional zu setzen habe, in welchem Ausdrucke t die Flugzeit, C das Trägheitsmoment um die Längenachse, A das Trägheitsmoment um die Schwerpunkts-Querachse und w die Rotations- oder Winkelgeschwindigkeit des Geschosses vorstellen. Wählt man zu einer prüfenden Vergleichsberechnung die Schießdistanz von 1900 Schritt, so ist, die Flugzeiten t und t₁ von Granaten und Shrapnels annähernd durch die Quotienten der Entfernung dividirt durch die respectiven Anfangsgeschwindigkeiten von 1060 und 986 Fuß ausgedrückt, sowie für die Bezeichnungen des Shrapnels den Algorithmus 1 beibehalten: t = (1900 . 2,4)/1060 = 4,3 t₁ = (1900 . 2,4)/986 = 4,6 Betrachtet man ferner zur Berechnung der Trägheitsmoments-Verhältnisse A/C und C/A die Granaten und Shrapnels des gezogenen Feld-Sechspfünders hier, der Vereinfachung wegen, als homogene Cylinder von dem Radius r = 1,8 Zoll und der Länge l = 7 Zoll, welche sich nur durch ihre Massen M und M₁ von 13,8 und beziehungsweise 15,7 Pfund Gewicht von einander unterscheiden, so hat man nach den Formeln: A = M/12 (3r² + l²) und C = M/2 r² im vorliegenden Falle also die Trägheitsverhältnisse: A/C = 3,03 und C/A = 0,33. Weiter sind für die Drall-Länge H = 15 Fuß des gezogenen Sechspfünders die Winkelgeschwindigkeiten w und w₁ von Granate und Shrapnel unter den vorliegenden Schußbedingungen: w = 1060/15 . 21,8² . 3,1415 = 84 und w₁ = 986/15 . 21,8² . 3,1415 = 78 so daß sich also endlich verhält: t – A/Cw sin (t Cw/A) : t– A/Cwsin (tCw₁/A) = 4,176 : 4,466. Vergleicht man hiernach die Verhältnisse miteinander, welche einmal durch einfaches Inrechnungstellen der Flugzeiten und weiter durch Einführung obigen Größencomplexes in den betreffenden Calcül entstehen, nämlich 4,6/4,3 = 1,07 und 4,466/4,176 = 1,069, so findet sich, daß durch das einfache Proportionalsetzen von Geschoßausschlagswinkeln und Geschoßflugzeiten, im Gegensatze zur Verwendung obigen Größencomplexes, hier kein Fehler von Erheblichkeit begangen worden seyn kann, der Grund, weßhalb auf größere Zielentfernungen nach obigen Proportionen etwas zu große Derivationsbeträge des Shrapnels herausgerechnet worden sind, also auch hierin nicht zu suchen ist. Sehr wohl aber ist es bei weiterer Ueberlegung denkbar, daß die Flugzeiten des Shrapnels selbst, wegen des diesem Geschosse bei gleicher Oberfläche mit der Granate innewohnenden größeren Beharrungsvermögens auf weitere Distanzen in Wahrheit etwas kleiner ausfallen, als sie sich nach der oben zu Grunde gelegten Proportion: t : t= √P : √P ergeben, welche letztere auf der Annahme beruht, daß die Flugzeiten sich umgekehrt wie die Anfangsgeschwindigkeiten und diese sich wieder umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Gewichtszahlen der Geschosse verhalten und wornach die Flugzeit t und t₁ der mit Feldladung abgeschossenen Granaten und Shrapnels des gezogenen Feld-Sechspfünders sich also auf alle Distanzen umgekehrt wie die respectiven Anfangsgeschwindigkeiten von 1060 und 986 Fuß verhalten müßten, d.h. für jede Zielentfernung immer die Proportion: t : t₁ = 1 : 1,075 bestünde. In Ermangelung directer Schießversuchsresultate, welche hierüber Aufschluß geben könnten, möge also nun auch dieses Flugzeitenverhältniß noch näher durch die Theorie geprüft werden, und bedient man sich zu diesem Ende der auf Seite 45 von Prehn's Ballistik der gezogenen Geschütze für die Flugzeiten der Geschosse des gezogenen Sechspfünders mitgetheilten Formel: t = (k₁ + x/4) x/ck₁, in welcher k₁ einen constanten Coefficienten gleich 4121, x die Schußweite und c die Geschoß-Anfangsgeschwindigkeit bedeuten, so verhält sich darnach dann z.B. auf 2100 Schritt Zielentfernung: t : t₁ = 1 : 1,06 und auf 2400 Schritt Zielentfernung nur: t : t₁ = 1 : 1,04. Die Flugzeiten der Shrapnels nehmen bei zunehmenden Schußdistanzen also wirklich immer mehr ab, als dieses nach der oben in Rechnung gestellten umgekehrten Proportionalität der Flugzeiten von Granate und Shrapnel mit ihren beziehungsweisen Anfangsgeschwindigkeiten der Fall seyn würde; – je schärfer diese Theorie demnach genommen wird, desto mehr stimmen ihre Resultate mit den Ergebnissen der Praxis überein und darin besteht ja bei einer jeden Theorie offenbar das Kriterium ihrer Brauchbarkeit. Cassel, im November 1865. D......y,                  Major im Generalstabe in Cassel.