Titel: Verstraet's Verfahren zur Fabrication von Schwefelsäure ohne Bleikammern; Bericht von Barreswil.
Fundstelle: Band 179, Jahrgang 1866, Nr. XVIII., S. 63
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XVIII. Verstraet's Verfahren zur Fabrication von Schwefelsäure ohne Bleikammern; Bericht von Barreswil. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, September 1865, S. 531. Verstraet's Schwefelsäurefabrication ohne Bleikammern. Um bei der Schwefelsäurefabrication die Bleikammern entbehrlich zu machen, sind bereits zahlreiche Versuche unternommen worden, von Clement Désormes' Glaskammern an, welche heutzutage sehr billig hergestellt werden könnten, bis auf Kuhlmann's Röhren zur Darstellung der Schwefelsäure mit Platinschwamm; alle diese Versuche gaben aber nicht die gewünschten Resultate und immer noch werden neue Bleikammern aufgestellt. Allerdings sind die bedeutenden Vortheile dieser Apparate nicht in Abrede zu stellen. Wenn einerseits durch ihre Anlage ein beträchtliches Capital unbeweglich wird, so erfordern sie dafür andererseits zur Erzielung eines bedeutenden Productionsquantums und eines regelmäßigen Betriebes fast gar keine Handarbeit. Hrn. Verstraet liegt der Gedanke, die Anwendung der Bleikammern verwerfen zu wollen, sehr fern; er gesteht vielmehr zu, daß sie für die Schwefelsäurefabrication im Großen ihrem Zwecke durchaus entsprechen. Er empfiehlt seinen Apparat nur für die – übrigens sehr häufigen – Fälle, wo eine Schwefelsäurefabrik in der Nähe nicht vorhanden ist, sowie für den stets zu befürchtenden Fall, daß man Gefahr läuft, durch die übermäßigen Forderungen der Schwefelsäurefabrikanten, welche durch die Selbstkosten ihres Products und durch die Schwierigkeiten des Transports desselben leicht zu Monopolisten werden, gedrückt und gehemmt zu werden. Verstraet's Apparat besteht aus Steinzeug. Bei den Dimensionen, mit welchen derselbe in der Anlage dieses Industriellen (rue des Tournelles, 43 in Paris) im Betriebe steht, nimmt er einen Flächenraum von 40 Quadrat-Metern ein und liefert, bei einem Anlagecapitale von 7000 Francs, nach der Angabe des Erfinders täglich 1000 Kilogramme Schwefelsäure von 50° Baumé. Der Apparat besteht aus kolbenähnlichen Gefäßen oder Ballons ohne Boden, welche so über einander stehen, daß sie zwölf, in zwei parallelen Reihen von je sechs aufgestellte Säulen bilden, die ich mit Nr. 1 bis 6 und 7 bis 12 bezeichnen will. Jede Säule besteht aus fünf Ballons, und diese sind sämmtlich mit Kohksstückchen gefüllt. Die Säule Nro. 1 nimmt die Schweflig- und Salpetrigsäuregase auf, und diese streichen dann nach und nach durch die ganze Reihe der durch Röhren mit einander verbundenen Säulen. Von der Säule Nr. 2 ziehen die alsdann indifferent gewordenen Gase durch die Esse der Fabrik ab. Während sich die Gase in dieser Weise vorwärts bewegen, fällt die Säure als Regen aus dem oberen Theile jeder Säule auf die Kohksstückchen hinab, benetzt diese und sammelt sich in unten angebrachten Reservoirs, aus denen sie mittelst Pumpen in ähnliche, über den Säulen angebrachte Reservoirs zurückgehoben wird, aus denen sie von Neuem in Regenform auf die Kohksstückchen hinabfließt, und zwar nun nicht mehr in die Säulenreihe, aus welcher sie kommt, sondern in die nächste Reihe. Den beiden Säulenreihen, wird, dem Gange des Betriebes entsprechend, Wasserdampf zugeführt, welcher durch die bei der Verbrennung des Schwefels entwickelte Ueberhitze erzeugt wird; die Verbrennung des Schwefels erfolgt auf gewöhnliche Weise. Drei in einer Reihe am Kopfe des Systems aufgestellte und mit Salpetersäure zur Hälfte gefüllte Ballons nehmen das heiße Schwefligsäuregas auf, welches die Salpetersäure zersetzt und sich schon theilweise in Schwefelsäure umwandelt. (Dieser Theil des Apparates wird noch eine wichtige Vervollkommnung erhalten). Nun treten die Schweflig- und Salpetrigsäuregase in die erste Säule Nr. 1 und streichen dann durch das ganze System hindurch. Die Säure, welche durch die Säulen 12, 11, 10 und 9 gegangen ist, sammelt sich in einem gemeinsamen Behälter. Sie ist die schwächste und wird in die Säulen 7 und 8 gepumpt, aus denen sie nach und nach in die Säulen 6, 5 und 4 tritt, dann in die Säule Nr. 1 zurückgelangt, und in die Säule Nr. 3 gehoben wird, worauf sie endlich aus der Säule Nr. 2 definitiv fertig abfließt; sie zeigt dann 50 bis 53° Baumé. Eine und dieselbe Pumpe dient nach einander zum Heben der verschiedenen Flüssigkeiten. Der Erfinder, welcher mit seinem sinnreichen Apparate, wie das Ausschußmitglied Hr. Barral sich selbst zu überzeugen Gelegenheit hatte, in fabrikmäßigem Maaßstabe gearbeitet hat, berechnet für sein Product einen Gestehungspreis, welcher dem der in Bleikammern erzeugten Säure ziemlich nahe kommt. Ich möchte dieses nicht so bestimmt behaupten, wie Hr. Verstraet selbst, denn der Verbrauch an Salpeter muß nach meiner Meinung etwas beträchtlicher seyn. Auch glaube ich, daß bei der Anwendung von Kiesen die Schwierigkeiten sich mehren werden, daß namentlich der Verlust an Salpeter zunehmen wird. Doch muß ich, davon abgesehen, zugeben, daß in sehr vielen Fällen die Anwendung dieses Apparates sehr vortheilhaft seyn wird; derselbe dürfte insbesondere dazu geeignet seyn, die Fabrication chemischer Producte in Länder zu verpflanzen, wohin sie noch nicht gedrungen ist, sowie auch dazu, in manchen Fällen die Fabrikanten, welche Schwefelsäure consumiren, von den hohen Preisen und besonders von den plötzlichen Preisschwankungen derselben – den unvermeidlichen Folgen jedes Monopols – unabhängig zu machen.