Titel: Ueber die Darstellung und einige Eigenschaften der Pyrogallussäure; von Victor de Luynes und G. Esperandieu.
Fundstelle: Band 179, Jahrgang 1866, Nr. LVI., S. 210
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LVI. Ueber die Darstellung und einige Eigenschaften der Pyrogallussäure; von Victor de Luynes und G. Esperandieu. Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 487; September 1865. de Luynes, über Darstellung der Pyrogallussäure. Die ersten Untersuchungen über die Pyrogallussäure verdanken wir Berzelius und Braconnot; später, i. J. 1834, beschäftigte sich Pelouze eingehend mit dieser Säure und lehrte uns sowohl ihre wesentlichsten Eigenschaften als auch die Gesetze, nach denen sie sich bildet, genauer kennen. In Folge der Untersuchungen von Chevreul, Regnault und Liebig fand die Pyrogallussäure zahlreiche und nützliche Anwendungen. Ihre Verwendung in den Laboratorien zur Analyse der Luft, die Rolle, welche sie bei der Entwickelung der photographischen Bilder spielt, endlich ihre Benutzung zum Färben der Haare, rechtfertigen hinreichend die wichtige Stellung, die sie unter den chemischen Producten heutzutage einnimmt. Bezüglich ihrer Eigenschaften und ihrer Zusammensetzung verdient die Pyrogallussäure auch das ganze Interesse des theoretischen Chemikers. Wir haben die im Nachstehenden mitgetheilten Untersuchungen angestellt, um die wahre chemische Natur dieser Säure festzustellen; obgleich unsere Arbeit noch nich vollendet ist, dürften doch unsere bisherigen Resultate einer Mittheilung an die Akademie wohl werth seyn. Der erste Punkt auf den sich unsere besondere Aufmerksamkeit richtete, ist die Darstellung der Pyrogallussäure. Nach Pelouze spaltet sich die Gallussäure, wenn sie in einer Retorte im Oelbade auf 210° C. erhitzt wird, vollständig in Kohlensäure und Pyrogallussäure, entsprechend der Gleichung: C¹⁴H⁶O¹⁰ = 2 CO² + C¹², H⁶O⁶, während in der Retorte Nichts oder höchstens ein kaum wägbarer Rückstand bleibt. Der vorstehenden Gleichung entsprechend, müssen 100 Th. trockener Gallussäure 74,1 Th. Pyrogallussäure geben. Nun erhält man aber mittelst der jetzt gebräuchlichen Darstellungsweisen wenig mehr als 25 Proc. vom Gewichte der angewendeten Gallussäure; das theoretische Ausbringen wird also bei Weitem nicht erreicht. Die Spaltung der Gallussäure in Pyrogallussäure und Kohlensäure ist nicht in Zweifel zu ziehen; folglich muß die jetzige Darstellungsweise derselben fehlerhaft seyn. Diese Darstellungsweise hat inzwischen die Aufmerksamkeit mehrerer hervorragenden Chemiker auf sich gezogen. Im J. 1843 empfahl Stenhouse das jetzt allgemein angewendete Verfahren, die Säure in kegelförmigen Helmen von Pappe zu sublimiren; i. J. 1847 erhielt Liebig ein Ausbringen von 31 bis 32 Proc. Pyrogallussäure, indem er die Gallussäure mit ihrer doppelten Gewichtsmenge Bimsstein mengte, das Gemenge in einer Retorte im Oelbade erhitzte und in einem Kohlensäurestrome sublimirte. Wenn die Praxis Resultate ergibt, welche von den durch die Theorie angezeigten so sehr abweichen, so hat dieß seinen Grund darin, daß Substanzen, wie Pyrogallussäure, Orcin und alle analogen Verbindungen, obgleich sie bei gewissen Temperaturgraden sich ohne Zersetzung verflüchtigen, bei diesen Temperaturgraden doch zersetzt werden, wenn sie denselben zu lange ausgesetzt bleiben. Die Ursache, welche die Destillation dieser Substanzen bei gewöhnlichem Drucke unmöglich macht, liegt demnach in der Zeit, und somit in der Masse; natürlich erfolgt die Zerstörung der Substanz um so vollständiger, wenn ihrer Destillation eine chemische Veränderung vorangehen muß, wie dieß bei der Darstellung der Pyrogallussäure der Fall ist. Durch diese Betrachtungen geleitet, suchten wir zunächst die Gallussäure in Kohlensäure und Pyrogallussäure zu spalten, indem wir sie in verschlossenen Gefäßen mit Basen und Wasser behandelten, ein Verfahren, welches (von de Luynes) bereits bei der Darstellung des Orcins angewendet wurde; die beabsichtigte Reaction findet zwar in befriedigender Weise statt, aber die dann zur Abscheidung der Base nothwendigen Manipulationen sind zu complicirt. Wir haben nur den Nachweis erhalten, daß bei einer Temperatur von 200° C. die Pyrogallussäure mit dem Kalk verbunden bleibt und die Kohlensäure beinahe vollständig verjagt wird. Alsdann wendeten wir nur reines Wasser an und die auf diese Weise erhaltenen Resultate übertrafen alle unsere Erwartungen. In einem Kessel von Bronze wird Gallussäure mit ihrer zwei- bis dreifachen Gewichtsmenge Wasser auf 200 bis 210° C. erhitzt und etwa eine halbe Stunde lang auf dieser Temperatur erhalten, worauf man erkalten läßt. Die Operation dauert anderthalb bis zwei Stunden. Man öffnet nach Verlauf dieser Zeit den Kessel, welcher eine beinahe farblose Lösung von Pyrogallussäure enthält, kocht dieselbe mit etwas Knochenkohle, filtrirt und dampft über freiem Feuer ab. Beim Erkalten krystallisirt die Pyrogallussäure als harte, hell bernsteingelbe, zuweilen licht rosenrothe Masse. Um sie ganz weiß zu erhalten, genügt es, sie im Vacuum zu destilliren. Das Ausbringen entspricht dem von der Theorie angezeigten; zuweilen ist es etwas größer, als das letztere, in Folge einer geringen, vom Präparate zurückgehaltenen Wassermenge. Der von uns angewendete Kessel hat die Form eines Papin'schen Digestors; um die Adhärenz des Deckels am Kessel zu sichern, benutzen wir Pappscheiben. Bei unseren ersten Versuchen waren wir erstaunt, keine Kohlensäure vorzufinden; dieselbe entweicht durch die Fugen, während der Wasserdampf durch die angegebene Dichtung zurückgehalten wird. Uebrigens wiesen wir die wirkliche Entwicklung von Kohlensäure dadurch nach, daß wir mit Kalk- und Barytwasser gefüllte Glasröhren in den Kessel einschlossen, worauf kohlensaurer Kalk und kohlensaurer Baryt entstanden. Die Destillation der Pyrogallussäure in einem Vacuum von 2 bis 3 Centimet. erfolgt sehr rasch und fast augenblicklich. Dumas hat schon oft auf die Vortheile, ja auf die Nothwendigkeit der Destillation organischer Substanzen bei niederen Temperaturen, durch Anwendung des Vacuums, aufmerksam gemacht. Die neue von Deleuil erfundene LuftpumpeDiese neue Luftpumpe ist im polytechn. Journal Bd. CLXXVIII S. 192 beschrieben. wird in derartigen Fällen mit großem Vortheile angewendet werden können. Hr. Bayard, welcher nach Regnault's Angaben zuerst die Anwendung der Pyrogallussäure in der Photographie versuchte, sowie Hr. Bertall, hatten die Freundlichkeit, die nach unserem Verfahren bereitete rohe Pyrogallussäure mit dem jetzt allgemein angewendeten sublimirten Präparate zu vergleichen. Das mittelst unserer rohen Säure in ihren Ateliers angefertigte photographische Bild lieferte den augenscheinlichen Beweis, daß unser Präparat der sublimirten Säure nicht nachsteht.