Titel: Ueber die Anwendung der Elektricität für unterseeische Tiefenmessungen, insbesondere den von P. Hédouin zu diesem Zweck vorgeschlagenen Apparat; von Emil Schneider.
Autor: Emil Schneider
Fundstelle: Band 180, Jahrgang 1866, Nr. LIII., S. 207
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LIII. Ueber die Anwendung der Elektricität für unterseeische Tiefenmessungen, insbesondere den von P. Hédouin zu diesem Zweck vorgeschlagenen Apparat; von Emil Schneider. Schneider, über unterseeische Tiefenmessungen mittelst Elektricität. Hr. P. Hédouin in Lyon hat in den Annales de la Société des sciences naturelles e Lyon eine Abhandlung über Anwendung der Elektricität für unterseeische Tiefenmessungen veröffentlicht, deren Hauptinhalt bereits in eine sehr verbreitete technische Zeitschrift, das Novemberheft 1865 von Armengaud's Génie industriel übergegangen ist, wodurch ich in die Lage versetzt bin, im Nachstehenden meine Ansprüche an die Priorität der Anwendung der Elektricität zu diesem Zweck vertheidigen zu müssen.Aus Hédouin's Aufsatz wurde im polytechn. Journal Bd. CLXXIX S. 427 bloß die Beschreibung des von ihm vorgeschlagenen Apparates aufgenommen und Hrn. E. Schneider daselbst die Priorität gewahrt, mit Hinweis auf seine im Bulletin de l'Académie de St. Pétersbourg, 1862, t. V p. 157 veröffentlichte Abhandlung.Anm. d. Red. Im August des Jahres 1858 lenkte sich meine Aufmerksamkeit auf die bisherige indirecte Sondirungsmethode. Bei sorgfältiger Vergleichung aller einschlägigen Thatsachen konnte ich mich der Einsicht nicht verschließen, daß bei Tiefenbestimmungen aus der Fallgeschwindigkeit der Leine nur ein sehr geübter Experimentator der Wahrheit nahe kommende Resultate erzielen könne, und daß sobald die Tiefe 3000 Faden überschreitet, die Ergebnisse höchst unzuverlässig werden müssen. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes stellte ich mir nun die Aufgabe, anstatt dieser indirecten Methode eine directe aufzufinden. Ich gieng die vielfältigen, bis jetzt bekannt gewordenen Vorschläge zur Bestimmung größerer Tiefen durch, ohne eine Verbesserung zu entdecken, genügend, um theure Versuche im Großen zu rechtfertigen. Es galt also einen neuen Weg einzuschlagen, und als solcher schien sich vor Allem die Elektricität zu eignen. Hierbei mußte zuerst die Möglichkeit untersucht werden, eine Leine von 25000–30000 Fuß zu construiren mit folgenden Eigenschaften: 1) möglichst geringer Durchmesser; 2) große Biegsamkeit; 3) vollkommene Isolirungsfähigkeit der in ihr enthaltenen Leitungsdrähte bei geringer Dicke der isolirenden Schicht; 4) Tragfähigkeit wenigstens des doppelten Gewichtes der Leine im Wasser; ferner darf 5) starke Anspannung weder bei großem Druck, noch bei Wechsel von Nässe und Trockenheit einen die Genauigkeit der Messungen erheblich beeinträchtigenden Einfluß auf die Länge der Leine ausüben. Zuletzt muß 6) der Leitungsdraht eine solche Construction erhalten, daß weder Anspannung noch Bewegung der Leine eine Beschädigung desselben befürchten läßt. Nach vielen Versuchen gelang es mir, gegen Ende des Jahres 1858 eine Leine im Kleinen zu construiren, welche den gegebenen Anforderungen möglichst entsprach, und nachdem ein Klingelwerk und ein Loth mit Stromunterbrecher mit derselben verbunden war, machte ich mit dieser neuen Sonde Versuche in der Newa, welche günstig ausfielen. Das erste Document über die Priorität meiner Idee aus jener Zeit ist ein Brief des hiesigen Akademikers v. Bär vom 28. Februar 1859. Der geniale Gelehrte zeigt in demselben sein gewöhnliches Interesse an Allem, was die Wissenschaft fördern kann, und bestimmt mir den Tag, an dem er meinen Apparat in Augenschein nehmen wird. Im Sommer 1859 ließ ich den Apparat in England auf drei Jahre patentiren; das Privilegium lautet vom 6. August 1859. Im folgenden Jahre bekam ich die Erlaubniß, während meiner Sommerferien auf einer russischen Fregatte verschiedene Häfen des Mittelmeeres zu besuchen, um mich praktisch mit den Verhältnissen auf der See vertraut zu machen. Im Sommer 1861 legte ich dem Seeministerium einen Apparat mit 1600 Fuß Leine vor, worauf mir ein Dampfboot zu Versuchen auf dem Ladoga zur Verfügung gestellt wurde. Die Resultate dieser Versuche mit einer Besprechung der früheren Methode der Tiefenmessung sind niedergelegt in dem Bulletin der hiesigen Akademie der Wissenschaften, Bd. V, vom 17. Januar 1862. Eine Folge der auf dem Ladoga gelungenen Versuche war die, daß das Seeministerium mir die Mittel gewährte, einen Apparat im Großen mit 17000 Fuß Leine construiren zu lassen, welcher im folgenden Jahre im Mittelmeere in Anwendung kommen sollte. Verschiedene Umstände verhinderten die Ausführung dieses Unternehmens bis zum Sommer des vergangenen Jahres, wo ich mit einer Fregatte in das Mittelmeer gehen sollte. Leider hatte sich die Fahrt durch unvorhergesehene Hindernisse derart verzögert, daß bei meiner Ankunft in Brest im September, die mir von meinen Berufsgeschäften vergönnte freie Zeit fast abgelaufen war. Ich benutzte die letzten mir übrig bleibenden Tage, um einen kleinen Küstenfahrer zu miethen, und in Begleitung des Lieutenants Baron v. Wrangel und meines Gehülfen einen Versuch zu machen, persönlich wenigstens die ersten Messungen in größeren Tiefen, die sich zuerst jenseits Brest in einer Entfernung von 80–100 Meilen finden, zu vollführen. Doch bei unserer Fahrt hinderte ein heftiger Nordostwind mit starkem Wellengang fast jede unserer Bewegungen auf dem Decke, so daß an die Messungen selbst nicht im Entferntesten gedacht werden konnte, um so weniger, als sowohl mein Gehülfe, als auch zwei Leute der Bemannung (im Ganzen einschließlich des Patrons nur vier) in bedenklichem Grade an der Seekrankheit litten, und folglich kaum die zur Führung des Schiffes unumgänglich nöthigen Kräfte vorhanden waren. Nachdem wir drei Tage ohne warme Nahrung herumgeschleudert worden, waren wir froh, wenn auch unverrichteter Sache wieder in den Hafen von Brest einlaufen zu können. Dort übergab ich den Apparat dem Lieutenant v. Wrangel, der beauftragt wurde, die Messungen im Mittelmeer zu übernehmen. Theilweise ist ihm dieses Vorhaben schon gelungen. Sobald eine größere Zahl Sondirungen vorliegen wird, werde ich meinerseits das Specielle darüber in die Oeffentlichkeit gelangen lassen. Obigem erlaube ich mir noch einige Bemerkungen über Hrn. Hédouin's Vorschlag hinzuzufügen, um darzuthun, daß derselbe nichts Neues und Verwerthbares in sich schließt. Das Loth soll ein auf dem Meeresgrunde sich nicht ablösendes seyn; es darf also dann nicht bedeutendes Gewicht haben; dadurch großer Zeitverlust beim Sinken desselben; ebenfalls beim Anholen der Leine, abgesehen von der vergrößerten Gefahr, der man letztere aussetzt; ein einmaliger Verlust der Leine verursacht unverhältnißmäßig mehr Kosten, als ein selbst hundert Mal sich wiederholender von schweren, gußeisernen Lothen; durch Heraufziehen des Lothes wird außerdem die Leine zu großen Veränderungen in Bezug auf Längsdimensionen ausgesetzt, was jedenfalls möglichst zu vermeiden ist. Ferner meint Hr. Hédouin, daß elektrische Tiefenleinen unter viel günstigeren Bedingungen zu arbeiten haben, als unterseeische Kabel; er hat sich dabei offenbar nicht genügend Rechenschaft gegeben über die stets erforderlichen, oben angeführten Eigenschaften einer guten Tiefenleine; letztere müssen oft aus Tiefen von 4–5000 Faden angeholt werden, während bekanntlich das Heraufziehen eines Kabels bei den nordatlantischen Tiefen (circa 2000 Faden) schon nicht mehr gelingen will. Als Leitung wendet Hr. Hédouin zwei von einander und gegen das Wasser isolirte Drähte an, wozu aber zwei, ist unklar; denn wenn man öffentlich Vorschläge macht, basirt auf elektrische Leitung, so kann man doch unmöglich nicht wissen, daß das Wasser als Rückleitung vom Loth aufs Deck benutzt werden kann. Gewicht, Kosten, Dicke der Leine sind dadurch verringert, die Leichtigkeit der Anfertigung derselben aber vergrößert. Der Leitungsdraht ist bei Hrn. Hédouin geradlinig angegeben; wie lange ein solcher, bei beständiger Bewegung, bei einer Länge von mehreren Tausend Faden und bei unvermeidlichen Fehlern im Kupfer dauern werde, möge Jeder sich selbst sagen. Bei meiner Leine sind drei feine Spiraldrähte als Cylinder um eine Achse gesponnen, die ihrerseits wieder aus zwei geraden Kupferdrähten und einem Garnfaden besteht; das Ganze hat 3/4 Millimeter Dicke. Zuletzt schlägt Hr. Hédouin noch vor, daß im Augenblicke des Aufstoßes vom Loth, durch einen von einem Elektromagneten in Thätigkeit gesetzten Sperrhaken an der Achse des Haspels, letzterer plötzlich angehalten werde. Durch eine solche Einrichtung wird bei dem großen Bewegungsmomente der Leine diese fast jedesmal der Zerreißung ausgesetzt seyn. Der Haspel darf nur allmählich durch eine Bremsvorrichtung, welche nach und nach stärker angezogen wird, angehalten werden. Aus Obigem folgt, daß, selbst zugegeben Hr. Hédouin habe seine Idee nur aus sich selbst geschöpft, er jedenfalls die Priorität nicht in Anspruch nehmen kann, und daß sich seine Auffassung der Aufgabe nicht eben durch besondere Gründlichkeit auszeichnet. St. Petersburg, den 9. April 1866.