Titel: | Ueber die physiologische Erschöpfung und die Lebensfähigkeit der Bierhefe; von A. Béchamp. |
Fundstelle: | Band 181, Jahrgang 1866, Nr. XXXVIII., S. 143 |
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XXXVIII.
Ueber die physiologische Erschöpfung und die
Lebensfähigkeit der Bierhefe; von A.
Béchamp.
Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 689; October
1865.
Béchamp, über die Bierhefe.
Der Zweck meiner Untersuchungen über diesen Gegenstand war, zu bestimmen bis zu
welchem Grade die Bierhefe bei ihrer Erschöpfung die Fähigkeit behält, Zymase, – jenes lösliche Ferment, welches den
Rohrzucker in Traubenzucker umzuwandeln vermag – zu erzeugen und die
Alkoholgährung zu bewirken.
Da das Leben der Hefe in der Zelle, worin sie eingehüllt ist, seinen Sitz haben muß,
so nahm ich an, daß, so lange diese Zelle nicht zerstört oder abgestorben ist, die
Hefe fortleben, d.h. fortfahren werde, ihr Leben durch die dasselbe
charakterisirenden chemischen Wirkungen zu äußern, wenn sie auch in gewissen Fällen,
z.B. in dem, wovon hier die Rede seyn wird, durch Erschöpfung (wie ein Thier aus
Mangel an Nahrung) nach und nach sich aufzehrt.
Um die physiologische Erschöpfung der Bierhefe zu messen, bestimmte ich die Menge der
Phosphorsäure, welche sie beim Verzehren ihrer eigenen Gewebe ausscheidet, wenn sie
genöthigt wird in destillirtem Wasser zu leben.
Aus Mitscherlich's Analyse der Bierhefenasche ergibt sich,
daß 100 Grm. trockener Hefe die Elemente von 4,28 Grm. wasserfreier Phosphorsäure
enthalten. Allein jene Analyse liefert keineswegs den Beweis, daß diese Säure in der
Hefe selbst gebildet vorhanden ist. Der Hefenaufguß reagirt stets sauer, was man der
Phosphorsäure zuschreiben könnte, wenn sich nicht, wie ich bereits anderweitig
nachgewiesen habe, bei dem Lebensprocesse der Hefe unablässig andere Säuren
erzeugten. Um sich zu vergewissern, daß in der Hefe die Phosphorsäure und
Phosphorsäuresalze in der That schon gebildet enthalten sind, braucht man nur gut
gewaschene Hefe mit einer großen Menge destillirten Wassers zu kochen; sie stirbt dann und gibt an die
Flüssigkeit verschiedene Substanzen ab, unter denen auch Phosphorsäure sich findet,
welche sich nach der Methode bestimmen läßt, die ich (in der ausführlicheren
Abhandlung, von der ich hier einen Auszug gebe) mittheilen werde. Man findet so, daß
100 Grm. trockene Hefe sofort 2,8 bis 3,1 Grm. Phosphorsäure abgeben, welche
theilweise in freiem Zustande vorhanden ist.
Wenn aber die Hefe bei ihrem Absterben an kochendes Wasser – also bei einer
Temperatur von 100° C. – große Phosphorsäuremengen abgibt, so ist dieß
keineswegs der Fall, wenn sie in kaltem, ja selbst in Wasser von 30° bis
40° C. aufbewahrt wird; unter diesen Umständen gibt sie ihre Phosphorsäure
und andere Substanzen nur nach und nach ab, nicht wie ein träger Körper, sondern wie
ein lebendes Wesen, welches sich gegen seine Zerstörung wehrt. Wird das Wasser, mit
welchem man die Hefe behandelt, jedesmal nach Verlauf von 24 Stunden erneuert, und
die Menge des von ihr an dieses Wasser abgegebenen Phosphorsäure bestimmt, so zeigt
sich, daß die Menge dieser Säure bei den ersten Behandlungen nur gering ist, dann
aber immer mehr zunimmt, bis sie rasch ein Maximum erreicht, worauf sie wieder
geringer und zuletzt fast gleich Null wird.
Der Versuch wurde in folgender Weise ausgeführt:
Zunächst bestimmte ich den Phosphorsäuregehalt der die Hefe äußerlich imprägnirenden
Substanzen, welche aus dem Medium herrühren, worin die Hefe entstand, oder die von
ihr ausgeschieden wurden. 500 Grm. frischer Bierhefeteig wurden mit kaltem Wasser
angerührt und auf einem Filtrum ausgewaschen. Nach vollständigem Abtropfen hatte ich
4 Liter Auswaschwasser erhalten, dessen Phosphorsäuregehalt ich nach demselben
Verfahren bestimmte, welches ich auch bei den späteren Bestimmungen anwendete.
Ich fand
wasserfreie Phosphorsäure
0,095 Grm.
Dieses Resultat bleibt constant; unter gleichen Umständen geben 500 Grm. Hefeteig,
welche ungefähr 100 Grm. trockener Hefe entsprechen, an kaltes Wasser nicht ganz 1
Decigrm. Phosphorsäure ab.
280 Grm. dieser gewaschenen Hefe, welche 48,2 Grm. bei 100° C. getrockneter
Hefe entsprechen, wurden in einem besonderen Apparate mit 1600 Kub. Cent.
abgekochten und bis auf 40° C. erkalteten Wassers einem
Kohlensäure-Strom ausgesetzt. Zur sicheren Vermeidung der Bildung
fremdartiger Organismen wurden dem zum Ausziehen bestimmten Wasser einige Tropfen
Kreosot zugesetzt. Alle 24 Stunden wurde das Wasser abgegossen, und durch eine neue,
auf gleiche Weise vorbereitete Wassermenge ersetzt. Auf diese Weise wurde das Auswaschen
bei Luftausschluß in einer Kohlensäure-Atmosphäre bewerkstelligt. Der Apparat
war an einen warmen Ort gestellt, dessen Temperatur zwischen 20° und
30° variirte.
Von acht auf diese Weise ausgeführten Waschungen erhielt ich folgende Resultate:
1. Waschung.
–
Wasserfreie
Phosphorsäure
0,056 Grm.
2.
„
–
„
„
0,073 „
3.
„
–
„
„
0,074 „
4.
„
–
„
„
0,076 „
5.
„
–
„
„
0,346 „
6.
„
–
„
„
0,444 „
7.
„
–
„
„
0,371 „
8.
„
–
„
„
0,190 „
––––––––
Im Ganzen wasserfreie Phosphorsäure
1,630 Grm.
Diese Zahlen sind bedeutsam. Wenn die Bierhefe nur ein träger Körper wäre, also die
Phosphorsäure in deren Masse nach Art der Mutterlauge in einem Niederschlage sich
befände, so würde durch die Auswaschungen das Maximum der löslichen Substanzen bei
den ersten Operationen entfernt und die Menge derselben immer geringer werden.
Construirt man aber mit Hülfe der vorstehenden Zahlen die Curve, welche die den
successiven Auswaschungen entsprechenden Phosphorsäuremengen repräsentirt, so ergibt
sich, daß dieselbe von der ersten bis zur vierten Zahl sehr langsam steigt, und von
der zweiten bis zur vierten einschließlich, mit einer zur Abscissenachse parallelen
Linie ziemlich zusammenfällt, dann von der fünften bis einschließlich zur sechsten,
wo die Ordinate (welche die Menge aufgelöster Substanz repräsentirt) das Maximum der
Länge erreicht, rasch wieder steigt und hernach wieder fällt, zuerst langsamer und
darauf bis fast zu Null sinkt. Mit anderen Worten: die Hefe leistet dem Bestreben
des Wassers, ihr die löslichen Stoffe zu entziehen, zunächst Widerstand; dann läßt
dieser plötzlich nach und sie gibt nun eine große Quantität ihrer nicht assimilirten
Stoffe ab, wie uns die Gewichtsmenge der eliminirten Phosphorsäure zeigt, welche
plötzlich den fünf- und sechsfachen Betrag der vorhergehenden erreicht,
wornach natürlich ihre Menge abnimmt.
Berechnet man die Summe der verschiedenen Einzelbestimmungen der Phosphorsäure auf
100 Th. trockene Hefe, so erhält man die Zahl 3,38. Demnach beträgt die Menge der
eliminirten Phosphorsäure mehr als 3/4 von derjenigen, welche das Einäschern der
Hefe nach dem Mitscherlich'schen Verfahren gibt, und wenn
man berücksichtigt, daß diese Hefe gleichzeitig verschiedene andere Producte in einer
der Phosphorsäure proportionalen Menge ausscheidet, so kann man sich eine
Vorstellung von dem Grade der Erschöpfung machen, welcher ein jedes Hefekügelchen
unterliegt. Diese Erschöpfung geht so weit, daß die Hefe unter dem Mikroskope als
auf ihre Hülle (Zellen) reducirt erscheint; sie ist alsdann schwierig sichtbar und
so blaß, daß sie wie verschrumpfte, himbeerförmig gestaltete Schleimkügelchen mit
verschwommenen Umrissen aussieht. Nur aus den zurückbleibenden Kernen oder inneren
Granulationen läßt sich auf die Form der diese enthaltenden Hülle schießen.
Wird durch die Anwendung des in meiner ausführlichen Abhandlung über diesen
Gegenstand näher zu beschreibenden Apparates der Zutritt von Luft absolut vermieden,
so kann die Erschöpfung der Hefe stattfinden, ohne daß die sogenannte Fäulniß der Hefe eintritt, d.h. ohne daß man die
Organismen auftreten sieht, welche die Fäulniß der ausgeschiedenen organischen
Substanzen verursachen. Bei Luftzutritt hingegen nehmen diese Producte einen
fauligen Geruch an, und es läßt sich die Entwickelung von Schwefelwasserstoff, sowie
die Entstehung von Infusorien beobachten, welche die Ursache einer eigenthümlichen
Gährung der stickstoff- und schwefelhaltigen organischen Substanzen der Hefe
sind. Abgesehen von der variirenden Menge der die Phosphorsäure begleitenden
Producte, entspricht die bei jedem Auswaschen an das Wasser abgegebene Menge dieser
Säure den in obiger Tabelle angegebenen Zahlenverhältnissen.
Die bei dem Versuche, welcher jene Zahlen gab, erschöpfte Hefe konnte man für
abgestorben halten; dieß war indessen keineswegs der Fall, denn sie besaß noch die
Fähigkeit, Rohrzucker in Traubenzucker umzuwandeln, d.h. Zymase zu bilden und den entstandenen Traubenzucker in Alkoholgährung zu
versetzen. Aber die Producte der durch erschöpfte Hefe
bewirkten Alkoholgährung weichen sowohl hinsichtlich ihrer Art, als auch in Bezug
auf ihre Menge bedeutend von denen ab, welche die durch normale Hefe veranlaßte
Weingährung liefert. Dabei bildet sich ebenso, wie bei der durch Essigmutter
eingeleiteten alkoholischen Gährung, ein krystallisirbarer Körper, welcher die
Eigenschaften des Mannits besitzt.
Diese Resultate liefern – im Widerspruch mit Mitscherlich's Ansicht, daß die Hefekügelchen durch sorgfältiges
Auswaschen mit Wasser der Fähigkeit, Rohrzucker in Traubenzucker zu verwandeln,
beraubt würden – den Beweis, daß die Hefe die Eigenschaft, den Rohrzucker in
solcher Weise umzusetzen, so lange beibehält, als sie noch nicht aufgehört hat zu
leben, und daß sie selbst dann noch, mit Rohrzucker nach und nach Traubenzucker und
Alkohol zu bilden fortfährt, nachdem sie so erschöpft worden, daß sie gewissermaßen
auf ihre Zelle reducirt ist. Demnach dürfen wir die Eigenschaft der Hefe, die
Alkoholgährung hervorzurufen, nicht in der katalytischen Wirkung einer in ihr
enthaltenen chemischen Verbindung suchen; vielmehr hat sie – wie dieß durch
die vorstehenden Mittheilungen bewiesen wird – ihren
Sitz in den Eigenschaften der lebenden Zelle; sie ist eine Consequenz des
Ernährungsprocesses dieser Zelle.Diese Folgerungen stehen mit der Behauptung Liebig's („Organische Chemie,“ Einleitung) in
Widerspruch: „Der unlösliche Körper, welcher Ferment genannt wird, ruft keine Gährung hervor.“
Als Beweis hierfür führte der berühmte Chemiker an, daß, wenn Hefe mit
luftfreiem Wasser ausgelaugt wird, man endlich einen Rückstand erhält,
welcher nicht mehr im Stande ist, den Rohrzucker in Gährung zu versetzen.
– Dieser Irrthum ist einerseits dadurch entstanden, daß man, weil die
Erscheinung weniger lebhaft auftrat, glaubte, sie existire nicht.
Andererseits wurde damals der der eigentlichen Gährung vorhergehenden
Umsetzung des Rohrzuckers, d.h. seiner Umwandlung in Traubenzucker, weit
weniger Beachtung geschenkt, wie denn bekanntlich Pasteur (trotz einem sehr wichtigen, wahrscheinlich aber
unbeachtet gebliebenen Versuche von Dubrunfaut)
annimmt, daß der Rohrzucker direct gähre, indem die Bildung des
Invertzuckers nach der Bildung der Bernsteinsäure erfolge.