Titel: Ueber entlastete Dampfschieber, insbesondere bei Locomotiven.
Fundstelle: Band 181, Jahrgang 1866, Nr. XLVI., S. 180
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XLVI. Ueber entlastete Dampfschieber, insbesondere bei Locomotiven. Aus dem Practical Mechanic's Journal, April 1866, S. 7. Mit Abbildungen auf Tab. III. Ueber entlastete Dampfschieber, insbesondere bei Locomotiven. Die Versuche, welche zu verschiedenen Zeiten gemacht worden sind, um so weit als thunlich die Reibung aufzuheben, die dadurch entsteht, daß der Schieber eines Dampfcylinders durch den Druck des Dampfes gegen die Schieberfläche gepreßt wird, sind so zahlreich, aber dabei im Princip so verwandt, daß zwischen ihnen kaum ein Unterschied gefunden werden kann, ausgenommen in Bezug auf die Dimensionen und auch die einzelnen Details in der Ausführung. Es könnte scheinen, daß es bei dem Alter der Dampfmaschinenkraft kaum nöthig wäre jetzt noch diesen Gegenstand zu berühren; wenn man jedoch eine genaue Betrachtung anstellt, wie viel Kraft dadurch verloren geht, daß der Dampf, welcher nutzbringend im Cylinder verwendet werden könnte, zur Ueberwindung der Reibung zwischen Schieber und Schieberfläche gebraucht wird, so scheint es doch nicht überflüssig einige Thatsachen anzuführen, da bis jetzt solche nicht ganz glücklich zusammengestellt sind. Sogenannte entlastete Schieber sind dutzendweis vorhanden; aber diese Vorrichtungen um den Druck mit welchem ein Ventil gegen seinen Sitz gepreßt wird, zu vermindern, sind nur zeitweise in guter Thätigkeit; denn nach den Erfahrungen im Allgemeinen scheint es fast unmöglich, die Packung auf der Rückseite des Schiebers, gegen den Schieberkastendeckel, dampfdicht zu halten. Die geringste Ursache kann in dieser Packung eine kleine Oeffnung hervorbringen, die durch den Dampfdruck vergrößert wird, und dadurch ein Pressen des Schiebers gegen die Schieberfläche hervorrufen, so daß die beabsichtigte Verminderung der Reibung nicht mehr vorhanden ist. Bei Schiffsmaschinen, an welchen bis jetzt die Oberfläche der Schieber nothwendigerweise sehr groß ist, scheint die größte Aufmerksamkeit darauf gerichtet worden zu seyn, diesem Uebelstande abzuhelfen; auch hat eine Anzahl vergleichender Versuche, die mit Locomotiven und stationären Maschinen gemacht wurden, keinen Zweifel übrig gelassen, daß, wenn man dieselben mit verhältnißmäßig kleinen Schieberoberflächen und bedeutenden Geschwindigkeiten arbeiten ließe, ihre Kraft sehr vermehrt und die jährlichen Kosten ihrer Reparatur vermindert werden würden. Es entsteht nun natürlich die Frage, wie groß ist der Betrag der Arbeit, um diesen Reibungswiderstand bei einem gegebenen Schieber zu überwinden? Wir wollen als Beispiel eine Locomotivmaschine wählen, deren Dimensionen und Dampfdruck einem mittleren Durchschnitt entsprechen. Es sey: Schieberlänge        15 Zoll engl. Schieberbreite        11 Zoll engl. Schieberoberfläche 15 × 11 =      165 Quadratzoll Dampfdruck im Kessel      120 Pfund  per Quadratzoll Wirklicher Dampfdruck im Schieberkasten im Durchschnitt      115 Pfund  per Quadratzoll Gesammtdruck auf den Schieber 165 × 115 =  18975 Pfund Umfang der Treibräder   18,84 Fuß Umdrehungen per engl. Meile 280,2 Zurückgelegter Weg der Maschine      45 engl.    Meilen per Stunde Zurückgelegter Weg per Minute       0,75 engl. M. Oberfläche des Schiebers auf welche der austretende Dampf wirkt 13 × 5,5 =     71,5 Quadratzoll Mittlerer Druck des eintretenden Dampfes nach Gooch's Versuchen vom Jahr 1851       4,8 Pfund Gesammtdruck des austretenden Dampfes auf den Schieber 71,5 × 4,8 =    343,2 Pfund Wirklicher Druck auf den Schieber = der Differenz des Druckes des directen und austretenden Dampfes 18975 – 343,2 = 18631,8 Pfund. Um nun die Arbeit zu finden, welche aufgewendet wird, um den Schieber unter diesem Druck zu bewegen, haben wir Folgendes: Der Schieber hat im Mittel 3'' Hub und, da er diesen Weg bei jeder Umdrehung des Treibrades macht, 2 × 3 = 6 Zoll zurückzulegen. Da das Treibrad bei der von uns angenommenen Geschwindigkeit 210 Umdrehungen per Minute macht, so ist der wirkliche Weg, den der Schieber macht, abgesehen von der Bewegung mit der Maschine 210 × 6 = 1260/12 = 105 Fuß per Minute, folglich der theoretische Werth der in einer Minute vollbrachten Arbeit 18631,2 × 105 Fußpfund, multiplicirt mit dem Coefficienten der Reibung, der unter diesen Umständen nach Morin 0,3 ist. Hierzu kommt noch eine Konstante a, welche den Werth der Reibung der Schieberstange in der Stopfbüchse und den durch das Gewicht des Schiebers, der Stange etc. erzeugten Widerstand repräsentirt. Diese Constante ist, verglichen mit der Arbeit, die verwendet wird um die Schieberreibung zu überwinden, sehr klein und kann deßhalb unberücksichtigt bleiben. Diesen Werth von a also vernachlässigt, ist die theoretische Gesammtarbeit per Minute um die Reibung des Schiebers zu überwinden: (18631,8 × 105)/33000 × 0,3 = 17,7 Pferdestärken, und da eine Locomotive zwei solche Schieber hat, der ganze der Maschine entzogene nutzbare Effect 17,7 × 2 = 35,4 Pferdestärken. In der Praxis ist aber wahrscheinlich der Betrag der ganzen, der Maschine entzogenen Kraft nicht völlig so groß. Die in der vorhergehenden Rechnung aufgestellten Werthe sind solche wie sie gewöhnlich vorkommen, und nicht extreme Fälle, wie sie auf verschiedenen Eisenbahnlinien durch Einführung größerer Geschwindigkeiten und höherer Dampfspannung vorhanden sind; bei Güterzugmaschinen, bei denen die Treibräder kleiner und die Geschwindigkeiten der Kolben viel größer sind, ist die wirkliche, durch die Schieberreibung hervorgebrachte Abnahme der Maschinenkraft noch viel größer, da diese Verminderung im Verhältniß rascher wächst als die Geschwindigkeit und der Dampfdruck zunehmen. Um diesen eben aufgezählten Uebelständen abzuhelfen, hat eine Firma in Glasgow eine Anordnung getroffen, durch welche der Druck der Schieberfläche auf ihren Sitz und deren Reibung auf den möglich kleinsten Werth gebracht werden kann; die Grenze dieses Werthes ist Null. Das Princip, auf welchem die Wirksamkeit dieser Anordnung beruht, ist das der Entgegenwirkung oder der Einführung einer zweiten Oberfläche, auf die der Dampf in entgegengesetzter Richtung zu derjenigen wirkt, durch welche der Schieber auf seinen Sitz gedrückt wird. Um diese Construction zu erläutern, dienen die beigegebenen Abbildungen, von welchen Fig. 9 einen Längendurchschnitt und Fig. 10 einen Querdurchschnitt eines gewöhnlichen Dampfcylinders A darstellt. Darin ist B der Schieberkasten, C der Dampfkolben und D der Schieber; E und F sind die Theile um den Druck auf den Schieber zu vermindern. Nach diesen Figuren ist es einleuchtend, daß wenn der Dampf in den Schieberkasten B tritt, er auf die Oberflächen des Kolbens E und des Schiebers D mit derselben Kraft drückt. Hieraus folgt, daß wenn die Oberflächen des Kolbens E und des Schiebers D gleich groß sind, die Werthe der Pressungen durch den Dampf auch gleich seyn müssen; da nun der Schieber und der Kolben durch die Stange F verbunden sind, so ist es klar, daß Schieber und Kolben im Gleichgewicht sind; wird daher der Schieber bei ein wenig überwiegender Oberfläche in Bewegung gesetzt, so muß der Kolben E in seinem Cylinder diesen Bewegungen, indem er auf- und abgeht, folgen. Bei den Maschinen mit außenliegenden Cylindern ist in der Regel Raum genug vorhanden, um die beschriebene Anordnung anzubringen, was jedoch bei Maschinen mit innenliegenden Cylindern, besonders bei schmalspurigen Bahnen, anfangs nicht zu erreichen war. Es ist nun aber gelungen, durch eine eigenthümliche Anordnung, wie sie durch die folgenden Figuren erklärt wird, auch bei Maschinen mit innenliegenden Cylindern den Schieber abzubalanciren. Fig. 11 stellt einen halben Querschnitt und eine halbe Ansicht von einem Cylinderpaar einer breitspurigen Maschine dar; Fig. 12 einen Grundriß (Durchschnitt und Ansicht) derselben Cylinder, und Fig. 13 eine Seitenansicht. Es wird nun bei einem 17zölligen Cylinderpaar, welche an die Schieberkasten geschraubt sind und deren Schieber innen sitzen, entweder der Schieber durch den Kolben oder umgekehrt gehoben. Der Theil, welcher die größte Oberfläche besitzt, wird denjenigen der die kleinere hat, in der Richtung nach sich ziehen, in welche er durch den Dampf gedrückt wird, und zwar mit einem Zug, welcher bei gegebenem Dampfdruck proportional der Differenz der Oberflächen seyn wird, und mit einer Geschwindigkeit proportional dem Ueberschuß des Druckes über die zu überwindenden Widerstände. Diese Principien sind nun der Anordnung, welche wir beschreiben wollen, zu Grunde gelegt. Es ist offenbar, daß hierbei die Abmessungen der Oberflächen des Schiebers und Kolbens so gewählt werden können, daß der erstere von der Maschine nur mit einer Kraft bewegt zu werden braucht, welche hinreicht, um die Reibung der Stangen in den Stopfbüchsen, bei ihrer abwechselnden Bewegung, zu überwinden. Um dieses zu erreichen und die Reibung des Schiebers aufzuheben, ist die Oberfläche des Kolbens kleiner als diejenige des Schiebers gemacht, und zwar proportional der Summe des Rückwärtsdruckes des ausströmenden Dampfes und der Kraft die nöthig ist um den Schieber in der Praxis dampfdicht auf der Schieberfläche des Dampfcylinders H zu bewegen. Das Product aus dem Dampfdruck im Schieberkasten in die Differenz der Oberflächen des Kolbens und Schiebers ist der Werth der nothwendigen Kraft um die zwei vorläufig geforderten Bedingungen zu erhalten. Sobald der Schieber in Bewegung ist, beschreibt die Stange F eine correspondirende Curve von 12 bis 13 Zoll, genügend um die Methode des Balancirens anzuwenden. In Fig. 11, 12 und 13 ist an jedem Ende des Schieberkastens in der Mitte eine Stopfbüchse A befestigt, von denen der Deckel der einen größer gebohrt ist, um die hohle Welle B, welche bis in die Mitte des Schieberkastens geht, aufzunehmen. Die volle Welle C geht durch B hindurch, reicht bis an das andere Ende des Schieberkastens und hat eine Führung in der zweiten Stopfbüchse A, am hinteren Ende des Schieberkastens. Auf das vordere Ende dieser Wellen B und C sind die Hebel E und F aufgekeilt, welche durch die Bleuelstangen G, H mit dem Kolben I in den kleinen Cylindern K gekuppelt sind. Am inneren Ende der hohlen Welle B ist ein kurzer Hebel L durch eine Universalkuppelung mit der Rückseite des Schiebers verbunden; ebenso geht von der Mitte der vollen Welle C ein kurzer Hebel M aus, der auf dieselbe Weise mit der Rückseite des anderen Schiebers verbunden ist. Die kleinen Cylinder K sind jeder für sich mit dem Schieberkasten vermittelst der Rohre N und O in Verbindung gesetzt. Durch das Rohr N communicirt der Dampf des Schieberkastens mit der unteren Seite des Kolbens I in dem rechten Cylinder K, so daß durch den Druck aufwärts die Kraft des Dampfes auf die Oberfläche des Kolbens I vertheilt und durch den Hebel F und den anderen Theil des Mechanismus zum Schieber fortgepflanzt wird, während gleichzeitig in dem linken Cylinder K der Dampf durch das Rohr O auf die obere Seite des Kolbens wirkt, und durch den Bewegungsmechanismus nun auf den anderen Schieber übertragen wird. Mittelst Einführung der Hebel E und F ist es möglich die Cylinder K im Durchmesser klein zu machen. Bei Anwendung dieser Construction auf schon vorhandene Locomotiven wird es mit einigen Schwierigkeiten verbunden seyn, die Cylinder K zu befestigen, denn ohne Einführung anderer Hülfstheile ist nur die dünne Platte der Rauchbüchse vorhanden, an welcher sie befestigt werden könnten; bei neuen Cylindern kann man hingegen einen Arm P (Fig. 13) anbringen, mit dem sich die Cylinder verbolzen lassen.Die Wirkung der ganzen beschriebenen Vorrichtung findet nur so lange statt, als der kleine Kolben sich in seinem Cylinder ziemlich vollständig dampfdicht bewegt. Es wird, wenn der Cylinder über dem Kolben geschlossen ist, bei nicht dichtem Kolben ein Gegendruck auf denselben stattfinden und so einen Theil der Wirkung des Apparates aufheben; ist dagegen der Cylinder offen, so wird Dampf unbenutzt entweichen.Anmerkung des Uebersetzers. Um zu zeigen, wie wichtig es ist, die Reibung der Schieber bei Locomotiven zu reduciren, erwähnt der Verf. schließlich, daß in seiner eigenen Praxis nicht wenig Fälle vorgekommen sind, in welchen ein Paar neue Schieber von Kanonenmetall in Zeit von zehn Wochen und bei einem durchlaufenen Weg der Maschine von 6000 bis 7000 engl. Meilen so dünn abgeschliffen worden sind, daß ein Theil des Randes durch die Dampfcanäle in den Cylinder geblasen wurde, so daß er ein Zerspringen des Kolbens und Deckels und eine nicht seltene Beschädigung des Dampfcylinders selbst bewirkte. Der Rand des Schiebers war, als er eingesetzt wurde, 7/8'' dick. Immerhin ist dieser Fall ein extremer, und das zum Schieber verwendete Metall wird zu weich gewesen seyn; nichts desto weniger ist es eine Thatsache, die von den Maschinenbauer nichtnnicht genügend beachtet wird, daß ein (nicht entlasteter) Locomotivschieber durchschnittlich nur sechs Monate läuft, und wenn man bedenkt wie groß die Kosten sind, um einen solchen Schieber und die Theile die mit demselben zerbrochen sind zu erneuern, und was an Capitalzinsen verloren geht, wenn eine stationäre Maschine Tage und Wochen still steht, so sollte darauf hingewirkt werden, daß solche Zustände nicht eintreten können. V. D.

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