Titel: | Chemische und physiologische Untersuchungen über die Seidenraupen; von Eug. Peligot. |
Fundstelle: | Band 182, Jahrgang 1866, Nr. CXVI., S. 412 |
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CXVI.
Chemische und physiologische Untersuchungen über
die Seidenraupen; von Eug.
Peligot.
Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 866; November
1865.
Peligot's chemisch-physiologische Untersuchungen über die
Seidenraupen.
Schon seit längeren Jahren beschäftigte ich mich mit einer Arbeit, von der ich i. J.
1851 den ersten Theil und später i. J. 1852 einen zweiten Theil
veröffentlichte;Polytechn. Journal
Bd. CXXIII S. 389 und Bd. CXXIV S. 143. nämlich
mit einem eingehenden, mit steter Anwendung der Waage verfolgten Studium der
verschiedenen, mit dem Leben und den Metamorphosen der Seidenraupe in Verbindung stehenden Erscheinungen.
Das Problem, dessen Lösung ich mir mit dieser Arbeit zur Aufgabe gemacht habe, umfaßt
folgende Untersuchungsreihen: die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung einer
bestimmten Quantität Seidenraupeneier, sowie der aus einer gleichen Gewichtsmenge
von Eiern derselben Race ausgeschlüpften Raupen; – die Aufziehung dieser
Raupen unter den gewöhnlichen Zuchtverhältnissen, mit gewogenen Quantitäten von
Maulbeerblättern; – die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der
verfütterten und der von den Raupen übrig gelassenen Maulbeerblätter (der Streu), so wie der Raupen selbst und ihrer Excremente;
– die Ausführung derselben Untersuchungen bei der Puppe und dem
Schmetterlinge; – kurz, die Aufstellung einer chemischen Statik der
Seidenraupe, von ihrem Auskriechen aus dem Ei an bis zu ihrem Tode.
Ich muß gestehen, daß ich mich, als sich diese Fragen bei mir anregten, durch die
anscheinende Einfachheit derselben zu leicht hatte verführen lassen. Ich hatte gedacht, daß,
wenn die uns jetzt zu derartigen Untersuchungen zu Gebote stehenden Mittel mit
Erfolg benutzt werden können, um das Problem des animalischen Lebens näher zu
erörtern, dieß vorzugsweise gelten müsse bezüglich der Anwendung jener Mittel zur
eingehenden Untersuchung der Bedingungen, unter denen sich ein Wesen entwickelt,
welches auf einer der untersten Stufen der zoologischen Stufenleiter steht, insofern
dieß Thier nur ein einziges Nahrungsmittel, das Maulbeerblatt, genießt und seine
sämmtlichen Functionen so zu sagen an einem und demselben Orte sich vollziehen. Wenn
nun aber auch in der That die Bestimmung der elementaren Bestandtheile, des
Kohlenstoffs, Wasserstoffs, Stickstoffs, Sauerstoffs, sowie die der bei der
Aufziehung der Seidenraupen in's Spiel gekommenen mineralischen Stoffe mit
ernstlichen Schwierigkeiten nicht verknüpft ist, so ist dieß doch anders, sobald es
sich um die Aufsuchung der in den Maulbeerblättern enthaltenen näheren Bestandtheile handelt, welche sowohl im Insecte selbst, als auch
in den verschiedenen mit seinen Metamorphosen verbundenen Ab- und
Aussonderungen in Umlauf gesetzt werden und einer Reihe von Umwandlungen
unterliegen. Die uns gegenwärtig zu Gebote stehenden Mittel zur Trennung der
Substanzen, aus denen ein Baumblatt oder ein Insect zusammengesetzt ist, sind noch
viel zu unvollkommen, als daß eine solche Untersuchung mit Erfolg zu Ende geführt
werden könnte. Die Anwendung von Lösungsmitteln – die einzige Methode, welche
sich für jetzt versuchen ließe, – hat gewöhnlich kein anderes Resultat, als
die Vereinigung der, mehr oder weniger analoge Eigenschaften besitzenden Körper zu
einer gewissen Anzahl von Gruppen. Einen jeden dieser Körper in solcher Weise von
den ihn begleitenden Substanzen zu trennen und zu isoliren, daß eine genaue
quantitative Bestimmung desselben ausführbar ist, namentlich gegenüber der dem
Forscher zur Verfügung stehenden stets nur sehr geringen Substanzmenge: – das
ist eine Aufgabe, deren Lösung noch gefunden werden muß.
Eine Schwierigkeit anderer Art entspringt aus den Unfällen, welche von der
Entwickelung eines jeden lebenden Wesens unzertrennlich sind, denen aber
vorzugsweise die Seidenraupen, mehr als alle anderen Thiere seit etwa zehn Jahren
einen starken Tribut zahlen mußten. Selbst wenn es sich nur um die
Gewichtsbestimmung der Elementarsubstanzen handelt, welche bei einer mit genauen
Wägungen verbundenen Seidenraupenzucht in's Spiel kommen, so ist eine solche
Untersuchung nur dann ausführbar, wenn die Zucht mehrere Wochen lang mit Vermeidung
jedes Fehlers bei der Wägung durchgeführt wurde, ohne daß eine einzige Raupe in
Folge der Muscardine (epidemischen Seidenraupenkrankheit) oder irgend einer anderen
Ursache zu Grunde
gegangen ist. Die Jahreszeit, welche eine derartige Untersuchung zuläßt, ist von so
kurzer Dauer, daß, wenn eine der gedachten Störungsursachen auftritt, die
Fortsetzung, bezüglich die Verification einer begonnenen Versuchsreihe bis auf das
nächste Jahr verschoben werden muß. Daher bin ich auch, obgleich ich diese Arbeit,
seitdem ich sie i. J. 1845 begonnen, ohne Unterbrechung weiter verfolgt habe, weit
davon entfernt, meine Aufgabe als gelöst zu betrachten; ich erkenne vielmehr sehr
wohl, daß ich dem Ziele, welches ich mir gesteckt habe, noch sehr fern bin.
Gleichwohl habe ich mir im ersten Theile meiner Untersuchungen alle Mühe gegeben,
nachzuweisen, welchen Antheil die im Maulbeerblatte enthaltenen unorganischen
Bestandtheile an den verschiedenen Producten der Seidenraupenzucht haben. Zu diesem
Zwecke wurde eine der den Raupen verfütterten genau gleiche Gewichtsmenge
Maulbeerblätter eingeäschert; eine Vergleichung der Gewichtsmenge der Asche und der
durch die Analyse nachgewiesenen Bestandtheile derselben mit der Gewichtsmenge und
den Bestandtheilen der durch die Verbrennung sowohl der Raupen selbst, als ihrer
Streu und ihrer Excremente erhaltenen Asche führte zu dem Schlusse, daß bezüglich
der Vertheilung der unorganischen Substanzen, die das Maulbeerblatt aus dem Boden
aufgenommen, in dem Insecte ein ununterbrochener Ausscheidungsproceß vor sich geht,
in Folge dessen die zu seiner weiteren Entwickelung nicht nothwendigen oder die im
Ueberschusse vorhandenen Substanzen nach und nach in Form verschiedenartiger
Ab- und Aussonderungen ausgeschieden werden, indem das Thier diejenigen
Stoffe, welche zur Reproduction seiner Species nothwendig zu seyn scheinen und die
sich auch im Eie finden, assimilirt und beibehält und somit den Endzweck seines
Daseyns erfüllt. So finden wir in Bezug auf jene mineralischen Substanzen, daß die
eliminirten, folglich in der Streu in größerer Menge als in den verfütterten
Blättern existirenden Stoffe in Kieselsäure, schwefelsaurer Kalkerde und
kohlensaurer Kalkerde, diejenigen aber, welche von den Raupen assimilirt werden und
welche in ihren Geweben, in der Puppe, im Schmetterlinge, sowie auch in den Eiern
sich finden, in Phosphorsäure, Kali und Magnesia bestehen. Es sind dieß dieselben
Elemente, welche sich vorzugsweise als organisirende
Bestandtheile bezeichnen lassen, und die in allen Samen, in dem Eie des
Thieres sowohl, als auch im Getreide, in den Pflanzensamen überhaupt vorhanden sind.
Ich habe bereits gezeigt, daß hinsichtlich der unorganischen Producte die Asche
eines Eies des Seidenspinners die größte Analogie mit der Asche eines Getreidekornes
zeigt; sie enthält dieselben Elemente, zwar nicht ganz genau in demselben Verhältnisse –
obgleich die Differenz nicht bedeutend ist –, aber wenigstens in dem gleichen
gegenseitigen numerischen Verhältnisse. Stets waltet die Phosphorsäure vor; dann
kommt das Kali, dann die Magnesia, welche in den Samen in weit größerer Menge
vorhanden ist, als die Kalkerde.
Diese Resultate, so weit sie den Uebergang der Phosphorsäure, des Kalis und der
Magnesia in das Getreidekorn und die demselben zunächst liegenden Theile betreffen,
sind seit der Veröffentlichung meiner Arbeit von Seiten mehrerer anderer Forscher
bestätigt worden.
In der Abhandlung, welche ich der Akademie heute vorlege, beabsichtige ich, in
Hinsicht auf die Vertheilung der organischen Substanzen das nachzuweisen, was ich
früher in Bezug auf die mineralischen Bestandtheile dargethan habe.
Dieses Problem kann auf zweifache Weise in Angriff genommen werden.
Nachdem die chemische Zusammensetzung des Maulbeerblattes in Bezug auf die
verschiedenen in ihm enthaltenen näheren Bestandtheile vorläufig bestimmt worden,
kann man den Umlauf dieser Substanzen oder die Veränderungen und Umwandlungen, denen
sie in Folge der Einwirkung der Lebensfunctionen des Insectes unterworfen sind, in
den Raupen und ihren Ab- und Aussonderungen, in den Puppen und in den
Schmetterlingen verfolgen.
In Ermangelung einer derartigen genauen und definitiven Lösung der Frage, welche ich
mir für jetzt nicht vindiciren darf, kann die Frage wenigstens in einer
gewissermaßen vorläufigen Weise gelöst werden, und eine solche Lösung bietet ein um
so größeres Interesse dar, als sie auf einen bedeutenden Theil des Thierreiches
verallgemeinert und ausgedehnt werden kann.
Die zu diesem Zwecke dienenden Züchtungsversuche wurden in gleicher Weise ausgeführt,
wie die, welche behufs der Nachweisung der Vertheilung der unorganischen
Bestandtheile angestellt worden waren.
Zwei Portionen Seidenraupen von gleichem Ursprunge und gleichem Alter werden genau
gewogen. Die eine derselben wird getrocknet und der Elementaranalyse unterzogen, um
den Gehalt an Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und an unorganischen
Substanzen zu bestimmen, deren Gewichtsmenge von der der aufgezogenen Seidenraupen
abgezogen werden muß. Der andere Antheil Raupen erhält während der Dauer seines
Lebens ein gewogenes Quantum Maulbeerblätter. Bei jeder Wägung wird eine der den
Raupen als Futter verabreichten genau gleiche Gewichtsmenge Blätter zurückgelegt.
Wenn man beide Schalen der Waage mit Blättern von demselben Baum in's Gleichgewicht bringt, ganz
abgesehen von dem specifischen Gewichte derselben, so lassen sich diese
vergleichenden Wägungen sehr rasch ausführen.
Die zurückgelegten Blätter läßt man freiwillig trocken werden, und zwar bei derselben
Temperatur und bei derselben Oberflächenausdehnung, wie das den Raupen zum Futter
gereichte Maulbeerlaub. Dasselbe geschieht mit der Streu, von welcher die Excremente
sorgfältig getrennt werden müssen. Nach Beendigung des Versuchs wägt man sämmtliche
Producte, nachdem sie unter denselben Verhältnissen, entweder im Vacuo bei
gewöhnlicher Temperatur, oder im Trockenschranke bei 110° C. getrocknet
worden sind.
Die Zusammensetzung dieser verschiedenen Producte wird durch die gewöhnlichen
Methoden der organischen Analyse bestimmt.
Da die Zusammensetzung der Maulbeerblätter, welche den Ausgangspunkt für diese
Untersuchungen bildet, nach der Species, zu welcher der Baum, von welchem sie
stammen, gehört, sowie nach der Beschaffenheit des Bodens, nach dem Alter der
Blätter etc. bedeutend schwankt, so ist es von Wichtigkeit, die sorgfältigsten
Vorsichtsmaßregeln zu beachten, um unter möglichst gleichen Verhältnissen arbeiten
zu können.
Meine Versuche wurden mit Blättern von wilden Maulbeerbäumen angestellt, welche in
Sèvres auf einem kalkigen Boden erwachsen waren. Diese Blätter sind weit
reicher an stickstoffhaltigen Substanzen, als die des in Südfrankreich allgemein
angewendeten gepfropften oder veredelten Maulbeerbaumes. Mehrfach hatte ich
Gelegenheit zu constatiren, daß gleichzeitig versuchte Züchtungen mit denselben
Grains bei mir besser gelangen als an verschiedenen Punkten in Südfrankreich. So
gelang es mir, die schöne Race der Seidenraupen des Hrn. André Jean noch zwei Jahre nach ihrem vollständigen Aussterben
in den Seidenzüchtereien des Languedoc und der Touraine zu erhalten. Ich kann nicht
entscheiden, ob diese Resultate der geringen Ausdehnung meiner Züchtungen oder
vielmehr der abweichenden Beschaffenheit der von mir gefütterten Blätter
zuzuschreiben sind. Auf diese Fragen werde ich in einem anderen Theile meiner Arbeit
wieder zurückkommen.
Zunächst theile ich die Resultate einer Zucht vom Jahre 1851 mit, deren Elemente ich
bereits im ersten Theile dieser Untersuchungen angegeben habe.
Erster Versuch. – Die den Raupen verfütterte
Gewichtsmenge von Blättern, im trockenen Zustande der letzteren bestimmt, wie dieß
auch bei sämmtlichen anderen Substanzen geschah,
betrug
265,00 Grm.
das Gewicht der erhaltenen Producte betrug:
Seidenraupen Streu Excremente
20,16
Grm.136,00 „ 98,00 „
254,16 „
–––––––––––
Differenz
10,84 Grm.
Dieser Verlust, der sich bei den sämmtlichen Versuchen wiederholt, rührt der
Hauptsache nach von der durch die Respiration der Seidenraupen erzeugten Kohlensäure
her.
In der nachstehenden Tabelle habe ich die Zusammensetzung der Streu, d. i. der
zurückgebliebenen Blätter, als gleich mit derjenigen der verfütterten Blätter
angenommen.
Tabelle I. Procentische Zusammensetzung
der Blätter:
der Raupen:
der Excremente:
Kohlenstoff
43,73
48,10
42,00
Wasserstoff
5,91
7,00
5,75
Stickstoff
3,32
9,60
2,31
Sauerstoff
35,44
26,30
36,14
mineralische
Stoffe
11,60
9,00
13,80
–––––––
––––––
––––––
100,00
100,00
100,00
Berechnet man die Gewichtsmenge eines jeden dieser in den Blättern und den von
denselben derivirten Producten der Raupenzucht enthaltenen Elemente, so erhält man
folgende Zahlen für dieselben:
Tabelle II.
Blätter:
Raupen:
Excremente:
Streu:
Kohlenstoff
115,88
9,69
41,16
59,47
Wasserstoff
15,66
1,41
5,62
8,03
Stickstoff
8,79
1,93
2,26
4,51
Sauerstoff
93,81
5,30
35,41
48,19
mineralische
Stoffe
30,70
1,81
13,52
15,77
––––––
––––––
––––––
––––––––––
264,84
20,14
97,97
135,97
Grm.
Aus der ersteren dieser beiden Tabellen folgt, daß das Resultat der Zucht der
Uebergang eines Theiles der in den Blättern enthaltenen stickstoffhaltigen Substanz
in den Organismus des Insectes ist, indem diese Substanz gleichzeitig reicher an
Kohlenstoff und Wasserstoff ist, als der Gesammtgehalt jener Blätter an organischen
Substanzen. In Folge davon sind die Excremente verhältnißmäßig arm an Stickstoff und
reich an Mineralsubstanz. Da sie Product einer Art von Verbrennung sind, so
enthalten sie mehr Sauerstoff als die Seidenraupen und selbst als die Blätter.
Ich muß übrigens bemerken, daß die Abweichungen in der chemischen Zusammensetzung bei
den Raupen nach gelungener Zucht, bevor sie die letzten Stadien ihrer Entwickelung
als Raupen durchgemacht haben, vor ihrer vollkommenen Reife, während sie noch
fraßen, weit weniger bedeutend sind als wenn die Raupen in dem Momente zur
Untersuchung genommen wurden, in welchem sie anfangen ihr Cocon zu bilden
(„sich einzuspinnen“); denn in diesem Stadium ihres Lebens
enthalten sie, nachdem sie von den Fäcalsubstanzen befreit worden sind, aus denen
der größere Theil ihres Körpers besteht, 12 bis 14 Proc. Stickstoff.
Vergleichen wir mit Hülfe der zweiten Tabelle die Zusammensetzung der Blätter mit der
der Producte der Zucht, d.h. mit der der Raupen, ihrer Fäces oder Excremente und der
der Streu, so erkennen wir, daß in Bezug auf die organischen Bestandtheile die
Zuchtproducte im Verhältniß zu den consumirten Blättern einen in folgender Weise
sich vertheilenden Verlust zeigen:
Kohlenstoff
5,56 Grm.
Wasserstoff
0,60 „
Stickstoff
0,09 „
Sauerstoff
4,91 „
–––––––––
Gesammtverlust
11,16 Grm.
Der Kohlenstoff, welcher den größten Antheil dieses Deficits ausmacht, verschwindet
in Folge der Respiration der Seidenraupen in Form von Kohlensäure. In Hinsicht auf
die übrigen Bestandtheile ist es von Wichtigkeit, bevor wir zur näheren Erörterung
der Folgerungen übergehen, welche sich aus diesen Analysen ziehen lassen,
festzustellen, daß der Sinn der Resultate der letzteren ein constanter ist. Auch
glaube ich, vor dem Beginne dieser Erörterung unter den sehr zahlreichen Versuchen,
welche ich angestellt habe, diejenigen auswählen zu müssen, welche meiner Ansicht
nach unter den günstigsten Verhältnissen ausgeführt worden sind.
In meiner ausführlicheren Abhandlung, von welcher ich mit diesem Aufsatze nur einen
gedrängten Auszug gebe, sind die Details von zwei Züchtungen (Versuche 2 und 3) mitgetheilt, von denen die eine im Jahre 1859, die
andere im Jahre 1861 gemacht wurde.
Bei den mit genauen Gewichtsbestimmungen verbundenen Züchtungsversuchen, welche ich
in den letzten zwei Jahren angestellt, suchte ich mehrere Fehlerquellen, welche mich
die Erfahrung nach und nach kennen gelehrt hatte, zu beseitigen.
Die eine dieser Fehlerquellen besteht in der Unzuverlässigkeit der Bestimmung des
Kohlenstoffgehalts der organischen Substanzen in allen den Fällen, in denen dieselben mit
unorganischen Stoffen verbunden sind, indem die letzteren bei der Verbrennung einen
Theil des Kalis und der Kalkerde als Kohlensäuresalze zurücklassen.
Bei meinen früheren Versuchen hatte ich der organischen Substanz den in der Asche
enthaltenen Kohlenstoff durch Berechnung ersetzt. Die Einäscherung wird bei einer
wenig hohen Temperatur ausgeführt; vor der Wägung wird die Asche mit einer
gesättigten Lösung von kohlensaurem Ammoniak befeuchtet und dann scharf getrocknet.
Der Kohlenstoff ist in ihr in zweierlei Form, nämlich in freiem Zustande und als
Kohlensäure, an Alkalien und Erden gebunden, vorhanden; er wird nach den im ersten
Theile meiner Arbeit beschriebenen Methoden bestimmt.
Bei den oben erwähnten neuen Versuchen erhielt ich, indem ich zur Bestimmung der
Mineralsubstanzen – einer Bestimmung, deren Genauigkeit bei der Feststellung
des Sauerstoffgehaltes dieser Producte durch Differenz von großer Wichtigkeit ist
– dasselbe Verfahren anwendete, den ganzen Kohlenstoffgehalt direct, indem
ich anstatt des zu diesem Zwecke gewöhnlich benutzten Kupferoxyds eines Gemenges von
geschmolzenem zweifach-chromsaurem Kali und geglühter Zinnsäure mich
bediente. Von den Vortheilen dieses Verfahrens hatte ich mich vorläufig durch
besondere Versuche, namentlich durch die Analyse des zweifach-weinsauren
Kalis überzeugt.
Ferner kann die chemische Zusammensetzung der Blätter, welche als Streu
zurückbleiben, nicht genau dieselbe seyn, wie die der für sich aufbewahrten Blätter.
Die Raupe frißt die zartesten Theile des Blattes und läßt die an stickstoffhaltiger
Substanz weniger reichen Blattrippen zurück. Somit durfte denn auch der Streu nicht,
wie dieß bei den ersten Versuchen geschehen war, der gleiche chemische Gehalt
zugeschrieben werden, wie den verzehrten Blättern, wenigstens nicht, wenn eine
solche Identität nicht aus der besonderen Analyse eines jeden dieser Producte sich
ergibt.
Endlich zeigen auch die von einem und demselben Zweige eines Baumes herrührenden
Blätter Verschiedenheiten in ihrer Zusammensetzung, je nachdem sie von der Spitze
oder der Basis des Zweiges abgepflückt worden sind; es ist demnach sehr zu
empfehlen, bei jeder Wägung zu jeder der abzuwägenden Portionen solche Blätter zu
nehmen, welche abwechselnd von den verschiedenen Stellen eines und desselben Zweiges
genommen worden sind.
Vierter Versuch. Zucht vom Jahre 1865. – Die zu
diesem Versuche benutzten Raupen stammten von den japanischen Grains, welche die französische
Acclimatisations-Gesellschaft auf de Quatrefage's Veranlassung mir überlassen hatte. Die sehr kleinen
Raupen lieferten
sehr wohlgeformte Cocons von gelblichgrüner Farbe, welche im Durchschnitt nur 5 bis
6 Decigramme schwer waren. Die Grains waren von sehr guter Beschaffenheit, denn
nicht eine einzige Raupe gieng an der bekannten Krankheit zu Grunde.
Der Versuch ergab folgende Data:
Verfütterte Blätter (bei gewöhnlicher Temperatur
gleichzeitig mit den Producten
der Zucht im Vacuo getrocknet)
23,750 Grm.
RaupenStreuExcremente
3,356
Grm. 8,712 „10,105 „
22,173 „
––––––––––––––––––––––––––––––––––
Verlust in Folge der
Respiration
1,577 Grm.
Die Elementaranalyse gab:
Blätter:
Streu:
Raupen:
Excremente:
Kohlenstoff
41,87
41,71
45,27
39,85
Wasserstoff
5,99
6,22
6,74
5,34
Stickstoff
3,95
3,84
8,74
3,18
Sauerstoff
35,33
35,37
29,86
34,73
mineralische Stoffe
12,86
12,86
9,39
16,90
––––––
––––––
––––––
––––––
100,00
100,00
100,00
100,00
welchen Resultaten die nachstehende Vertheilung der
Bestandtheile auf die einzelnen Producte der Zucht entspricht:
Blätter:
Raupen:
Excremente:
Streu:
Kohlenstoff
9,944 Grm.
1,473 Grm.
4,026 Grm.
3,633 Grm.
Wasserstoff
1,422 „
0,219 „
0,539 „
0,541 „
Stickstoff
0,938 „
0,284 „
0,321 „
0,334 „
Sauerstoff
8,392 „
0,975 „
3,512 „
3,088 „
Mineralstoffe
3,054 „
0,305 „
1,707 „
1,116 „
––––––––––
–––––––––
––––––––––
–––––––––
23,750 Grm.
3,256 Grm.
10,105 Grm.
8,712 Grm.
Der Verlust besteht in:
Kohlenstoff
0,812 Grm.
Wasserstoff
0,123 „
Sauerstoff
0,817 „
–––––––––
1,752 Grm.
Es ist hier ein Ueberschuß vorhanden von 0,074 Grm. mineralischer Bestandtheile und
von nur 0,001 Grm. Stickstoff.
Endlich wurden im vorigen und in diesem Jahre noch zwei Aufziehungsversuche mit
genauen Wägungen zu dem einzigen Zwecke unternommen, das Verhältniß zwischen dem
Stickstoffgehalte der verfütterten Blätter und dem Stickstoffgehalte der
Zuchtproducte zu ermitteln. Ich beschränke mich auf eine summarische Angabe der
erhaltenen Resultate.
Fünfter Versuch. – Zucht vom
Jahre 1864.
Menge der verfütterten
Blätter
55,921 Grm.
Erhaltene Producte:
Stickstoffin Procenten.
Gewichtdes Stickstoffs:
Raupen
4,377 Grm.
8,98
0,384
Grm.
Streu
40,260 „
4,34
1,747 „
Excremente
9,270 „
3,44
0,318 „
––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Gesammtmenge des
Stickstoffs
2,449
Grm.
Die Blätter enthielten 4,40 Proc. und in der oben angegebenen Gewichtsmenge (54,921
Grm.) 2,460 Grm. Stickstoff.
Der Verlust an Stickstoff betrug demnach nur 0,011 Grm.
Sechster Versuch. – Zucht
vom Jahre 1865.
Menge der verfütterten
Blätter
149,12 Grm.
Sie enthielten 4 Proc., also 5,964 Grm. Stickstoff.
An Producten wurden erhalten:
Stickstoffin Procenten.
Gewichtdes Stickstoffs:
Raupen
14,550 Grm.
10,00
1,455
Grm.
Streu
78,726 „
3,72
2,928 „
Excremente
48,044 „
3,27
1,572 „
––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Gesammtmenge des
Stickstoffs
5,955
Grm.
Der Stickstoffverlust betrug daher 0,009 Grm.
Fassen wir diese Resultate kurz zusammen und sehen wir von dem Kohlenstoffe ab,
dessen Verminderung in den Producten der Raupenzucht der Respiration der Thiere
zugeschrieben werden muß, so finden wir, daß die im Körper dieser Insecten, in ihrer
Streu und in ihren Excrementen enthaltene Stickstoffmenge dem Stickstoffgehalte der
Menge von Maulbeerblättern, mit welcher sie aufgezogen sind, ziemlich gleich
kommt.
Aus den angegebenen Zahlen ergibt sich:
Für den ersten Versuch ein Stickstoffverlust von
0,090 Grm.
„
„ zweiten Versuch ein Stickstoffüberschuß
von
0,130 „
„
„ dritten Versuch ein Stickstoffüberschuß von
0,040 „
„
„ vierten Versuch ein Stickstoffüberschuß von
0,001 „
„
„ fünften Versuch ein Stickstoffverlust von
0,011 „
„
„ sechsten Versuch ein Stickstoffverlust von
0,009 „
Die Differenzen in den Resultaten der letzten Versuche sind so gering, daß sie
innerhalb solcher Fehlergrenzen bleiben, welche entweder von unseren
Untersuchungsmethoden oder von deren numerischen Interpretation bedingt werden. Denn
diese Zahlen sind aus Versuchen abgeleitet, deren jeder mehrere Hunderte einzelner Wägungen erfordert,
und die analytischen Methoden, mittelst deren sie erhalten wurden, sind weit davon
entfernt, alle wünschenswerthen Garantien der Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu
geben. Indeß glaube ich mich durch diese Resultate, sowie auf Grund anderer
experimenteller Untersuchungen, welche analoge Resultate gaben, zu dem Schluß
berechtigt:
„daß die Seidenraupe im Raupenzustande lebt und sich
weiter entwickelt, ohne Stickstoff auszuathmen und ohne Stickstoff aus der
Atmosphäre aufzunehmen.“
Freilich stimmt dieser Schluß nicht mit der von den Physiologen allgemein
angenommenen Ansicht überein, daß während des Lebens der Thiere stets Ausathmung von
Stickstoff stattfindet; allein, so geneigt man auch seyn mag, die Erscheinungen des
materiellen Lebens bei allen Thieren als identisch zu betrachten, so läßt sich doch
nicht verkennen, wie sehr die Bedingungen und Verhältnisse, unter denen die
ausgezeichnetsten Beobachter arbeiteten, welche sich seit Dulong mit diesen Fragen beschäftigt haben, von denen, unter welchen ich
experimentirte, verschieden sind. Denn in der That hatte ich mir den Vortheil
gewahrt, sämmtliche Producte einer Zucht, mit Einschluß des
Thieres selbst (und indem ich, wenn auch nicht mit der Totalität der
Producte, so doch wenigstens mit einem Theil derselben, dessen gleichartige
Zusammensetzung unzweifelhaft war, experimentirte), der Analyse unterwerfen zu
können. Dessenungeachtet können die Resultate, welche mit einer Raupe, also mit
einem Thiere erzielt worden, dessen Entwickelung so rasch vor sich geht, daß es,
während es beim Auskriechen aus dem Ei nur 1/4 Milligramm wiegt, doch binnen dreißig
Tagen so wächst, daß es nach Verlauf dieser Zeit oft über 2 Grm. wiegt, also
innerhalb dieser Zeit in dem Verhältnisse von 1 zu 4000 an Gewicht zunimmt, –
dessenungeachtet können diese Resultate keineswegs mit denen verglichen werden,
welche mit erwachsenen Thieren, die nur die zur Unterhaltung durchaus nothwendige
Menge Nahrung (die Fristatzung nach Moleschott's Bezeichnung) bekommen und den
höheren Thierclassen, den Säugethieren und Vögeln angehören, erhalten werden.
Fassen wir nunmehr den Verlust an Wasserstoff und Sauerstoff in's Auge, einen
Verlust, welcher sich aus der Vergleichung der in den Maulbeerblättern enthaltenen
Menge dieser Elemente mit der, welche in den Producten der Raupenzucht sich
wiederfinden, ergibt. Dieser Verlust stellt sich folgendermaßen dar:
Erster Versuch.
Wasserstoff
0,60 Grm.
Sauerstoff
4,91 „
Zweiter Versuch.
Wasserstoff
0,41 „
Sauerstoff
3,14 „
Dritter Versuch.
Wasserstoff
0,13 „
Sauerstoff
0,92 „
Vierter Versuch.
Wasserstoff
0,123 „
Sauerstoff
0,817 „
Diese Mengen sind offenbar viel zu bedeutend, um Beobachtungsfehlern zugeschrieben
werden zu können; allein es genügt, den Wasserstoffverlust mit dem stets
beträchtlicheren Verluste an Sauerstoff zu vergleichen, um zu erkennen, daß, wenn
wir die Gewichtsmenge des ersteren dieser Elemente (des Wasserstoffs) = 1 setzen,
die des Sauerstoffs, sehr annähernd, durch 8 ausgedrückt wird; daß mit anderen
Worten durch den Respirations- oder den Ernährungsproceß der Seidenraupe das
Verschwinden eines Theiles des von ihr verzehrten Nahrungsstoffes in Form von Wasser
verursacht wird.
Demzufolge scheint es, daß während der Entwickelung der
Seidenraupe eine Ausathmung von Wasserstoff nicht stattfindet. Das
Verhältniß zwischen dem Wasserstoff- und dem Sauerstoffgehalte des ihr zur
Nahrung dienenden Maulbeerblattes steht auch wirklich dem Verhältnisse, in welchem
diese Elemente im Wasser vorhanden sind, weit näher, als das, in welchem sie in den
Nahrungsmitteln der höheren Thierclassen, namentlich in den Fettsubstanzen,
existiren, welche letztere, bekanntlich relativ sehr wasserstoffreich, einen mehr
oder weniger bedeutenden Theil der gedachten Nahrungsmittel ausmachen.
Uebrigens will ich diese Deduction aus meinen Untersuchungen nur mit großer
Zurückhaltung aussprechen. Denn wenn auch die Feststellung des Wasserstoffverlustes
ernstliche Schwierigkeiten nicht darbietet, so ist es eine andere Sache in Bezug auf
den Sauerstoff, dessen Menge nur durch Differenz abgeleitet werden kann, nachdem
vorher die sämmtlichen übrigen Elemente bestimmt worden sind. Da alle
Beobachtungsfehler, welche sich nicht compensiren, auf diesen Rest übergehen, so ist
es begreiflich, daß ich, wenn ich auch das von mir gegebene Resultat für
wahrscheinlich halte, dasselbe den Physiologen nur mit Zaudern und mit dem Wunsche
vorlege, es durch weitere experimentelle Forschungen controlirt zu sehen.
Fassen wir das Vorstehende kurz zusammen, so glaube ich aus diesem Theile meiner
Experimentalstudien über den Seidenwurm folgende Schlüsse ziehen zu können:
1. Die Entwickelung der Seidenraupe geht in Folge des Umlaufes und der Assimilirung eines
Theiles der im Maulbeerblatte enthaltenen stickstoffhaltigen Substanz vor sich. Da
die chemische Zusammensetzung, wahrscheinlich auch der anatomische Bau, beim Beginne
wie beim Ende der Aufziehung, in der eben erst entstandenen, wie bei der vollkommen
reifen Raupe beinahe ganz dieselben sind, so sind auch die Erscheinungen des
Ernährungsprocesses in den verschiedenen Stadien des Wachsthums der Raupen
dieselben.
2. Die Analyse der mit steter Anwendung der Waage erhaltenen Zuchtproducte weist
einen bedeutenden Abgang an Kohlenstoff nach, welcher zur Erzeugung der Kohlensäure
verwendet wird, die in der von dem Insecte ausgeathmeten Luft enthalten ist. Diese
Kohlensäuremenge ist eine solche, daß, um 100 Thle. Kohlenstoff, welche das Insect
von den Blättern sich aneignet, zu fixiren, die Raupe noch 40 bis 50 Theile mehr
consumirt, welche durch den Respirationsproceß zu Kohlensäure umgewandelt werden.
Schon Regnault und Reiset
haben in ihrer schönen Arbeit über die gasförmigen Producte des
Respirationsprocesses die Bemerkung gemacht, daß die Respiration der Seidenraupe
weit thätiger und kräftiger ist, als die der meisten anderen Thiere, mit denen sie
Versuche anstellten.
3. Allem Anscheine nach findet während der Entwickelung der Seidenraupen eine
Ausathmung oder eine Bindung von Stickstoff nicht statt.
4. Der durch die Analysen nachgewiesene Verlust an Wasserstoff entspricht, wie es
scheint, einem Sauerstoffverluste, welcher zu dem Schlusse führt, daß ein
beträchtlicher Antheil des Nahrungsstoffes während des Ernährungsprocesses in Form
von Wasser verschwindet.