Titel: Verfahren, das Nitroglycerin und analoge Stoffe als Ersatz für Pulver anzuwenden; von Alfred Nobel in Stockholm.
Fundstelle: Band 183, Jahrgang 1867, Nr. LIX., S. 222
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LIX. Verfahren, das Nitroglycerin und analoge Stoffe als Ersatz für Pulver anzuwenden; von Alfred Nobel in Stockholm. Patentirt in Bayern am 1. August 1866. – Aus dem bayerischen Kunst- und Gewerbeblatt, 1866 S. 684. Nobel, über Anwendung des Nitroglycerins als Ersatz des Pulvers. Es gibt eine Anzahl chemischer Stoffe, welche in einem offenen Raum angezündet werden können, ohne zu explodiren, z.B. Nitroglycerin, Nitromannit, salpetersaurer Harnstoff, die Aethyl- und Methyl-Nitrate etc. Sie erleiden zwar an der Berührungsstelle des Feuers eine Zersetzung, jedoch zu langsam, um eine Explosion hervorzubringen. Aus diesem Grunde haben diese Stoffe bisher keine Anwendung als Ersatzmittel des Pulvers gefunden. Einige dieser Körper, z.B. das Nitroglycerin, detoniren mit großer Heftigkeit durch einen Hammerschlag; die Detonation erfolgt aber nur an der Berührungsstelle; das Uebrige erleidet weder eine Verpuffung noch eine Anzündung. Wenn man eine ebene Fläche, z.B. einen Amboß, mit Nitroglycerin überstreicht, so kann man damit eine lange Reihe von Detonationen herstellen. Der Grund dieser Erscheinung liegt darin, daß das Nitroglycerin und analoge Stoffe nicht durch Entzündung, sondern durch Erwärmung ihrer Masse bis auf 180° Celsius explodiren. Es hat nämlich das Nitroglycerin zwei Zersetzungsgrade: – die sehr langsame Zersetzung, wenn die Wärmeleitung als einzige Wärmequelle dient, und die äußerst heftige, wenn die Temperatur der ganzen Masse durch Druck bis auf 180° C. gesteigert wird. Um eine Totalexplosion hervorzubringen, ist es demnach nothwendig, während des kurzen Verlaufs einer Explosion (höchstens etwa 1/300 Secunde) die ganze Masse bis auf 180° zu erwärmen. Meine Erfindung besteht hauptsächlich in der Lösung dieses Problems und das Nitroglycerin ist der Körper, dessen ich mich vorzugsweise bediene. Mein Verfahren ist ein zweifaches: I. Durch Mischen des Nitroglycerins mit Schießpulver, Pyroxylin oder analogen Stoffen, wobei die letzteren beim Verbrennen ihre Wärme dem Nitroglycerin augenblicklich mittheilen. Das mit Nitroglycerin gemischte oder sogar in Nitroglycerin schwimmende Pulver ist für allerlei Sprengarbeiten sehr geeignet. Die Explosion des Nitroglycerins wird hierbei theils durch die Wärmeerzeugung des Pulvers, theils durch die Wärmequelle des Explosionsdruckes bewirkt. Wird das Nitroglycerin dagegen in den Poren des Schießpulvers oder analoger Stoffe absorbirt oder mit diesen Körpern innig vermengt, so erlangt dasselbe eine größere Expansionskraft unter langsamer Verbrennung und eignet sich daher vorzüglich als Schießpulver für Geschütze. Beabsichtigt man nur die Verbrennungsgeschwindigkeit des Schießpulvers zu reduciren, so läßt man irgend ein nicht explosives Oel in die Poren desselben eindringen. II. Vermittelst Erwärmung des Nitroglycerins durch den Druck, welchen eine Local-Detonation des Nitroglycerins oder anderer explodirender Stoffe hervorbringt. So viel ich weiß, ist diese Wärmequelle noch nie zu einem technischen Zwecke angewendet worden. Hiervon ausgehend, ist es nun erforderlich, einen sehr geringen Theil der Masse zur Detonation zu bringen. Wenn das Nitroglycerin an den Seiten und am Boden Widerstand findet, also nicht entweichen kann, wenn es beispielsweise in einem Bohrloch eingeschlossen ist und die Detonation von der Oberfläche ausgeht, so wirkt der Druck von oben nach unten mit solcher Gewalt auf die ganze Masse, daß sie augenblicklich die Zersetzungstemperatur erlangt und folglich detonirt. Es kann diese locale Explosion auf verschiedene Art erzeugt werden, z.B.: 1) Wenn man Nitroglycerin oder analoge Stoffe in Röhren mit Schießpulver oder gleichwirkenden, zur Erwärmung beitragenden Stoffen umgibt, oder umgekehrt. 2) Wenn man in dem Nitroglycerin oder analogen Stoffen nur einen kleinen Zünder einsetzt, der mit Pulver oder ähnlichem Stoffe gefüllt ist. Dieser Zünder kann aus einem Glas-, Holz- oder anderem mit Pulver gefüllten Rohr bestehen; von unten wird es mit einem Kork oder auf andere Weise verschlossen, von oben mit einer Zündschnur verbunden. Da nun dieser Zünder im flüssigen Nitroglycerin steckt, so dringt bei der Entzündung des Pulvers das heiße Gas desselben im Nitroglycerin ein und vertheilt sich darin in feine Ströme, welche eine Local-Detonation bewirken, die dann durch den gewaltigen Druck von selbst fortgesetzt wird. 3) Durch einen starken elektrischen Funken, dessen Feuer nicht an der Oberfläche des Nitroglycerins entsteht, sondern in die Masse hineindringt. 4) Mittelst eines Zündhütchens. 5) Durch langsame Erwärmung eines geringen Theiles des Nitroglycerins oder anderer explosiver Stoffe, welche dann die Wirkung durch den Druck fortpflanzen. Es geschieht dich lediglich durch eine chemische Reaction, welche die Temperatur des ersten Theiles Nitroglycerin bis auf 180° C. steigern kann; nur muß diese Erwärmung so langsam geschehen, daß sich der Arbeiter vor der Explosion entfernen kann. Diese Erwärmung geschieht leicht durch Einschließen von einem feinen, mit Nitroglycerin oder anderem heftig detonirenden Körper gefülltem Röhrchen, in einem größeren, z.B. mit Raketensatz oder auch mit ungelöschtem Kalt und Wasser gefüllten Rohr, welches dann in einem berechneten Zeitraum die gewünschte Erwärmung bewirkt. 6) Durch eine einfache Zündschnur. Dieses gelingt, wenn das Nitroglycerin von allen Seiten eingeschlossen ist und das vergaste Nitroglycerin nicht entweichen kann, bevor der angesammelte Druck die Total-Erwärmung bis auf 180°, oder was dasselbe ist, die Total-Explosion hervorbringt. Diese letzte Methode ist selten anzuwenden, da bei Benutzung des Nitroglycerins ein fester Besatz nie den Effect steigert, leicht aber Gefahr bringen könnte. Ich gebrauche vorzugsweise die oben im zweiten Punkte erwähnten Pulverzünder. Da 1) das Nitroglycerin und die analogen Körper (welche in offenem Raum ohne Explosion entzündbar sind), in der Praxis bisher keine Anwendung gefunden haben, weil ihre Total-Explosion nicht hervorzubringen war; 2) diese Körper nicht nur in offenem, sondern beinahe ganz verschlossenem Raum entzündet werden können, ohne zu explodiren; 3) ein Hammerschlag nur eine Local-Explosion hervorbringt und selbst an dem Hammer nach der Detonation noch flüssiges Nitroglycerin haftet; 4) sogar die Erhitzung der Totalmasse des Nitroglycerins in einem offenen Geschirr keine Total-Explosion bewirkt; 5) ich diese Stoffe aus dem Gebiet der Wissenschaft für die Industrie nutzbar gemacht habe und 6) flüssige explosive Körper, wie das Nitroglycerin, noch nicht zu technischen Zwecken gebraucht worden sind, so beanspruche ich als meine Erfindung: a) die schnelle Erwärmung des Nitroglycerins und analoger Körper durch Mischen derselben mit Schießpulver, Pyroxylin oder gleichen Stoffen – und den Gebrauch dieses Pulvers sowohl als Schieß-, wie als Sprengpulver; b) die plötzliche Erhitzung zum Explosionsgrade des Nitroglycerins und analoger Körper, oder Mischungen von diesen, durch den heftigen Druck einer localen Explosion, welche dann, in der Richtung des Widerstandes wirkend, eine Total-Explosion herbeiführt; c) den ausschließlichen Gebrauch des Nitroglycerins und analoger Stoffe, oder Mischungen davon, als Sprengsatz, insoweit dieser Gebrauch sich auf die, eben erwähnten Erfindungen zurückführen läßt. Außerdem beanspruche ich folgende Verbesserungen bei Bereitung des Nitroglycerins und der dazu erforderlichen Säuren: I. Bei der Bereitung des Nitroglycerins. Bisher bereitete man das Nitroglycerin durch langsames Eintröpfeln des Glycerins in eine Mischung von Schwefelsäure und rauchender Salpetersäure, wobei die Temperatur nicht 0° übersteigen durfte. Ich bereite es vorzugsweise durch schnelles Zusammenmischen des ganzen Quantums Glycerin und Säuren, wornach dasselbe in kaltes Wasser ausgegossen wird und das Nitroglycerin sich dort am Boden ablagert. Läßt man Glycerin und eine Mischung von Schwefelsäure und Salpetersäure unter starkem Umrühren durch ein Rohr laufen, so erlangt man dadurch eine continuirliche Bereitung. Nur bei sehr starker Salpetersäure, wie z.B. von 1,52 spec. Gew., ist die oben erwähnte Methode, der starken Erhitzung wegen, weniger brauchbar. Ich ziehe es dann vor, die Salpetersäure der Schwefelsäure in 4 oder 5 Portionen zuzusetzen und jedesmal mit Glycerin zu sättigen. Zwischen jeder Operation lasse ich die Mischung erkalten. II. Bei der Bereitung der Säuren. Wenn man in 3 1/2 Gewichtstheilen Schwefelsäure von 1,83 spec. Gewicht (mehr oder weniger) 1 Gewichtstheil salpetersaures Kali oder Natron auflöst, so krystallisiren beim Erkalten Salze von der chemischen Formel (KO, 4 SO³ + 6HO); NaO, 4SO³ + 6NO). Diese Salze sind bei einer Temperatur von 0° in der Säure beinahe unlöslich und können davon mittelst einer Presse oder durch den Luftdruck leicht getrennt werden. Es bleibt dann eine Mischung von Schwefelsäure und Salpetersäure zurück, die sich zur Bereitung des Nitroglycerins sehr gut eignet. Nimmt man nun so viel Schwefelsäure, daß diese ganz in dem sich ausscheidenden oben erwähnten Salze absorbirt wird, so erhält man ohne Destillation freies Monohydrat von Salpetersäure (NO⁵, HO).