Titel: | Ueber Entwässerung von Städten. |
Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. LXXIV., S. 312 |
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LXXIV.
Ueber Entwässerung von Städten.
Nach Dr.
med. Georg Varrentrapp.
Ueber Entwässerung von Städten.
Vor einiger Zeit hielt der Civilingenieur Hr. Veit-Meyer, ein eifriger Anhänger und Förderer des Canalsystemes,
in der Berliner polytechnischen Gesellschaft einen eingehenden Vortrag über diesen,
jetzt so viele Kreise beschäftigenden Gegenstand. Er gieng dabei von den Ansichten
aus, welche sich in der im vorigen Jahre stattgefundenen Versammlung der
Gesellschaft der naturforschenden Freunde, in Bezug auf die Wohlerhaltung des
Menschen kundgegeben hatten, wornach als Cardinalpunkte dafür aufgestellt wurden:
trockenes Erdreich, frische, reine Luft und gutes, reines Wasser. Nachdem er
gezeigt, in welchem geringen Maaße sich diese Bedingungen bei Anwendung des
sogenannten Abfuhrsystemes erreichen lassen, daß lediglich Canalisirung der Städte
mit allgemeiner Einführung von Wasserclosets zu dem vorliegenden Ziele führen kann,
brachte er durch statistische Mittheilungen zur Anschauung, in welchem Grade sich
der Gesundheitszustand von mehreren Städten nach der Canalisirung derselben gehoben
hat: zunächst in der Stadt Paris, die bekanntlich in den
letzten Jahren der Luft zugänglicher gemacht und mit neuen Wasserwerken versehen
wurde; dann in mehreren englischen Städten, welche im Laufe der Jahre mehr oder
weniger gute Einrichtungen erhielten.
Den Lesern dieser Zeitschrift ist bekannt, daß wir vor einigen Jahren –
gestützt auf einseitige Kenntniß der Sache –
selbst dem Abfuhrsystem das Wort sprachen;Polytechn. Journal, 1865, Bd. CLXXVIII S. 313. der Vortrag des Hrn. Veit-Meyer hat uns
überzeugend für das entgegengesetzte System, das Canalsystem, gestimmt. Theils um
unsere frühere Mittheilung zu berichtigen, theils um den Leserkreis dieser
Zeitschrift mit den geläuterteren Ansichten über diesen wichtigen Gegenstand bekannt
zu machen, haben wir im Folgenden die Hauptdaten jenes Vortrages mit Benutzung des
von Dr. Varrentrapp
erschienenen WerkesDer vollständige Titel dieses Werkes ist: „Ueber Entwässerung der
Städte, über Werth oder Unwerth der Wasserclosets; von Dr. med. Georg Varrentrapp.“ Gr. 8°, 244 S., Berlin 1868
bei August Hirschwald. zusammengestellt. Auf den reichen Inhalt des letzteren Werkes wollen wir bei
dieser Gelegenheit insbesondere die Magistrate der Städte sowie Techniker dieser
Branche aufmerksam machen; der Verf. desselben hat sich mit der vorliegenden Frage
seit Jahren gründlich beschäftigt, wie dieß auch die dem Werke beigedruckte
Literatur über diesen Gegenstand erkennen läßt, welche 16 enggedruckte Seiten
umfaßt.
Einwürfe gegen das
Abfuhrsystem.
Das Abfuhrsystem charakterisirt sich bekanntlich dadurch, daß die menschlichen
Auswurfstoffe eine Zeit lang in einem Behälter aufbewahrt, und dann, behufs
Verwendung in der Landwirtschaft, abgefahren werden.
In sanitätischer Beziehung widerspricht dieses System
allen Anforderungen. – Bestehen die Behälter aus gemauerten Gruben, so können
dieselben erfahrungsmäßig für die Dauer nie so dicht erhalten werden, daß ein
Durchsickern zu verhindern wäre. Sie verderben dadurch nicht bloß den Boden im
Allgemeinen – dessen Entwässerung bei diesem System ja überhaupt
ausgeschlossen ist, – sondern auch, was noch viel schlimmer ist, das Wasser
der Brunnen. Dr. Varrentrapp
führt in Bezug hierauf mehrere von ihm in Frankfurt a. M. beobachtete Thatsachen an,
wo Brunnen, welche früher sehr gutes Wasser gaben, durch solche Durchsickerung aus
sanitätischen Gründen ganz unbrauchbar gemacht worden. In Bezug auf die
Reinerhaltung der Luft, welche aus sanitätischen Gründen so wünschenswerth ist, weiß
man, daß die Excremente bei ihrer Aufbewahrung sehr schnell in einen Gährungsproceß
übergehen und dabei der Gesundheit schädliche stinkende Dünste verbreiten. Dieser
Uebelstand wird weder bei Anwendung von Abtrittsgruben, noch bei der von sogenannten
Abtrittskübeln zu beseitigen seyn, und tritt bei der Reinigung der ersteren
bekanntlich am stärksten hervor, da alle mechanischen Mittel sich unzureichend
erwiesen haben, um derartige Gruben bis auf den Grund zu leeren. Welche weiteren
Unannehmlichkeiten bei dem Abfuhrsystem besonders in den besseren Stadttheilen sich
ergeben, brauchen wir nicht näher zu erörtern.
In volkswirthschaftlicher Beziehung deutet uns Dr. V. den Werth der Excremente als Dungstoffe sehr
treffend in folgenden Fragen an: „Was ist das Erz oder die Kohle einer zu
tief liegenden Mine
werth? Oder was nutzt es uns, wenn Jemand den Werth der Marmorberge nach dem
Werth berechnet, den ein schöner Marmorblock in des Künstlers Werkstätte
hat?“ Es ist ganz richtig, daß die Excremente einer großen Stadt und
zumal im frischen Zustande einen großen, theoretisch leicht zu berechnenden Werth
repräsentiren. Aber einerseits ist auch genugsam bekannt, daß dieselben bei längerem
Aufspeichern in Folge des Entmischungsprocesses sehr bedeutend an Werth verlieren,
und andererseits können dieselben als Dungstoffe auch nicht in der Stadt, sondern
nur auf den entfernt liegenden Feldern angewandt werden. Als Waare, welche wie jede
andere, der Concurrenz ausgesetzt ist, handelt es sich lediglich um den Handelswerth
derselben auf der Gebrauchsstelle. Mit dem Wachsen der Stadt steigern sich die
Transportkosten der Excremente, und die Kosten vor ihrer, der landwirthschaftlichen
Verwendung werden noch weiter erhöht, wenn sie behufs ihrer Transportfähigkeit
umgeformt werden müssen. Daß die Excremente, wie sie die größeren Städte mit
Abfuhrsystem liefern, nur einen sehr niedrigen Handelswerth haben, beweist zu Genüge
der Umstand, daß fast überall die Hauseigenthümer noch bedeutende Summen opfern
müssen, um ihrer los zu werden, ja selbst manche Unternehmer zu Zeiten gezwungen
sind, Massen derselben in die Flüsse zu lassen (Paris).
Fälle, in welchen sich das Abfuhrsystem günstig gestalten kann, erwähnt Dr. V. ebenfalls,Auch wir haben dieselben Fälle in unserem früheren Aufsatz specieller
vorgeführt. so z.B. die Casernen in Carlsruhe und die Stadt
Antwerpen. In ersteren können bekanntlich die
Excremente in möglichst frischem Zustande abgeholt werden, und Antwerpen ist in
Bezug auf Communicationsmittel (Canäle) so günstig wie keine zweite Stadt gelegen.
Zur Beruhigung des Publicums führt übrigens Dr. V. bei
dieser Gelegenheit an, daß vorläufig die Guanolager noch lange nicht erschöpft sind,
und macht weiter auf die uns ferner zu Gebote stehenden Düngerstätten auf den
Antillen, auf den Bergen Estremaduras etc., sowie auf das Kali in Staßfurt
aufmerksam.
Gute und schlechte Anordnungen für die
Entwässerung von Städten mittelst Canalisation.
Um ein auszuführendes Canalsystem einer Stadt nicht bloß brauchbar zur Abführung des
Regen-, Fabrik- und Küchenwassers, sondern auch zur Abführung der
festen und flüssigen Excremente zu machen, ist vor Allem erforderlich, daß die Stadt
mit einer reichlichen Wasserquelle verbunden und mit Wasserleitung versehen ist, ferner daß
die Leitungen überall dort hingeführt sind, wo Auswurfstoffe aufgenommen werden
sollen. Der Aufnehmapparat ist das bekannte Wassercloset mit Wasserverschluß. In
diesem werden die aufgenommenen Excremente sofort durch die nöthige Wassermenge
verdünnt (man rechnet hierfür 5–6 Kubikfuß Wasser pro Kopf und Tag), und die nun dünnflüssige Masse fließt durch steinerne
Röhren nach dem Canalsystem. Durch andere Röhren wird auch das Küchen- und
Fabrikwasser nach dem Canalsystem geleitet. Die eigentlichen Canäle sind meist in
Haupt-, Seiten- und Nebencanäle eingetheilt; die beiden ersten sind
aus Mauerwerk mit eiförmigem Querschnitt (die lange Achse in verticaler Richtung und
der spitzere Theil nach unten gerichtet), die letzteren aus Röhren von Steingut
gebildet. Hauptsache ist, daß alle diese Canäle so tief in dem Erdreich gelegt
werden, daß ihre Sohle noch unter den Kellerböden, also die Canäle im Allgemeinen im
Grundwasser zu liegen kommen. Alle Canäle haben das nöthige Gefälle, und die ihnen
übergebenen Flüssigkeiten fließen gewöhnlich einem Punkte zu, von dem sie dann durch
andere Mittel weiter gefördert werden.
Die Art der Weiterführung ist durch die Verhältnisse des Terrains bedingt; dasselbe
kann so beschaffen seyn, daß künstliche Hebungen des Canalwassers nicht erfordert
werden, oder daß dasselbe von jenem Punkte ab erst durch Pumpvorrichtungen gehoben
werden muß. Sind geeignete Felder in der Nähe vorhanden, so ordnet man für diese
eine Berieselung mittelst des Cloakenwassers an, und läßt dasselbe später in einen
Fluß abziehen. Stehen solche Felder in der Nähe nicht zur Verfügung und ist ein
hinreichend großer Fluß bei der Stadt gelegen, so wird die Cloakenflüssigkeit direct
in diesen gelassen. – Die Zweckmäßigkeit solcher Anlagen, besonders mit
Rücksicht auf sanitätische Gründe, ergibt sich aus Folgendem:
1) Die Excremente kommen gar nicht zum Entmischungsproceß, werden deßhalb auch keine
schädlichen Dünste in den Häusern erzeugen; ebenso werden die von den Closets nach
den Canälen führenden Abgangsröhren sofort immer wieder gereinigt, auch durch diese
also keine schädlichen Dünste verbreitet werden. 2) Das Erdreich wird nicht nur
gegen jede schädliche Einwirkung der Excremente vollkommen geschützt, sondern auch
bis zu der Tiefe, in welcher die Canäle liegen, entwässert; dadurch werden also auch
die Grundmauern der Gebäude trocken erhalten. Dieß folgt besonders daraus, daß die
Canäle bei ihrer tiefen Lage nur einen Druck von außen nach innen erhalten. 3) Wird
die Canalflüssigkeit zur Berieselung von Ländereien benutzt, so fließt
erfahrungsgemäß dieselbe
nach der Berieselung beinahe als reines Wasser ab, und die Ausnutzung der Excremente
für die Landwirthschaft ist als die möglich höchste zu erachten, da nur sehr wenig
Stoffe durch den Entmischungsproceß verloren gehen; auch wird dabei die Benutzung
des Küchenwassers gestattet, welches nach den Untersuchungen von Liebig ganz bedeutende Quantitäten von Stoffen enthält,
die zu den pflanzennährenden zu rechnen sind. – Wird das Cloakenwasser sofort
in den an der Stadt vorbeifließenden Strom gelassen, so kommt natürlich dabei die
Frage zur Erörterung: ob derselbe dazu den nöthigen Wasserzufluß habe? Großer
Wasserreichthum desselben ist dazu aber keineswegs erforderlich, da die Stoffe ja
schon in sehr verdünntem Zustande demselben zugeführt werden. So würde z.B. die Spree zur Fortschaffung des Berliner Cloakenwassers
genügenden Wasserzufluß haben, und aus der Elbe bei Hamburg sollen oft Seeschiffe
ihr Wasser für die Reise an einer Stelle derselben entnehmen, welche etwa 100
Schritt von der Ausmündungsöffnung der Stadtcanäle gelegen ist, obgleich sie es von
den dort lagernden Wasserschiffen für einige Thaler erhalten könnten. Das Wasser
wirkt oxydirend, zertheilend und reibend auf die Cloakenstoffe, und nach einem Laufe
des Stroms von ein bis zwei Stunden soll jede Spur derselben verschwunden seyn.
In Städten des Continents sowohl wie Englands, gibt es auch Canalanlagen, welche
schon in früheren Jahren und zu anderen Zwecken ausgeführt, höchst mißliche Zustände
veranlaßt haben. Sie sind nicht richtig angelegt, oder werden nicht richtig benutzt,
und können daher nicht ein Verdammungsurtheil für gute Anlagen abgeben. Es kann
vorkommen, daß die Canäle nicht tief genug liegen und zu wenig Gefälle haben; oder
daß sie aus schlechtem Material und mit flachen Böden hergestellt sind, so daß sie
Cloakenstoff von innen nach außen durchsickern lassen; ferner können die Excremente
in zu wenig verdünntem Zustande nach den Canälen gelangen, weil den Abtrittsstellen
gar kein oder doch zu wenig Wasser zugeführt wird; auch können die
Ausmündungsstellen fehlerhafte Anordnungen in mehrfacher Beziehung haben. In manchen
Städten sind auf diese Weise die Canäle zu großen Cloakengruben geworden.
Viele der erwähnten Fehler finden sich z.B. bei den älteren Anlagen der Stadt London, deren Canäle keineswegs von vornherein nach einem
bestimmten System, sondern stückweise, nach dem Bedürfniß einzelner Gegenden
hergestellt wurden. Die Themse ist überdieß ein wasserarmer Fluß, und die in ihrem
Bereich stattfindende Ebbe und Fluth wirkt höchst ungünstig auf die Abführung der
Cloakenstoffe; dieselben werden dadurch nämlich oftmals hin- und hergeschwemmt und
ihr Zufließen nach der Nordsee wird so um mehrere Tage aufgehalten. – Es
besteht bekanntlich das Project, künftig die Cloakenwässer der Stadt London zur
Berieselung von Ländereien zu benutzen. Man ist daselbst fchon seit Jahren mit
Ausbesserung von bestehenden und Legen von neuen Canälen beschäftigt, welche ihren
Inhalt an Canäle abgeben sollen, die an den beiden Themseufern angeordnet sind,
während diese, weit unterhalb London, denselben bis jetzt in die Themse
ergießen.
Resultate.
Ohne uns auf wissenschaftliche Daten einzulassen, welche sich in dem Werke von Dr. V. in Menge finden, haben wir versucht, dem Leser
die Grundsätze vorzuführen, nach denen zweckmäßige Entwässerungsanlagen von Städten
nach den neuesten Erfahrungen auszuführen sind, und auf die Vortheile aufmerksam
gemacht, welche aus diesen Anlagen für den Gesundheitszustand des Menschen zu
erwarten sind. Es bliebe uns nun noch zur Bekräftigung des Gesagten übrig, Resultate
zu erwähnen. Solche sind in dem Werke von Dr. V. in
großer Zahl zusammengestellt. Dasselbe berichtet über mehrere englische Städte,
welche ihr Cloakenwasser zur Berieselung von Ländereien benutzen und über den
landwirtschaftlichen Werth solcher Berieselungen; ferner über andere canalisirte
Städte, die ihr Cloakenwasser Flüssen zuführen und über den Grad der Verunreinigung
derselben. Endlich enthält es eine große Anzahl statistischer Notizen, welche
besonders in England gesammelt sind und über die Sterblichkeit der Menschen in
verschiedenen Städten, mit und ohne Canalisirung, Aufschluß geben; aus denselben
ergibt sich, daß die Sterblichkeit der Menschen, das Auftreten von Epidemien u.s.w.
sich in allen canalisirten Städten in segensreicher Weise vermindert hat.
Schließlich wollen wir die Ansicht Liebig's über diesen
Gegenstand mittheilen und die in Hamburg gemachten Erfahrungen, welche Stadt
bekanntlich bis jetzt die einzige auf dem Continent ist, die zum Theil mit einem
wohlgeordneten Canalsystem versehen ist, das von dem Ingenieur Lindley ausgeführt wurde und noch täglich erweitert wird. Die Ansicht Liebig's lassen wir in dem Bruchstücke eines Briefes
folgen, welchen derselbe in dieser Angelegenheit im Jahre 1865 an den Lordmajor von
London schrieb, und die in Hamburg gemachten
Erfahrungen in dem Bruchstück eines Briefes, welchen Hr. Senator Hayn im Jahre 1866 als Fragebeantwortung an Hrn. Dr. G. Varrentrapp in
Frankfurt a. M. schrieb.
a) Bruchstück eines Briefes von Justus v. Liebig an den Lordmajor von
London.
„Vor fünfzehn Jahren, als die dung-aufsaugende Eigenschaft des
Erdbodens noch unbekannt war, würde es kaum Jemand eingefallen seyn, Canalwasser
zur Düngung des Feldes zu verwenden, denn die sehr große Verdünnung würde als
Einwand dagegen betrachtet worden seyn. Jetzt wo wir wissen, daß diese
Verdünnung keinen Einfluß auf die Anhäufung von Dungstoff in der Erde hat,
betrachten wir gerade diesen Umstand als die nothwendige Bedingung, um die
Ausleerungen der Menschen und Thiere in Städten für den Ackerbau benutzbar zu
machen.
Denn nur in diesem verdünnten Zustande würde es möglich seyn, sie durch Maschinen
in Bewegung zu setzen und nach den Orten zu schaffen, wo sie verwandt werden
sollen. Das alte System der Abtrittsgruben scheint uns jetzt eher ein Hinderniß
für ihre Benutzung, da deren Inhalt mit Wagen und Pferden aus den Städten in
eine große Entfernung wegzufahren war.“
b) Bruchstück eines Briefes von dem Senator Hayn an denDr. G. Varrentrapp.
„Dieß Alles vorausgeschickt, schreite ich nun zur Beantwortung der mir
gestellten Fragen, bitte aber im Voraus um Entschuldigung, daß dieß nicht
erschöpfend geschieht, da ich über jede einzelne eine kleine Broschüre schreiben
könnte.
Auf die Frage also:
1) Hält man auch heute noch die vor mehr als 20 Jahren in Hamburg begonnene
Canalisation in ihren Grundprincipien für richtig? antworte ich mit einem
unbedingten Ja.
2) Ist man in der letzten Zeit im Allgemeinen ganz in derselben Weise
fortgefahren wie Anfangs?
Dieß ist geschehen und wir haben alle Jahre neue Siele in Verbindung mit dem
alten System und nach demselben Principe gebaut, und fahren damit bis heute ohne
Unterbrechung fort. Ich schätze die Ausdehnung unserer Siele auf circa 12 deutsche Meilen Länge.
3) Hält man es heute noch für richtig, die Einmündung der Waterclosets in die
Siele zu gestatten?
Es fällt Niemand ein, daß dieß verboten werden sollte; im Gegentheil befiehlt das
seit 1. Januar 1866 in's Leben getretene Baupolizei-Gesetz, daß da, wo
Siele vorhanden sind, alle Schmutz- und reinen Abflüsse in dieselben
geleitet werden müssen.
4) Ist die Spülung, wie sie durch das in den Häusern verbrauchte Wasser und durch
das von der Alster gelieferte Wasser eingeführt ist, genügend, oder finden sich
häufig Verschlammungen, welche künstlich weggeräumt werden müssen?
Die Spülung der Alster und des Hausabflusses genügen vollständig zur Reinhaltung
der Siele bei einer ordnungsmäßigen Benutzung; da aber auch Mißbrauch mit
denselben getrieben wird, durch Hineinwerfen von Mauerschutt, durch Hineinfegen
des Straßenkothes, durch Hineinwaschen von Bau- und Pflastersand bei
Sturzregen, so bilden sich ab und zu Ablagerungen von Sand und Steinen, welche
von Sielwärtern herausgeschafft werden müssen. Für Reparaturen an den
sämmtlichen neuen Sielen, für Beaufsichtigung derselben incl. 7 oder 8 ständiger
Arbeiter und Extrahülfe, verbrauchen mir jährlich circa 6000 Thaler.
5) Unter welchen Verhältnissen bilden sich Verschlammungen?
Ist bereits oben beantwortet.
6) Hat man einen nachtheiligen oder günstigen Einfluß der Siele auf die
Gesundheit beobachtet?
Es fehlt uns eine Statistik der Bevölkerung; es läßt sich deßhalb nicht positiv
sagen, der Gesundheitszustand sey durch die Siele ein besserer geworden. Die
sämmtlichen Aerzte sind aber der Meinung, daß dieß der Fall ist, und die
Gerichtsärzte haben sich auf eingeforderte Gutachten stets officiell in diesem
Sinne ausgesprochen.
7) Ist in den canalisirten Stadttheilen sowohl auf der Straße als in den Häusern
mehr oder weniger schlechter Geruch als früher, zur Zeit als noch Abtrittsgruben
bestanden? – (Nach eingehender Beschreibung der vier früheren und zum
Theil noch bestehenden Arten von Abtritten und Abtrittskübeln fährt Senator Hayn also fort:)
Alle vier Arten von Abtritten und Abtrittskübeln verbreiten die übelsten Gerüche,
denn selbst die Schifffahrts-Canäle werden mit der Zeit so von Unflath
und Schlamm angefüllt, daß sie im Sommer namentlich und bei Ebbezeit üble
Ausdünstungen verbreiten. Waterclosets riechen nur wenn sie mangelhaft gemacht
sind. Ich kann deßhalb die gestellte Frage nur dahin beantworten, daß sie selbst
weniger riechen als alle Abtritte, welche wir hier kennen, selbst wenn sie auf
dem Hofplatze angelegt, mit dem Hause nur indirect in Berührung kommen. Eher
gibt wohl einmal ein Handstein Veranlassung üblen Geruch zu verbreiten, sofern
der Wasser- oder Stink-Topf durch Fasern von Leinen oder Papier
unter ungünstigen Umständen und durch verkehrte Benutzung veranlaßt, allmählich leer gelaufen ist
und den Siel-Gasen Zutritt in's Haus gewährt.
Unzweifelhaft riechen unsere Straßen jetzt weniger als früher, ja ich behaupte
sogar, daß Hamburg seit dem Brande seinen sonst ganz eigenthümlichen Geruch
gänzlich verloren hat. Es ist dieß aber nicht lediglich in Veranlassung den
Sielen, sondern eben so viel der Wasserleitung zuzuschreiben, welche zur
Reinlichkeit in den Häusern einen so segensreichen Einfluß geübt hat. Selbst in
den winklichsten und sonst unsaubersten Stadttheilen, wo Closets noch zu den
Seltenheiten gehören, haben die Straßen an Reinlichkeit gewonnen und an
Ausdünstung verloren.“
Dr. Robert Schmidt.