Titel: Ueber die Oberflächen-Festigkeit tropfbar flüssiger und fester Körper.
Fundstelle: Band 189, Jahrgang 1868, Nr. XCIX., S. 380
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XCIX. Ueber die Oberflächen-Festigkeit tropfbar flüssiger und fester Körper. Ueber die Oberflächen-Festigkeit flüssiger und fester Körper. In der März-Versammlung des Vereines zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen zeigte Hr. Professor Dr. Quincke einige Versuche, um die Spannung in der freien Oberfläche von Flüssigkeiten zu erläutern, indem eine solche Oberfläche sich ähnlich wie eine gespannte Membran verhält. Gleichzeitig machte derselbe darauf aufmerksam, daß auch in der gemeinschaftlichen Berührungsfläche zweier Flüssigkeiten eine ähnliche Spannung auftritt, die jedoch kleiner, als in der freien von Luft begrenzten Oberfläche der Flüssigkeiten ist. Diese Spannung wird gemessen durch die Kraft, welche auf die Längeneinheit der Oberfläche ausgeübt wird, und beträgt für 1 Millimeter bei Quecksilber 55 Milligrm., bei Wasser 8 Milligrm., bei Alkohol 5 Milligrm. u. s. f. Man nennt diese die Spannung der freien Oberfläche messende Kraft die Capillaritätsconstante der betreffenden Flüssigkeit. Der Vortragende gieng dann auf die vielen Analogien ein, die sich im Verhalten fester und flüssiger Körper zeigen, und wies nach, daß eine ähnliche Spannung oder Festigkeit, wie in der Oberfläche tropfbar flüssiger Körper, auch in der Oberfläche fester Körper auftreten müßte. Bei Flüssigkeiten ist die Oberfläche stets eine Gleichgewichts-Oberfläche, die Spannung ist in allen Punkten der Oberfläche gleich und so groß wie irgend möglich. Bei festen Körpern ist dieß nicht immer der Fall, und die Spannung der Oberfläche trägt dann dazu bei, die Gestalt der Oberfläche zu erhalten. Richtet man es aber so ein, daß auch der feste Körper oder Systeme von festen Körpern von Gleichgewichtsoberflächen begrenzt sind, so wird dadurch die Festigkeit des festen Körpers vermehrt, indem zu der schon vorhandenen Festigkeit die Festigkeit der Oberflächen noch hinzukommt. Der Vortragende gieng auf eine Reihe von Beispielen ein, um diese Oberflächen Festigkeit fester Körper näher zu erläutern. Die Festigkeit eines runden Drahtes muß einmal proportional dem Querschnitte, und dann proportional der Oberfläche oder der Peripherie des Drahtes zunehmen, wie dieß in der That die Versuche von Karmarsch (Mittheilungen des Gewerbevereins für das Königreich Hannover, 1858, S. 138) bestätigen. Die Capillaritätsconstante fester Metalle läßt sich aus diesen Versuchen berechnen, und würde darnach die auf 1 Millim. der Oberfläche ausgeübte Spannung ¼ bis 6 Kilogr. betragen bei den verschiedenen Metallen. Bei geglühten Drähten ist diese Spannung geringer als bei hart gezogenen. Der scheinbare Widerspruch zwischen den kleineren Werthen der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und den großen Werthen bei festen Metallen erklärt sich aus der Zunahme der Oberflächenspannung mit der Dichtigkeit und mit abnehmender Temperatur, die bei Flüssigkeiten lange bekannt ist und auch bei festen Körpern auftreten muß. Versuche an Silber- und (plattirten) Kupferdrähten hatten den Vortragenden zu dem Resultate geführt, daß runder und plattgewalzter Draht von demselben Querschnitt sehr nahe dieselbe Festigkeit hat. Diese Thatsache erklärt sich zum Theil dadurch, daß der plattgewalzte Draht von größerer Oberfläche wie der runde keine Gleichgewichtsoberfläche hat, und daß das Plattwalzen den Zusammenhang der Metalloberfläche theilweise zerstört. Aus ähnlichen Gründen zeigt auch Goldblatt geringe Festigkeit, während dünne Lamellen von Platin, Gold und Silber, auf chemischem Wege dargestellt, bei denen die Oberfläche zusammenhängt, große Festigkeit besitzen. Schließlich versuchte der Vortragende aus dem obenerwähnten Princip der Oberflächenspannung der gemeinschaftlichen Grenzfläche heterogener Substanzen die große Festigkeit des damascirten Stahles und des Eisenbleches abzuleiten. Die Fabrication, welche Packete verschiedener Eisenarten übereinander schichtet und auswalzt, geht darauf aus, große Gleichgewichtsoberflächen zu erzeugen. Die Eisenlamellen sind durch dünne Schlacken- oder Oxydschichten getrennt, haben sich im glühenden weichen Zustande so anordnen können, daß sie durch Gleichgewichtsoberflächen begrenzt sind, und diese Oberflächen sind auch noch nach dem Erkalten nahezu Gleichgewichtsoberflächen geblieben. Die Spannung ist in den verschiedenen Punkten so groß wie möglich, und die Festigkeit ist um so größer, je größer die gemeinschaftliche Oberfläche der heterogenen Substanzen, aus denen das Eisenblech besteht. (Verhandlungen des Vereines zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1868 S. 32.)