Titel: | Ueber ein im käuflichen Anilin enthaltenes, dem Toluidin isomeres neues Alkaloid; von Rosenstiehl. |
Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Nr. CIV., S. 393 |
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CIV.
Ueber ein im käuflichen Anilin enthaltenes, dem
Toluidin isomeres neues Alkaloid; von Rosenstiehl.
Aus den Comptes rendus, t. LXVII p. 45; Juli
1868.
Rosenstiehl, über ein neues Alkaloid im käuflichen
Anilin.
Bei der Umwandlung des aus Steinkohlentheer gewonnenen Toluols in Toluidin erhält man ein nicht
krystallisirbares Alkaloid, wie von verschiedenen Chemikern beobachtet worden ist,
u. A. von Coupier und Gräfinghoff. Der letztere erklärt diese Thatsache durch die Annahme, daß
Toluidin in zwei Modificationen existirt, in einer flüssigen und einer starren; aber
weitere Unterscheidungsmerkmale gibt er nicht an. Aehnliche Unterschiede sind auch
bei dem Nitrotoluol beobachtet worden; Jaworsky erhielt dieses Product in krystallisirtem
Zustande und Alexejew wies nach, daß dieser Körper durch
Reduction in vollständig und sofort krystallisirendes Toluidin verwandelt wird. Aus diesen Thatsachen folgert Kekulé, daß das bisher bekannte flüssige Nitrotoluol
unrein seyn müsse.
Seit ungefähr drei Jahren bringt Coupier ein nur 20 Proc.
Anilin enthaltendes und nur zum Theil krystallisirendes flüssiges Toluidin in den
Handel, welches die werthvolle Eigenschaft besitzt, mit Arsensäure einen dem Fuchsin analogen Farbstoff zu liefern. Diese Eigenschaft
wurde bisher nur einer Beimischung von Anilin und (krystallisirbarem) Toluidin
zugeschrieben und man nahm an, daß die flüssige Form des Coupier'schen Productes von der Gegenwart einer gewissen Menge Anilin
bedingt werde.
Gegen diese Anschauungsweise sprechen indessen verschiedene Thatsachen: zunächst der
constante Siedepunkt des Alkaloids (198° C.); dann seine elementare
Zusammensetzung, welche der Formel des Toluidins entspricht; endlich der Umstand,
daß es eine weit größere Ausbeute an reinem rothen Farbstoffe liefert als die selbst
nach den vortheilhaftesten Verhältnissen zusammengesetzten Gemische von reinem
Anilin und krystallisirbarem Toluidin.Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse,
1866 p. 264; polytechn. Journal Bd. CLXXXI S.
385.
Wird flüssiges Toluidin bis auf eine unter dem Gefrierpunkte liegende Temperatur
abgekühlt und dann mit einem Tropfen Wasser versetzt, so wird ein Theil der Masse
starr und das krystallisirbare Toluidin scheidet sich aus; der in flüssigem Zustande
zurückbleibende Antheil zeigt noch den Siedepunkt und die Zusammensetzung des
Toluidins, gibt aber bei der Behandlung mit Arsensäure eine weit geringere Menge von
rothem Farbstoff, 15 Proc. anstatt 45 Proc.
Diese Flüssigkeit ist das beste Rohmaterial für die Darstellung
des neuen Alkaloids. Man verwandelt zunächst in Oxalsäuresalz, und zieht
dieses mit alkoholfreiem Aether aus; der ungelöst bleibende Antheil besteht aus
reinem oxalsaurem Toluidin, hingegen der in Lösung gegangene aus einem
Oxalsäuresalze, welches aus Aether, Alkohol und Wasser krystallisirt und mit Natron
zersetzt ein flüssiges Alkoloid liefert. Um nachzuweisen, daß dieser Körper wirklich
ein einfaches Alkaloid ist, wurde er in Chlorid verwandelt und durch successive
Krystallisation in vier Antheile getheilt; jeder dieser Antheile wurde
umkrystallisirt und dann seine Löslichkeit in Wasser bestimmt. Die Constanz dieser
Löslichkeit wurde als Beweis für die vollkommene Reinheit der Substanz angesehen.
Aus diesem Salze wurde das bei den nachstehenden Versuchen angewendete freie
Alkaloid dargestellt.
Ueber geschmolzenes Kali frisch rectificirt, ist diese Base farblos, an der Luft jedoch färbt sie sich
allmählich. Bei — 20° C. bleibt sie noch flüssig; ihr Geruch gleicht
dem des Toluidins; ihr spec. Gewicht ist = 1,0002; ihr Siedepunkt ist bei dem
Barometerstande von 744 Millimet. 198° C. Ihre Analyse führt zu der Formel
C7H9N. Diese Formel wurde durch die Analyse ihres Oxamids
controlirt, welches in schönen seidenartig glänzenden Nadeln krystallisirt, die
leicht ganz rein zu erhalten sind. Dieses Amid differirt von dem Oxalate nur durch
ein Molecül Wasser:
Textabbildung Bd. 189, S. 395
Auch das aus diesem Amide wieder hergestellte Alkaloid wurde der Analyse unterworfen;
die erhaltenen Resultate stimmen mit den Ergebnissen der vorhergehenden Analysen
überein. Da es also dem Toluidin isomer ist, so will ich es einstweilen Pseudotoluidin nennen, weil mir seine wirkliche
Constitution noch nicht bekannt ist. Das Coupier'sche
flüssige Toluidin enthält etwa 36, und käufliches Anilin häufig über 20 Proc.
davon.
Allem Anscheine nach ist das Pseudotoluidin weder mit Hofmann's Methylanilin, welches bei 192° C. siedetAnnalen der Chemie und Pharmacie, Bd. LXXIV S.
150., noch mit dem von LimprichtDaselbst Bd. CXIV S. 304. unter der
Bezeichnung Benzylamin beschriebenen, bei 183° siedenden Alkaloide
identisch.
Die Krystallform und die Löslichkeit des chlorwasserstoffsauren und oxalsauren
Pseudotoluidins habe ich sorgfältig mit denen der entsprechenden Anilin- und
Toluidinsalze verglichen. Die Formen der chlorwasserstoffsauren Salze sind
unbestimmbar; die Grundform des oxalsauren Pseudotoluidins bildet ein gerades, die
des entsprechenden Toluidinsalzes ein schiefes rhombisches Prisma. Ihre Löslichkeit
ist respective auf 100 Thle. Wasser: 129 bei 17,7° C.; 37,5 bei 15,5°
C.; 22,9 bei 11° C.
Beim Erhitzen mit Arsensäure erzeugt das Pseudotoluidin kein Roth; vermischt man es
aber mit reinem krystallisirten Toluidin, so gibt es eine reichliche Ausbeute an
rothem Farbstoffe, welcher mindestens 50 Proc. Rosanilinsalz enthält; während der
Reaction destillirt viel Anilin über. Zur Erklärung dieser merkwürdigen Thatsache
ist eine gründliche Untersuchung über die Constitution des neuen Alkaloids
erforderlich.
Eine andere, nicht weniger auffallende Erscheinung ist folgende. Wird Pseudotoluidin
mit Anilin versetzt und dann mit Arsensäure behandelt, so liefert es eine reichliche
Menge eines dem Fuchsin ähnlichen rochen Farbstoffes, welcher indessen von den
Rosanilinsalzen durch die Löslichkeit seiner Basis in Aether und durch die größere
Löslichkeit seines Chlorids in Wasser abweicht; er dürfte dem Rosanilin isomer
seyn.
Die gegenwärtig zur Fuchsinfabrication verwendeten Anilinsorten enthalten weit
weniger Anilin als früher; dagegen enthalten sie, wie ich mich überzeugt habe, um so
mehr Pseudotoluidin. Aber auch die Zusammensetzung der aus diesem Rohmaterial
erzeugten rothen Farbstoffe ist eine andere geworden; zu dem Rosanilinchlorid,
dessen Formel von Hofmann festgestellt worden ist, kommt
jetzt das von mir beschriebene Roth.
Mit chlorsaurem Kupfer vermischt, geben die Pseudotoluidinsalze auf Baumwolle ein
schönes Schwarz, welches sich dem Violett nähert, wogegen das aus reinem Anilin auf
dieselbe Weise erzeugte Schwarz einen Stich in's Blaue hat.
Schließlich bemerke ich, daß die Reinheit der von mir zu diesen Untersuchungen
benutzten Alkaloide nach der mühsamen, aber zuverlässigen Methode, welche ich für
das Pseudotoluidin anwandte, festgestellt wurde.