Titel: Dioptrische Notizen; von Dr. J. J. Pohl.
Autor: Joseph Johann Pohl [GND]
Fundstelle: Band 191, Jahrgang 1869, Nr. LX., S. 275
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LX. Dioptrische Notizen; von Dr. J. J. Pohl. Pohl, dioptrische Notizen. Nachstehende Notizen entstanden bei Gelegenheit der Prüfung und Aufstellung meiner optischen Instrumente und dürften, da die Werthbestimmung von Fernröhren, Mikroskopen etc. häufig sehr einseitig durchgeführt wird, Manchen einen willkommenen Beitrag hierzu bieten. I. Zur Beurtheilung der sogenannten Helligkeit eines Fernrohres bei Benutzung verschiedener Oculare. Die Kenntniß der Helligkeit eines Fernrohres ist von besonderem Belange, wenn es sich um dessen Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Auffindung lichtschwacher Fixsterne, Planeten und Kometen, oder der Betrachtung von Nebelflecken handelt. Bekanntlich kann man die Helligkeit entweder als bloße Function der Oeffnung und der Vergrößerung des Fernrohres, sowie der Pupillengröße des Auges betrachten, oder auch noch den Lichtverlust berücksichtigen, welcher beim Gange der Strahlen durch die benutzten Linsensysteme entsteht. Im ersteren Falle gilt zur Berechnung der Helligkeit die Gleichung: H = o²/(v² . p²), im letzteren Falle hingegen: H = n o²/(v² . p²), worin: o den Durchmesser der Fernrohr-Oeffnung, v die angewandte Vergrößerung, p den Pupillen-Durchmesser beim Sehen durch's Fernrohr, und n das Verhältniß der Lichtschwächung im optischen Systeme anzeigt. Da diese Gleichungen von einander abhängig sind und für dasselbe Fernrohr, trotz wechselnder Vergrößerungen, der Einfluß des optischen Systemes auf die Helligkeit zumeist constant bleibt, so genügt es vorläufig jene Formel in's Auge zu fassen, welche den durch das Linsensystem bedingten Lichtverlust unberücksichtigt läßt. Es soll nun erörtert werden, wie sehr für gleiche Vergrößerungen die berechnete Helligkeit differirt, je nachdem man verschiedene Pupillen-Durchmesser annimmt. Die für unseren Zweck am häufigsten gebrauchten Werthe von p sind: Nach W. Herschel (Philosophical Transactions for the year 1800, p. 66), jedoch auf Wiener Zoll reducirt, = 0,175. Denselben Werth gibt Olbers (Brandes' Vorlesungen über Astronomie, Seite 241) und Sawitsch (Abriß der praktischen Astronomie, Bd. I S. 51). Hingegen ist nach Prechtl (Dioptrik, Seite 165) und ebenso J. J. Littrow (Dioptrik, Seite 179) p = 0,060 Zoll. Ferner gibt Listing (Karsten's Encyklopädie der Physik, Bd. IX S. 100) für das schematische Auge p = 0,1519 Zoll, und Weiß (Elemente der analytischen Dioptrik, Seite 50) für: das fernsehende Auge p = 0,1063 Zoll, das nahesehende Auge p = 0,0835 Zoll. Hiernach wären die Pupillen-Durchmesser innerhalb der Grenzwerthe 0,1750,060 Zoll eingeschlossen, und versucht man letztere in Herschel's Formel zu substituiren, so resultirt für ein Fernrohr von 4 Wiener Zoll Oeffnung, die Helligkeit eines Gegenstandes durch's Fernrohr gesehen, jene unter welcher selber mit freiem Auge erscheint, gleich der Einheit gesetzt: Vergrößerung Helligkeit für Vergrößerung Helligkeit für p = 0,175'' p = 0,060'' p = 0,175'' p = 0,060''     1 1,0000 1,0000 147 0,0241 0,2057   33 0,4798 4,0812 184 0,0154 0,1313   43 0,2825 2,4037 248 0,0085 0,0723   70 0,1067 0,9070 278 0,0068 0,0575   81 0,0796 0,6775 470 0,0024 0,0201 113 0,0412 0,3490 635 0,0013 0,0112 135 0,0287 0,2431 860 0,0007 0,0060 Zur Vermeidung jedes Mißverständnisses sey erwähnt, daß obige Vergrößerungen sich auf ein in meinem Besitze befindliches, ausgezeichnetes dialytisches Fernrohr von Plößl beziehen, an welchem die Vergrößerungen über 248, durch Combination der beiden Vorderlinsen des terrestrischen Oculares mit den astronomischen Ocularen erzielbar sind. Es folgen also die Helligkeiten fast um das Zehnfache verschieden, je nachdem man für p den Werth 0,175'' oder 0,060'' benutzt. Die mit Herschel's Werth des Pupillen-Durchmessers berechneten Helligkeiten sind auffallend klein. Mir scheint daher der von Littrow und Prechtl gewählte Pupillen-Durchmesser für das Sehen durch das Fernrohr, der richtigere zu seyn. Als Bestätigung hierfür erachte ich die Intensität, mit welcher selbst lichtschwache Gegenstände unter starken Vergrößerungen mit einem sonst guten Fernrohre erscheinen. Nachstehende Beispiele mögen das so eben Behauptete erhärten: Beobachtungen mit dem 4zölligen Dialyten: 9. Januar 1859. Vergrößerung 470. Ausgezeichnet reine Luft: einzelne Mondlandschaften, Jupiter und der Begleiter Rigel's erscheinen um 6h A. schärfer als mit bloß 248maliger Vergrößerung. Um 7h 30m A. ist mit 860maliger Vergrößerung der Begleiter Rigel's sehr schön zu sehen und selbst der Mond gut zu beobachten. 20. März 1859. Vergrößerung 470 und 635. Saturn prachtvoll. Der innere matte Ring zeigt sich unverkennbar und ebenso zwei in nächster Nähe stehende Satelliten. 26. April 1859 und 27. April. Vergrößerung 470. An σ Coronae, das nach Herschel 4fach ist und Begleiter der 9., 13. und 16. Größe hat, wurde der Begleiter 13. Größe sehr schön gesehen. 29. Juni, um 10h 15m A. Mit Vergrößerung 635 bei guter Luft der Ringnebel in der Leier sehr gut zu sehen. 3. Juli 1859 um 10h 45m A. Luft ausgezeichnet, Vergrößerung 470. π Aquilae ist sehr scharf getrennt. Der Begleiter etwa um eine Größe kleiner als der Hauptstern und mattweiß in's Blaue, der Hauptstern aber bläulichweiß gefärbt. Den Begleiter von α Lyrae prachtvoll zu sehen. 14. Mai 1862. Um 8h 30m A. zeigt sich mit 635maliger Vergrößerung Saturn prachtvoll. Der Ring erscheint zu beiden Seiten des Planeten als äußerst feine etwas unebene Linie. 17. Mai 1862. Um 9hA. mit 635maliger Vergrößerung. Saturn sehr scharf begrenzt, der Ring außerhalb Saturn's ist verschwunden und nur ein schwarzer Strich geht durch den Planeten, neben dem sich vier Satelliten in nächster Nähe zeigen. 3. April 1863. Nahezu Vollmondschein. Mit 635maliger Vergrößerung einen Satelliten Saturn's gesehen, der mit 248maliger Vergrößerung unsichtbar blieb. Der Begleiter von Polaris ist mit 860maliger Vergrößerung bei guter Luft immer mit größter Leichtigkeit sichtbar. Diese Beispiele aus meinem Beobachtungs-Journale gezogen, könnten bedeutend vermehrt werden, dürften aber genügen, da Jedermann, einmal auf das interessante Factum aufmerksam gemacht, daß trotz der nach Herschel's Formel bedeutenden Lichtabnahme für starke Vergrößerungen dennoch lichtschwache Gegenstände am Himmel deutlich wahrgenommen werden können, weitere theoretische und praktische Forschungen anstellen kann. Daß aber starke Vergrößerungen bei Beobachtung sehr lichtschwacher Nebelflecke im Stiche lassen, wenn nicht zugleich die Oeffnung des Fernrohres vergrößert wird, liegt ebenso auf der Hand als daß selbe zur Trennung sehr naher Doppelsterne nur unter gleichzeitiger Vergrößerung des Oeffnungswinkels des Objectives dienen können. Nun muß noch der Factor n betreffs der zweiten Gleichung für H Berücksichtigung finden. Für die Lichtschwächung durch Glaslinsen haben Herschel I. und in neuerer Zeit Steinheil numerische Angaben geliefert. Dieselben differiren nicht unwesentlich. Herschel I. (Philosoph. Transact. for the year 1799) gibt an, daß von 100 auffallenden Lichtstrahlen: durch 1 Linse gehend nur 94,825 in's Auge gelangen 2    „        „       „ 89,918   „     „         „ 3    „        „       „ 85,265   „     „         „ Steinheil nimmt hingegen (Astronomische Nachrichten, Bd. XCVIII S. 46) an: daß für ein Doppelobjectiv nach Fraunhofer's Construction von 34 Linien Oeffnung und 42 Zoll Brennweite, nur 76,00 Strahlen in's Auge kommen, und für ein Doppelobjectiv nach Steinheil's Construction (gekittet) von 21 Linien Oeffnung und 21 Zoll Brennweite, 86,67 Strahlen. In dieser Richtung ist schließlich die Aufmerksamkeit der Optiker etc. noch besonders zu erregen. So ergaben eigene Versuche, mit Hülfe eines Polarisations-Photometers, die keineswegs als maßgebend erklärt werden sollen, im Mittel aus sechs sehr gut stimmenden Versuchen, daß von je 100 Strahlen, welche auf die Objectivlinse des 4 zölligen Dialyten bei 51,6 Zoll aequivalenter Brennweite einfallen, noch volle 97,430 zum Ocularsysteme gelangen, und doch hatten die Strahlen bis dahin 3 Linsen passirt. Entschieden haben auf die Menge der von einer Linse durchgelassenen Strahlen nicht nur deren Farbe, sondern auch ihr Oeffnungswinkel, Krümmungshalbmesser, der Umstand ob solche concav oder convex sey, einfach oder mehrfach, gekittet oder nicht, nach Herschel's oder Littrow's Angaben geschliffen etc., größten Einfluß. Es wäre daher sehr zu wünschen, daß Jemand, dem zu derartigen Untersuchungen die nöthigen Mittel zu Gebote stehen, sich mit diesem interessanten Gegenstande eingehender beschäftigen würde. II. Beitrag zur Werthbestimmung eines Fernrohres bezüglich der Trennungs-Fähigkeit von Doppelsternen. Während der Werth eines guten Fernrohres bezüglich der Sichtbarkeit von Nebelflecken mit zunehmender Objectiv-Oeffnung in einem sehr raschen Verhältnisse zunimmt, gilt für die Lösbarkeit von Doppelstern-Systemen gerade das Gegentheil. Dem Astronomen leisten Fernröhren von 7 Zoll Oeffnung bei mittleren atmosphärischen Verhältnissen in dieser Beziehung nicht viel weniger als kostspielige Refractoren von 10 und mehr Zoll Oeffnung. Optiker, sowie Dilettanten in der Astronomie scheinen jedoch zumeist über diesen Sachverhalt im Unklaren zu seyn und dieß ist der Grund der Mittheilung nachstehender theoretischer Untersuchungen, welche jedoch mit der Erfahrung gut im Einklange stehen. Häufig nimmt man an, ein sehr scharfes Auge könne am Himmel noch Gegenstände getrennt wahrnehmen, welche 5 Bogenminuten gleich 300 Secunden, von einander abstehen. Darnach folgt, daß ein Fernrohr mit gleich scharfen Bildern wie das Netzhaut Bildchen des Auges, bei der Vergrößerung V noch Doppelsterne getrennt zeigen müsse, deren Entfernung unter dem Gesichtswinkel 300/V Secunden erscheint. Wäre also ein gutes Fernrohr von genügend großem Oeffnungswinkel gegeben, um eine 3000malige Vergrößerung zu vertragen, ohne daß die Aberrationsfehler, Beugungs-Erscheinungen etc. die obgenannte Bedingung aufheben, so müßte dieses Instrument bei successiven Vergrößerungen, Doppelsternsysteme von folgenden Distanzen zu lösen im Stande seyn: Vergrößerung Löst Doppelsternein den Distanzen Vergrößerung Löst Doppelsternein der Distanz von Vergrößerung Löst Doppelsternein der Distanz von   10            30'' 140            2,14''   550 0,5''   15            20 150            2   600 0,50   20            15 160            1,88   650 0,46   25            12 170            1,77   700 0,43   30            10 180            1,66   750 0,40   40              7,5 200            1,5   800 0,37   50              6 220            1,36   850 0,35   60              5 250            1,20   900 0,33   70              4,28 270            1,11 1000 0,30   80              3,75 300            1 1250 0,25   90              3,33 325            0,92 1500 0,20 100              3 350            0,86 1750 0,17 110              2,73 400            0,75 2000 0,15 120              2,5 450            0,67 2500 0,13 130              2,31 500            0,60 3000 0,10 Nimmt man nun zur weiteren Berechnung bei Steinheil'schen und Merz'schen Fernröhren jene Vergrößerungen an, welche das stärkste astronomische Ocular Steinheil's von 0,2'' aequivalenter Brennweite gibt, so erhielte man als Maximal-Leistungsfähigkeit der Fernröhren bezüglich der Trennung von Doppelstern-Systemen: Oeffnung des Fernrohres: Focaldistanz: Zoll. Vergrößerung. Soll lösenDoppelstern-Distanz Differenz. Paris. Linien Zoll   12       1               9     45 6,7''   15       1,25               9,6     48 6,3   0,4''   18       1,5             10,8     54 5,6   0,7     21       1,75             12,6     63 4,77 0,83   24       2             14,4     72 4,16 0,61   27       2,25             21,6   108 2,78 1,38   30       2,5             24   120 2,50 0,28   33       2,75             42   210 1,43 1,07   36       3             46   230 1,31 0,12   42       3,5             54   270 1,11 0,20   45       3,75             56   280 1,07 0,04   48       4             60   300 1,00 0,07   60       5             78   390 0,77 0,23   72       6             96   480 0,63 0,10   78       6,5           108   540 0,56 0,07   84       7           124   620 0,48 0,08   96       8           144   720 0,42 0,06 108       9           160   800 0,37 0,05 120       10           180   900 0,33 0,04 132       11           200 1000 0,30 0,03 144       12           210 1050 0,29 0,01 156       13           230 1150 0,27 0,02 168       14           252 1260 0,25 0,02 180       15           270 1350 0,23 0,02 Unter der Annahme, daß für jeden weiteren Zoll der Oeffnung, die Vergrößerung um 100 wachse, müßte ein Fernrohr mit der Vergrößerung 3000, eine Oeffnung von 32 Zoll besitzen und 0,1 Secunden an Doppelsternsystemen sicher trennen. Die Länge eines solchen Fernrohres würde nach der bisherigen Constructionsart mindestens 28 Fuß betragen. Allerdings geben Fraunhofer's Mikrometer-Oculare bei nur 0,08 Zoll aequivalenter Brennweite stärkere Vergrößerungen als jene Steinheil's. Man bekäme somit für Fernröhren mit solchen Ocularen: Oeffnung:Paris. Zoll. Vergrößerung. Soll lösenDoppelst.-Distanz Differenz. Oeffnung:Paris. Zoll. Vergrößerung. Soll lösenDoppelst.-Distanz Differenz.   3   368 0,81 10 1440 0,21   4   480 0,63  0,18'' 11 1536 0,19  0,02''   5   624 0,48 0,15 12 1680 0,18 0,01   6   768 0,39 0,09 13 1840 0,16 0,02   7   992 0,30 0,09 14 2016 0,15 0,01   8 1152 0,27 0,03 15 2160 0,14 0,01   9 1296 0,24 0,03 10 1440 0,21 0,03 Für eine 3000malige Vergrößerung wäre somit ein Fernrohr von ungefähr 20 Fuß Focaldistanz nöthig. Allein selbst der flüchtige Vergleich dieser Resultate mit den erfahrungsgemäßen zeigt, daß selbe eine weitaus zu große Leistungsfähigkeit darstellen. Bei der bisherigen Construction der Achromaten kann ein Fernrohr von 3 Zoll Oeffnung unbedingt nicht Doppelsterne von 0,81 Secunden Distanz getrennt zeigen, ebensowenig als eines von 8 Zoll Oeffnung Sterne in 0,27'' Distanz löst. Da jedoch die Zahlen der vorletzten Tabelle mit der Erfahrung bis auf 0,8'' Distanz gut übereinstimmen und nur in Ausnahmsfällen unter der Leistung eines guten Achromaten bleiben, so ist hiermit zugleich die Grenze gegeben, bis zu welcher Vergrößerung ein achromatisches Fernrohr bezüglich der Lösung von Doppelstern-Systemen noch weitere Erfolge verspricht. Stärkere Vergrößerungen werden dann bei gleicher Oeffnung des Fernrohres zwar deutlicher, aber nicht mehr zeigen. Jeder in Beobachtungen von Doppelsternen Geübte weiß übrigens, daß in Folge der bisher verhältnißmähig unvollkommen geschliffenen großen Objective, ferner der unvermeidlichen Beugungs-ErscheinungenSiehe: Schwerd, die Beugungs-Erscheinungen, Mannheim 1835, S. 72. der wachsenden Unsicherheit der Beobachtungen als Resultat atmosphärischer Verhältnisse, der Schwankungen des Fernrohres etc. für große Refractoren die wirklich gelösten Doppelstern Distanzen hinter den durch Rechnung gefundenen zurückbleiben. Nur ein Laie meint, es seyen aus Doppelstern-Katalogen entnommene Distanzen unter 0,6 Secunden, direct mit Sicherheit gemessen. Faßt man das Gesagte zusammen, so folgt, daß die bisherigen Achromaten mit Steinheil'schen Ocularen, hinsichtlich der Trennung von Doppelstern-Systemen bei 8 Zoll Oeffnung an der Grenze der billigerweise zu verlangenden Leistungsfähigkeit stehen und für größere Refractoren weitere 0,1 und 0,2 Secunden Trennungsfähigkeit mit ungefähr 10,000, beziehungsweise 30,000 Gulden bezahlt wird. (Die Fortsetzung folgt.)