Titel: Ueber den Einfluß des Druckes auf die chemischen Erscheinungen; von L. Cailletet.
Fundstelle: Band 193, Jahrgang 1869, Nr. XXXII., S. 136
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XXXII. Ueber den Einfluß des Druckes auf die chemischen Erscheinungen; von L. Cailletet. Aus den Comptes rendus, t. LXVIII p. 395; Februar 1869. Cailletet, über den Einfluß des Druckes auf die chemischen Erscheinungen. Zur Untersuchung der Wirkungen des Druckes auf die chemischen Erscheinungen construirte ich mit einen Apparat, welcher aus einer kräftigen hydraulischen Pumpe in Verbindung mit einem gußeisernen Behälter besteht. An dem Behälter ist ein kupfernes Capillarrohr angebracht, welches mittelst einer mit Schraube versehenen Ansatzröhre mit einem einseitig geschlossenen Glasrohre verbunden werden kann. In diesem Glasrohre wurden die meisten der im Folgenden mitgetheilten Versuche ausgeführt. Bei der Biegsamkeit des Kupferrohres kann man das Glasrohr in allen Richtungen handhaben. (Ein Zerbrechen oder Zerspringen des Glasrohres ist keineswegs gefährlich, da die Splitter desselben nicht fortgeschleudert werden.) Um den von der hydraulischen Pumpe erzeugten Druck während der ganzen Dauer der Versuche constant zu erhalten, wurde der Behälter mit einem zweiten, gleichfalls aus Gußeisen bestehenden hohlen Cylinder in Verbindung gesetzt, in welchem sich ein Kolben bewegt, der in einer senkrechten, nach unten gerichteten Stange endigt. Befestigt man an das freie Ende dieser Stange Gewichte, so kann man bei bekannter Kolbenfläche und Belastung, den von der Pumpe entwickelten Druck bestimmen. Dieser Regulator hat außerdem den Zweck, durch die Senkung seines Kolbens die Flüssigkeitsverluste zu compensiren, welche besonders bei Pressungen von 250 bis 300 Atmosphären stattfinden können. Ohne noch höhere Pressungen anzuwenden (welche jedoch erhalten werden können), habe ich bereits zahlreiche Versuche ausgeführt, welche den Einfluß des Druckes auf die chemischen Reactionen nachweisen. Bringt man in das Glasrohr des Compressionsapparates ein Zinkblech und Chlorwasserstoffsäure, so wird die anfänglich rasch erfolgende Wasserstoff Entwickelung in dem Maaße, als man den Druck wirken läßt, immer langsamer; oft hört sie sogar ganz auf. Rührt nun dieses Resultat von einer Verzögerung der chemischen Wirkung oder einfach von der beträchtlichen Verminderung des Volums der Gasblasen in Folge des Druckes, oder gar von der Löslichkeit des Wasserstoffes her? Wägt man das Zinkblech vor und nach der Einwirkung der sauren Flüssigkeit, so findet man, daß es an Gewicht verloren hat: beim Operiren an freier Luft 10,0 bei dem Drucke von 60 Atmosphären   4,7 bei dem Drucke von 120 Atmosphären     0,1 Die Menge des in Lösung gegangenen Zinkes verminderte sich demnach mit der Zunahme des Druckes. Comprimirt man einen Kalkspathkrystall mit Salpetersäure, so verhalten sich die in derselben Zeit unter 150 Atmosphären Druck und an freier Luft gelösten Quantitäten des kohlensauren Kalkes wie 1: 11,09. Diese Verzögerung der chemischen Wirkung scheint eine allgemeine Thatsache zu seyn; meinen Beobachtungen zufolge üben selbst die kräftigsten Säuren auf Eisen, Zinn, Aluminium, Eisensulfuret fast gar keine Wirkung aus, wenn sie mit diesen Körpern bei hohem Drucke in Berührung sind. Die Zersetzung des Wassers durch die galvanische Säule wird durch den Druck gleichfalls gehindert. Verwandelt man das erwähnte Glasrohr in ein Voltameter, bei welchem also die Platindrähte mit einem Probirröhrchen bedeckt sind, so bemerkt man, daß die an freier Luft reichliche Gasentwickelung vollständig aufhört, sobald man einen genügend starken Druck einwirken läßt.Schaltet man eine Bussole in den Stromkreis ein, so wird die Abweichung der Magnetnadel nicht beeinflußt, wenn der Druck sich von 0,76 Met. auf 150 Atmosphären erhöht, obgleich die Gasentwickelung aufhört. Bringt man in ein geschlossenes Glasrohr Natriumamalgam und Wasser, so kann man sich überzeugen, daß die Oxydirung des Natriums vollständig oder beinahe vollständig aufhört, in Folge des Druckes welcher von dem in diesem begrenzten Räume sich anhäufenden Wasserstoffgase ausgeübt wird; denn wenn man das Rohr nach mehreren Tagen öffnet, so stellt sich die unbemerkbar gewordene Gasentwickelung wieder ein. Aus einer gleich großen Menge Natriumamalgam, welches unter Luftzutritt mit Wasser in Berührung gebracht wurde, war nach kurzer Zeit jede Spur von dem Alkalimetalle verschwunden. Die durch den Druck in so hohem Grade verzögerte chemische Wirkung läßt sich durch Temperaturerhöhung wieder anregen. Läßt man z.B. unter den angegebenen Verhältnissen verdünnte Schwefelsäure bei 0° auf Zinkblech wirken und erhitzt nach Verlauf einiger Zeit das Rohr auf 50° C., so verhalten sich die gesammelten Gasmengen bei beiden Versuchen wie 1: 2,8. Diese Thatsachen scheinen die durch eine chemische Wirkung hervorgerufene Gasentwickelung ganz auf eine Linie mit dem Sieden der Flüssigkeiten zu stellen. Nach diesen Versuchen, welche zeigen, daß die Energie der chemischen Wirkung dem Drucke umgekehrt proportional ist, mußte ich zur Controlle untersuchen, ob die an freier Luft stattfindenden Zersetzungserscheinungen nicht eine größere Intensität annehmen, wenn sie im Vacuum der Luftpumpe erfolgen. Das Experiment bestätigte die Richtigkeit dieser Hypothese. Ohne die Einzelheiten der von mit angestellten zahlreichen Versuche hier mitzutheilen, kann ich constatiren, daß die Quantitäten der durch die Säuren an freier Luft aufgelösten Substanzen kleiner sind, als die in einem luftleeren Raume in Lösung gegangenen; sie verhalten sich bei dem in Chlorwasserstoffsäure getauchten Aluminium wie 1: 1,68; beim Zink in Schwefelsäure wie 1: 1,53; beim kohlensauren Kalk in Salpetersäure wie 1: 2,51. Aus den hier mitgetheilten Thatsachen muß man schließen, daß der Druck die chemische Thätigkeit in kräftiger Weise hindert. Wenn es mit bei allen meinen Versuchen noch nicht gelungen ist, die chemische Wirkung vollständig aufzuheben, so scheint es doch erwiesen zu seyn, daß man bei größeren Pressungen zu einer absoluten Indifferenz der in Berührung gebrachten Substanzen gelangen würde. Endlich scheint aus meinen sämmtlichen Versuchen auch hervorzugehen, daß die Affinität keine besondere Kraft ist, sondern daß die chemischen Verbindungen und Zersetzungen in unmittelbarer Abhängigkeit von den mechanischen Wirkungen stehen, inmitten deren sie stattfinden.