Titel: Zur Kenntniß des Naphtalinroths; von Prof. A. W. Hofmann.
Fundstelle: Band 193, Jahrgang 1869, Nr. CXIX., S. 502
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CXIX. Zur Kenntniß des Naphtalinroths; von Prof. A. W. Hofmann. Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1869, Nr. 13. Hofmann, über das Naphtalinroth. Von den zahlreichen Anläufen, welche gemacht worden sind, um die amidirten Abkömmlinge des Naphtalins für die Zwecke der tinctorialen Industrien zu verwerthen, haben nur wenige zu einem befriedigenden Ziele geführt. Die einzige Naphtalinfarbe, welche als industrielles Product auf der letzten Pariser Ausstellung figurirte, war das schöne von Hrn. Dr. Martius entdeckte Naphtalingelb, das Dinitronaphtol, dessen Anwendungen seit jener Zeit noch wesentlich zugenommen haben. Im Laufe des verflossenen Jahres ist indessen ein neuer, von dem Naphtalin abstammender Farbstoff, das Naphtalinroth, aufgetaucht, welcher bereits die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich gezogen hat. Ich verdanke meinem Freunde Hrn. Scheurer-Kestner in Thann eine schöne Probe dieses merkwürdigen Körpers, welcher, als er in meinen Besitz gelangte, bereits als eine nahezu chemisch reine Verbindung angesehen werden konnte. Wenn daher dem im Folgenden beschriebenen Versuche die Zusammensetzung des Naphtalinroths festzustellen, irgend ein Verdienst beiwohnt, so gehört dieß eigentlich meinem Freunde an, der den Farbstoff dargestellt und gereinigt hat, und in dessen Händen die weitere Erforschung desselben zu einem schnellen und sicheren Abschluß gekommen seyn würde, wenn nicht wichtigere Untersuchungen ihn verhindert hätten, dem Gegenstande im Augenblicke ungetheilte Aufmerksamkeit zu widmen. Da die Analyse des neuen Farbstoffes gleichwohl auch für die Fabrication willkommene Aufschlüsse zu liefern versprach, so hat mit Hr. Scheurer-Kestner mit dankenswerther Liberalität das werthvolle Material für die Ausführung dieser Arbeit zur Verfügung stellen wollen. Das bei der Darstellung des Naphtalinroths eingehaltene Verfahren ist, wie mit Hr. Scheurer-Kestner mittheilt, von Hrn. Schiendl in Wien angegeben worden. Die ersten Versuche, den Farbstoff im Großen zu erzeugen, wurden von Hrn. Durand in den Ateliers des Hrn. Clavel in Basel ausgeführt. Von diesen Versuchen datirt die industrielle Gewinnung. Ueber die Bereitung des Naphtalinroths, die noch Vieles zu wünschen übrig lassen soll, sind mit ausführlichere Angaben bis jetzt nicht bekannt geworden. Es sey hier nur bemerkt, daß die Darstellung im Wesentlichen darin zu bestehen scheint, daß man das Naphtylamin in einen schon früher von Hrn. Scheurer-Kestner (polytechn. Journal, 1861, Bd. CLXII S. 295) allerdings nicht im reinen Zustande erhaltenen Farbstoff verwandelt und alsdann auf diesen Farbstoff Naphtylamin einwirken läßt.Das Verfahren zur Darstellung des Naptalinroths, welches sich A. Clavel in Basel am 22. Juli 1868 in England patentiren ließ, wurde im polytechn. Journal Bd. CXCII S. 514 (zweites Juniheft 1869) mitgetheilt.A. d. Red. Dieser, den Ausgangspunkt der Naphtalinroth-Fabrication bildende Farbstoff nimmt, mit Säuren behandelt, eine blaue Farbe an; in Gegenwart von Alkalien färbt er sich orangegelb. Das Naphtalinroth wird bereits von verschiedener Seite in den Handel gebracht. In Frankreich ist es zumal das berühmte Haus C. Kestner in Thann (Elsaß), welches diese neue Industrie aufgenommen hat, und zwar nicht nur die Gewinnung des Farbstoffes selbst, sondern auch die Darstellung des für das Naphtalinroth als Rohmaterial dienenden Naphtylamins. In den Ateliers dieser Fabrik sind bereits viele Tausende von Kilogrammen Naphtalin in Naphtylamin verwandelt worden. In der Schweiz beschäftigt sich das Haus Clavel in Basel mit der Fabrication des Naphtalinroths; in England endlich, wo man den Naphtalin-Farbstoff zu Ehren des abyssinischen Feldzuges mit dem Namen Magdalaroth bezeichnet hat, sind es die HHrn. Brooke, Simpson und Spiller, Nachfolger der Firma Nicholson und Maule in London, welche der neuen Fabrication ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Ueber die industrielle Zukunft des Naphtalinroths läßt sich im Augenblick noch nicht viel sagen; an Färbekraft steht es den Anilinfarben nicht nach, übertrifft dieselben aber durch seine bemerkenswerthe Beständigkeit. Leider verliert das Naphtalinroth in den dunkeln Tönen allen Glanz; es wird daher auch ausschließlich für helle Tinten verwendet, und deßhalb ist der Verbrauch bis jetzt ein sehr mäßiger gewesen. Das mit von Hrn. Scheurer-Kestner übersendete Präparat stellt ein schwarzbraunes, undeutlich krystallinisches Pulver dar. Wenige Versuche waren hinreichend, um in der Behandlung desselben mit Alkohol den Weg zu erkennen, auf welchem eine für die Analyse geeignete Substanz zu erhalten war. Löst man das schwarzbraune Pulver in siedendem Alkohol, so erhält man eine tiefrothe Lösung, aus der sich beim Erkalten nur wenig absetzt. Beim Abdampfen aber erscheinen hübsche nadelförmige Krystalle von grüner Farbe und metallischem Glanze. Diese Krystalle sind das Chlorid einer Base; beim Uebergießen mit concentrirter Schwefelsäure entwickeln sich Ströme von Chlorwasserstoffsäure. Nach zwei- bis dreimaligem Umkrystallisiren des Körpers aus Alkohol zeigte sich der Chlorgehalt constant; derselbe konnte deßhalb als eine chemisch reine Substanz betrachtet werden. Die Krystalle lösen sich wenig in kaltem, reichlicher in heißem Wasser; allein diese Lösungen krystallisiren nicht; sie sind unlöslich in Aether; die alkoholische Lösung wird durch Aether als ein braunes kaum krystallinisches Pulver gefällt. Die alkoholische Lösung des Chlorids zeigt ein sehr charakteristisches Verhalten, durch welches das Naphtalinroth alsbald von allen Anilinfarben zu unterscheiden ist. Gießt man einige Tropfen einer concentrirten Lösung des Farbstoffes in einen mit Alkohol gefüllten Cylinder, so glaubt man, wenn die Flüssigkeit im reflectirten Lichte betrachtet wird, die Bildung eines Niederschlages zu beobachten, welcher sich in feuerrothen Wolken durch die Flüssigkeit verbreitet. Betrachtet man aber die Erscheinung im durchfallenden Lichte, so ergibt es sich, daß man es mit einer vollkommen durchsichtigen, licht-rosenroth gefärbten Flüssigkeit zu thun hat, und daß der vermeintliche Niederschlag auf einer Fluorescenz beruht, welche verdünnte Naphtalinrothlösungen in ganz bemerkenswerther Weise zeigen, und welche zumal im directen Sonnenlichte einen überraschenden Anblick gewährt. Hält man eine verdünnte Lösung von Naphtalinroth in Alkohol gegen einen dunklen Hintergrund, so glaubt man eine frische Fällung von Schwefelantimon oder Quecksilberjodid vor sich zu haben. Die auf dem angedeuteten Wege dargestellte Chlorverbindung besitzt einen hohen Grad von Beständigkeit; man kann sie mit Ammoniak und selbst mit Natronhydrat zum Sieden erhitzen, ohne daß ihr das Chlor entzogen würde; es bedarf in der That einer längeren Digestion mit Silberoxyd, um die Base in Freiheit zu setzen. Vielleicht beruht die Aechtheit der Farbe gerade auf dieser Beständigkeit der Salze. Da ich später in einer ausführlicheren Abhandlung auf das Naphtalinroth zurückzukommen denke, so will ich hier nur das Ergebniß der Analysen mittheilen, welche ich mit dem neuen Farbstoff angestellt habe. Diese Analysen, bei deren Ausführung ich von Hrn. Dr. J. H. Buff und von Hrn. Carl Sarnow mit großem Geschick unterstützt worden bin, betreffen zunächst das Chlorid, dann ein aus dem Chloride dargestelltes Platinsalz, endlich ein von dem Chloride abgeleitetes Picrat. Die Untersuchung dieser Verbindungen zeigt, daß die Zusammensetzung der in dem Naphtalinroth enthaltenen Base durch die Formel C³⁰ H²¹ N³ dargestellt wird. Ihre Bildung ist also derjenigen des Rosanilins in gewissem Sinne ähnlich. Indem sich von 3 Mol. Naphtylamin 3 Wasserstoffmolecüle abspalten, entsteht der rothe Farbstoff: 3C¹⁰ H⁹ N – 3HH = C³⁰ H²¹ N³ Es verdient indessen bemerkt zu werden, daß der Naphtalinfarbstoff zu den schwer verbrennlichsten Körpern gehört, welche mit durch die Hände gegangen sind, und daß somit die Analysen unter einander kaum mit der Schärfe übereinstimmen, welche bei anderen Substanzen mit Leichtigkeit erreicht wird. Namentlich zeigen sich Abweichungen in den Wasserstoffbestimmungen, welche es wünschenswerth machen, einige der ausgeführten Analysen zu wiederholen. Schließlich will ich noch anführen, daß das Naphtalinroth mit Jodmethyl und Jodäthyl prachtvoll krystallisirte Farbderivate liefert, deren Analyse ich für eine spätere Untersuchung aufspare. Nachtrag. Dem vorstehend über den neuen Farbstoff Mitgetheilten kann ich nun einige weitere Bemerkungen hinzufügen. Zunächst will ich erwähnen, daß die von mit als wünschenswerth bezeichnete Wiederholung einiger der Analysen, auf welche sich die gegebene Naphtalinrothformel stützt, seitdem zur Ausführung gekommen ist, und daß irgend welche Zweifel, welche über die Zusammensetzung dieses Körpers noch hätten herrschen können, durch die Ergebnisse derselben beseitigt sind. Die bis jetzt analysirten Salze des Naphtalinroths sind das Chlorhydrat, das Platinsalz und das pikrinsaure Salz. Die Zusammensetzung des bei 100° C. getrockneten Chlorhydrats ist: C³⁰ H²⁴ N³ OCl = C³⁰ H²¹ N³, HCl + H²O Das Platinsalz, ebenfalls bei 100° getrocknet, enthält: C⁶⁰ H⁴⁸ N⁶ O² Pt Cl⁶ = 2 (C³⁰ H²¹ N³, HCl), Pt Cl⁴ + 2H²O Endlich ist die Formel des bei 100° getrockneten pikrinsauren Salzes: C³⁶ H²⁶ N⁶ O⁸ = C³⁰ H²¹ N³, C⁶ H³ (NO²)³ O + H²O Sämmtliche Salze halten also bei 100° Wasser zurück, und für den Augenblick muß ich es unentschieden lassen, ob sie bei höherer Temperatur wasserfrei zu erhalten sind. Im Hinblick auf diese Ergebnisse wird es mehr als wahrscheinlich, daß auch die freie Base, die ich bis jetzt im reinen Zustande nicht habe erhalten können, wie das Rosanilin ein Wassermolecül zurückhält, mithin durch die Formel C³⁰ H²³ N³ O = C³⁰ H²¹ N³, H²O ausgedrückt ist. Die Analyse der drei Salze dürfte für die Feststellung der Zusammensetzung des Naphtalinroths hinreichend seyn. Ich bin gleichwohl im Stande, noch einige weitere Erfahrungen mitzutheilen, denen ein ungleich höherer Werth beiwohnen dürfte als einfachen analytischen Resultaten, und welche die von mit aufgestellte Formel des Naphtalinroths in willkommener Weise bestätigen. In meiner ersten (vorstehenden) Notiz über das Naphtalinroth wurde bereits der Verdienste gedacht, welche sich Hr. Durand vom Hause Clavel in Basel um die fabrikmäßige Darstellung des Naphtalinroths erworben hat. Seitdem hat Hr. Durand mit großem Freimuthe mit einige Mittheilungen über die Gewinnung dieses Farbstoffes gemacht, die ich früher nur in sehr unvollkommener Weise kannte, mit namentlich aber eine Probe des in der ersten Phase des Processes gebildeten Productes übersendet. Wenige Versuche waren hinreichend, mich in dem übersendeten Körper das Azodinaphtyldiamin der HHrn. Perkin und Church Perkin und Church, Journal of the Chemical Society of London, vol. XVI p. 207. erkennen zu lassen, welches durch die Einwirkung der salpetrigen Säure auf das Naphthylamin entsteht. Bei der Behandlung mit Naphtylamin geht dieser Körper in Naphtalinroth über. Die Genesis des Naphtalinroths vollendet sich demnach in zwei scharf definirten Reactionen: Textabbildung Bd. 193, S. 507 Daß sich in der letzten Phase der Reaction in der That Ammoniak in reichlicher Menge entwickelt, läßt sich durch den Versuch leicht constatiren. Die hier zu Tage tretenden Verhältnisse sind für die Theorie der Farbammoniake von nicht geringem Interesse. Zunächst liegt der Gedanke nahe, auf das Azodinaphtyldiamin statt Naphtylamin Anilin und Toluidin einwirken zu lassen. Es müssen auf diese Weise gemischte Farbstoffe, dem Rosanilin noch näher stehend als das Naphtalinroth, welche gleichzeitig der Naphtylreihe und beziehungsweise der Phenyl- und Tolylreihe angehören, gebildet werden. Ich habe diese Versuche angestellt und mit Vergnügen unter Ammoniakausscheidung die Bildung von rothen Farbstoffen beobachtet, welche offenbar beziehungsweise die Zusammensetzung C²⁶ H¹⁹ N³ und C²⁷ H²¹ N³ haben müssen. Beide Substanzen zeigen in alkoholischer Lösung dieselben bemerkenswerthen Fluorescenzerscheinungen, welche das Naphtalinroth auszeichnen. Allein die Reaction ließe sich noch nach einer andern Richtung ausbeuten. Statt Naphtylamin, Anilin und Toluidin auf Azodinaphtyldiamin einwirken zu lassen, könnte man umgekehrt die Azodiamine der Phenyl- und Toluylreihe, sey es mit Naphtylamin, Toluidin oder Anilin, behandeln. Es liegen sogar schon einige Beobachtungen vor, die jetzt eine einfache Deutung erlauben. In ihrer interessanten Abhandlung über das Amidodiphenylimid erwähnen die HHrn. Martius und Grieß Martius und Grieß, Monatsberichte der Berliner Akademie, 1865 S. 640. am Schlusse eines blauen Farbstoffes, welcher sich beim Erhitzen des Amidodiphenylimids (Azodiphenyldiamin) mit chlorwasserstoffsaurem oder salpetersaurem Anilin bildet. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß dieser Körper zu dem Anilin in derselben Beziehung steht, wie das Naphtalinroth zu dem Naphtylamin, daß er in der That mit dem von den HHrn. Girard, de Laire und Chapoteaud beschriebenen Violanilin identisch ist. Seine Bildung wäre der des Naphtalinroths vollkommen analog: Textabbildung Bd. 193, S. 508 Von Hrn. Martius, der sich in neuester Zeit wieder mit diesem Farbstoff beschäftigt hat, erfahre ich, daß sich in der That in der zweiten Phase des Processes reichliche Mengen von Ammoniak entwickeln. Die Analyse des blauen Farbstoffes wird die Frage schnell zur Entscheidung bringen. (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1869, Nr. 14.)