Titel: Ueber die Nichtgiftigkeit des Corallins; von P. Guyot.
Fundstelle: Band 194, Jahrgang 1869, Nr. XXII., S. 79
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XXII. Ueber die Nichtgiftigkeit des Corallins; von P. Guyot. Aus dem Comptes rendus, t. LXIX p. 388; August 1869. Guyot, über die Nichtgiftigkeit des Corallins. Als vor fast einem Jahre Bidard, Professor der Chemie zu Rouen, einen Fall von Vergiftung durch Strümpfe mittheilte, welche mit einem besonderen, von ihm als Corallin erkannten Roth gefärbt waren,Polytechn. Journal Bd. CXC S. 429. beeilten sich mehrere Chemiker und Aerzte Versuche über diesen Gegenstand anzustellen und bald erschien ein Bericht von Dr. Tardieu,Polytechn. Journal Bd. CXCIII S. 437. in welchem er zu dem Schlusse gelangte, daß das Corallin zweifelsohne ein starkes Gift sey und daß es, wenn es selbst in nur geringen Mengen in den lebenden Organismus gelangt, den Tod hervorrufen könne. Landrin wiederholte Tardieu's Versuche mit der größten Sorgfalt und zog aus den ermittelten Thatsachen Schlüsse, welche denen des genannten ausgezeichneten Arztes ganz entgegengesetzt sind. Die Versuche, welche ich der (französischen) Akademie im Folgenden Mittheile, begannen zu der Zeit, wo Tardieu seine Folgerungen veröffentlichte. Ich war bemüht, vor der Feststellung meines Ausspruches allen dazu nöthigen Bedingungen auf das Sorgfältigste zu entsprechen. Ich habe mir bei meinen Untersuchungen nachstehende drei Fragen gestellt: 1) Wirkt das Corallin giftig, wenn es in den thierischen Organismus eingeführt wird? 2) Wirkt dieser Farbstoff giftig, wenn er auf eine frische Wunde gebracht wird? 3) Wirkt das Corallin giftig, wenn es in Form von Strümpfen, die mit ihm gefärbt sind, angewendet wird? Diese drei Fragen beantworte ich dahin, daß sich mir das Corallin in keinem Falle als giftig erwiesen hat und daß ich die Schlüsse, zu denen Landrin gelangte, durchaus bestätigen muß. Im Nachstehenden theile ich einige der von mir mit dem verdächtigten Farbstoffe angestellten Versuche mit. 2 Gramme Corallin wurden in Alkohol gelöst und in diese Lösung Fleischstückchen gelegt, welche so lange darin blieben, bis sie die Flüssigkeit vollständig eingesogen hatten. Nachdem ich sie getrocknet hatte, gab ich sie einer Katze zur Nahrung, die sie in einem Tage verzehrte. Dieses Futter gab ich dem Thiere acht Tage lang. Das Thier blieb gesund, obgleich es 15 bis 16 Grm. Corallin verschluckt hatte. Andererseits gab ich einem Kaninchen von mittlerer Größe täglich 3 Grm. von dem Farbstoffe in alkoholischer Lösung und setzte auch diesen Versuch acht Tage lang fort. Hierauf tödtete ich die Thiere und suchte das Corallin in denselben aufzufinden; die in den Lungen der Katze enthaltene Menge desselben war zum Färben von Seide hinreichend. Auch in dem Kaninchen fand ich eine ziemlich bedeutende Menge dieser Substanz, obgleich das Thier von derselben weit weniger genommen hatte als die Katze. Hierauf wiederholte ich diese Versuche nochmals auf ganz dieselbe Weise, tödtete aber die Thiere erst acht Tage nach dem letzten Genusse von Corallin; die Lungen enthielten selbst in diesen Fällen noch eine bestimmbare Menge des Farbstoffes. Die verschiedenen Methoden, welche ich beim Experimentiren mit Fröschen anwendete, gaben mir ebenfalls genügende Resultate. Zunächst brachte ich einige Exemplare in ein 2 Liter Wasser enthaltendes Gefäß, löste 2 Grm. Corallin in 10 Grm. Alkohol und goß die Lösung in das Wasser; die Frösche hielten die Probe vollständig aus. Bei einem zweiten Versuche mit anderen Exemplaren blieben auch diese gesund, obgleich die Dosis des Farbstoffes verdoppelt wurde. Mit einem Exemplare wiederholte ich den von Landrin ausgeführten Versuch, indem ich dem Thiere 5 Centigrm. Corallin in pulverförmigem Zustande auf einmal gab; auch dieser Versuch gelang, denn der Frosch lebt noch; ein zweiter lebt gleichfalls noch jetzt, obschon er 1 Decigramm Corallin absorbirt hat. Ebenso hielten sich Blutegel in Corallin enthaltendem mit Alkohol versetztem Wasser ganz gut. Ferner brachte ich einem Frosche auf dem Rücken eine Wunde bei und führte 5 Centigrm. Corallin in dieselbe ein; sie schloß sich nach Verlauf einiger Tage und der Frosch war allem Anscheine nach gar nicht afficirt. Dieser Versuch wurde in verschiedener Weise an verschiedenen Thieren wiederholt und jedesmal trat vollständige Heilung ein. Bei diesen Untersuchungen traf ich gar keine Vorsichtsmaßregel um mich selbst gegen die Wirkungen des Corallins zu schützen; länger als vierzehn Tage hindurch waren meine Hände theilweise roth gefärbt, und dennoch trat weder Entzündung ein, noch zeigte sich eines der von Bidard angegebenen Symptome. Dieses letztere unfreiwillige Experiment bestätigt sowohl die vorhin angegebenen Thatsachen, als auch die Untersuchungen Landrin's; ich wollte aber auch noch, wie es bei Bidard's Untersuchungen geschah, mit durch Corallin roth gefärbten Strümpfen operiren. Nachdem ich mir weißseidene Strümpfe verschafft hatte, färbte ich sie selbst mit Corallin und zog sie dann an. Bei dem ersten Versuche machte ich nur die zur Erledigung meiner gewöhnlichen Geschäfte nöthigen Wege; es trat kein Symptom auf und ich hatte weder Entzündung noch eine Geschwulst von dem Aussehen, als ob sie von einem Brande herrühre, zu constatiren; selbstverständlich trat also auch kein Unwohlseyn ein, welches einer Vergiftung ähnlich seyn konnte. Bei dem zweiten Versuche machte ich, nachdem ich die Strümpfe angelegt hatte, einen weiten Marsch, um mir müde Füße zu holen, konnte aber ebenso wenig wie im vorhergegangenen Falle weder Entzündung noch Geschwulst bemerken. Um endlich zu ermitteln, ob die durch das sogen, englische Corallin verursachte giftige Wirkung von dem streifenweisen Bedrucken der Strümpfe mit Anilinviolett und Corallin herrühre, färbte ich ein paar Strümpfe in schmalen Streifen mit diesen beiden Farben und trug dieselben unter gleichen Verhältnissen wie in den beiden vorhergehenden Fällen, konnte aber auch diesesmal nicht das geringste Unwohlseyn bemerken. Nach Wiederholung der von Tardieu und Landrin angestellten Versuche und nach Vervollständigung derselben durch eigene Untersuchungen muß ich daher folgende Schlußfolgerungen aufstellen: 1) Das Corallin ist nicht giftig, selbst nicht in großer Dosis. 2) Es wirkt auch dann nicht giftig, wenn es in unmittelbare Berührung mit dem Blute gebracht wird. 3) Man kann das Corallin dreist in der Färberei anwenden, und zwar ebenso wohl für sich allein als abwechselnd mit Anilinviolett. Es darf aber nicht hierzu angewendet werden, wenn ihm giftige Substanzen beigemengt sind.