Titel: Die Ueberbrückung des East-River mittelst hängender Wagen.
Fundstelle: Band 194, Jahrgang 1869, Nr. XXIV., S. 90
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XXIV. Die Ueberbrückung des East-River mittelst hängender Wagen. Nach dem Scientific American vom 29. Mai 1869. Mit Abbildungen auf Tab. III. Morse's System der Ueberbrückung mittelst hängender Wagen. Die Ueberbrückung von Strömen oder von Schluchten vermittelst gleitender Wagen, welche an einem von Ufer zu Ufer gespannten Seile hängen, ist keine neue Idee. Dieses Princip ist jedoch in diesem Augenblicke von J. W. Morse in New-York wieder aufgenommen und in einer solchen Vervollkommnung projectirt worden, wie dieß zuvor niemals der Fall war. Morse hat nämlich eine Art Wagen sammt Hängebrücke erfunden, welche zum Transporte einer großen Anzahl von Menschen, Zugthieren und Lasten dienen und speciell für eine Verbindung zwischen New-York und Brooklyn über den East-River in Anwendung kommen sollen. Gegenwärtig verkehren zwischen den beiden genannten Städten besondere Dampffähren, welche allein die allerdings mangelhafte Verbindung derselben mit einander bilden. Man war deßhalb schon lange darauf bedacht, eine Brücke an dieser Stelle zu erbauen; bei dem Umstande jedoch, daß hohe Seeschiffe in den East-River ein- und auslaufen, muß die Bahn einer solchen Brücke sehr hoch liegen. Die Folge davon ist, daß an den beiden Enden der Brücke, an den Ufern, sehr hohe Dämme nothwendig werden; aus diesem Grunde sind auch sehr lange Zufahrtsrampen anzulegen, und es reichen somit die durch die Anlage einer solchen Brücke nothwendigen Kunstbauten und Expropriationen weit in die Ufer hinein; ja sie werden bei großen Städten geradezu unmöglich. Ein zu diesem Behufe von Röbling ausgearbeitetes Project einer Hängebrücke leidet gleichfalls an diesen Uebelständen, und es sah sich deßhalb Morse veranlaßt, die oben erwähnte Construction zu projectiren, welche die genannten Nachtheile umgeht, dabei aber dennoch eine möglichst innige, continuirliche Verbindung der beiden Ufer vermittelt. Wir geben in Fig. 21 die Ansicht der hängenden Brückenbahn sammt dem Wagen, wie er etwa in der Mitte seines Weges über dem East-River erscheinen würde, ferner in Fig. 22 eine Ansicht des Wagens in vergrößertem Maaßstabe und in Fig. 23 eine Vorder- und Seitenansicht der Rollen, welche die Construction derselben ersichtlich macht. Die Construction der Brücke selbst, mit ihren Drahtseilen, Pilonen, Versteifungen u.s.w. ist mit Ausnahme des viel geringeren Eigengewichtes, dieselbe wie die der meisten dermal bestehenden Hängebrücken, indem sie sich nur durch die Art und Weise unterscheiden, in welcher die Ueberführung der Lasten geschehen soll. Die Wagen sollen sich, wie bereits angedeutet wurde, nicht oberhalb der Brückenbahn, sondern unterhalb derselben bewegen, indem sie oben an einer Leitschiene hängen, längs deren die Bewegung geschieht. Trotz der bedeutenden Spannweite ist bei der Morse'schen Brücke kein Mittelpfeiler vorhanden; die Aufhängepunkte der Drahtseile liegen an den Ufern; die Widerlager und Pilonen sollen sich auf denselben befinden und somit der Brückenverkehr durch die Uferanlagen an beiden Seiten begrenzt seyn. Der Wagen wird die Ufer derart verlassen, daß er sich parallel mit dem Wasserspiegel, einige Fuß von demselben entfernt, bewegt und so seine Ladung dem entgegengesetzten Ufer zuführt. Die Brückenanlage soll an derselben Stelle ausgeführt werden, wo gegenwärtig die Dampffähren den Verkehr vermitteln; nur daß dieß auf eine viel leichtere und billigere Weise ermöglicht wird, indem man eine größere Menge von Menschen und Frachten in etwa ein Viertel der Zeit, mit größerem Comfort und mit den halben Kosten transportiren kann. Das Tragwerk der Brücke wird in der Hauptsache aus drei Drahtseilen von sehr bedeutender Stärke bestehen, welche von Pilon zu Pilon reichen, und an welchen drei doppelte, stählerne Leitschienen aufgehangen sind, die 18 Zoll (engl. Maaß) hoch, 4 Zoll dick und an jeder Seite mittelst Versteifungsrippen an 12 Zoll im Geviert messende Unterzüge befestigt sind. Längs dieser Leitschienen bewegen sich doppelte Rollen von großer Festigkeit, welche zunächst von starken eisernen Knieen unterstützt und mit einer Plattform verbunden sind. Die letztere ist dicht unter den Leitschienen angebracht und aus eisernen Trägern zusammengesetzt. Die Leitschienen liegen 140 Fuß über dem Wasserspiegel, so daß alle Arten von Fahrzeugen unter der Brücke verkehren können. Der Wagen wird an der erwähnten Plattform mittelst runden Stahlstangen aufgehangen, welche 1/2 Zoll dick, 3 Fuß von einander entfernt und entsprechend lang sind. Ueberdieß führen Diagonalstangen, welche kreuzweise zwischen der Plattform und den Wagen angebracht sind, die nöthige Steifigkeit herbei. Die drei Leitschienen werden an die Drahtseile vermittelst 1 1/2 Zoll starker Stahlstangen aufgehangen, welche 2 Fuß von einander entfernt sind, und bilden einen continuirlichen Träger von 28 Zoll Höhe und 20 Zoll Breite, der an beiden Enden gehörig gelagert ist. Der Wagen wird 160 Fuß lang, 40 Fuß breit seyn und zwei Etagen in der Höhe enthalten. Die untere Etage wird ausschließlich für Pferde, Karren, Wagen und andere Vehikel bestimmt seyn, die obere dagegen nur für Fußgänger reservirt bleiben. Fünftausend Passagiere können bei einer jedesmaligen Fahrt transportirt werden, und um das Füllen und Leeren des Wagens möglichst rasch und ohne Verwirrung zu bewerkstelligen, soll die Einrichtung derart getroffen seyn, daß der Austritt aus dem Wagen von dem Eintritte in denselben ganz getrennt ist. Der Wagen wird durch eine stationäre Dampfmaschine hin und her bewegt, und zwar mittelst eines Drahtseiles, welches über Frictionsrollen läuft. Der Führer des Wagens, welcher oberhalb desselben in einem Wärterhause postirt ist, kann mittelst einer Telegraphenvorrichtung die Geschwindigkeit des sich bewegenden Wagens reguliren, ebenso das Stehenbleiben oder den Beginn der Bewegung einleiten. Eine annähernde Berechnung hat ergeben, daß man mittelst Morse's Wagen in einem Zeitraum von 12 Stunden 75000 Menschen, überdieß 5700 Pferde und Wagen transportiren kann, also ebenso viel als neun der gegenwärtig verkehrenden Dampffähren zu vollbringen im Stande wären, und daß man zu einer Fahrt höchstens zwei Minuten, ja wenn es erforderlich wäre, auch nur eine Minute brauchen würde. Unter den Vorzügen dieses Brückensystemes, welche der Scientific American weiters anführt, wird besonders die große Billigkeit desselben hervorgehoben, indem beispielsweise die Morse'sche Brücke nur ein Viertel jener Summen erfordern würde, welche das von Röbling ausgearbeitete und oben bereits erwähnte Project einer Hängebrücke beansprucht. Ferner wird der weitere Vortheil erwähnt, daß sich diese Brücke in sehr kurzer Zeit, in einem Jahre herstellen ließe, was bei dem Umstande, daß das bei Hängebrücken sonst so zeitraubende Zusammenfügen des Längsträgers hier in Wegfall kommt, ziemlich glaubwürdig erscheint. Weiters führt der Scientific American als Vorzug dieses Systemes an, daß es den Gefahren und Schwankungen in Folge der Stürme nicht ausgesetzt sey, weil ihm eben ein Längsträger, der immerhin eine bedeutende Höhe haben müßte, wenn die Brückenbahn von oben aus belastet würde, gänzlich fehlt. Dem gegenüber ließe sich jedoch das Bedenken aussprechen, ob der nur hängende, schwebende Wagen gerade durch heftige Winde nicht in solche Schwankungen gerathen dürfte, die dessen Existenz mindestens gefährden. Es läßt sich hierüber im Vorhinein kein negatives Urtheil abgeben, doch dürfte das in dieser Richtung günstige Urtheil des Scientific American mit der nöthigen Reserve aufzunehmen seyn. E. Sch.

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