Titel: | Ueber weitere Fortschritte in der Fabrication des künstlichen Alizarins; von Dr. P. Bolley. |
Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. XCVII., S. 356 |
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XCVII.
Ueber weitere Fortschritte in der Fabrication des
künstlichen Alizarins; von Dr. P.
Bolley.
Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1870,
Bd. XIV S. 189.
Bolley, über künstliches Alizarin.
Von weiteren Fortschritten in der Fabrication des künstlichen Alizarins hat man in
den letzten zwei Monaten wenig Wichtiges, für den Stand der Frage Bezeichnendes
gehört. Wir unserseits theilen nicht die Meinung, daß aus dem Stillstehen
öffentlicher Berichterstattungen auf ein Stillstehen der Thätigkeit in den
Laboratorien und chemischen Fabriken geschlossen werden dürfe. Es hat Dr. Quesneville Ende November
v. J. in einer Note zu einer Mittheilung von Prof. E. Kopp in TurinMoniteur scientifique, 1869 p. 1141. seine Zweifel ausgesprochen, ob die Producte, welche damals von den HHrn.
Meister, Lucius und Comp. in Höchst an Sachkundige und einzelne Fabrikanten versandt worden
waren, nach einem eigenen selbstständigen Verfahren dargestellt, und nicht vielmehr
nur aus der den HHrn. Gräbe
und Liebermann patentirten
Methode hervorgegangen seyen. Diesen Verdacht gründet der Redactor des Moniteur scientifique auf einen ihm, wahrscheinlich aus
Deutschland zugekommenen Brief, der sich über die Anknüpfungen der HHrn. Gräbe und Liebermann mit den HHrn. Meister, Lucius und Comp. und
deren plötzliches Abbrechen ausläßt. Wir fühlen nicht den geringsten Beruf, in diese
rein privaten
Verhältnisse hineinzureden, geben aber Doppeltes gegenüber der Anklage einer
unberechtigten Aneignung fremder Erfindung zu bedenken: 1) Niemand hat sich
einfallen lassen, die Methode welche die HHrn. Brönner und Gutzkow sich patentiren ließen, als einen
geistigen Diebstahl an den HHrn. Gräbe und Liebermann zu bezeichnen; 2) wenn von diesen Chemikern ein neuer Weg
zur Herstellung des Productes aufgefunden wurde, warum sollen nicht einem dritten
und vierten Chemiker ebenfalls Wege offen stehen? In der That stellen sich dem
Chemiker, der seine theoretischen Betrachtungen an diesem Object versucht, sofort
Möglichkeiten dar, die so nahe liegen, daß wir fast erstaunt seyn dürfen, dieselben
von den HHrn. Gräbe und
Liebermann nicht sofort
ebenfalls durch Versuche festgestellt und in den Text ihres Patentes aufgenommen zu
sehen. Wie wir hören, ist in nächster Zukunft eine Kundgebung von Seiten des
bekannten Londoner Fabrikanten von Anilinfarben, Hrn. Perkin, zu gewärtigen. Auch erhielten wir von
dem uns befreundeten Hrn. Dr. Greiff in Cöln die Mittheilung, daß ihm die Darstellung des Alizarins
gelungen sey. Man hat ferner, wie uns bekannt, in mehreren Fabriken geglückte
Versuche, dieses Präparat wenigstens in kleinerem Maaßstabe darzustellen, gemacht.
Auch im technischen Laboratorium des schweizerischen Polytechnicums wurde in der
gleichen Sache gearbeitet und wir haben vor längerer Zeit und ehe uns von irgend
einer Seite eine Privatmittheilung gemacht war, hiesigen und auswärtigen Chemikern
den Weg bezeichnet, auf dem wir in kleinem Maaßstabe Alizarin erhielten.
Es ist nicht unsere Absicht, diese Arbeiten mit besonderem Eifer zu verfolgen, da wir
sie in verschiedenen Händen wissen, welchen andere Mittel als die eines
wissenschaftlichen Zwecken dienenden Laboratoriums zu Gebote stehen, und die viel
näheres Interesse an rascher Ausbildung solcher Vorarbeiten zu einer geordneten
Industrie haben. Wäre uns nicht als Redactor einer technischen Zeitschrift die
Verpflichtung auferlegt, unsere Leser im Rapport zu einer so wichtigen Erfindung zu
halten, wir würden das, was wir bei unseren Versuchen erfahren haben und von anderer
Seite bestätigt hörten, gänzlich zurückhalten. Auch machen wir durchaus nicht den
Anspruch an einige Vollständigkeit und Abschluß unserer Erfahrungen und
Mittheilungen.
Was zunächst die Darstellung des Antrakochinons (Oxanthracens) C28H⁸O⁴ betrifft, die sowohl nach dem
Patente von Gräbe und Liebermann als nach dem von Gutzkow Allem
vorangehen muß, und über die man früher nur mangelhafte Nachrichten aus den Studien
von Anderson hatte, so halten wir es für sehr schwierig
bei Anwendung von Salpetersäure die gleichzeitige Bildung von Nitroproducten
auszuschließen. Weil diese aber von den Oxyproducten schwierig scheidbar und, wenn
dabei bleibend, der weiteren Verarbeitung hinderlich sind, neigen wir zur Meinung,
die Zukunft werde sich anderer Oxydationsmittel, namentlich der Chromsäure
bedienen.
Anstatt des Bromirens des Oxanthracens scheint uns der billigere, auch von Gutzkow eingeschlagene Weg derjenige der Darstellung
einer Sulfoverbindung. Aber bei der Behandlung mit Schwefelsäure ist Sorgfalt
nöthig, da nach unserer Wahrnehmung die Sulfoverbindung sich nicht sehr leicht
bildet. Ist es möglich, an die Stelle zweier Wasserstoffatome zwei sogenannte
Schwefelsäurereste einzuführen, so sollte die so gebildete Verbindung nach der Kekulé'schen Beobachtung in die entsprechende
Hydroxylverbindung unter Bildung von schwefligsaurem Kali umgewandelt werden, wenn
man sie mit Kalihydrat schmilzt.
Die Nothwendigkeit, einen sauerstoffabgebenden Körper gleichzeitig mit oder nach der
Schwefelsäure einwirken zu lassen, ist hiernach nicht vorhanden. Gewiß ist, daß man
bei der genannten Reaction eine violettblaue Masse erhält, aus der das Alizarin
durch eine Säure ausgeschieden werden kann.
Indeß soll ein salpetersaures Salz, salpetersaures Quecksilberoxyd, wie es z.B. Gutzkow nach der Sulfosäurebildung anwendet, oder, wie es
nach Anderen geschehen soll, Bleisuperoxyd, dem Gelingen der Operation Vorschub
leisten.
Ohne Zweifel ist ein dritter schwieriger Punkt das Schmelzen mit Aetzkali oder
Aetznatron. Die geschmolzene Masse kann mit Schwefelsäure zerlegt und der Farbstoff
ausgefällt werden. Wie gesagt, wir sind nicht im Falle eine genaue Beschreibung der
Details des Verfahrens zu liefern; glauben aber, daß bei weitem die Mehrzahl der
neueren Versuche der Alizarindarstellung sich um diese Grundideen dreht.
Von einer Abweichung von diesem Ideengang, von welcher uns Kunde geworden und die wir
für wichtig halten, wollen wir indeß noch Notiz nehmen. Es ist die Einwirkung der
Chlorchromsäure (CrClO²) auf Anthracen, durch welche in einer einzigen
Reaction C28H⁶Cl²O⁴ gewonnen
werden soll.
Wir sehen also der technischen Aufgaben und Schwierigkeiten genug vor uns, zu deren
Ueberwindung die Zeit von etwa drei Monaten sehr gering ist und welche vollkommen
erklären, weßhalb noch nicht große Partien des Präparates im Handel vorkommen, noch
keine Preise bekannt sind u.s.w. Wir finden namentlich den Vorwurf des Moniteur scientifique ungerechtfertigt, daß diejenigen
welche eine Verbesserung gefunden haben, nicht sofort sie patentiren ließen, und der auf
Unterlassen der Brevetirung gegründete Verdacht, ein Verfahren das nicht patentirt
worden, entbehre der Selbstständigkeit, erscheint uns völlig unbegreiflich. Wir
begreifen namentlich nicht, wie man von französischer Seite dahin drängt, daß diese
Erfindung sofort patentirt und unter dem Schutze des Patentes monopolisirt werde.
Wir dächten, man hätte in Frankreich an dem Beispiel der Monopolisirung der
Fuchsinfabrication genug!
Die Fabrik Meister, Lucius und Comp. verwahrt sich im Moniteur scientifique
vom 1. Januar 1870 gegen die Nachrede der Ausbeutung der Erfindung Anderer und
versichert, daß sie seit vier Wochen im Großen fabricire und ihr Product
verkaufe.
Wir zweifeln nicht, daß das letztere bald auch von den HHrn. Gräbe und Liebermann oder deren Cessionären, der Fabrik in
Mannheim, geschehe und wünschen im aufrichtigsten Sinne denselben allen glänzenden
Erfolg, den ihre so sehr bedeutende Initiative in dieser neuen Technik verdient.
Hinsichtlich der Anwendung und praktischen Eigenthümlichkeiten des Productes von den
HHrn. Meister, Lucius und Comp. ist zu melden, daß dasselbe seit unserem letzten ReferateMitgetheilt in diesem Bande des polytechn.
Journals S. 77. von Prof. Emil Kopp
für Färbung geölter Stoffe geprüft und damit sehr solides und ziemlich schönes
Türkischroth erhalten wurde. Auch erfuhren wir, daß dasselbe sich zum unmittelbaren
Aufdrucken eigne. Eine neuere Probe des Alizarins von Höchst diente uns zur Färbung
gebeizten Baumwollstoffes. Wir erhielten damit ein schöneres Violett, als die vor
drei Monaten erhaltenen Muster; das Braun war hell und von angenehmem Tone, das Roth
tadellos und das starke Einschlagen in den ungebeizten Grund konnte nicht wieder
bemerkt werden.
Es haben die HHrn. C. Köchlin
und Alfraise im Moniteur scientifique, der eine auf Grund seiner
Färbeproben, der andere gestützt auf die Nuancen der alkalischen Lösungen und Lacke,
die Meinung geltend zu machen gesucht, das künstliche Pigment sey ein neuer von
Alizarin sowohl, als von Purpurin verschiedener Farbstoff. In meinem letzten
Referate suchte ich diese Ansicht zu widerlegen. Prof. E. Kopp fand in den Nuancen der alkalischen
Lösungen und Lacke mit künstlichem und mit aus Krapp gezogenem Alizarin keinen
Unterschied, wie er ebenfalls im Moniteur scientifique
berichtet.
Ich ließ künstliches Alizarin trocknen, sublimiren, das Sublimat aus starkem Alkohol
umkrystallisiren und die angeschossenen Krystalle nach vollständigem Trocknen durch
meinen Assistenten Hrn. Dr. Tuchschmied der Elementaranalyse unterwerfen.
Es wurde gefunden
C
69,92
Proc.
H
3,34
„
während die Formel C28H⁸O⁸ erfordert
C
70,00
Proc.
H
3,33
„
so daß mit Berücksichtigung des Zusammentreffens der
Eigenschaften und Reactionen jeder Zweifel als gehoben erscheinen muß, daß das neue
Alizarin aus dem Höchster Präparat identisch sey mit dem natürlichen Pigment.