Titel: | Ueber die Zusammensetzung der Haut, über die Veränderungen welche dieselbe durch das Gerben erleidet und über die Gährung des Tannins in den Gruben; von A. Müntz. |
Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. CXXVI., S. 466 |
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CXXVI.
Ueber die Zusammensetzung der Haut, über die
Veränderungen welche dieselbe durch das Gerben erleidet und über die Gährung des Tannins
in den Gruben; von A.
Müntz.
Aus den Comptes rendus, t. LXIX p. 1309; December
1869.
Müntz, über die Theorie der Gerberei.
Die Haut wurde in den drei Hauptstadien der Lederbereitung untersucht, nämlich nach
dem Reinigen und Enthaaren (als „Blöße“), dann nach dem
Schwellen (Treiben) und nach dem vollständigen Gerben.
Frisch enthält sie 66 bis 75 Procent ihres Gewichtes Wasser; bei 110° C.
getrocknet wird sie zu einer der stärksten hygroskopischen Substanzen; an der Luft
getrocknet, zieht sie eine mit dem Feuchtigkeitszustande derselben wechselnde,
bedeutende Wassermenge an.
Die Analyse ergab bezüglich der näheren Bestandtheile nachstehende
Zusammensetzung:
Zellgewebe, welches von kochendem Wasser
nicht angegriffen wird
3,080
Fettsubstanz
1,058
mineralische Bestandtheile
0,467
in Leim verwandelbare Substanz
95,395
–––––––
100,000
Dieses Zellgewebe löst sich im Schweitzer'schen Reagens,
und wird aus dieser Lösung durch Essigsäure gefällt; es enthält über 10 Proc.
Stickstoff; mit sehr verdünnter Schwefelsäure behandelt gibt es Glykose.
Während des Schwellens erleidet die Haut eine theilweise Gerbung, sie fixirt eine
Substanz welche mehr Wasserstoff und weniger Sauerstoff enthält als das Tannin; sie
verliert dabei einen beträchtlichen Theil ihres Fettgehaltes.
Während des Gerbens wird eine gewisse Menge Haut zersetzt; der dieser Quantität
entsprechende Stickstoff findet sich wieder im Zustande von Ammoniaksalzen; die Haut
fixirt mineralische Stoffe und eine ihrem eigenen Gewichte beiläufig gleiche Menge
einer Substanz, welche dieselbe Zusammensetzung hat wie die, welche in der
Schwellbeize fixirt wird; diese Substanz besteht nämlich in vollkommen trockenem
Zustande aus:
Kohlenstoff
54,56
Wasserstoff
4,71
Sauerstoff
40,73
––––––
100,00
Die procentische Zusammensetzung des Tannins ist:
Kohlenstoff
52,42
Wasserstoff
3,56
Sauerstoff
44,02
––––––
100,00
Demnach ist es nicht Tannin, welches sich auf der Haut fixirt, sondern ein Derivat
desselben, welches man als Gerbsubstanz (matière tannante) bezeichnen kann, die sich vom
Tannin durch eitlen geringeren Sauerstoff- und einen größeren
Wasserstoffgehalt unterscheidet.
Der Niederschlag welchen das Tannin mit Leim gibt, ist vom Leder hinsichtlich seiner
Zusammensetzung sehr verschieden.
Die Veränderungen welche die Mineralsubstanzen erleiden sind sehr interessant. In der
die Schwellbeize bildenden sauren Flüssigkeit verliert die Haut fast ihren ganzen
Gehalt an gebundener Kieselsäure und an Kalk, sowie einen Theil ihres
Phosphorsäure- und Alkaligehaltes. Während des Gerbens dagegen nimmt sie
wieder in Säuren lösliche Kieselsäure, Kalk und eine weit größere Menge
Phosphorsäure und Alkalien auf, als sie verloren hatte. Die mineralischen Stoffe,
deren Menge während des Gerbens in der Haut zunimmt, entsprechen denjenigen deren
Menge in der Lohe abnimmt.
Nach diesen Untersuchungen ist es höchst wahrscheinlich, daß das
Auswahl-Vermögen (force de sélection) eine
Eigenschaft der organisirten Gewebe ist, welche sich ohne Mitwirkung der
Lebenserscheinung (phénomène vital) äußern
kann; auch sprechen sie für die Annahme, daß jenes Vermögen von der Kraft welche die
endosmotischen und dialytischen Erscheinungen hervorruft, verschieden ist.
In den Gruben zersetzt sich das Tannin theilweise bevor es absorbirt werden konnte;
es erleidet eine saure Gährung, welche bei Abschluß der Luft stattfindet. Bei dieser
Gährung bilden sich Milchsäure, Essigsäure, Gallussäure, Ameisensäure, Kohlensäure,
deren Gegenwart in der Lohbrühe der Gruben nachgewiesen worden ist.
Die Entstehung dieser Säuren läßt sich durch nachstehende Gleichungen
versinnlichen:
Textabbildung Bd. 195, S. 468
Die Bildung von Gallussäure ohne Mitwirkung von Sauerstoff und mit Entstehung von
Glykose spricht dafür, daß das Tannin als ein Glykosid zu betrachten ist, was
bestritten wurde.
Bei dieser Gährung scheint sich auch etwas Propionsäure zu bilden und der
eigenthümliche saure Geruch der Gerbereien dürfte der Gegenwart dieser Säure
zuzuschreiben seyn.