| Titel: | Vervollkommnung des Loogen- oder Kammerverfahrens zur Herstellung von Bleiweiß; von Ferd. Brammer. | 
| Autor: | Ferd. Brammer | 
| Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. XLIV., S. 146 | 
| Download: | XML | 
                     
                        
                        XLIV.
                        Vervollkommnung des Loogen- oder
                           								Kammerverfahrens zur Herstellung von Bleiweiß; von Ferd. Brammer.
                        Brammer, verbessertes Kammerverfahren zur
                           								Bleiweißfabrication.
                        
                     
                        
                           Die von mir beobachteten häufigen Störungen, welche bei der Fabrication von Bleiweiß
                              									nach dem Loogen- oder Kammerverfahren durch mangelhafte Oxydation des Bleies
                              									etc. herbeigeführt werden, veranlaßten mich zu versuchen, durch Einführung einiger
                              									Aenderungen den Uebelständen abzuhelfen, wobei ich die Verminderung der
                              									lebensgefährlichen Arbeiten mit in's Auge faßte. Im Jahre 1867 wurde mir die
                              									Einrichtung einer bisher nur nach der französischen Methode arbeitenden Fabrik nach
                              									dem Loogenverfahren übertragen, und bemühte ich mich bei der Ausführung die
                              									allseitig anerkannten Mängel zu beseitigen, was mir zum größten Theil gelungen ist,
                              									so daß die Fabrik bereits volle zwei Jahre in Thätigkeit ist, ohne durch Störungen,
                              									wie sie in älteren Etablissements häufig vorkommen, belästigt zu werden. Ich will
                              									eine kurze Beschreibung der Einrichtungen, wie ich sie in mehreren Fabriken
                              									vorgefunden habe, voranschicken und dann die Erläuterung der von mir eingeführten
                              									Verbesserungen mittheilen.
                           Nach der bisherigen Methode wird das Blei in 3–4 Zoll breiten und 30–40
                              									Zoll langen Streifen in beliebig großen, mit einem Lattengerüst versehenen Räumen
                              									aufgehängt. Im Boden eines jeden Raumes ist ein mit verdünntem Essig zu füllender
                              									Kessel mit directer Feuerung angebracht und in geringer Entfernung von demselben
                              									befindet sich ein Ofen, worin Holzkohlen verbrannt werden. Nachdem die Kammer mit
                              									Blei angefüllt ist, wird sie dicht verschlossen, und der Essigkessel, dessen Rand
                              									mit dem Boden der Kammer gleich ist, geheizt. Sobald der Essig zu verdampfen
                              									beginnt, wird der Ofen mit Holzkohlen angezündet und die sich entwickelnde
                              									Kohlensäure in die Kammer geleitet.
                           Eine solche Kammer bleibt im günstigen Falle 45–50
                              									Tage und Nächte ununterbrochen im Betriebe und hinterläßt
                              									einen Rückstand von nicht oxydirtem Blei von 10–20 Proc. – Es ist
                              									leicht ersichtlich, daß das Resultat zum Theil von der Aufmerksamkeit des
                              									bedienenden Arbeiters, größten Theiles aber vom Zufall abhängt, da man durchaus kein
                              									Mittel in Händen hat, den Zutritt der beiden Säuren zu reguliren, oder, wenn es
                              									nöthig erscheinen sollte, momentan zu unterbrechen; man kann also das Quantum der
                              									einströmenden Säuren nicht nach Bedürfniß verändern.
                           
                           Nicht selten kommt es vor, daß die Kammern bedeutend länger (oft 60–80 Tage
                              									und Nächte) arbeiten müssen, oder der Rückstand ein bedeutend größerer ist und sich
                              									das basisch-kohlensaure Bleioxyd nicht gleichmäßig gebildet hat. Die hieraus
                              									resultirenden Nachtheile bestehen nicht allein in der Vertheuerung des Fabricates,
                              									sondern auch in der Vermehrung der gefährlichen Arbeiten.
                           Die durch mich unter Benutzung vorhandener Einrichtungen eingeführten Verbesserungen
                              									bestehen nun in Folgendem:
                           Die als Kammern zu benutzenden Räume sind den obigen ziemlich ähnlich (am liebsten
                              									verwende ich solche von 24 Fuß Länge, 12 Fuß Breite und 8 Fuß Höhe, welche der Länge
                              									und Höhe nach drei Mal mit einem Gerüste durchschnitten sind. Statt des im Boden der
                              									Kammer hängenden Kessels mit directer Feuerung benutze ich einen solchen mit
                              									doppeltem Boden, welcher durch ein Rohr mit einem Dampfkessel in Verbindung steht,
                              									um die verdünnte Essigsäure mit indirecten Dämpfen zu verflüchtigen. Dicht vor dem
                              									Kessel ist das Dampfleitungsrohr durch einen Hahn unterbrochen, um den Zutritt des
                              									Dampfes reguliren oder auch abstellen und dadurch den Eintritt der Essigdämpfe in
                              									die Kammer je nach Bedürfniß rascher oder langsamer erfolgen, oder auch ganz
                              									aufhören lassen zu können. – Zur Entwickelung der Kohlensäure bediene ich
                              									mich eines aus feuerbeständigen Steinen construirten Ofens, welcher 6 Fuß hoch ist
                              									und dessen innere Weite oben 10 Zoll im Quadrat beträgt, die sich nach unten bis zu
                              									18 Zoll vergrößert. Dieser Ofen ist 2 Fuß vom Boden durch einen Rost unterbrochen;
                              									in gleicher Höhe ist in der vorderen Wand eine Oeffnung von 10 Zoll im Quadrat
                              									gelassen, welche ebenfalls mit einem aufrechtstehenden Roste von innen verstellt
                              									ist. Auf der entgegengesetzten Seite ist ein Canal abgeleitet, welcher in einen
                              									ähnlichen Cylinder, wie der Ofen ist, ausmündet, nur daß dieser von allen Seiten
                              									verschlossen ist. Auf diesem zweiten Cylinder steht ein helmartiger gußeiserner
                              									Aufsatz, welcher zuletzt in eine gußeiserne Rohrleitung ausläuft. Diese mündet in
                              									einen bis zu 2/3 seiner Höhe mit Wasser angefüllten Blechcylinder, welcher wieder
                              									durch eine Rohrleitung mit einer Luftpumpe in Verbindung steht. – Man füllt
                              									den Ofen von oben bis zur Hälfte mit Holzkohlen an und setzt diese durch die vordere
                              									Oeffnung in Brand. Die Luftpumpe zieht die sich entwickelnde Kohlensäure aus dem
                              									Ofen durch den Canal in den zweiten Cylinder, woselbst sich etwa mit angezogene
                              									Asche etc. ablagert, die durch eine unten angebrachte Thür von Zeit zu Zeit entfernt
                              									werden muß. Hierauf tritt die Kohlensäure durch den Helm in die Rohrleitung, welche
                              									durch ein Kühlschiff geführt ist, und gelangt in den Blechcylinder zur Reinigung.
                              									Durch die Luftpumpe wird nun die gereinigte Kohlensäure in ein Reservoir getrieben, von welchem nach jeder
                              									Kammer je nach der Größe 2 oder 4 kleinere Rohre abgezweigt sind, die neben dem
                              									Essigkessel im Boden der Kammer ausmünden. Diese Rohre sind dicht unter der Kammer
                              									durch Hähne unterbrochen. – Der Essigkessel wird durch ein Rohr von einem
                              									Reservoir aus gespeist und ist mit einem Standglase versehen.
                           Eine solche Kammer wird bei gewöhnlichem Betriebe täglich
                              									drei Mal in Zwischenräumen von 3–4 Stunden je eine Stunde in Thätigkeit
                              									erhalten, und erfordert zur Oxydation des Bleies 30 Tage. Soll der Betrieb
                              									beschleunigt werden, so muß selbstverständlich die Arbeitszeit verlängert werden und
                              									hat man in verhältnißmäßig kürzerer Zeit die Oxydation vollendet. (Bei forcirtem
                              									Betriebe sind einige Anordnungen nothwendig, deren Mittheilung mich hier zu weit
                              									führen würde.)
                           Dadurch, daß man den Zutritt der Säuren willkürlich verändern kann, wird es möglich
                              									der nachtheiligen vorherrschenden Einwirkung der einen
                              									oder anderen der beiden Säuren entgegen zu treten – wenn dieses geschehen
                              									muß, erkennt der Sachkundige an einigen herausgenommenen Proben sehr leicht –
                              									und hat es in der Hand ein gleichmäßiges Fabricat zu erzielen, sowie das erzeugte
                              									Quantum Säure ohne Verlust zu verwenden.
                           Der oben beschriebene Kohlensäureofen reicht für 4 bis 6 Kammern von ca. 2500 Kubikfuß Inhalt aus. Die Rohrleitung desselben
                              									passirt, bevor sie in das Kühlschiff tritt, eine Trockenstube und genügt die
                              									entwickelte Hitze bei gewöhnlichem Betriebe zum Trocknen des ganzen Productes der
                              									Kammern.
                           Die Vorzüge dieser Methode gegen die oben beschriebene sind im Wesentlichsten
                              									folgende: bedeutend kürzere Oxydationsperiode und größere Ausnutzung der erzeugten
                              									Essigsäure und Kohlensäure; Verminderung des Rückstandes von nicht oxydirtem Blei um
                              									mindestens die Hälfte; leichtere Verarbeitung des Oxydes und gänzliche Vermeidung
                              									des Waschens etc. sowie des Abklopfens der halboxydirten Bleistreifen.
                           Bei einigermaßen zweckmäßiger Anlage kann es vermieden werden, daß das Oxyd zum Zweck
                              									der Aufarbeitung aus den Kammern durch Menschenhände transportirt wird (außerdem hat
                              									man es in der Hand, das Stäuben des Oxydes fast ganz zu verhüten), so daß in
                              									Wirklichkeit der Arbeiter nur mit dem Rohmaterial und dem zur Versendung fertigen
                              									Fabricate in directe Berührung kommt, da die Arbeiten des Waschens oder Ausziehens
                              									etc. nicht erforderlich sind, während nach der älteren Methode so viele
                              									Manipulationen vorgenommen werden müssen, daß ein Arbeiter selten den ganzen Gang
                              									der Fabrication, ohne zu erkranken, durchmacht.
                           Für die Zweckmäßigkeit der von mir eingeführten Einrichtungen sprechen folgende
                              									Umstände:
                           1) Die von mir eingerichtete Fabrik arbeitet seit 1868 ohne durch Störungen, wie sie
                              									in älteren Fabriken häufig vorkommen, unterbrochen zu seyn und liefert ein stets
                              									gleichmäßiges, nach Aussage Sachverständiger sehr gutes Fabricat.
                           2) Hat dieselbe schwere Erkrankungsfälle der Arbeiter gar nicht und von leichteren
                              									ungefähr 1/2 Proc. des Personales aufzuweisen, während ältere Fabriken schwerlich
                              									mit 5 Proc. permanenter Kranken durchkommen werden.
                           Das in diesem Journal Bd. CXCV S. 270 (erstes
                              									Februarheft 1870) beschriebene Verfahren von J. Major hat
                              									nach allgemeiner praktischer Erfahrung gegen sich, daß eine zu hohe Temperatur
                              									erforderlich ist, welche weniger der Oxydation als dem Fabricate schadet. Ferner
                              									haben alle von mir gemachten Versuche mit der Behandlung des Oxydes mit Ammoniak
                              									insofern ungünstige Resultate ergeben, als das Fabricat nicht den Anforderungen der
                              									Praxis entspricht, während die Theorie wohl nichts gegen diese Methode einzuwenden
                              									haben wird. Der Fabrikant ist aber sehr häufig in der Lage, die Fingerzeige der
                              									Theorie gar nicht benutzen zu können, da das Fabricat meistens von Leuten
                              									verarbeitet wird, welche für ihre Beurtheilung einen anderen Maaßstab anlegen.