Titel: Ein Vorschlag betreffs der Aufstellung einer einheitlichen Drahtlehre; von Anton Jarolimek) Director der M. W. Schloß'schen Nadelfabrik in Hamburg a. d. Donau.
Autor: Anton Jarolimek
Fundstelle: Band 196, Jahrgang 1870, Nr. LXV., S. 205
Download: XML
LXV. Ein Vorschlag betreffs der Aufstellung einer einheitlichen Drahtlehre; von Anton Jarolimek) Director der M. W. Schloß'schen Nadelfabrik in Hamburg a. d. Donau. Mit Abbildungen. Jarolimek, Vorschlag einer einheitlichen Drahtlehre. In der Besprechung der Birminghamer und der von Clark vorgeschlagenen Drahtlehre im polytechnischen Journal Bd. CXCV S. 49 (erstes Januarheft 1870) wird nach Clark gesagt: „Daß bei Aufstellung einer neuen Lehre es nicht gestattet werden soll, daß die Wirkungen zufälliger Fehler des Materiales einen Theil der Grundlage eines allgemein einzuführenden Maaßes bilden, daher es sich empfiehlt, dasselbe auf die Annahme eines reinen und homogenen Materiales zu gründen.“ Dann aber,“ steht dort weiter, hat die Nummernfolge einen gleichbleibenden Verdünnungsfactor und stellt die logarithmische Linie dar.“ Diese Schlußfolgerung scheint mir der Berechtigung insofern zu ermangeln, als sich ja Festigkeit und Ziehbarkeit des Drahtes bei fortgesetztem Ziehen auch bei reinem und homogenem Material naturgemäß verändern. Die gebräuchliche Verminderung der Verdünnungsfactoren bei dünneren Drähten sollte daher meines Erachtens bei einer neu einzuführenden Drahtlehre keineswegs unberücksichtigt bleiben, und das um so weniger, als eine Drahtlehre überhaupt niemals theoretischen Zwecken, sondern nur allein der gewerblichen Praxis zu dienen die Bestimmung hat. Aus den im obenerwähnten Aufsatze enthaltenen Worten: „daß die Bestimmung der Reihe der Verdünnungsfactoren mit Rücksicht auf die den verschiedenen Drahtdurchmessern der Lehre entsprechenden Festigkeitscoefficienten nur ausführbar wäre, wenn die Aenderungen des Festigkeitscoefficienten in ein bestimmtes Abhängigkeitsgesetz mit den Querschnittsänderungen unter Voraussetzung eines homogen bleibenden Materiales gebracht werden könnten,“ ist übrigens zu ersehen, daß Clark selbst die Beibehaltung veränderlicher Verdünnungsfactoren als berechtigt anerkennt und dieselbe hauptsächlich nur darum fallen zu lassen scheint, weil sich die Aenderungen dieser Factoren dem Anscheine nach in ein exactes und einfaches Gesetz kaum fassen lassen. Weil sich Clark jedoch bei Verwerfung dieser allerdings auf empirischem Boden gewonnenen Werthe darauf beruft: daß dieselben nebenbei auch von Zufälligkeiten beeinflußt worden seyn mußten, so mag es noch gestattet seyn, darauf hinzuweisen, daß ja auch die Fundamente des von ihm festgestellten gleichzubleibenden Verdünnungsfactors (√0,8), nämlich die Mittelwerthe der erhobenen Festigkeitscoefficienten und Ziehungswiderstände nicht minder unter dem Einflusse gar vieler Zufälligkeiten ermittelt wurden, und überdieß nur für Eisendrähte eine irgend berechtigte Geltung haben können. Die Clark'sche Drahtlehre scheint mir also auch nicht in ihren Grundlagen jene Allgemeinheit und Bestimmtheit zu besitzen, die man von einer neu einzuführenden Lehre mit Recht beanspruchen darf. Offenbar kann es sich bei Aufstellung einer neuen allgemeinen Drahtlehre nur darum handeln, daß dieselbe 1) den bisher üblichen und in der Praxis schon bewährten Lehren so nahe als möglich komme, und dabei 2) auf einem möglichst einfachen Gesetze beruhe, vermöge dessen man immer wieder leicht auf die Normallehre zurückkehren kann. Diesen Bedingungen scheint mir nun die nachfolgend erläuterte Drahtlehre, welche ich hiermit zur allgemeinen Annahme in Vorschlag bringe, ganz besonders zu entsprechen. Sowie man zur Bestimmung eines Kilogrammes nur 1 Kubikdecimeter Wasser zu wägen braucht, so benöthige ich zur Bestimmung meiner Drahtlehre nichts als einen Quadranten von 1 Centimeter Radius. Textabbildung Bd. 196, S. 207 Theile ich den Viertelkreisbogen in seine 90 Grade, ziehe aus den Theilungspunkten – wie es in der obenstehenden unregelmäßig vergrößerten Skizze dargestellt ist – Parallele zu dem einen Halbmesser mo, so erscheint auf dem anderen Halbmesser no meine Drahtlehre in 90 Nummern verzeichnet; es gibt nämlich dann die Sehnenhöhe n   1 die Drahtdicke Nr.   1,   „          „ n   2   „           „   2,   „          „ n   3   „           „   3 u.s.f. bis   „          „ n 89   „           „ 89 an; die Dicke Nr. 90 ist Null. Ein einfacheres Gesetz wird wohl kaum aufzustellen seyn und bemerke ich nur: daß man hiernach die Stärke jeder beliebigen Drahtnummer nicht erst aus der vorhergehenden, sondern immer direct nach der Formel dn – (1 – sin n⁰) bestimmen, und auch schon aus den gebräuchlichen Logarithmentafeln herauslesen kann! Es bleibt also noch zu zeigen, inwiefern die aus dieser Lehre resultirenden Werthe mit den gebräuchlichen Drahtlehren übereinstimmen. Um dieses besser ersichtlich zu machen, stelle ich in der nachfolgenden Tabelle die dieser Lehre entsprechenden Werthe der Drahtdicken, ausgedrückt in Millimetern, sowie die von Nummer zu Nummer fallenden Verdünnungsfactoren zusammen: Textabbildung Bd. 196, S. 208 Nummer oder Grad; Drahtdicke in Millimetern; Verdüngungsfactor Indem ich die erschöpfende Beurtheilung dieser Ziffern den in diesem Fache maßgebenden Capacitäten überlasse, beschränke ich mich auf die folgenden Bemerkungen: Bekanntlich sind es meist nur Drähte von 5 bis 0,2 Millimet. Dicke, welche auf der Ziehbank gezogen werden. Blickt man auf obige Tafel, so findet man bei         5 Millimeter Drahtdicke (Nr. 30) den Verdünnungsfactor 0,9705 und bei 0,2185 Millimeter        „        (Nr. 78)    „                „             0,8525 Sieht man in Karmarsch's Technologie nach, so findet man, daß derselbe für den Verdünnungsfactor im Allgemeinen (auf S. 212) 0,97–0,85 angibt. Diese merkwürdige Uebereinstimmung, weil im Grunde eigentlich rein zufällig, ist geradezu überraschend. Nimmt man aber auch dünnere Drähte in Betracht, z.B. Nähnadeldraht, so gibt Kar marsch ein derlei Sortiment von 24 Nummern mit 1,22 Millimet. bis 0,1 Millimet. Drahtdicke an. Nach meiner Tafel fällt für 1,2538 Millimet. Drahtdicke (Nr. 61) der Verdünnungsfactor 0,9359 u.  „   0,1231      „              „ (Nr. 81)   „                 „ 0,8104 ––––––– und für die hier fallenden 21 Nummern im Durchschnitt 0,8904 was mit dem für dieses Sortiment von Karmarsch angegebenen durchschnittlichen Verdünnungsfactor 0,898 wieder sehr nahe übereinstimmt. Die Angabe Clark's für die gebräuchlichen Verdünnungsfactoren mit 0,92–0,82 zeigt hierbei in den Mittelnummern deßgleichen eine sehr geringe Abweichung. Was die starken Drahtnummern von 5 bis 10 Millimet. Dicke betrifft, so haben die Verdünnungsfactoren daselbst keine Bedeutung, indem man beim Ziehen solcher Drähte nach Belieben eine oder auch mehrere Nummern überspringen kann. Zieht man z.B. von Draht 0 gleich Draht 2 oder 4, so gibt dieß den Verdünnungsfactor 0,97, resp. 0,94. Die größere Zahl von Nummern ist aber hinsichtlich der Präcision der Drahtdicken im Allgemeinen nur von Vortheil; übrigens kann man, wenn man will, die Numerirung allenfalls erst von 30º, d.h. von der Drahtdicke von 5 Millimet. beginnen, in welchem Falle man 60 Nummern bekäme. Noch ist zu bemerken, daß sich diese Lehre ganz gut auch Drähten von anderem Metall als Eisen anpassen ließe. So läßt sich z.B. das Silberdraht-Sortiment in die 11 Nummern von 75–85 sehr gut fassen, wenn man dazwischen halbe Nummern interpolirt. Hierdurch erhält man ein mit dem von Karmarsch angegebenen ganz übereinstimmendes Drahtsortiment mit entsprechenden Verdünnungsfactoren. Daß die Verdünnungsfactoren bei den Nummern 86 bis 90 zu klein fallen, hat gar nichts zu bedeuten, indem Nr. 85 mit 0,038 Millimeter Drahtdicke ohnehin bereits die Grenze der gebräuchlichen Drähte darstellt. Zum Schlusse gebe ich hier noch in kurzen Zügen die Idee zu einem wie es scheint eben so praktischen als genauen Drahtmaaß-Instrument auf Grund meines oben entwickelten Drahtlehrsystemes: Textabbildung Bd. 196, S. 210 In einer Geradführung des Stäbchens a, b liegt der verschiebbare Schlitten c, d, f. Derselbe ist bei d abgekröpft und hat in dem Theile d, f einen auf a, b genau senkrechten Schlitz. An der unteren Platte a, b ist ein Gradbogen befestigt, worauf eine in Grade getheilte Scala mit 60 oder 90 Graden verzeichnet ist. Auf diese Scala weist ein Zeiger m, n, welcher bei n in der Platte a, b eingezapft und bei o mit einem zweiten feinen Zapfen versehen ist, der in den Schlitz in d, f genau paßt. Mißt nun die Länge n, o genau einen Centimeter, und steht beim Einfallen des Zeigers m, n auf 90º das Schlittenende c dicht an der Nase a an, so wird, wenn man irgend einen zu messenden Draht in die Kerbe zwischen a und c legt und den Zeiger m, n – wohl durch sein eigenes Gewicht – herabsinken läßt, so daß c an den Draht anstoßt, der Zeiger jedesmal mit dem Grade der Scala zugleich die Nummer des Drahtes nach meinem System unmittelbar angeben. Hainburg a. D., 7. März 1870.