| Titel: | Ueber die Bestimmung und die schädlichen Wirkungen von Essigsäure-Dämpfen in der Luft von Fabriklocalen; von Prof. Dr. P. Bolley. | 
| Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. LXXIV., S. 260 | 
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                        LXXIV.
                        Ueber die Bestimmung und die schädlichen
                           								Wirkungen von Essigsäure-Dämpfen in der Luft von Fabriklocalen; von Prof. Dr.
                           									P. Bolley.
                        Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1870,
                              									Bd. XV S. 33.
                        Bolley, über die schädlichen Wirkungen von Essigsäure in der
                           								Luft.
                        
                     
                        
                           Ich war officiell, in gesundheitspolizeilichem Interesse veranlaßt, die
                              									Beschaffenheit der Luft in Fabriklocalen, namentlich in den Drucksälen von auf
                              									Handdruck eingerichteten Baumwollzeugdruckereien, zu untersuchen Ein vorangegangener ärztlicher
                              									Befund legte Gewicht auf die in solchen Räumen deutlich wahrnehmbaren Essigdämpfe.
                              									Um den Kohlensäure- und Essigsäuregehalt der Luft bestimmen zu können, wurden
                              									in einem Raume des Laboratoriums Vorversuche darüber angestellt, ob dieß durch eine
                              									Modification, beziehungsweise Erweiterung des Brunner'-schen Verfahrens zur Bestimmung des Feuchtigkeitsgehaltes der
                              									Luft möglich sey. Das Resultat war, daß sich mit dem Brunner'schen Aspirator, durch frischgefälltes, in Wasser vertheiltes
                              									Eisenoxydhydrat die Essigsäure und hierauf, nachdem der Luft ihre Feuchtigkeit
                              									entzogen war, mit Aetzkali der Kohlensäuregehalt bestimmen lasse. Es stimmten einige
                              									rasch hinter einander vorgenommene Bestimmungen der Essigdämpfe, die durch Aufhängen
                              									von mit Essigsäure befeuchteten Tüchern in der warmen Zimmerluft diffundirt waren,
                              									mit wünschenswerther Genauigkeit.
                           Der Apparat, dessen Beschreibung ich glaube unterlassen zu dürfen, wurde an Ort und
                              									Stelle gebracht, und es ergab sich:
                           a) in einem Drucksaale, dessen Ventilation (nach vorgenommenen
                              									Bestimmungen mit dem Comdes'schen Windflügel) zu einem
                              									vollständigen Luftwechsel in 40 Minuten ausreichte, im Kubikmeter Luft 0,07 Grm.
                              									Essigsäurehydrat;
                           b) in einem anderen Saale, der deßhalb zu dem Versuche gewählt
                              									wurde, weil er als notorisch höchst mangelhaft ventilirt bekannt war, im Kubikmeter
                              									Luft 0,15 Grm. Essigsäurehydrat.
                           In beiden Sälen werden Beizen aus holzessigsaurem Eisen aufgedruckt. Es ist
                              									einleuchtend, daß der Sättigungsgrad der Luft mit Essigsäuredämpfen von mancherlei
                              									Umständen, ihrer Temperatur, der Stärke der Beizen, der Menge der aufgehängten
                              									Stücke, der Größe der Flächen die bedruckt sind u.s.w. abhängt, –
                              									Verhältnisse die in den beiden fraglichen Fällen kaum als gleich können angenommen
                              									werden; dennoch darf man die große Verschiedenheit der in der Luft vertheilten
                              									Essigsäuremengen auf Rechnung der Unterschiede in dem Luftwechsel setzen.
                           Ich bespreche die Resultate dieser Untersuchung hauptsächlich darum, um die
                              									fabrikpolizeilich wichtige Frage in Anregung zu bringen, ob die Essigsäure in
                              									Dampfform Schädlichkeiten für die Arbeiter mit sich bringt. Der sehr gründliche
                              									Bericht von 1869 der Fabrikcommission des Cantons Glarus, in welchem bei einer
                              									Bevölkerung von etwa 30,000 Einwohnern sich über 4000 Drucktische finden, wo also
                              									derartige Nachforschungen von höchster Wichtigkeit sind, spricht sich über diese
                              									Frage folgenderweise aus:
                           
                              „Letztere (die Essigsäure) ist unstreitig die wichtigste Beimischung (zur
                                 										Luft). Sie ist die Hauptplage der Arbeiter, welche nach der Massenhaftigkeit der
                                 										Essigsäuredämpfe die Giftigkeit oder Gefährlichkeit einer Farbe – zwar mit
                                 										Unrecht – beurtheilen. Die Essigsäure ist es, welche die überwiegende
                                 										Mehrzahl der Hautausschläge verursacht, an welchen manche Drucker an den Händen
                                 										und Armen leiden. Sie kann selbst, in Dampfform aufsteigend, zwischen einen
                                 										lockeren Haarwuchs eindringen und daselbst die gleichen krankhaften
                                 										Erscheinungen hervorrufen. In Dampfform reizt sie auch die Schleimhäute der
                                 										Äugen, Nase und Athmungsorgane, wie Jeder erfährt, der das erstemal eine
                                 										Druckstube betritt. Es wären vielleicht wenige Beispiele aufzufinden, wo ein
                                 										ganz Gesunder durch diese Dämpfe krank geworden; besteht aber ein krankhafter
                                 										Zustand der erwähnten Schleimhäute, so wird derselbe durch die sauren Dämpfe
                                 										unterhalten und vermehrt. Lungenleiden insbesondere können dadurch
                                 										außerordentlich an Bösartigkeit zunehmen.“
                              
                           Weil ich es für Hebung der Zweifel, die über den Gegenstand herrschen, von
                              									Wichtigkeit hielt, nach Thatsachen zu suchen, in welchen die Wirkungen der
                              									Essigsäure, weniger getrübt von wahrscheinlichen Nebenwirkungen, zu Tag treten,
                              									befragte ich einen sehr unterrichteten und alle Seiten seines Geschäftes sorgfältig
                              									im Auge behaltenden Schnellessigfabricanten über seine Beobachtungen. Seine
                              									ausführliche Antwort, die er aus 30jähriger eigener und aus noch längerer Praxis
                              									Anderer ihm bekannter Essigfabrikanten schöpfte, lautete dahin, daß frisch
                              									eintretende Arbeiter zuweilen in den ersten Tagen über Reiz der Schleimhäute der
                              									Augen und Athmungswerkzeuge klagen, daß aber sehr bald die unangenehmen Empfindungen
                              									nachlassen und nach und nach ganz aufhören, daß die Arbeiten in den ebenso feuchten
                              									und vielleicht noch wärmeren Essigstuben als die Druckstuben sind, jahrelang von
                              									denselben Arbeitern beim besten körperlichen Gedeihen besorgt werden und daß nie
                              									Hautausschläge beobachtet wurden.
                           Ob die directe Berührung der neben der Essigsäure noch eine Menge anderer Dinge
                              									enthaltenden Beizen, oder ob flüchtige Beimischungen zu den (Holz-)
                              									Essigdämpfen in den Drucklocalen, z.B. Kreosot, die Veranlassung zu den von der
                              									Glarner'schen Fabrikcommission beobachteten Erscheinungen geben, sind Fragen, die
                              									genauerer Verfolgung wohl werth sind.