Titel: Ueber die Widerstände bei Befahrung der Steigungen der Eisenbahnen; von J. Großmann.
Autor: J. Großmann
Fundstelle: Band 196, Jahrgang 1870, Nr. LXXX., S. 292
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LXXX. Ueber die Widerstände bei Befahrung der Steigungen der Eisenbahnen; von J. Großmann. Großmann, über die Widerstände bei Befahrung von Eisenbahn-Steigungen. Die aus der Reibung der Räder an den Schienen und in den Lagern, sowie aus dem Luftwiderstande entspringenden Widerstände der Fortbewegung der Eisenbahnfahrzeuge sind oft schon Gegenstand von Berechnungen und Versuchen der Eisenbahntechniker gewesen, ohne indessen zu vollkommen übereinstimmenden Resultaten geführt zu haben. Der Grund hierfür ist in der verschiedenen Construction und Schmierung der Eisenbahnfahrzeuge zu suchen. Die in der neuesten Zeit von Vuellemin, Geubhard und Dieudonné veröffentlichten Daten verdienen indeß alle Beachtung, indem dieselben zu Resultaten führen, deren Richtigkeit durch Vergleiche mit dem in der Wirklichkeit stattfindenden Brennmaterial-Verbrauche bestätigt wird. Nach diesen ist auf ebener Bahn der Widerstand von Güterzügen, welche 35 Kilomet. pro Stunde nicht überschreiten, der Geschwindigkeit proportional, so daß bei einer Zu- oder Abnahme von 10 Kilomet. pro Stunde, der Widerstand pro Tonne um 0,5 Kilogr. zu- oder abnimmt. Textabbildung Bd. 196, S. 292 In Bezug auf die Zunahme des Widerstandes bei der Befahrung von Steigungen gilt die schon von Stephenson aufgestellte Regel, daß der Zugwiderstand pro Tonne und pro Millimeter Steigung um 1 Kilogr. zu- oder abnimmt. Diese Regel ist keineswegs bloß aus der Erfahrung gegriffen, sondern theoretisch begründet und gilt für alle wie immer gearteten Fuhrwerke. Denn stellen wir uns in untenstehender Figur unter a b eine zu ersteigende Rampe vor, so werden die Gesammtwiderstände dieselben seyn, ob ein Zug von a nach b fährt, oder ob derselbe erst die Projection a c durchläuft und dann von c nach b gehoben wird. Der Widerstandscoefficient sey auf ebener Bahn = f, und der Widerstand pro Tonne w, so ist w = fT. Der Widerstand des Hebens = w₁ = Tonnengewicht multiplicirt mit der auf den wirklich durchlaufenen Weg a b bezogenen Höhe b c ist w₁ = T . bc/ab, worin bc/ab = g = dem Gefälle der Bahn in Bruchform ausgedrückt; der Gesammtwiderstand pro Tonne läßt sich daher schreiben W = w + w₁ = fT + gT = (f + g) T. Beträgt nun die Steigung 1 Millimet. pro Meter, so ist g = 0,001, daher w₁ = 0,001 × 1000 = 1 Kilogr.; daher die Zunahme des Widerstandes pro Tonne und Millimeter Steigung = 1 Kilogr. Um aus dieser Regel weiteren Nutzen ziehen zu können, ist es wichtig, eine horizontale Strecke kennen zu lernen, welche der Fortbewegung den gleichen Gesammtwiderstand entgegensetzt, wie eine Steigung. In der Relation W = (f + g) T stellt f den Widerstandscoefficienten für die ebene Bahn, g das Gefälle in Bruchform dar. Im Falle f = g, ist W = 2 fT = 2 w; d.h. wenn das Gefälle in Bruchform ausgedrückt gleich ist dem Widerstandscoefficienten auf horizontaler Bahn, so ist der Gesammtwiderstand welchen der Zug auf der Steigung ab der Fortbewegung entgegensetzt, gleich dem Widerstande den derselbe Zug in der doppelten Projection des Weges ab der Fortbewegung entgegensetzen würde, was aus dem bekannten eigenthümlichen Verhalten eines Körpers auf der schiefen Ebene folgt. Ist g von f verschieden, so läßt sich g = αf setzen, es ist dann W = (αf + f)T = (1 ± α), worin α = g/f. Die Relation W = (1 ± α) fT gibt die Mittel an die Hand, sich für jede Steigung eine horizontale Strecke auszurechnen, welche der Fortbewegung eines Zuges dieselben Widerstände entgegensetzt, indem man nämlich die Projection der Steigung mit (1 ± α) multiplicirt. [(1 – α gilt für die Thalfahrt.] Auf der südnorddeutschen Verbindungsbahn verkehren Güterzüge zwischen den Stationen Reichenberg und Langenbruck mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde. Die letztgenannte Station liegt auf einer Rampe 64,8 Wiener Klafter über der erstgenannten. An eine 550° lange Horizontale schließt sich eine 117,6° lange Steigung von 1/120 = 0,00833 Gefälle an. Den Widerstandscoefficienten auf ebener Bahn f = 0,0035 angenommen, ergibt α + 1 = 0,00833/0,0035 + 1 = 3,38, daher die horizontale Strecke welche denselben Widerstand entgegensetzt wie diese Steigung = 117,6 × 3,38 = 397°,48 ist. Auf diese Weise berechnet, ergibt die ganze zwischen beiden Stationen gelegene 1,48 Meilen lange Steigung eine 6,124 Meilen lange Horizontale. Nun darf man den auf dieser 1,48 Meilen langen Steigung stattfindenden Brennmaterial-Verbrauch noch nicht mit dem auf einer 6,12 Meilen langen horizontalen Strecke vergleichen, da sich durch die auf derselben stattfindende größere Geschwindigkeit der Widerstandscoefficient f vergrößert. Auf der Strecke Pardubitz-Josephstadt derselben Bahn, welche nur geringe Steigungen aufweist, verkehren Güterzüge mit einer Geschwindigkeit von 22,75 Kilometer pro Stunde. Der dieser Geschwindigkeit zukommende Widerstandscoefficient ist nach Obigem f = 0,00388, daher sich die 6,12 Meilen lange Horizontale auf 350/388 × 6,12 = 5,54 Meilen verkürzt. Diese Resultate stimmen mit dem auf diesen Strecken factisch stattfindenden Brennmaterial-Verbrauche überein, daher die von den oben genannten Ingenieuren veröffentlichten Daten alle Beachtung der Fachgenossen verdienen.