| Titel: | Ueber das sogen. Kiesel-Pulver (Pebble gunpowder) für gezogenes Geschütz. | 
| Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. XCII., S. 308 | 
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                        XCII.
                        Ueber das sogen. Kiesel-Pulver (Pebble gunpowder) für gezogenes Geschütz.
                        Aus Engineering vom 18. März 1870.
                        Ueber ein neues Pulver für gezogenes Geschütz.
                        
                     
                        
                           Kürzlich wurde mitgetheilt, daß Oberst Younghusband's Committee on Explosives
                              									ein Pulver zum vorläufigen Gebrauch für schweres gezogenes Geschütz ausgewählt habe,
                              									welches weniger zerstörend und heftiger als das gegenwärtig gebräuchliche
                              										„grobkörnige Pürsch-Pulver“ des (brittischen)
                              									Dienstes wirkt. – Der „vorläufige Bericht“ dieses
                              									Comité's ist nunmehr veröffentlicht worden und wir entnehmen diesem Documente
                              									in Bezug auf die Versuche welche zu seiner Feststellung geführt haben, das
                              									Folgende:
                           Am 8. Mai 1869 war zur Weiterführung der betreffenden, vom früheren Ordnance Select Committee vor seiner Auflösung
                              									begonnenen experimentellen Untersuchungen eine Commission niedergesetzt worden,
                              									welche über folgende Gegenstände Bericht erstatten sollte:
                           1) Größe der Pressung welche in gezogenen und glatten Geschützen verschiedener
                              									Kaliber durch Anwendung verschiedener Pulversorten hervorgebracht wird und hierbei
                              									auftretende Gesetze;
                           2) relativer Werth der verschiedenen Kriegspulver-Sorten des brittischen
                              									Dienstes und anderer Länder, insoweit diese Pulversorten zur Prüfung herbeigeschafft
                              									werden können;
                           3) Wirkung des Entzündens der Ladung an verschiedenen Stellen derselben;
                           4) Einwirkung der Bohrungslänge des Geschützrohres auf die Geschoßgeschwindigkeit an
                              									der Rohrmündung;
                           5) vergleichsweise Prüfung der Schießbaumwolle mit kleineren Kalibern, und
                           6) Vergleichsprüfung mit anderen explosiv wirkenden Agentien.
                           
                           Insbesondere wurde die Commission noch dahin instruirt, daß hauptsächlich
                              										„die Feststellung eines Pulvers welches die Gefahr der
                                 										Geschützüberdehnung bei seiner Anwendung möglichst gering erscheinen
                                 										lasse“ gewünscht werde. Dem erwähnten ersten Bericht zufolge hat sich
                              									die Commission bisher auch hauptsächlich und fast ausschließlich mit Untersuchungen
                              									in diesem Betreff beschäftigt, welche zu dem vorläufigen Resultate geführt haben:
                              										„daß keine Schwierigkeit vorliegt, ein zur Verwendung in großen
                                 										Kalibern besser als das bisherige Kriegspulver geeignetes Pulver
                                 										darzustellen.“
                              								
                           Fast sämmtliche hierauf bezügliche Versuche wurden mit einem achtzölligen Geschütz
                              									angestellt, wobei folgende Pulversorten zur Prüfung gelangten:
                           1) R. L. G (Königliches schweres Geschütz-)
                              									Kriegspulver;
                           2) L. G (Schweres Geschütz-) Kriegspulver, beide
                              									von Waltham-Abbey und contractlicher Anfertigung;
                           3) Pellet-Pulver, provisorisch im Jahre 1867 geprüft;
                           4) russisches prismatisches Pulver;
                           5) Ritter's prismatisches
                              									Pulver;
                           6) Spandauer prismatisches Pulver;
                           7) belgisches grobkörniges Pulver;
                           8) spanisches Pulver (zwei Beschreibungen);
                           9) französisches Marine-Pulver (zwei Beschreibungen);
                           10) amerikanisches Pulver, ähnlich dem bei Rodman's Geschütz verwendeten;
                           11) zehn Beschreibungen von versuchsweise aus Mehlpulver gepreßtem
                              									Pellet-Pulver;
                           12) zwei Beschreibungen von versuchsweise aus verschiedenen Arten L. G. (Schweren Geschütz-) Pulvers dargestelltem
                              									Pellet-Pulver;
                           13) dreizehn Arten versuchsweise dargestellten grobkörnigen Pulvers, welches unter
                              									dem Namen „Kiesel“ (Pebble) zu
                              									Waltham-Abbey aus gebrochenen Pulverkuchen dargestellt worden;
                           14) verschiedene, von den HHrn. Curtis und Harvey zur Verfügung gestellte Proben Pellet- und
                              									grobkörnigen Pulvers;
                           15) „A 3“ Pulver, in den Jahren
                              									1860–61 und 62 zu Waltham-Abbey angefertigt und seitdem zu Purfleet
                              									aufbewahrt.
                           Zum Messen der Pulverwirkung im Rohre bediente man sich
                              									dreier Vorrichtungen. Die erste und hauptsächlichste war das von Capitän Andr. Noble erfundene Chronoskop,Beschrieben im polytechn. Journal Bd. CXCV
                                       												S. 52 (erstes Januarheft 1870). welches die Zeitintervalle, innerhalb deren das Geschoß verschiedene Stellen im Rohre
                              									passirt, bis auf Milliontheile einer Zeitsecunde zu messen gestattet. Der zweite
                              									Apparat war Rodman's
                              										Pressungs-Messer,Beschrieben im polytechn. Journal, 1869, Bd. CXCIII S. 285. welcher eine Anzahl in das Rohr eingesetzter Meißel durch den Pulverdruck
                              									sich in Kupferplatten einpressen und so auf die an der betreffenden Rohrstelle
                              									herrschende Pressung annähernd schließen läßt. Der dritte Apparat, vom Comité
                              									als „Quetscher“ (Crusher)
                              									bezeichnet, beruht auf einem ähnlichen Princip wie der vorige, indem er anstatt der
                              									durch die Pulverkraft Eindrücke erhaltenden Kupferplatten, diesen Pressungen
                              									Kupfercylinder entgegenstellt, welche durch den an der betreffenden Stelle des
                              									Rohres herrschenden Gasdruck mehr oder minder zusammengepreßt oder gequetscht
                              									werden.
                           Das zum Versuch verwendete 8 zöllige Geschütz war glatt und 6 1/2 Tonnen schwer; die
                              									Geschosse bestanden in 180 Pfund schweren eisernen Cylindern von 7,995 Zoll
                              									Durchmesser. Auf ausführliche Versuch-Details geht der Bericht nicht ein. Er
                              									erwähnt nur die mit R. L. G. Kriegspulver, russischem
                              									prismatischem Pulver, Pellet-Kriegspulver und Kiesel- (pebble) Pulver erhaltenen Resultate. Gegenstand der
                              									Untersuchung war Ermittelung desjenigen Pulvers, welches dem die Rohrmündung
                              									verlassenden Geschosse dieselbe Anfangsgeschwindigkeit ertheilt wie das im
                              									Dienstgebrauche befindliche Kriegspulver, dabei aber weniger pressend und dehnend
                              									auf das Rohr einwirkt. Folgende Zusammenstellung liefert hierüber die
                              									Vergleichswerthe:
                           
                              
                                 Art des Pulvers.
                                 Ladung
                                 Geschoßgeschwindigkeitan
                                    											derRohrmündung.
                                 Maximal-Pressung.
                                 
                              
                                 
                                 Pfunde
                                 Fuße proZeitsecunde.
                                 Tonnen proQuadratzoll.
                                 
                              
                                 R. L. G. Kriegspulver
                                 30
                                 1324
                                 29,8
                                 
                              
                                 russisches prismatisches Pulver
                                 32
                                 1366
                                 20,5
                                 
                              
                                 Pellet-Kriegspulver
                                 30
                                 1338
                                 17,4
                                 
                              
                                 Kiesel- (pebble) Pulver
                                    											Nr. 5
                                 35
                                 1374
                                 15,4
                                 
                              
                           Man ersieht hieraus, welchen außerordentlichen Anstrengungen unsere Geschütze bisher
                              									unterworfen waren. Der Druck ist beim Kriegspulver etwa um ein Drittel größer als
                              									beim russischen prismatischen und Pellet-Pulver, und ungefähr das Doppelte
                              									einer äquivalenten Ladung mit Kiesel- (pebble) Pulver. Das Pellet-Kriegspulver des
                              									brittischen Dienstes stellt sich ferner ganz gut dar und dürfte, in besseren Einklang mit den
                              									vorliegenden Schußbedingungen gebracht, dem Kiesel-Pulver später nicht nur gleich kommen, sondern dasselbe dabei
                              									noch an Gleichförmigkeit der Wirkung übertreffen; auch ist anzunehmen, daß die
                              									größeren Fabricationsschwierigkeiten desselben durch Maschinenverbesserung immer
                              									mehr verschwinden werden und somit ein weiterer Grund, sich der neueren Pulversorte
                              									zuzuwenden, wegfällt. – Es ist befriedigend, das so gerühmte prismatische
                              									Pulver hiernach von den Pulversorten englischer Anfertigung, einschließlich des
                              									Pelletpulvers, übertroffen zu sehen. Wir haben stets behauptet, daß der
                              									prismatischen Form kein ausschließlicher Vorzug einzuräumen sey, was diese Versuche
                              									vollkommen bestätigen.
                           Die Dichtigkeit des neuen Pulvers liegt zwischen 1,78 und 1,82; es besteht aus
                              									solchen Stücken zerbrochener „Preßkuchen“ jener Dichtigkeit,
                              									welche in Sieben von 5/8 und resp. 4/8 Zoll Maschenweite zurückbleiben. Diese Stücke
                              									werden in gewöhnlicher Weise der weiteren Bearbeitung unterworfen und der Name des
                              									Pulvers weist auf sein Aussehen hin. Seine Güte bestätigende Resultate sind ferner
                              									mit einem zehnzölligen Geschütz erhalten worden. – Die Wichtigkeit eines
                              									Pulvers von weniger zerstörendem Charakter für schweres Geschütz kann kaum
                              									überschätzt werden. Letzteres wird dadurch nicht nur von unnöthiger Kraftleistung
                              									befreit und so zu längerer Dauer befähigt, sondern dabei auch die Ertheilung von
                              									Geschoß-Anfangsgeschwindigkeiten ermöglicht, welche man sich bisher kaum
                              									träumen ließ. Durch Einführung eines solchen Pulvers läßt sich in der That die
                              									Widerstandskraft unserer Geschütze ohne Gewichtsvermehrung derselben und deren
                              									Wirkung ohne jeden Kostenzuwachs steigern. Je weniger verpuffend (detonating) ferner das Pulver wirkt, desto besser ist es
                              									für die Geschosse, und es muß der Grundsatz, möglichst viel mit möglichst wenig
                              									Anstrengung unseres Materiales zu erreichen, gewiß als ein richtiger, ganz
                              									wissenschaftlicher bezeichnet werden. Mit diesem Pulver werden unsere Geschütze noch
                              									schwieriger als früher zu schlagen seyn, und das will viel sagen. (Pall Mall Gazette.)