Titel: Zur Rectification der Birminghamer Drahtlehre von A. Jarolimek, Director der M. W. Schloß'schen Nadelfabrik in Hainburg a. d. Donau.
Autor: Anton Jarolimek
Fundstelle: Band 196, Jahrgang 1870, Nr. CX., S. 410
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CX. Zur Rectification der Birminghamer Drahtlehre von A. Jarolimek, Director der M. W. Schloß'schen Nadelfabrik in Hainburg a. d. Donau. Mit einer Abbildung. Jarolimek, über Rectification der Birminghamer Drahtlehre. Da bei der alten englischen Eisendrahtlehre die Abstufung der Drahtdicken nicht nach einem rationellen Gesetze geregelt erscheint, so sind schon mehrere Vorschläge gemacht worden, um an Stelle des Birminghamer Drahtmaaßes ein anderes zu setzen, welches auf einem einfachen und bestimmten Gesetze beruhend zur allgemeinen Annahme zu empfehlen wäre. Weil sich aber das neue Drahtmaaß selbstverständlich um so besser empfehlen wird, je weniger es von dem alten abweicht, so sieht man in den betreffenden Projecten das Bestreben auch dahin gerichtet, der alten Lehre so nahe als möglich zu bleiben, d.h. es handelt sich darum: die Birminghamer Lehre auf Grund eines gewissen exacten Gesetzes zu rectificiren, ohne sie deßhalb wesentlich zu alteriren. Von den in diesem Sinne bisher gemachten Vorschlägen sind hauptsächlich die folgenden hervorzuheben: 1) Jener von Latimer Clark.In diesem Journal Bd. CXCV S. 49, ferner Bd. CXC S. 200. Derselbe behält von der Birminghamer Lehre bloß die Drahtdicke Nr. 16 mit 0,065 engl. Zoll oder 1,65 Millimeter, und bildet seine British Gauge mittelst des constanten Verdünnungsfactors √ = 0,89442. Gegenüber der alten Lehre, welche nach Holtzapfel bei Nr. 4/10 = 11,53 Millimet., Nr. 16 = 1,65 Millimet. und Nr. 36 = 0,10 Millimet. mißt, fallen die Dicken bei Clark mit 13,75, 1,65 und 0,17 Millimet., also nach oben und unten hin um etwa 2 Nummern zu stark. 2) Bei der von J. R. Brown und Sharp acceptirten und von Pope befürworteten American Gauge In diesem Journal Bd. CXCII S. 28. wurde offenbar die stärkste und die feinste Nummer der Birminghamer Lehre entlehnt, und nur der größeren Einfachheit und Bestimmtheit wegen etwas rectificirt, indem Nr. 4/0 mit 0,46 engl. Zoll = 11,684 Millimet., und Nr. 36 mit 0,005   „      „ =   0,127      „ angenommen wurde. Der bei dieser Lehre ebenfalls constante Verdünnungsfactor ist durch die erwähnte Annahme bereits bestimmt und beträgt Textabbildung Bd. 196, S. 411 Die Mittelnummer 16 fällt hierbei mit 1,291 Millimet., also gegen die Birminghamer Lehre um mehr als 2 Nummern zu schwach. 3) Karmarsch rectificirt die Birminghamer Lehre,Man s. in diesem Journal Bd. CXCII S. 28. indem er Nr. 4/0 mit 11,53 Millimet. und Nr. 36 mit 0,10 Millimet. beibehält, und die Zwischennummern in der Art interpolirt, daß die von Nummer zu Nummer fallenden Verdünnungsfactoren eine in geometrischer Progression abnehmende Reihe bilden, deren erstes Glied p = 0,91972 und deren zweiter Factor oder Exponent q = 0,998 ist. Die Mittelnummer 16 fällt bei so dem rectificirten Drahtmaaß mit 1,67 Millimet., also unbedeutend größer als bei der alten Birminghamer Lehre. Hingegen fallen bei der von Karmarsch rectificirten Lehre zwischen den Drahtstärken 0,89 Millimet. und 0,25 Millimet. (d. i. Nr. 21 bis 30 seiner Lehre) bloß 9 Nummern, während bei der Birminghamer Lehre zwischen diesen Stärken (hier Nr. 20 bis 31) 11 Nummern fallen. 4) Peters Man s. in diesem Journal ebendaselbst. ändert die von Karmarsch rectificirte Birminghamer Lehre unbedeutend zu dem Zwecke ab, damit das Gewicht eines Quadratmeter Eisenblech – wenn in Grammen ausgedrückt – für jede in der Lehre enthaltene Dicke eine ganze oder doch möglichst einfache Zahl gebe, wodurch das in Karmarsch's Lehre enthaltene exacte Gesetz natürlich verloren geht. Von allen hier angeführten Drahtlehren kommt die von Karmarsch berechnete ohne allen Zweifel der Birminghamer Lehre am nächsten. Andererseits ist das Entwickelungsgesetz der Clark'schen und amerikanischen Drahtlehren ein viel einfacheres, indem ihre Drahtmaaße eine einfache geometrische Reihe bilden und mit Hülfe der logarithmischen Spirale direct aus dem Anfangs- und Endgliede construirt werden können. Da aber – wie Karmarsch mit Recht bemerkt – „bei den gut angeordneten Systemen die der Natur der Sache entsprechende Regel: den Verdünnungsfactor mit steigender Feinheit der Drähte abnehmen zu lassen, entschieden hervortritt,“ und weil diese Regel in der alten empirisch gebildeten Birminghamer Lehre nicht minder (wenn auch nur ungeregelten) Ausdruck findet, so scheint die von Karmarsch angegebene Reconstruction der Birminghamer Lehre auch in dieser Beziehung vor der Clark'schen und amerikanischen den Vorzug zu verdienen. Es ist nur noch die Frage: ob sich die Abnahme der Verdünnungsfactoren nicht in noch einfacherer Weise und derart regeln läßt, daß man sich der ursprünglichen Birminghamer Lehre noch mehr nähern könnte? Karmarsch meint allerdings, es sey völlig naturgemäß, die Verdünnungsfactoren derart zu bestimmen, daß sie eine geometrische Reihe bilden. Gleichwohl scheint mir diese Ansicht kaum mehr berechtigt als der Grund, warum Clark seinerseits einen gleichbleibenden Verdünnungsfactor bevorwortet, indem er bei Wiederherstellung der Lehre von allen Zufälligkeiten des Materiales abgesehen und ein durchaus homogenes Material angenommen wissen will, obschon die Grundlagen seiner Lehre selbst, nämlich die Mittelwerthe der Festigkeitscoefficienten und Ziehungswiderstände nicht minder unter dem Einflusse gar vieler Zufälligleiten ermittelt worden sind. Ob die Drahtdicken selbst (wie Clark vorschlägt) oder aber deren Verdünnungsfactoren (nach Karmarsch) eine geometrische Reihe bilden, bliebe so ziemlich gleichgültig. Die Hauptsache ist, daß sich die neue Lehre der alten praktisch bewährten möglichst anschließt, und daß man auf die erstere nach einem in dieselbe festgelegten Gesetze stets wieder mit Leichtigkeit zurückkehren kann. Dieß ist aber auch noch auf einem anderen und sehr einfachen Wege möglich, welchen anzudeuten der Zweck dieser Zeilen ist. Wenn es sich wie hier darum handelt, Maaße nach gewissen mathematischen Gesetzen zu bestimmen, so wird doch ohne allen Zweifel unter sonst gleichen Umständen jenes Gesetz das willkommenste seyn, auf Grund dessen man die fraglichen Maaße in möglichst einfacher Weise auch auf graphischem Wege ohne alle Rechnung auffinden kann. Blickt man nach den beschriebenen Drahtlehren zurück, so findet man, daß die Zwischen-Nummern der Clark'schen und die der amerikanischen Lehre sowohl aus der ersten und letzten Drahtdicke (D und d) als auch aus der einen Drahtdicke und dem Verdünnungsfactor (D und p) mit Hülfe der logarithmischen Spirale leicht graphisch zu construiren sind. Was die Peters'sche Lehre betrifft, so ist diese durch Verzeichnung überhaupt nicht zu bestimmen. Karmarsch's Lehre läßt sich constructiv aus D, p und z unschwer bestimmen; nicht aber aus D, d und z, indem der Ausdruck Textabbildung Bd. 196, S. 413 sehr schwer construirbar ist. Die Construction aus den Endwerthen D, d ist aber immer correcter als jene mit Zuhülfenahme des erst zu berechnenden und selten völlig genauen p, bei dessen Benutzung in der Construction sich jeder Fehler desselben ungemein potenzirt. Um nun endlich auf den Weg zu kommen, welchen ich zur Rectificirung der Birminghamer Lehre einschlage, so ist dieser der folgende: Ich nehme aus der alten Lehre drei Werthe unverändert an; erstens den Werth der Drahtnummer 16 (von dem auch Clark ausgeht) mit 0,065 engl. Zoll, also δ = 1,65 Millimet.; dann die Werthe zweier anderer von der Mittelnummer 16 nach oben und unten gleich weit abstehenden Nummern, also etwa 4/0 und 35 oder 5/0 und 36. Für 5/0 fiele nach Karmarsch (11,53 . 0,0998)/0,9197 D = 12,512 Millimet.; Nr. 36 = d ist = 0,100 Millimet. Wäre nunδ² = Dd, so würde ich die neue Lehre wie Clark nach der logarithmischen Linie construiren, da in diesem Falle mit den Werthen von D und d auch jener der Mittelnummer δ genau mit der alten gegebenen Lehre zusammentreffen müßte.Bei den eine geometrische Reihe bildenden Drahtnummern ist nämlich stets Dn = D₁ . p n, also auch Dn ± m = D₁ . p n ± m und folglich Dn² = Dn + m . Dnm (= D₁² . p²n) d.h. jedes Mittelglied bildet die mittlere geometrische Proportionale zwischen je zwei gleichweit abstehenden Nebengliedern. Da aber die Relation δ² = Dd hier nicht eintrifft, so vergrößere ich jeden meiner drei Werthe um eine Größe z, und stelle dann die obige Relation mit den also vergrößerten Werthen her. D.h. ich mache (δ + z)² = (D + z). (d + z), woraus sich z = (δ² – D . d)/(D + d – 2δ) ergibt. Für unseren Fall betrüge z = 0,158 Millimet. Ich nehme der Einfachheit halber z = 0,15 Millimet. an, wornach sich D auf genau 12,81 Millimet. rectificirt. Es beträgt dann D + z = 12,96 Millimet. δ + z =   1,80      „ und d + z =   0,25      „       wobei D + z/δ + z = δ + z/d + z = 7,2 fällt. Zwischen diesen drei Werthen interpolire ich nun die Zwischenwerthe in einer geometrischen Progression, und berichtige selbe einfach dadurch, daß ich sie sämmtlich um den Zuschlagz (= 0,15 Millimet.) wieder vermindere. Hiermit ist meine Lehre hergestellt, deren Werthe und Verdünnungsfactoren sich neben der alten Birminghamer Lehre (nach Holtzapfel) wie folgt stellen: DrahtNr. Alte Birmingh.Drahtlehre RectificirteLehre Verdünnungsfactor Draht.Nr. Alte Birmingh.Drahtlehre RectificirteLehre Verdünnungsfactor Drahtdicke in Millimetern Drahtdicke in Millimetern 5/0 12,810   4/0 11,53 11,592   0,9049 17 1,47 1,481 0,8974 3/0 10,80 10,488   0,9048 18 1,24 1,328 0,8965 00   9,65 9,488 0,9047 19 1,07 1,189 0,8954   0   8,63 8,583 0,9046 20 0,89 1,063 0,8942   1   7,62 7,762 0,9044 21 0,81 0,949 0,8927   2   7,21 7,018 0,9042 22 0,71 0,846 0,8912   3   6,58 6,344 0,9040 23 0,63 0,752 0,8893   4   6,04 5,734 0,9038 24 0,56 0,667 0,8872   5   5,59 5,181 0,0936 25 0,51 0,590 0,8849   6   5,16 4,680 0,9033 26 5,46 0,521 0,8821   7   4,57 4,226 0,9030 27 0,41 0,458 0,8791   8   4,19 3,815 0,9027 28 0,36 0,401 0,8750   9   3,76 3,442 0,9023 29 0,33 0,349 0,8709 10   3,40 3,104 0,9019 30 0,30 0,302 0,8656 11   3,05 2,799 0,9015 31 0,25 0,260 0,8593 12   2,77 2,521 0,9010 32 0,23 0,221 0,8516 13   2,41 2,270 0,9004 33 0,20 0,186 0,8421 14   2,11 2,043 0,8998 34 0,18 01,55 0,8307 15   1,83 1,837 0,8991 35 0,13 0,126 0,8144 16   1,65 1,650 0,8983 36 0,10 0,100 0,7943 Wie man sieht, weicht meine Lehre von der alten englischen nur unbedeutend ab; namentlich stimmt sie mit letzterer in den feinen Nummern noch besser als die von Karmarsch berichtigte Lehre überein, indem bei mir für die Dicken von 1,06 bis 0,30 Millimet. oder Nr. 20 bis 30–10 Nummern gegen die alte mit (von Nr. 19 bis 30) 11 Nummern fallen, wogegen Karmarsch's Lehre in dieser Partie um 2 Nummern differirt. Nun will ich noch zeigen, in welch höchst einfacher Weise meine Lehre graphisch zu verzeichnen ist. Ich ziehe PO senkrecht auf MN und mache PO = 18 Millimeter ON =   2,5    „ und On =   1,5    „ Textabbildung Bd. 196, S. 415 Dann construire ich zwischen den Punkten N und P die logarithmische Spirale, wobei O als Achsenpunkt zu gelten hat, und verlängere dieselbe bis M. (Zur Construction dieser Spirale gibt es eine sehr brauchbare Methode.) Aus demselben Mittelpunkte O beschreibe ich den Halbkreis npm. Zieht man nun von O aus durch den ganzen Halbkreis Radien in Abständen von je 4 1/2 Graden, und verlängert dieselben bis zu der logarithmischen Curve, so geben die in diesen 40 Strahlenlinien ersichtlichen radialen Abstände der Spirale MPN von dem Halbkreise mpn das Bild meiner Lehre in 10facher Vergrößerung, wovon man sich durch Nachrechnen leicht überzeugen kann. Uebrigens muß ich bemerken, daß es auf einem ähnlichen Wege möglich ist, der Birminghamer Lehre noch näher zu kommen; die Construction büßt dann aber sehr an Einfachheit ein. Daß die hier angegebene Methode zur Rectificirung der Birminghamer Lehre auch zur Berichtigung anderer Lehren anwendbar ist, bedarf wohl keiner besonderen Erklärung. Hinsichtlich der Construction anderer rationeller, jedoch von der Birminghamer mehr abweichender Drahtlehren beabsichtige ich aber noch eine besondere Mittheilung zu machen. Hainburg, 27. April 1870.