| Titel: | Wirkungsweise des Volant bei Walzenkrempeln. | 
| Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. CXVIII., S. 423 | 
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                        CXVIII.
                        Wirkungsweise des Volant bei
                           								Walzenkrempeln.
                        Aus der deutschen Industriezeitung, 1870, Nr.
                              								19.
                        Wirkungsweise des Volant bei Walzenkrempeln.
                        
                     
                        
                           Die in diesem Bande des polytechn. Journals S. 190 (erstes Maiheft 1870)
                              									mitgetheilten Ansichten Dr. H. Grothe's über die Rolle welche der Volant bei
                              									Walzenkrempeln zu übernehmen bestimmt ist, finden in der Zeitschrift „das
                                 										deutsche Wollengewerbe“ 1870 S. 93 nach mehreren Richtungen hin
                              									Widerspruch. Während zunächst das von Dr. Hartig, Alcan und Dr. Grothe vertretene Urtheil als richtig anerkannt wird, daß
                              									der Volant die Bestimmung habe, die Wollschicht aus dem Grunde der Tambourkratzen
                              									auf die Spitzen derselben zu heben, wird dagegen das von Dr. Grothe angegebene Verfahren zur Handhabung
                              									des Volant bei Verarbeitung verschiedener Materialien als nicht zutreffend
                              									bezeichnet. Dr. Grothe sagt
                              									nämlich:
                           
                              „Je schlichter das Haar, um so größer muß der Eingriff der Volantkratzen
                                 										in die des Tambour seyn, denn das schlichte Haar wird durch die Centrifugalkraft
                                 										und die differirende Geschwindigkeit der Arbeiter und Wender der
                                 										Bewegungsrichtung nach weit mehr gestreckt als das gekräuselte und in Folge
                                 										dessen kann es auch tiefer in die Beschläge eindringen“
                              
                           und ferner:
                           
                              „Bei gekräuselter Faser ist ein geringerer Eingriff, aber größere
                                 										Schnelligkeit nothwendig.“
                              
                           Dagegen wird nun bemerkt, daß jeder Spinner, der in der Lage ist, ordinäre Wollen
                              									(schlichte Haare) und dabei feine Wollen (gekräuselte Haare) verarbeiten zu müssen,
                              									aus eigener Erfahrungwisse, daß bei feiner gekräuselter Wolle der Volant stärker
                              									eingreifen muß, als solches bei Wollen geringerer Qualität von schlichtem Haar
                              									erforderlich ist, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil entgegengesetzt der Grothe'schen Ansicht, die feinen gekräuselten Haare
                              									tiefer in die Kratzen eindringen als die schlichten. – Es ist auch nicht
                              									schwer, den Grund hierfür zu finden, wenn man den eigentlichen Arbeitsproceß und
                              									seinen Einfluß auf das Eindringen der Wollhaare in die Kratzen in's Auge faßt. Die
                              									Verarbeitung, das Lösen und Strecken der Wolle, besteht in einem wiederholten
                              									Auseinanderziehen des Wollkörpers. Zu einem solchen Auseinanderziehen ist aber ein
                              									Festhalten von zwei Seiten nothwendig. Je gekräuselter nun die Haare mit einander
                              									verwachsen, je schwieriger daher deren Lösung und Streckung, desto stärker muß von
                              									beiden Seiten festgehalten werden. Arbeiter und Tambour müssen einander näher stehen
                              									und ihre Beschläge schärfer geschliffen seyn. Dieselben halten natürlich dadurch
                              									fester und sind dadurch im Stand, auch das gekräuselte Haar momentan zu strecken.
                              									Nun ist es aber augenscheinlich, daß dieses also gestreckte feine Haar in dem
                              									Streckungs Augenblick, seiner Feinheit wegen sowohl als auch wegen der großen
                              									Reibung in der Wollschicht, tiefer in die Kratzen eindringen muß, als ein schlichtes
                              									dickes Haar, zu dessen Verarbeitung eine so starke Reibung, ein so starkes
                              									Festhalten nicht erforderlich. Ist aber das gekräuselte Haar in den Tambourbeschlag
                              									eingedrungen, so treten die Kräuselungen bis zu einem gewissen Grad wieder hervor,
                              									das Haar verbindet sich inniger mit den Kratzendrähten und seine Hebung erfordert,
                              									einestheils wegen des tieferen Eindringens und anderentheils wegen des innigeren
                              									Verbandes, ein bedeutend tieferes Eingreifen und eine größere Schnelligkeit des
                              									Volant, als solches bei schlichtem Haar nothwendig ist. Dr. Grothe erkennt zwar, wenn auch nicht den
                              									tieferen Eingriff, so doch die Nothwendigkeit des rascheren Ganges bei gekräuseltem
                              									Haar an, sagt aber:
                           
                              „Die größere Schnelligkeit beruht zugleich in der Ausstreckung des Haares,
                                 										die natürlich bei schlichtem Haar leichter gelingt als bei gekräuseltem. Die
                                 										Differenz der Geschwindigkeiten entspricht hierbei etwa einer vermehrten
                                 										Streckkraft, Zugkraft.“
                              
                           Der Volant soll also nach der Ansicht des Dr. Grothe auch die Aufgabe des Streckens der Wollfaser haben
                              									und seine Geschwindigkeit nach dem jedesmaligen größeren oder geringeren Bedürfniß
                              									des Streckens normirt werden. Auch dieß wird als irrig bezeichnet. Von einem
                              									Strecken der Wollfaser durch den Volant könne schon deßhalb keine Rede seyn, weil
                              									zum Strecken, wie schon erwähnt, ein Festhalten von zwei Seiten unerläßlich, der
                              									Volant seiner eigenthümlichen Bekleidung wegen hierzu gar nicht im Stand sey. Der
                              									Grund aber, weßhalb man bei gekräuselter Faser in der Regel den Volant rascher gehen
                              									läßt, liegt eben in dem tieferen Eindringen und dem innigeren Verbande der
                              									gekräuselten Wollfasern mit einander sowohl als auch mit den Kratzendrähten. Die
                              									Function des Hebens resp. Auflockerns ist dem Volant dadurch erschwert und soll
                              									durch den rascheren Gang erleichtert resp. ermöglicht werden. Das schlichte Haar
                              									dagegen läßt sich wegen des minder tiefen Eindringens und wegen der geringeren
                              									Zusammengehörigkeit natürlich auch mit weniger Arbeit heben; daher hierbei der
                              									gewöhnlich langsamere Gang des Volant. Würde man unter gleichen Nebenverhältnissen
                              									bei schlichter Faser denselben Gang des Volant beibehalten, so würde derselbe das
                              									Material zu sehr auswerfen. Ein stärkeres oder geringeres Eingreifen des Volant und
                              									ein schneller oder langsamer Gang wird indeß, wenn auch hauptsächlich, so doch nicht allein, durch die
                              									Beschaffenheit des Wollhaares – ob schlicht oder gekräuselt – bedingt.
                              									Es kommen hierbei die verschiedenartigen Biegungen des Volantdrahtes, sowie die
                              									übrigen Eigenschaften des zu verarbeitenden Materiales, Länge etc. in Betracht.
                              									Beispielsweise ist ein Volant, dessen Drahtbiegung etwas stark, der aber bei
                              									geringen Wollen seinen Zweck gut erfüllt, bei Verarbeitung feiner Wollen ganz
                              									unbrauchbar, indem er trotz schnelleren Ganges und stärkeren Eingriffes die
                              									Wollschicht im Tambour nicht hinreichend heben würde. Umgekehrt ist ein Volant,
                              									dessen Drahtstellung (wenig gebogen) auf die Verarbeitung gekräuselter Wollen
                              									berechnet ist, für schlichte Wollen nicht geeignet, er würde, selbst bei
                              									verminderter Schnelligkeit und weniger starkem Eingriff doch zu viel ausstauben. Die
                              									in der Praxis gesammelten Erfahrungen können eben allein einen Anhalt zur richtigen
                              									Handhabung des Volant liefern. Eine andere, oben ausführlich wiedergegebene
                              									Behauptung von Dr. Grothe
                              								
                           
                              „daß der Volant schiebend und zusammenschiebend wirke, so daß ein der
                                 										Differenz der Geschwindigkeiten entsprechendes Verdichten des herausgehobenen
                                 										Vließes auf dem Tambour entstände,“
                              
                           beruht nach der fraglichen Entgegnung ebenfalls auf einer
                              									irrigen Anschauung oder vielmehr auf einer uncorrecten Schlußfolgerung. Es wird
                              									nämlich angenommen, der Volant wirke, da er bei seiner Beschaffenheit nicht abnehmen
                              									könne, auf die Fasermasse schiebend und zusammenschiebend, und zwar, wie Dr. Grothe zu unterstellen
                              									scheint, wegen seiner größeren Geschwindigkeit im Vergleich zu der des Tambour. Die
                              									größere Geschwindigkeit hat aber, wie schon gesagt, nur den Zweck der wirksameren
                              									Hebung. Angenommen indeß, der Volant verdichte wirklich durch Schieben das
                              									herausgehobene Wollvließ, so muß man sich doch fragen, woher er das zum Verdichten
                              									erforderliche Mehrquantum nehme? Müßte nicht eine Unterbrechung des Wollvließes an
                              									einer Stelle die erste nothwendige Folge dieser Verdichtung an einer anderen seyn?
                              									Oder läßt sich, um die Möglichkeit des Schiebens in der Richtung zum Peigneur
                              									denkbar zu machen, annehmen, daß der Volant von der entgegengesetzten Richtung das
                              									Wollvließ herbeizöge? Eine eingehende Erwägung und Beantwortung dieser Fragen kann
                              									nur den Beweis für die Unrichtigkeit oben citirter Behauptung liefern. Die einzig
                              									rationelle Erklärung für die Wirkung der größeren Geschwindigkeit des Volant ist und
                              									bleibt eben die bezweckte gründliche Hebung des Wollfließes. – Der vorstehend
                              									besprochene Artikel beweist übrigens, wie sehr verschieden die Ansichten über den
                              									Zweck und die Handhabung dieses, bis vor Kurzem noch als unersetzlich angesehenen
                              									Theiles der Krempelmaschine sind. In jüngster Zeit ist es indeß einem Fachmann, Hrn. Peter Ludwig Klein in Kettwig a. d.
                              									Ruhr, gelungen, eine solche Aenderung an den Krempelmaschinen zu treffen, welche den
                              									Volant ganz wegfallen läßt. Diese Erfindung hat mit Recht bedeutendes Aufsehen in
                              									der Fabrikantenwelt erregt. Nach den jetzt vorliegenden Resultaten unterliegt es
                              									keinem Zweifel mehr, daß in der Wollspinnerei eine wesentliche Verbesserung zu Wege
                              									gebracht worden ist.