Titel: Beiträge zur Geschichte und Statistik der sächsischen Schwelerei- , Mineralöl- und Paraffin-Industrie; von Robert Jacobi in Halle a. S.
Autor: Robert Jacobi
Fundstelle: Band 197, Jahrgang 1870, Nr. CVI., S. 418
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CVI. Beiträge zur Geschichte und Statistik der sächsischen Schwelerei- , Mineralöl- und Paraffin-Industrie; von Robert Jacobi in Halle a. S. Jacobi, Beiträge zur Statistik der sächsischen Schwelerei- , Mineralöl- und Paraffin-Industrie. Nachdem frühere Bemühungen in gleicher Richtung an dem derzeitigen Widerwillen der leitenden Persönlichkeiten gescheitert waren, veranlaßte die durch die Concurrenz des amerikanischen Petroleums herbeigeführte allgemeine Roth der Industrie in den Jahren 1867 und 1868 eben dieselben Persönlichkeiten, diesen Widerwillen endlich aufzugeben und ernstlich an die Bildung eines Vereines für Mineralöl-Industrie zu denken. Der Verein kam dann auch in erfreulicher Kürze und ohne größere Schwierigkeiten zu Stande, und eröffnete seine Thätigkeit in der ersten Versammlung seiner Mitglieder am 18. Juni 1868 zu Halle a. S. Die Zwecke des Vereines definirt §. 1 des am 10. Mai 1868 festgestellten Statuts dahin: a) die Industrie für Verwerthung der BrennkohleBraunkohle nach allen Richtungen hin zu vertreten und den Handel in den Erzeugnissen derselben zu befördern; b) diesen gemeinnützigen Industriezweig in sich selbst zu kräftigen und zu immer größerer Vervollkommnung desselben beizutragen. Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, speciell zu untersuchen, in wie weit der Verein diese Zwecke bereits erreicht hat. Eine große Rührigkeit sowohl des Vorstandes als auch der Mitglieder ist, besonders in Richtung ad a, rühmend anzuerkennen und werden die Früchte dieser Art der Vereinsthätigkeit bereits von allen Mitgliedern dankend geerntet. Betreffend b des Statuts scheinen die geeigneten Mittel und Wege noch nicht in genügender Schärfe hervorzutreten, was bei der Neuheit der Sache kaum befremden kann. Hoffen wir, daß auch hier die erforderliche Klarheit demnächst gewonnen und mit gleicher Rührigkeit zu schönen Resultaten verkörpert werden mag! Dem jüngst erschienenen Bericht über die siebente Versammlung des Vereines am 18. März 1870 sind zwei statistische Tabellen angefügt, welche über den Umfang der Schwelerei- und Mineralöl-Industrie, wie über die einschlagenden Betriebsverhältnisse höchst schätzenswerthe Aufschlüsse geben. Die eine Tabelle enthält ein Verzeichniß der Theerschwelereien der Provinz Sachsen und deren Production im Jahre 1869, die andere bietet ein Verzeichniß der Mineralöl- und Paraffin-Fabriken der Provinz Sachsen und deren Betrieb im Jahre 1869. Besonders werthvoll ist die erstere Tabelle, da sie Uebersicht liefert und Material bietet zum Vergleich betreffs der Betriebsresultate der z. Z. ausschließlich in Anwendung befindlichen Betriebsvorrichtungen: stehende und liegende Retorten und Dampfschwelapparate. Im Jahre 1869 waren von stehenden Retorten 489, von liegenden Retorten 1717 und von Dampfschwelapparaten 15 Stück im Betriebe. Diese Apparate vertheilen sich auf 41 Etablissements; von denselben arbeiten 21 ausschließlich mit liegenden, 9 ausschließlich mit stehenden Retorten, eines ausschließlich mit Dampfschwelapparaten, während die übrigen 10 Etablissements mit stehenden und liegenden Retorten gemeinschaftlich arbeiten. Nicht sämmtliche Etablissements und nicht sämmtliche stehende oder liegende Retorten waren im Jahre 1869 in unausgesetzter Thätigkeit. Eine Vergleichung der Unterbrechungen welche durch Reparaturen, Umbauten und Erweiterungsbauten u.s.w. herbeigeführt wurden, ergibt jedoch für die stehenden und liegenden Retorten eine so sehr annähernde Uebereinstimmung der Betriebspausen, daß von differirenden Einflüssen derselben auf die Vergleichsresultate der stehenden und liegenden Retorten nicht geredet werden kann. Die an mehreren Etablissements vergleichsweise durchgeführten Rechnungen ergaben nur Bruchprocente als Differenz gegen volle Jahresarbeit; diese Procenttheile können als unwesentlich hier füglich vernachlässigt werden. Die fünfzehn Dampfschwelapparate waren das ganze Jahr im Betriebe. Die gesammten Schwelereien verarbeiteten im Jahre 1869: 2378422 Tonnen Schwelkohle, verbrauchten zur Beheizung ihrer Retorten und Apparate 2170727 Tonnen BrennkohleBraunkohle, beschäftigten – ohne die bei der Kohlengewinnung thätigen Bergarbeiter und ohne das Aufsichts- und Directionspersonal – 1154 Arbeiter mit einer Familiengliederzahl von 4279 Köpfen, repräsentirten ein Anlagecapital von 1699707 Thlr., und gewannen 622215 Ctr. Theer, dessen Preis, per Ctr. im Mittel mit 2 2/3 Thlr. angenommen, einen Werth von 1659240 Thlrn. repräsentirt. Durch die Verarbeitung dieses Theeres auf Mineralöle und Paraffin, und incl. der dabei aufzuwendenden Capitalkosten, Arbeitslöhne, Chemikalien, Apparate etc. wird der Werth von einem Centner Theer um mindestens 2 1/3 Thlr. erhöht. Es ergibt sich in Folge dessen eine schließliche Werthsumme von ca. 3111075 Thlrn., welche auf wenigen Quadratmeilen gesegneten Landes der Mutter Erde entrungen und der Heimath erhalten wurden. Der Ausspruch des berühmten Berliner Gelehrten: „die Mineralöl- und Paraffinfabrication der Provinz Sachsen werde sich nie gedeihlich entwickeln können,“ hat sich sonach nicht bewährt. Das Schwelereigewerbe und in seinem Gefolge die Mineralöl- und Paraffinfabrication verdienen nach solchen Resultaten wohl, daß sich neben dem Fabrikanten, dem Techniker, Chemiker und Kaufmann, auch der Gelehrte und der Nationalökonom mit ihnen vertraut macht. Besonders aus diesem Grunde mag eine eingehendere Besprechung der einschlagenden Verhältnisse in dieser Zeitschrift gerechtfertigt seyn. Von besonderem Werthe für den Vergleich der jetzigen Leistungs- und der späteren Entwicklungsfähigkeit der verschiedenen Schwelapparate sind zunächst die Angaben der Tabellen bezüglich der Etablissements welche ausschließlich mit stehenden oder liegenden Retorten arbeiten. Es entfallen in dieser Richtung: 21 Etablissements mit 1327 liegenden Retorten und 9 Etablissements mit   295 stehenden Retorten; diesen schließen sich an 1 Etablissement mit     15 Dampfapparaten, 10 Etablissements mit   390  194 liegenden undstehenden Retorten gemeinschaftlich. Von den 21 Etablissements welche ausschließlich mit liegenden Retorten arbeiten, gibt eines mit 24 Retorten betreffs der Anlagekosten, eines mit 34 Retorten betreffs dieser und der Anzahl der beschäftigten Arbeiter keine Notiz. Es bleiben daher für den durchzuführenden Vergleich nur 19 Etablissements mit vollständigen Angaben übrig; abzüglich der ausfallenden 58, arbeiten sie mit 1269 liegenden Retorten. Die Betriebsverhältnisse derselben sind folgende: 1269 liegende Retorten verbrauchten 856739 Tonnen BrennkohleBraunkohle zu ihrer Beheizung, verschwelten 921840 Tonnen Schwelkohle, lieferten aus diesem Quantum 253658 Ctr. Theer und beschäftigten 493 Arbeiter. Das Anlagecapital für die 1269 Retorten beträgt 633707 Thlr. Eine Tonne Schwelkohle lieferte sonach 27,506 Pfd. Theer, zu dessen Erzeugung 0,924 Ton. BrennkohleBraunkohle verbraucht wurden. Im laufenden Jahre 1869 bewältigte ein Arbeiter 1870 Tonnen Schwelkohle. Das Anlagecapital für eine Retorte beträgt 499,4 Thlr. und es entfallen auf 1 Tonne per Jahr verschwelte Kohle 20,623 Sgr. Anlagecapital. Die Erzeugung von 1 Ctr. Theer per Jahr beansprucht 74,9 Sgr. Anlagecapital. Für die neun, ausschließlich mit stehenden Retorten arbeitenden Etablissements stellten sich die Betriebsverhältnisse wie folgt: 295 stehende Retorten verbrauchten 535,023 Tonnen BrennkohleBraunkohle zu ihrer Beheizung, verschwelten 641831 Tonnen Schwelkohle, lieferten aus derselben 169807 Ctr. Theer, unter Beschäftigung von 325 Arbeitern. Das Anlagecapital für diese 295 Retorten beträgt 500000 Thlr. Hiernach lieferte 1 Tonne Schwelkohle 26,613 Pfd. Theer, zu dessen Erzeugung 0,834 Ton. BrennkohleBraunkohle verbraucht wurden. Auf einen Arbeiter entfiel im Jahre ein Quantum von 1975 Tonnen Schwelkohle; das Anlagecapital einer Retorte beträgt 1694,9 Thlr., wornach auf eine Tonne per Jahr verschwelter Kohle 23,371 Sgr. Anlagecapital entfallen. Die Erzeugung von 1 Ctr. Theer per Jahr erfordert 88,4 Sgr. Anlagecapital. 15 Dampfschwelapparate verbrauchten 78222 Tonnen BrennkohleBraunkohle auf 37544 Tonnen Schwelkohle; sie lieferten 18236 Ctr. Theer, beschäftigten 17 Arbeiter und erforderten ein Anlagecapital von 30000 Thlrn. Eine Tonne Schwelkohle ergab darnach 48,502 Pfd. Theer, zu dessen Erzeugung 2,084 Tonnen BrennkohleBraunkohle aufgingen. Ein Arbeiter wältigte 2208 Tonnen Schwelkohle per Jahr. Das Anlagecapital eines Ofens beträgt 2000 Thlr., wobei auf eine Tonne per Jahr verarbeitete Schwelkohle 23,9 und auf 1 Ctr. Theergewinnung per Jahr 49,3 Sgr. Anlagecapital entfallen. Folgende Tabelle erleichtert die Uebersicht der vorstehend entwickelten Resultate: ArtderRetorten 1 Tonne Schwelkohleerforderte Sie lieferteTheer,Pfund Ein Arbeiterwältigteper JahrSchwelkohle,Tonnen 1 Ctr. per JahrgewonnenerTheer kosteteAnlagecapital,Groschen BrennkohleBraunkohle,Tonnen Anlagecapital,Groschen liegend 0,924 20,632 27,506 1870 74,900 stehend 0,838 23,371 26,613 1975 88,400 Dampf 2,084 23,900 48,502 2208 49,300 Führt man nach den Ergebnissen dieser Tabelle den Welch der Braunkohle mit 3 Groschen, den Werth der Schwelkohle mit 5 Groschen per Tonne, die Amortisation und Verzinsung des Anlagecapitales mit 15 Proc., die Kosten eines Arbeiters per Jahr mit 182 Thlrn. und den Werth von einem Centner des gewonnenen Theeres mit 2 2/3 Thlrn. gleichmäßig ein, so ergeben sich schließlich die Werthe der folgenden Tabelle, bezogen auf eine Tonne verschwelte Kohle: ArtderRetorten BrennkohleBraunkohleà Tonne3 Sgr.,Sgr. Capitalkosten15 Proc.,Sgr. Arbeitslohn,Sgr. Schwefelkohle,Sgr. Summader Kostenper TonneverschwelterKohle GewonnenerTheerà 2 2/3 Thlr.,ist werthSgr. FolglichUnterschiedper TonneSchwelkohle liegend 2,772 3,090 2,920 5,00 13,750 22,004   8,254 stehend 2,514 3,495 2,770 5,00 13,779 21,290   7,511 Dampf 6,252 3,480 2,430 5,00 17,162 38,801 21,639 Diese Tabelle ergibt daher, daß die stehenden Retorten den geringsten, die Dampfschwelapparate hingegen einen ungemein hohen Nutzen bringen. Die Ursachen dieses anscheinend so großen Mißverhältnisses zu beleuchten, wird Aufgabe eines folgenden Artikels seyn.