Titel: Ueber die Bestimmung der Schmelz- und Erstarrungstemperatur der Fette und anderer Verbindungen; von Fr. Rüdorff.
Fundstelle: Band 198, Jahrgang 1870, Nr. CXXVI., S. 531
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CXXVI. Ueber die Bestimmung der Schmelz- und Erstarrungstemperatur der Fette und anderer Verbindungen; von Fr. Rüdorff. Aus Poggendorff's Annalen der Physik, 1870, Bd. CXL S. 420. Rüdorff, über Bestimmung der Schmelz- u. Erstarrungstemperatur der Fette etc. Sämmtliche zur Bestimmung des Schmelzpunktes der Fette bisher angewendeten Methoden, wie sie in der Abhandlung von Wimmel (dessen Resultate im polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVIII S. 421 mitgetheilt wurden) aufgezählt sind, haben das gemeinsam, daß man das Thermometer mit welchem die Temperatur bestimmt wird, nicht in das Fett selbst, sondern in Wasser taucht, in welchem das Fett durch Erwärmen zum Schmelzen gebracht wird. Entweder ist das Fett in einem beiderseits offenen Glasrohr von capillarem oder größerem Durchmesser enthalten, oder es überzieht die Kugel des Thermometers, und als Schmelzpunkt wird diejenige Temperatur notirt, bei welcher das Fett durch den Auftrieb in dem Rohr emporsteigt oder sich von der Thermometerkugel loslöst. Wenn man die Angaben der Beobachter, namentlich die Wimmel's, über die Schmelz- und Erstarrungstemperatur der Fette mit einander vergleicht, so fällt es auf, daß der Schmelzpunkt bei fast den meisten Fetten merklich höher liegt, als der Erstarrungspunkt. Es hat sich aus dieser Beobachtung die allgemein verbreitete Ansicht gebildet, daß die Temperatur des Schmelzens und diejenige des Erstarrens bei verschiedenen Substanzen und namentlich bei den Fetten nicht dieselbe sey. Indessen glaube ich, daß diese Ansicht auf einem Irrthum beruht. Da die meisten Fette beim Erwärmen alle Stadien des Erweichens durchmachen und nicht, wie viele andere Körper, z.B. Eis, plötzlich flüssig werden, so trifft die oben angedeuteten Methoden der Vorwurf, daß sie einen gewissen Grad des Erweichens für Schmelzen ansehen. Die wenigst zuverlässigen Resultate gibt selbstverständlich die Anwendung von Capillarröhren; das Fett wird in denselben bei um so höherer Temperatur aufsteigen, je enger das Rohr ist. Aber auch bei Anwendung weiterer Röhren erhält man von einander abweichende Resultate, je nachdem man das Rohr mehr oder weniger tief in das Wasser eintaucht, und je nachdem die Temperatur des Wassers rascher oder langsamer steigt. Versuche welche ich nach diesen Methoden angestellt habe, ergaben Resultate welche bei demselben Fett um ganze Grade von einander abwichen. Es scheint mir durchaus unangemessen, als Schmelzpunkt der Fette diejenige Temperatur zu betrachten, bei welcher dieselben einen gewissen Grad von Durchsichtigkeit und Beweglichkeit ihrer Theilchen erlangen, sondern als Schmelzpunkt hat man diejenige Temperatur anzusehen, bei welcher Wärme latent wird, und als Erstarrungspunkt die höchste Temperatur bei welcher die latente Wärme frei wird. Es ist zur Ermittelung dieser Temperatur unerläßlich, daß man das Thermometer, wie es bei anderen Schmelzpunkts-Bestimmungen üblich ist, in die Substanz selbst taucht und während des Erwärmens der festen Substanz oder des Abkühlens der Flüssigkeit die Temperatur notirt, bei welcher der Stand des Thermometers, wenn auch nur für kurze Zeit, ein constanter ist. Sucht man indessen den Schmelzpunkt eines Fettes in der Weise zu bestimmen, daß man den Gang des Thermometers beobachtet, welches man in das schmelzende Fett getaucht hat, so wird man kaum eine Constanz in der Temperatur wahrnehmen können; das Thermometer steigt unter größeren oder geringeren Schwankungen stetig. Der Grund liegt in dem geringeren Wärmeleitungsvermögen und der Zähigkeit der geschmolzenen Fette. Selbst wenn man in bei möglichst niedriger Temperatur geschmolzenes Fett eine Menge des festen Fettes in fein zertheiltem Zustande wirft, um so einen Brei herzustellen, in welchem bei weiterem Erwärmen unter Umschütteln die zugeführte Wärme zum Schmelzen des in der Flüssigkeit vertheilten festen Körpers verwendet werden sollte, sieht man sich in seinen Erwartungen getäuscht; das hinein geworfene feste Fett ballt sich zu einem compacten Klumpen zusammen, welcher in der Flüssigkeit nur sehr langsam schmilzt, selbst wenn die Temperatur weit über den Schmelzpunkt gestiegen ist. Es ist deßhalb unmöglich, den Schmelzpunkt der Fette auf diese Weise auch nur annähernd zu bestimmen. Bei der Bestimmung des Erstarrungspunktes zeigen die Fette ein verschiedenes Verhalten. Bei einigen derselben beginnt das Festwerden bei einer bestimmten Temperatur, und diese bleibt während längerer Zeit constant. Zu diesen gehört namentlich das Bienenwachs, dessen Erstarrungspunkt sich leicht ermitteln läßt, wenn man etwa 150 Grm. desselben in einem Glaskölbchen durch Eintauchen in heißes Wasser schmilzt, ein Thermometer einsenkt, und dann unter beständigem Umschütteln in der Luft die Abkühlung bewirkt. Die Temperatur sinkt allmählich und von dem Moment an, in welchem sich eine einigermaßen beträchtliche Menge festes Wachs ausgeschieden hat, bleibt die Temperatur so lange constant, als die fast breiartige Masse sich noch durch Schütteln bewegen läßt. Dann sinkt die Temperatur stetig, aber langsam. Auf diese Weise erhielt ich für zuverlässig reines gelbes Bienenwachs als Erstarrungstemperatur 62,8° C., für eine andere Sorte, welche mir als ein Product von geringerer Güte bezeichnet wurde, 62,6° C. Bei Proben welche im Handel vorkommen und angeblich rein seyn sollten, lag der Schmelzpunkt zwischen 61,3° und 61,5° C. Bei anderen Fetten beobachtet man während des Erstarrens derselben stets ein Steigen der Temperatur, oft um mehrere Grade, so daß dieselben das Phänomen des Ueberkältens in auffallender Weise zeigen. Bekanntlich sind die meisten Fette Gemenge von bei gewöhnlicher Temperatur festen und flüssigen Verbindungen, und in Bezug auf ihr Verhalten gegen Wärme zeigen dieselben eine auffallende Aehnlichkeit mit den Salzlösungen. Von diesen lassen sich einige sehr leicht, andere sehr schwer unter die Temperatur abkühlen, bei welcher sie unter gewöhnlichen Verhältnissen gesättigt sind, oder, mit anderen Worten, einige zeigen die Erscheinung des Uebersättigens gar nicht, andere sehr leicht. Betrachtet man einige hierher gehörige Fette im geschmolzenen Zustande als Auflösung des festen Bestandtheiles in dem flüssigen, so ist die Analogie mit den Salzlösungen einleuchtend. Kühlt man eine solche Salzlösung unter ihren Sättigungspunkt ab und bewirkt durch Einwerfen eines Stückchens des gelösten Salzes eine Ausscheidung desselben, so steigt die Temperatur. Um wie viel die Temperatur aber steigt, hängt bei derselben Salzlösung wesentlich davon ab, um wie viel man dieselbe unter die Sättigungstemperatur abgekühlt hat. Kühlt man nur sehr wenig unter diese Temperatur ab und bewirkt die Krystallausscheidung, so steigt das Thermometer bis zur Sättigungstemperatur. Kühlt man aber sehr stark ab und bewirkt dann die Krystallisation, so steigt die Temperatur ebenfalls, aber niemals bis zum Sättigungspunkt; denn die durch die Krystallbildung frei werdende Wärme ist nur im Stande, die Temperatur der ganzen Masse der Salzlösung um wenige Grade zu erhöhen. Würde man als Erstarrungstemperatur einer solchen Lösung die Temperatur ansehen, auf welche das Thermometer nach der Ausscheidung des Salzes steigt, so würde dieselbe sehr verschieden ausfallen, je nachdem man mehr oder weniger stark abkühlt. Das Verhalten der meisten Fette beim Erstarren ist ein ganz analoges und nur insofern abweichendes, als dieselben in Folge ihrer zähen Beschaffenheit sich selbst dann noch abkühlen lassen, wenn schon ein Theil fest geworden ist, oder wenn man einige Stückchen des festen Fettes in die sich abkühlende Flüssigkeit geworfen hat. Indessen ist diese Eigenschaft der Fette, sich selbst bei Gegenwart schon fest gewordenen Fettes noch unter ihren Erstarrungspunkt abkühlen zu lassen, nicht diesen Körpern ausschließlich eigenthümlich. Bei meinen Versuchen über das Gefrieren des Wassers aus Salzlösungen habe ich oft Gelegenheit gehabt ähnliche Erscheinungen zu beobachten. Manche concentrirte Salzlösungen werden in niedriger Temperatur von ölartiger Beschaffenheit, und diese lassen sich, selbst wenn ein Stückchen Eis in denselben schwimmt, unter ihren Gefrierpunkt abkühlen, während sich fortwährend Eisflocken in denselben ausscheiden. Hat die Bildung dieser aber bis zu einem gewissen Grade zugenommen, so steigt die Temperatur plötzlich. Unter den Fetten zeigen dieses Verhalten Rindertalg und ganz besonders Japanwachs. Bei einem Versuche mit letzterem wurde dasselbe geschmolzen und unter Schütteln abgekühlt. Bei 40° C. begann sich festes Wachs in erheblicher Menge auszuscheiden; die Temperatur stieg bis 45,8° C. und die Masse war zum steifen Brei geworden. Durch Eintauchen in mäßig warmes Wasser und Umschütteln wurde es dann wieder und ebenso in den folgenden Malen so weit geschmolzen, daß es einen leichtflüssigen Brei bildete. Bei dem dann folgenden Abkühlen bis auf 45° C. begann die Temperatur wieder zu steigen und stieg bis auf 46,7° C. Bei der Wiederholung des Versuches durch nochmaliges theilweises Schmelzen und Abkühlen trat bei 45,5° C. ein Steigen des Thermometers bis 49,7° C. ein. Abermals geschmolzen, abgekühlt bis 48,5° C., stieg die Temperatur auf 50,5° C., und bei der weiteren Wiederholung waren die bezüglichen Temperaturen 50,3° und 50,8° C. Schließlich nach nochmaligem Schmelzen sank das Thermometer auf 50,8° C., und beim Erstarren stieg die Temperatur nicht. Es ist also 50,8° C., die höchste Temperatur bei welcher das Erstarren eintritt, als der Erstarrungspunkt des Japanwachses anzusehen. Bei der Bestimmung des Erstarrungspunktes auf diese Weise wird durch die Gegenwart des festen Körpers in höchst feiner und gleichmäßiger Vertheilung durch die ganze Flüssigkeit die Ueberkältung möglichst beschränkt. Daß aber die Temperatur bei dem Erstarren des Fettes nur sehr wenig und nicht beim erstmaligen Erstarren bis zu dem Maximum steigt, liegt an der verhältnißmäßig geringen latenten Wärme der Fette. Taucht man in eine solche durch theilweises Erstarren breiartige Fettmasse ein Thermometer und erwärmt durch Eintauchen in mäßig warmes Wasser unter Umschütteln ganz allmählich, so gelingt es nachzuweisen, daß ein Verweilen im Steigen des Thermometers auf der Temperatur des Erstarrungspunktes eintritt, so daß also das Schmelzen und das Erstarren der Fette genau bei derselben Temperatur stattfindet. Da es aber ungleich leichter und sicherer ist, den Erstarrungspunkt derselben zu bestimmen, in der Weise wie ich es oben beim Japanwachse angedeutet habe, so sollte man die Angabe der Erstarrungstemperatur unter die physikalischen Eigenschaften dieser Körper aufnehmen, und nicht, wie es gewöhnlich geschieht, deren Schmelzpunkt, dessen Bestimmung mit sehr erheblichen Fehlern behaftet ist. – Was hier von dem eigentlichen Fette gesagt ist, gilt ebenso von anderen den Fetten in manchen Eigenschaften ähnlichen Körpern, wie Paraffin, Stearinsäure und anderen. Von welcher Wichtigkeit aber für die Chemie eine genaue und sichere Bestimmung der Erstarrungstemperatur verschiedener Verbindungen ist, wird man am besten ersehen, wenn man sich erinnert daß die Schmelztemperatur eines der wichtigsten Erkennungsmittel für die Reinheit mancher Verbindungen, namentlich der Fettsäuren, ist.