Titel: Ueber ein neues Verfahren zur fabrikmäßigen Darstellung von Chlor; von Henry Deacon
Fundstelle: Band 200, Jahrgang 1871, Nr. CX., S. 399
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CX. Ueber ein neues Verfahren zur fabrikmäßigen Darstellung von Chlor; von Henry Deacon Deacon's Verfahren zur Chlorbereitung wurde im polytechn. Journal, 1870, Bd. CXCVIII S. 540 in Kürze mitgetheilt. Die Bemerkung von F. Hurter, Chemiker der Fabrik von Gaskell Deacon und Comp. in Widnes (Lancashire), daß in Folge seiner in Gemeinschaft mit Deacon fortgesetzten Versuche der neue Chlorbereitungsproceß in kurzer Zeit den Manganproceß verdrängen dürfte (man s. S. 125 in diesem Bande des polytechnischen Journals, zweites Aprilheft 1871), veranlaßt uns, Deacon's Vortrag über sein Verfahren in der letzten Versammlung der British Association nach seinem ganzen wesentlichen Inhalte nachzutragen.A. d. Red. Aus dem Engineer vom 4. November 1870, S. 316. Mit einer Abbildung. Deacon, über einen neuen Chlorbereitungsproceß. Bekanntlich treten, wenn ein Gemisch von Chlorwasserstoffgas und Sauerstoff hinreichend erhitzt wird, Antheile des Wasserstoffes und Sauerstoffes mit einander in Verbindung und es wird eine entsprechende Menge Chlor frei, dessen Quantität man dadurch vermehren kann, daß man die heißen Gase über heiße poröse Substanzen streichen läßt. Indessen ist die Menge des auf diese Weise frei gewordenen Chlors im günstigsten Falle unbeträchtlich. Bei Anwendung des im Nachfolgenden zu erörternden Verfahrens erfolgen diese Reactionen bei weit niedrigeren Temperaturen und in so kräftiger Weise, daß sämmtliches Chlorwasserstoffgas zersetzt und dessen Chlor frei gemacht oder aus atmosphärischer Luft reiner Stickstoff erhalten werden kann, indem der ganze Sauerstoffgehalt derselben sich mit dem Wasserstoff der Chlorwasserstoffsäure verbindet. Dieses Verfahren besteht in der Anwendung irgend einer Substanz, über welche das heiße Gasgemisch geleitet wird, wobei diese Substanz selbst zwar unverändert bleibt, aber die Reaction zwischen den Gasen vermittelt. Kupfersalze besitzen dieses Vermögen in ausgezeichnetem Grade, namentlich eignet sich schwefelsaures Kupferoxyd (Kupfervitriol) zu diesem Zwecke so gut, daß ich dieses Salz ausschließlich anwende. Sämmtliche von mir bisher versuchte Kupferverbindungen erwiesen sich jedoch gleich wirksam; natürlich werden viele von ihnen durch Oxydation verändert oder zu Chlorid umgewandelt, aber die Veränderung erfolgt im Allgemeinen langsam, wohingegen ihre Activität eine continuirliche ist. Kupfervitriol aber bleibt bei diesem Versuche unverändert. Auch sämmtliche entsprechende Bleiverbindungen, mit Ausnahme von einer, sind activ, erfordern aber höhere Temperaturen. Die Ausnahme bildet das schwefelsaure Bleioxyd, welches also in merkwürdiger Weise mit der entsprechenden Kupferverbindung contrastirt. Auch erwiesen sich alle Manganverbindungen activ, freilich erst bei noch höherer Temperatur; es ist aber zweifelhaft, ob bei Anwendung derselben die Reaction jemals ganz vollständig vor sich geht; bei der hohen Temperatur, welche die Mangansalze erfordern, erscheint es wahrscheinlich, daß das Chlor selbst auf das erzeugte Wasser einwirkt, so daß wiederum Chlorwasserstoffsäure entsteht und Sauerstoff frei wird. Zahlreiche Versuche haben den Beweis geliefert, daß man zu dem in Rede stehenden Zwecke nur Stücke von gewöhnlichen rothen Ziegelsteinen mit einer gesättigten Lösung von Kupfervitriol zu tränken und sie dann zu trocknen braucht. Mit den so vorbereiteten Ziegelstücken werden Röhren gefüllt und das heiße Gasgemisch (Chlorwasserstoff- und Sauerstoffgas) wird durch diese Röhren geleitet. Die Temperatur, bei welcher die Reaction am thätigsten ist, beträgt etwa 370 bis 400° C.; sie findet jedoch schon bei etwa 200° C. statt. Wird die Temperatur auf ungefähr 425° C. gesteigert, so beginnt die Verflüchtigung von Kupferchlorid; d.h. wenn auch ursprünglich kein Kupferchlorid angewendet wird, so bildet sich dieses Salz doch stets unter den angeführten Umständen und verflüchtigt sich, sobald die angegebene Temperatur erreicht wird. Diese Angaben der Temperatur sind nicht als genaue zu betrachten, da die Schwierigkeiten ihrer Beobachtung sehr bedeutend sind. Man kann sie jedoch innerhalb ziemlich enger Grenzen fixiren, zumal da die Reaction eben so sehr und wahrscheinlich noch mehr von der Temperatur des Gasgemisches, als von der Temperatur der dasselbe beeinflussenden Substanz abhängt. In dieser Weise vermag eine sehr geringe Menge von schwefelsaurem Kupferoxyd, welche sich am Ende des Processes als unverändert erweist, den ganzen Chlorgehalt einer sehr bedeutenden Menge von Chlorwasserstoffgas frei zu machen. Bei dem ersten lange fortgesetzten Versuche wurden durch ein Aequivalent Kupfer über 300 Aequivalente Chlor entwickelt, und das Kupfersalz war dann noch ebenso wirksam wie beim Beginne des Versuches. Es ergab sich, daß wenn man den Kupfersalzgehalt der Ziegelstücke über einen gewissen Punkt hinaus vermehrt, ihre Wirkungsfähigkeit dadurch keineswegs erhöht wird. Um die Richtigkeit dieser Beobachtung zu constatiren, wurden Ziegelstücke sorgfältig nach ihrer Größe sortirt und für sich allein (ohne mit Kupferlösung getränkt zu seyn) angewendet, und die aus dem erhitzten Gasgemisch ausgeschiedene geringe Chlormenge wurde notirt. Hierauf wurde ein bestimmtes Volum Kupfervitriollösung mit einer Anzahl gleich großer Ziegelstücke eingekocht, diese getrocknet, in demselben Apparate unter denselben Umständen zur Chlorentwickelung benutzt, und das hierbei erhaltene Resultat notirt. Alsdann wurden die Ziegelstücke nochmals mit Vitriollösung imprägnirt und der Versuch ward wiederholt; schließlich wurden Krystalle von schwefelsaurem Kupferoxyd selbst, von derselben Größe wie die Ziegelstücke, getrocknet und angewendet. Das Resultat war bei allen Versuchen das gleiche, d.h. in derselben Zeit war dieselbe Gewichtsmenge Chlor entwickelt worden. Bei dem mit reinen (nicht mit Vitriollösung getränkten) Ziegelstücken angestellten Laboratoriumversuche betrug die erzielbare Chlormenge nicht über drei Procent, während bei Anwendung von Kupfervitriol sämmtliches Chlor frei geworden war. Weitere Versuche haben dargethan, daß bei derselben Temperatur dieselbe Oberfläche von Kupferverbindungen in derselben Zeit dieselbe Chlormenge gibt, vorausgesetzt natürlich, daß eine genügende Quantität des heißen Gemisches von Sauerstoff (beziehungsweise atmosphärischer Luft) und Chlorwasserstoffgas zugegen ist. Die Wahrheit dieses Gesetzes für Kupferverbindungen ist innerhalb sehr weiter Grenzen nachgewiesen worden. Die Geschwindigkeit des Gasstromes und die Zusammensetzung des Gasgemisches wurden mannichfach abgeändert. Man mag die Geschwindigkeit des Gasstromes verringern, bis die Menge des entwickelten Chlors den ganzen Chlorgehalt des Chlorwasserstoffgases repräsentirt, oder man mag dieselbe verstärken, bis die entwickelte Chlormenge nur einen kleinen Procentsatz der durch die Röhren streichenden Gasmenge ausmacht, so ist das Gesammtgewicht des mittelst desselben Apparates bei derselben Temperatur und in derselben Zeit entwickelten Chlors doch constant. Natürlich fallen die Resultate abweichend aus, wenn das Gasgemisch noch andere Gase enthält, welche eine chemische Wirkung ausüben; aber durch Wasserdampf, Stickstoff, Kohlensäure und Schwefelsäure wird das erwähnte Gesetz nicht modificirt. Bei meinen Versuchen habe ich als Sauerstoffquelle fast immer die Atmosphäre benutzt; es war daher stets Stickstoff zugegen und der Wasserdampf mußte als eines der Producte der Reaction ebenfalls stets zugegen seyn. Während die Gewichtsmenge des Chlors constant bleibt, variirt der Betrag der geleisteten Arbeit nochwendig mit der Menge des durch den Apparat geströmten Chlorwasserstoffgases. Ist der Strom so langsam, daß die Reaction vollständig stattfindet, so werden 100 Proc. Chlorwasserstoffgas zersetzt werden; wenn aber die doppelte Menge dieses Gases in derselben Zeit den Apparat durchströmt, so wird nur die Hälfte desselben zersetzt, es werden also nur 50 Proc. Chlor frei werden, und ähnlich für andere Gewichtsmengen. Bei Laboratoriumversuchen benutzte ich ein gewöhnliches gläsernes Verbrennungsrohr. Dasselbe kommt in eine aus Eisenblech aufgebogene Rinne zu liegen, deren Boden man mit Eisenbohrspänen bedeckt. Zum Erhitzen des Rohres dient eine Reihe von Bunsen'schen Gasbrennern. Die Wärme wird durch das Metall der Rinne und durch die Bohrspäne verbreitet, wodurch man eine ziemlich gleichmäßige Temperatur erzielt. Die zum Füllen des Rohres verwendeten kleinen Ziegelstückchen haben ungefähr die Größe kleiner Pfefferkörner oder großer Senfkörner. Ein constanter Strom von Chlorwasserstoff wird mittelst eines Glockenapparates (wie sie zur Wasserstoffgas-Entwickelung gebräuchlich sind) aus einem Stücke Chlorammonium und concentrirter Schwefelsäure entwickelt; der Druck des entwickelten Gases verdrängt die angewendete Säure, verhindert Materialverlust und liefert das Gas unter Pressung. Den Luftstrom erhielt ich durch die umgekehrte Wirkung der Sprengel'schen Wasserluftpumpe, welche in meinem Laboratorium zum Filtriren benutzt wird. Für Versuche gewöhnlicher Art kann die Mischung der Gase dadurch regulirt werden, daß man die beiden Gasentbindungsröhren in verdünnte Chlorwasserstoffsäure tauchen läßt und die aus jeder Röhre aufsteigenden Gasblasen zählt. Haben die Röhren gleichen Durchmesser und gleiche Form, und sind dieselben gleich tief in die Säure getaucht, so kann man die Mengungsverhältnisse beider Gase ziemlich genau bestimmen. Bei Anwendung eines Verbrennungsrohres von nicht ganz zwei Fuß Länge und ungefähr einem halben Zoll Weite findet die Reaction so vollständig statt, daß die resultirenden Gase, in einer Flasche aus weißem Glase von zwei Unzen Inhalt aufgefangen, die charakteristische Farbe des Chlors deutlich zeigen. Selbstverständlich kann das Chlor mit Hülfe der gewöhnlichen Reagentien leicht nachgewiesen und bestimmt werden, wenn seine Menge viel zu gering ist, um in einer so kleinen Quantität eine deutliche Farbe zu zeigen. Bei gehöriger Sorgfalt kann dieser Versuch fortgesetzt werden, bis die erhaltene Chlormenge das vielhundertfache Aequivalent des angewendeten Kupfers beträgt; nicht eine Spur von Kupfer verflüchtigt sich dabei, und schließlich findet man den Kupfervitriol ganz unzersetzt und frei von Kupferchlorid, so daß er offenbar noch auf unbestimmt lange Zeit seinen Dienst leisten kann. Wenn man aber den Versuch durch die Röhrenwandungen hindurch von Anfang an überwacht und ein Stück Jodstärkepapier benutzt, um das erste Auftreten von Chlor in den gewaschenen Gasen zu erkennen, so bemerkt man gleichzeitig mit dem Erscheinen der ersten Chlorantheile eine Veränderung der Farbe des erhitzten schwefelsauren Kupferoxydes. Dasselbe nimmt nämlich die Färbung des erhitzten Kupferchlorids an, welche während der Dauer des Versuches constant bleibt, aber mit dem Erkalten des Rohres wieder verschwindet. Die bekannte Eigenschaft des erhitzten Kupfervitriols, Chlorwasserstoffgas zu absorbiren, steht mit dieser Erscheinung offenbar in engem Zusammenhang. Die ursprüngliche Idee des neuen Verfahrens ist mein Verdienst; aber alle Versuche, um dasselbe festzustellen und für die Fabrication im Großen anwendbar zu machen, wurden von mir seit beinahe drei Jahren in Gemeinschaft mit Dr. F. Hurter, dem Chemiker unserer Werke (in Widnes, Lancashire) und E. Darey, dem Betriebsdirigenten derselben, entworfen und ausgeführt. Wir arbeiten jetzt nach der neuen Methode in großem Maaßstabe, überzeugen uns immer mehr von dem Werthe derselben, und glauben daß die Schwierigkeiten, mit denen wir bisher zu kämpfen hatten, bald zu Ende seyn werden. Zu den ersten dieser Schwierigkeiten gehörte die Messung der Geschwindigkeit der Gase. Zur Ausführung derselben wurde hauptsächlich durch Dr. Hurter's Bemühungen ein sehr brauchbares Anemometer construirt. Dasselbe besteht in einer Uförmigen Röhre von ungefähr 1/8 Zoll lichter Weite, von deren beiden Schenkeln jeder ungefähr 10 Zoll lang ist; diese Röhre ist flach auf einer die Scala tragenden geneigten Ebene befestigt, welche mit einem horizontalen, mit Stellschrauben und einer Weingeistlibelle versehenen Gestell verbunden ist, daher sie sich beliebig heben oder senken läßt. Der verticale Lauf der Flüssigkeit ist daher über eine lange Diagonale verbreitet und die kurzen verticalen Abtheilungen werden zu langen horizontalen vergrößert. Die Empfindlichkeit des Instrumentes hängt von der im Rohre angewandten Flüssigkeit ab; dieselbe besteht hier in Aether, welcher sich für den Zweck bestens eignet. Der Meniscus tritt an der Oberfläche deutlich hervor, so daß sich die Grade mit Sicherheit ablesen lassen, und die Reibung zwischen dieser Flüssigkeit und dem Glase, sowie zwischen ihren eigenen Theilen ist so gering, daß ein Tausendtelzoll ohne Nonius deutlich abgeschätzt werden kann. Die durch die Anwendung fixer Abtheilungen auf einer variirenden Diagonale bedingten kleinen Fehler sind so unbedeutend, daß sie in der Praxis vernachlässigt werden können. Textabbildung Bd. 200, S. 403 Wir überzeugten uns von der großen Empfindlichkeit dieses Anemometers in folgender Weise. Der vorstehende Holzschnitt stellt die von uns angewendeten Glasflaschen A und B dar, welche mit Hülfe von concentrirter, mit Chlorwasserstoffgas gesättigter Schwefelsäure benutzt wurden, um das Gasgemisch durch den Experimentirapparat zu treiben. Die obere Flasche A ist mit der Säure gefüllt, die untere B enthält das Gasgemisch. Beide sind luftdicht mit einander verbunden. Die zwei Röhren f und d, wovon letztere einen Heber bildet, dienen um das Gasgemisch aus B durch das Rohr a in constantem Strom zu verdrängen. Mittelst des Rohres c wird das Anemometer mit dem Apparate verbunden. Wir beobachteten daß, so lange als die Säure aus d nicht tropfenweise hervortrat, der Druck in B, also die Geschwindigkeit der aus a hervortretenden Gase in dem Maaße allmählich abnahm, als die Säure in B stieg. Mit dem tropfenweisen Hervortreten der Säure war die Geschwindigkeit des Gasstromes aber constant. Dr. Hurter erkannte die Ursache davon darin, daß, wenn der Schwefelsäure-Faden von d bis zu der bereits in B befindlichen Säure hinabreicht, derselbe das Gewicht der im Rohre d enthaltenen Flüssigkeitssäule vermehrt, in Folge dessen sich A rascher entleert, somit also mehr Gas aus B verdrängt wird. Er half diesem Uebelstande dadurch ab, daß er das Ende des Rohres d in der bei x dargestellten Weise aufbog. Der Säurefaden wurde dann vom Rohre selbst getragen und die Säule im Heber war constant. Das nächste Hinderniß war ein ziemlich bedeutendes und die Bewältigung desselben gelang erst in der letzten Zeit. Es betraf die Temperatur der Gase, deren genaue und rasche Bestimmung innerhalb enger Grenzen von Wichtigkeit war. Die gewöhnlichen Metallthermometer, welche aus einem von einem Messingrohre umgebenen Eisenrohre oder Eisenstabe bestehen, und mit einem mechanischen Indicator für die Ausdehnungs-Differenz zwischen den zwei Metallen versehen sind, erwiesen sich bei Temperaturen über 260° C. als unzuverlässig; das Messingrohr verlängert sich sowohl bleibend, als auch unregelmäßig. Neuerdings haben wir anstatt der Röhren massive Stäbe von Messing und von Eisen angewendet, wobei das Messing auf dem Eisen liegt (während die Anordnung bisher die umgekehrte war); bis zu etwa 538° C. lassen die Angaben dieser Instrumente nichts zu wünschen übrig. Somit wurde eine sehr bedeutende Schwierigkeit durch ganz einfache Mittel beseitigt. Nach unserer Ansicht entspringen die Fehler bei den gewöhnlichen Metallthermometern dieser Classe zum Theil aus einer bleibenden Aenderung im Durchmesser des Messingrohres, welche bei jeder bedeutenderen Temperaturänderung eintritt, und zum Theil aus einem Strecken des Rohres, wenn es durch das Erhitzen weich gemacht wird. Ein massiver Stab dagegen erhitzt sich durch seinen ganzen Querschnitt gleichmäßiger, und vermag einer Veränderung seiner Dimension in der Richtung des Durchmessers besser zu widerstehen, daher er durch bloßes Erhitzen und Abkühlen nicht verändert wird. Es findet bei ihm keine Spannung der Theilchen statt, daher streckt er sich nicht, und da zwei gleichgestaltete Stäbe mit einander verglichen werden, so gleichen sich die Fehler gegenseitig ziemlich aus. Wir befürchteten eine weitere Schwierigkeit, welche sich aber als grundlos herausstellte. Natürlich ist dem Chlor viel Stickstoff beigemischt, welcher, wie wir vermutheten, bei der Chlorkalkfabrication der Sättigung des Kalkhydrates mit Chlor hinderlich seyn würde; es ist aber leicht, ein gutes Product darzustellen, – selbst wenn die Zersetzung des Gasgemisches eine nur sehr mäßige, und somit das erzeugte Chlor sehr verdünnt ist, – indem man dem zu sättigenden Kalke durch reihenweises Aufstellen der Behälter eine große Oberfläche ertheilt, und das chlorhaltige Gasgemisch zunächst mit beinahe gesättigtem Kalke in Berührung treten, dann aber über frisches Kalkhydrat streichen läßt. Die unzersetzt gebliebene Chlorwasserstoffsäure wird durch Waschen mit Wasser entfernt; die erhaltene wässerige Säure nimmt nur Spuren von Chlor auf, so daß alles erzeugte Chlor verwerthet werden kann. Die Reaction des Gasgemisches ist selbst eine Wärmequelle. Vier Volume Chlorwasserstoffgas und ein Volum Sauerstoff geben zwei Vol. Wasser und zwei Vol. Chlor, somit werden fünf Vol. auf vier Vol. reducirt. Durch den Stickstoffgehalt der als Sauerstoffquelle benutzten atmosphärischen Luft wird das Volum auf beiläufig neun Raumtheile erhöht, welche auf acht Raumtheile reducirt werden. Es werden 10679 Wärmeeinheiten entwickelt, da nach Favre und Silbermann bei der Verbindung des Sauerstoffes mit dem Wasserstoffe 34462 Wärmeeinheiten frei werden, von denen 23783 als erforderliche Verbindungswärme von Wasserstoff und Chlor abzuziehen sind. Jene Wärmemenge wird von dem vorhandenen Wasser und Stickstoff absorbirt, und dadurch wird die Temperatur allerdings erniedrigt, aber diese Wärmeentwickelung ist doch ein wesentliches Ersatzmittel der im Zersetzungsapparate durch Strahlung verloren gehenden Wärme. Nehmen wir das Chlorwasserstoffgas, wie es mittelst des gewöhnlichen Flammofens entwickelt wird, so finden wir, daß unter normalen Verhältnissen die zum Freimachen der gesammten Chlormenge hinreichende Quantität atmosphärischer Luft zugegen ist, und da man jede gewünschte Verdünnung ohne Schwierigkeit bewerkstelligen kann, so ist man der Nothwendigkeit überhoben, das Gasgemisch fortwährend controlliren zu müssen. Es fand sich bald, daß Gußeisen der Einwirkung des Chlors im Zersetzungsapparate sehr vollständig widersteht. Ein gewöhnliches eisernes Gasleitungsrohr wurde von den heißen Chlordämpfen vierzehn Tage lang durchströmt, ohne zu leiden; andere Röhren waren Monate lang in gleicher Weise der Einwirkung des Chlors ausgesetzt, ohne daß sie merklich angegriffen wurden. Die Temperatur des Gasgemisches muß sorgfältig regulirt werden; bei zu starker Hitze sublimirt Chlorkupfer; bei zu niedriger Temperatur vermindert sich die Lebhaftigkeit der Reaction und hört endlich ganz auf. Wir benutzen einen aus Ziegelsteinen construirten, mittelst Umhüllung gegen Wärmeverlust durch Strahlung sorgfältig geschützten Regulator, welcher als Reservoir zur Absorbirung und Abgabe der Ueberhitze wirkt; wir sind mit Leichtigkeit im Stande, vierundzwanzig Stunden lang ohne besondere Aufmerksamkeit einen Gasstrom zu unterhalten, dessen Temperatur um höchstens 14° C. schwankt. Von wirklichen Schwierigkeiten haben sich bis jetzt drei herausgestellt; diese sind: Erstens, das große Volum der Gase. Dieses erfordert große Apparate. Ein Fabrikant, welcher täglich 40 Tonnen schwefelsaures Natron erzeugt, hat aber täglich mit etwa 1100000 Kubikfuß dieser Gase zu thun. Bei der Fabrication der zur Darstellung dieser 40 Tonnen Sulfat erforderlichen Schwefelsäure gelangen wenigstens 3400000 Kubikfuß Gase in die Säurekammern. Die Fabrikanten chemischer Producte sind daher gewöhnt, mit sehr großen Mengen von Gasen umzugehen und wir befürchten also in dieser Hinsicht keine ernstlichen Schwierigkeiten. Zweitens, das vorläufige Erhitzen der Gase. Aus Ziegelsteinen construirte, von Außen geheizte Züge oder Canäle sind zu diesem Zwecke wegen der nicht zu vermeidenden zahlreichen Fugen und Verbindungsstellen, und wegen der durch diese bedingten Gefahr des Leckens zu verwerfen. Wir führen gegenwärtig Versuche mit einem Systeme von gußeisernen Röhren ab, und haben bei Anwendung großer Oberflächen mit mäßiger Erhitzung alle Aussicht auf günstigen Erfolg. Die dritte Schwierigkeit, welche uns aufgestoßen ist, wird dadurch bedingt, daß sich mit der Chlorwasserstoffsäure aus dem Flammofen etwas Eisen verflüchtigt, höchst wahrscheinlich in Form von Chlorverbindungen. Eigenthümlich ist der Umstand, daß sie sich erst dann absetzen, wenn sie die Kupfersalze erreichen. Bis vor Kurzem glaubten wir, daß hier lediglich eine Condensation in einem kälteren Theile des Apparates stattfand, dieß ist jedoch nicht der Fall. Die daraus erwachsende Schwierigkeit besteht darin, daß die Röhren sich allmählich verstopfen, so daß der vordere Theil des Apparates gereinigt werden muß. Wir fanden, daß das von uns für Eisenchlorid gehaltene Sublimat verschwindet, wenn die Kupfersalze hinlänglich heiß sind, und durch Eisenoxyd ersetzt wird, welches die Röhren ebenso verstopft. Wir halten es nunmehr für erwiesen, daß diese Ablagerung im ersteren Falle durch die Gegenwart von Chlor bedingt wird; denn ihre Bildung findet nur statt, wenn freies Chlor zugegen ist und dann tritt sie bald ein. Das Eisenoxyd rührt ohne Zweifel von einer in Gegenwart von Sauerstoff, Chlor und Feuchtigkeit bei höherer Temperatur stattfindenden Zersetzung jener Substanz her. Das Mittel zur Beseitigung dieses Uebelstandes, mit dessen Prüfung wir gegenwärtig beschäftigt sind, besteht in der Anwendung verticaler, über einem leeren Raume angebrachter Reinigungsröhren; wir benutzen dazu aufeinander gesetzte Drainröhren. Der Absatz ist hierbei stets pulverförmig und beeinträchtigt die Reaction der Kupfersalze durchaus nicht. Diese verticalen Canäle gestatten, daß der schwere Staub in den unter denselben befindlichen Raum hinabfällt, aus welchem er leicht entfernt werden kann; auch sind sie zur Reinigung vom oberen Theile aus leicht zugänglich. Bei Anwendung von Bleipfannen anstatt der eisernen Pfannen zur Zersetzung des Salzes würde die Anwendung von Eisen sehr beschränkt weiden und der besprochene Uebelstand wegfallen. Bei dieser Kombination der Apparate werden sie mit Hülfe des durch eine Esse hervorgebrachten Zuges angesogen, anstatt sie durch Druck zu entfernen. Die Farbe der resultirenden Gase gibt einen guten Anhaltpunkt zur Beurtheilung des Verlaufes der Zersetzung und das Verhältniß des in der Luft enthaltenen Chlorwasserstoffgases läßt sich leicht mittelst einer Handluftpumpe bestimmen, welche bei jedem Kolbenschube ein bekanntes Volum durch eine mit Lackmus gefärbte Normalalkalilösung treibt. Eine je größere Anzahl von Kolbenzügen zur Umwandlung der blauen Farbe der Alkalilösung in Roth erforderlich ist, desto mehr Luft und desto weniger Chlorwasserstoffgas ist zugegen, und umgekehrt.