Titel: | Ueber das Leukolinöl und das reine Naphtalin des Handels; von Prof. M. Ballo. |
Autor: | M. Ballo |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. LXXXVIII., S. 377 |
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LXXXVIII.
Ueber das Leukolinöl und das reine Naphtalin des
Handels; von Prof. M.
Ballo.
Ballo, über das Leukolinöl und das reine Naphtalin des
Handels.
In allen Lehrbüchern wird dem Naphtalin ein eigenthümlicher, dem Theer ähnlicher
Geruch zugeschrieben und meistens für eine charakteristische Eigenschaft dieses
Kohlenwasserstoffes gehalten. Es ist jedoch leicht nachzuweisen, daß selbst die
reinsten im Handel vorkommenden Sorten des Naphtalins noch unreines Naphtalin seyen
und daß der reine Körper schwach, und nicht unangenehm
riechend sey. Veranlaßt durch die Arbeit von Graebe und
Caro (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft
zu Berlin, Jahrg. III S. 746), welche im rohen Anthracen eine neue, von ihnen Aeridin genannte Base aufgefunden haben, unternahm ich
die Untersuchung des rohen Naphtalins in gleicher
Richtung.
Etwa 30 Kilogramme rohes, d.h. noch nicht mit Säuren und Alkalien behandeltes und von
Dr. L. C. Marquart in
Bonn bezogenes Naphtalin wurden portionenweise mit stark verdünnter Schwefelsäure im
Wasserbade ausgekocht und die erhaltenen braunen Lösungen mit Ammoniak gefällt. Es
entstand ein ziemlich starker, flockiger Niederschlag, welcher beim Trocknen in
höherer Temperatur sowohl, als auch im luftleeren Raume über Schwefelsäure stets zu
einer dunkeln, dicken Flüssigkeit zerfloß, welche einen überaus starken, dem
unreinen Naphtalin eigenen Geruch besaß. Kaliumbichromat erzeugt in den Laugen sehr
voluminöse Niederschläge, welche in höherer Temperatur zu braunen, harten Massen
eintrockneten. Aus der von dem Niederschlage abfiltrirten Flüssigkeit könnten mit
Ammoniak jedoch wieder die obigen, zerfließlichen Flocken abgeschieden werden; der
Chromsäure-Niederschlag wurde deßhalb, und seiner schwierigen Zersetzbarkeit
mit Ammoniak wegen, nicht weiter berücksichtigt.
Die durch Zerfließen des flockigen Niederschlages erhaltene ölige Flüssigkeit wurde
nun der Destillation unterworfen und das schwach bräunlich gelb gefärbte Destillat
nochmals fractionirt destillirt. Bei der ersten fractionirten Destillation stieg der
Siedepunkt von circa 120° C. langsam, aber ohne
irgendwo längere Zeit zu verweilen bis 241°; zurückblieb eine geringe Menge
braun gefärbter Flüssigkeit. Keine der aufgefangenen Portionen löste sich
vollständig in Salzsäure. Der größte zwischen 218 und 241° übergangene Antheil wurde
nochmals destillirt; derselbe begann wieder bei 140° zu kochen und bräunte
sich beim weiteren Erhitzen mehr und mehr. Die Temperatur stieg rasch auf
207° und von da an langsam aber stetig bis 240°. Bei dieser Temperatur
war der größte Theil der Flüssigkeit übergegangen, und in der Retorte blieb wieder
ein Theil des Oeles in stark gefärbtem Zustande zurück. Die schwach lichtgelben
Destillate lösten sich wieder nicht vollständig in
Salzsäure.
Bei der Destillation erfolgt demnach offenbar eine Zersetzung des Oeles. Es wurden
deßhalb alle Destillate wieder zusammengethan, mit verdünnter Salzsäure
ausgeschüttelt, die erhaltenen Lösungen von den indifferenten Oelen abgegossen und
mit Ammoniak gefällt: es entstand zunächst eine starke, milchige Trübung, aus
welcher sich alsbald die Oeltropfen am Boden des Gefäßes ansammelten. Diese
Oelschicht war trüb und in Salzsäure vollständig und sehr
leicht löslich. Im Vacuum wurde sie klar, färbte sich
aber etwas dunkel. Dieß geschieht auch bei längerem Aufbewahren des Oeles, welches
ich, aus unten anzugebenden Gründen Leukolinöl nenne
(entsprechend dem Anilinöl).
Bei der Destillation des Leukolinöles wurden dieselben
Beobachtungen gemacht wie die oben beschriebenen. Es mußte demnach die
Hoffnung aufgegeben werden, auf diesem Wege zu einem reinen Producte zu
gelangen.
Da nun das durch Ausfällen mit Ammoniak erhaltene Oel ein Gemisch verschiedener Basen
zu seyn scheint, so wurde weiter versucht, mit Hülfe ihrer Salze eine Trennung
derselben herbeizuführen Die Lösung des Oeles in verdünnter Salzsäure wurde
eingedampft und dann unter dem Exsiccator über Schwefelsäure hingestellt: aber erst
nach monatelangem (etwa 5 Monaten) Stehen erstarrte der Syrup zu einer braunen
pflasterartigen Masse, welche von Krystallen durchsetzt war. Dasselbe geschah mit
der Lösung in verdünnter Schwefelsäure. Schließlich wurde in eine Lösung von
Oxalsäure in Wasser so viel des Oeles eingetragen, als von der Oxalsäurelösung davon
aufgenommen wurde und der Ueberschuß mit Wasserdämpfen weggeblasen. Aber auch aus
dieser Lösung konnte nach dem Abdampfen bis zur Syrupconsistenz und nach
wochenlangem Stehen keine Krystallisation erhalten werden. Dieselbe erfolgte erst
nach Ablauf der oben angegebenen Zeit. Das schwefelsaure Salz fiel aus der
ätherischen Lösung des Oeles nach Zusatz einiger Tropfen verdünnter Schwefelsäure in
Form eines gelbbraunen Oeles nieder, und in der stark sauren Lösung des
schwefelsauren Salzes in Wasser, erzeugte Kaliumbichromat einen gelben, mit der Zeit
sich vermehrenden, voluminösen Niederschlag.
Rothes Lackmuspapier bläut das Oel nicht und auf
Fließpapier erzeugt es einen Fettflecken. Mit Wasserdämpfen ist es leicht
überdestillirbar.
Alle diese Eigenschaften ließen vermuthen, daß das Oel Leukolin enthält, welches nach Hofmann im
Allgemeinen die oben angegebenen Eigenschaften besitzt. Die Anwesenheit des
Leukolins in dem Oele wurde ferner durch die Darstellung des Platindoppelsalzes und
des Cyanins nachzuweisen getrachtet.
In der Lösung des Leukolinöles in verdünnter Salzsäure erzeugt Platinchlorid einen
gelben Niederschlag, welcher sich nach und nach vermehrt; aus der davon abfiltrirten
Flüssigkeit krystallisirten nach einigen Tagen weitere Portionen des Platinsalzes in
langen, federförmig gruppirten, orangegelben Nadeln, welche im leeren Raume über
Schwefelsäure und dann bei 100° C. getrocknet, einen Platingehalt von 28,03
zeigten; (C¹⁰H⁹NHCl)²PtCl⁴ verlangt 28,3 Procent
Pt. Der zuerst entstandene Niederschlag wurde aus
Alkohol umkrystallisirt, worin er sich auch bei der Anwendung einer 500 fachen
Alkoholmenge nicht vollständig löste; der ungelöste heller gefärbte Rückstand
enthielt 29,2 Proc. Pt, der aus Alkohol
herauskrystallisirte 29,7 Proc., – beide bei 100° getrocknet. Das Oel
scheint demnach aus einem Gemenge von Leukolin und Lepidin zu bestehen Das
Platinsalz des ersteren verlangt nämlich 29,3 Proc. Platin.
Der verschiedene Platingehalt dieser Niederschläge, sowie vorzüglich der Umstand, daß
das Oel keinen constanten Siedepunkt besitzt, während das Leukolin doch unverändert
bei 239° kocht, lassen mich vermuthen, daß hier ähnliche Vorgänge stattfinden
wie jene, welche neulich Claus (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CLVIII S. 222)
bei der Darstellung des Picolins aus Acroleinammoniak beobachtete. Die Absicht mein
Leukolinöl anderweitig zu verwenden, veranlaßt mich jedoch die Verfolgung dieses
Gegenstandes aufzugeben.
Das Leukolinöl verwandelt sich nach der Behandlung mit Jodamyl und Kalilauge –
nach Williams' Vorschrift – in einen violetten
Farbstoff, welcher, wie es scheint, mit dem aus Cinchonin-Chinolin
dargestellten identisch ist. Die Angabe Williams', daß
das Chinolin des Steinkohlentheeres – das sogen. Leukolin – unter den
angegebenen Umständen keinen Farbstoff liefert, steht mit
meinen Erfahrungen im Widerspruch. Es eröffnet sich demnach den Cyaninfabrikanten eine neue, und ich glaube eine
billigere Quelle zur Erlangung ihres Rohmateriales, welches bekanntlich bisher nur
sehr schwierig aus dem Theere dargestellt werden konnte. Die
Schwefelsäure-Auszüge, also bisher werthlose Nebenproducte der Naphtalinraffinerien, können
hierzu benutzt werden, wenn zum ersten und zweiten, vielleicht noch dritten (bei
meinen Versuchen gaben die vierten und fünften Auszüge mit Ammoniak keine
nennenswerthen Mengen der Basen mehr) Auskochen des rohen Naphtalins keine zu stark
concentrirte Säure, und zur Sättigung derselben statt Ammoniak billigere Basen
verwendet werden.
Was nun das im Handel vorkommende, sogenannte „reine“ Naphtalin
anbelangt, so läßt sich sehr leicht nachweisen, daß demselben noch kleine Mengen des
Leukolinöles anhaften. So erhielt ich beim Auskochen des von F. Gerhartz in Cöln in den Handel gebrachten, anscheinend
sehr reinen Naphtalins mit verdünnter Schwefelsäure Lösungen, in welchen
Kaliumbichromat allsogleich eine Färbung, und nach längerem Stehen einen bedeutenden
Niederschlag erzeugte. Das Naphtalin selbst erschien nach dem Erstarren röthlich
gefärbt und hatte nach nochmaligem Auskochen den scharfen Geruch gänzlich verloren
und dafür einen schwachen, nicht unangenehmen angenommen. Bekanntlich nimmt das
reine Naphtalin des Handels bei der Darstellung der Sulphonaphtalinsäure eine
eigenthümliche Rothfärbung an, – dieselbe mit welcher sich das Leukolinöl in
der Schwefelsäure löst. Die Lösung des Leukolinöles in concentrirter Schwefelsäure
nimmt beim Erhitzen im Wasserbade einen violetten Schimmer an; beim stärkeren
Erhitzen wird sie beinahe schwarz und nach dem Verdünnen mit Wasser setzt sich
langsam ein schwarzer Niederschlag ab.
Pest, im November 1871.