Titel: Ueber Anwendung des Carr'schen Zerkleinerers in der Müllerei.
Fundstelle: Band 202, Jahrgang 1871, Nr. XCVII., S. 398
Download: XML
XCVII. Ueber Anwendung des Carr'schen Zerkleinerers in der Müllerei. Aus der deutschen Industriezeitung, 1871, Nr. 47. Mit einer Abbildung. Ueber Anwendung des Carr'schen Zerkleinerers in der Müllerei. In der dießjährigen Versammlung der British Association hielt Hr. Carr, der Erfinder der von ihm Desintegrator benannten Vorrichtung zum Zerkleinern von Rohmaterial aller Art,Der Carr'sche Zerkleinerer (Schleudermühle) ist nach der von Hanrez und Comp., Maschinenbauer zu Monceau-sur-Sambre in Belgien, verbesserten Construction im polytechn. Journal Bd. CCI S. 387 (erstes Septemberheft 1871) nach beigegebener Zeichnung beschrieben. einen Vortrag über die Anwendung seiner Maschine in der Müllerei. Die in demselben angeführten erstaunlichen Resultate wurden in der auf den Vortrag folgenden Discussion durch das Zeugniß sehr bekannter Ingenieure als ganz wahrheitsgetreu festgestellt, und dürfte es darnach kaum noch einem Zweifel unterworfen seyn, daß wir hier vor einer Epoche machenden Erfindung stehen. Im Folgenden geben wir das Wissenswertheste aus dem Carr'schen Vortrage wieder. Von Alters her ist es für eine hochwichtige Frage gehalten worden, wie Getreide am besten für die Fabrication unseres Hauptnahrungsmittels, des Brodes, präparirt werden könne. Alle bis jetzt bekannten Vorrichtungen zur Mehlbereitung, von der ältesten bis zu der neuesten, gründen sich auf das Princip, daß das Getreide zwischen zwei Flächen gebracht wird, die es zerkleinern, dabei aber sich selbst abnutzen und fortwährende Sorgfalt in Bezug auf ihre Stellung gegeneinander erfordern, auch viel Arbeit dadurch verursachen, daß die Oberflächen mit Mühe wieder in den vortheilhaftesten Arbeitszustand gebracht werden müssen. Ganz anders aber ist dieß in Carr's Mühle. Dieselbe besteht aus einer Reihe von Stäben, welche auf zwei parallelen und runden Scheiben in gleichmäßigen Zwischenräumen cylindrisch und in concentrischen Ringen angebracht sind. Ein Ende jedes Stabes desselben Ringes ist in die eine Scheibe solid befestigt und das gegenüberliegende Ende des nächstfolgenden Cylinders von Stäben ist an die gegenüberstehende Scheibe befestigt. Solcher ineinandergreifender Stabcylinder sind in den bis jetzt ausgeführten Mahlmühlen vierzehn angebracht. Die beistehende Abbildung zeigt den Schnitt von etwas mehr als der Hälfte einer solchen Vorrichtung, wobei zu bemerken, daß die drei ersten Ringe, von der Achse aus gezählt, alle auf derselben Scheibe angebracht sind. Carr nennt jede solche mit Stäben besetzte Scheibe einen Käfig. Textabbildung Bd. 202, S. 399 Diese beiden Käfige also sitzen jeder fest auf einer in derselben Achse liegenden am liebsten horizontalen Welle und diese beiden Wellen rotiren in entgegengesetzter Richtung, wobei also die verschiedenen cylindrischen Stabringe fast ihrer ganzen Länge nach in einander greifen. Diese Stäbe der beiden Scheiben berühren sich aber keineswegs, sondern sind soweit von einander entfernt, daß ein früheren Systemen ähnliches Mahlen unmöglich ist. Die Bewegung wird den beiden Wellen durch einen offenen und einen gekreuzten Riemen mitgetheilt, und die Zahl der Umdrehungen ist eine sehr hohe. Der Weizen fließt durch die Oeffnung nach der Achse des Apparates zu, und die Centrifugalkraft treibt ihn nach der Peripherie der Scheiben, wo er, durch ein Gehäuse zurückgehalten, als Mehl niederfällt. Die Zahl der Stäbe beträgt etwa 1000; das Getreide wird mit großer Gewalt durch die Centrifugalkraft nach außen geworfen und begegnet, bis es ganz durchgegangen ist, fortwährend wiederholten heftigen Schlägen in ganz entgegengesetzen Richtungen, welche es zu Mehl und Kleie reduciren. Je weiter sich das Getreide vom Centrum entfernt, desto stärker werden die Schläge, da die Centrifugalkraft des Getreides einerseits und die Umfangsgeschwindigkeit der Stäbe andererseits nach der Peripherie zu immer größer werden. Es ist klar, daß zwischen dem Material und der Maschine in diesem Falle keine Reibung besteht, welche in anderen Mühlen so viele Kraft fortnimmt, noch verschwenden die schlagenden Stäbe ihre Kraft ähnlich einem Hammer auf dem Amboß, sondern sie geben nur eben gerade so viel Arbeit ab, als das Getreide zu seiner Zerkleinerung erfordert. Das Interessanteste an dieser Maschine ist, daß dieselbe durch die geleistete Arbeit ganz und gar nicht arbeitsuntauglicher wird, und das unterscheidet sie von ziemlich allen anderen Maschinen. Die Abnutzung der Stäbe welche von gehärtetem Stahl gemacht werden können, ist an und für sich fast Null und hat auf die Leistung der Maschine absolut keinen Einfluß. Man kann sagen, die Maschine wird durch den Gebrauch besser, da die Lager besser arbeiten, wenn sie sich eingelaufen haben. Diese Lager allein erfordern einige Aufmerksamkeit; sie müssen sorgfältig montirt und gut geschmiert gehalten werden. Sie sind auch der einzige Theil, der hier und da Adjustirung oder Erneuerung verlangt, doch natürlich auch nur in großen Zeitzwischenräumen. Die jetzt in täglichem Betrieb befindliche Mühle der HHrn. Gibson und Walker bei Edinburgh mahlt 29 Quarters Weizen pro Stunde, ersetzt also etwa 25 Mahlgänge. Die Procentzahl an erhaltenem Mehl ist ungefähr dieselbe wie die durch die üblichen Mahlgänge erhaltene, dagegen ist die Qualität eine entschieden viel bessere, da es in einem feiner granulirten Zustand die Mühle verläßt und nicht durch reibenden Druck zu fein und unfühlbar gemacht ist. Das nach Carr sogenannte desintegrirte Mehl gibt einen schöneren Teig und, wenn gebacken, ein leichteres, besser haltendes Brod. Die HHrn. Gibson und Walker, in deren Etablissement in Schottland eine solche Maschine nun seit langer Zeit in erfolgreicher Thätigkeit ist, gestatten Fremden, wenn sie mit Empfehlungsschreiben kommen, gern die Besichtigung der Einrichtung. Diese Herren theilen mit, daß sie für das desintegrirte Mehl 5 Sh. (1 2/3 Thlr.) pro Sack mehr erhalten können als für Mehl aus demselben Weizen, der nach altem System gemahlen ist. Hr. Ingenieur Bramwell theilte nach beendigtem Vortrag mit, daß er sich mit anderen Mitgliedern der mechanischen Section der British Association nach der Mühle der HHrn. Gibson und Walker begeben habe und dort in Verbindung mit dem Prof. Jenkin und mit Ed. Easton umfassende Versuche angestellt habe. Die Maschine braucht, wenn sie 20 Quarters – 5800 Liter pro Stunde mahlt, 145 indicirte Pferdekräfte und wenn die Fabrication auf 15 Quarters verringert wurde, 123 Pferdekräfte, leergehend 63 Pferdekräfte. Dabei machte die Maschine 400 Umdrehungen pro Minute. Zur Verarbeitung von 20 Quarters nach dem alten System braucht es etwa 200 Pferdekräfte, mithin ist fast 1/3 Ersparniß von Betriebskraft zu Gunsten des Desintegrators zu constatiren. Als fernerer großer Vortheil wird angeführt, daß der von dieser einen Maschine eingenommene Raum von 12 Fuß auf 8 Fuß bedeutend kleiner ist als der für die 25 Mahlgänge, welche sie ersetzt, ebenso daß viel weniger Feuersgefahr vorhanden ist als bei früheren Einrichtungen. Die Maschine ist in ihrer Anwendung zur Zerkleinerung von aller Art von Material seit einiger Zeit wohl bekannt und geschätzt, z.B. als Knochenmühle, ferner zum Zerkleinern von Kohlen für die Fabrication von Briquettes, zur Zerkleinerung von Erzen, besonders Zinkerzen, von Zucker und zum Mischen verschiedener Zuckerarten, zum Zerkleinern und Mischen von Asphalt, von Knochenkohlen, von Cement, Porzellanerde, zur Düngerfabrication, zur Rübenzerkleinerung, zur Zerkleinerung des Materiales zu feuerfesten Ziegeln etc., des Thones zu anderen Ziegeln, kurz für jede Industrie, in der die Zerkleinerung irgend welchen Materiales bis zu irgend einem beliebigen Grad nöthig ist. Viele Hunderte solcher Maschinen sind im Gang. Zu weiteren Auskünften ist Unterzeichneter gern bereit. Heinrich Simon, Civilingenieur in Manchester, 7 St. Peters Square.