Titel: Untersuchungen über das unsichtbare photographische Bild; von Dr. Hermann Vogel.
Fundstelle: Band 202, Jahrgang 1871, Nr. CVII., S. 453
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CVII. Untersuchungen über das unsichtbare photographische Bild; von Dr. Hermann Vogel. Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1871, Nr. 15. Vogel, über das unsichtbare photographische Bild. Die Bilder, welche auf Jodsilberplatten in der Camera obscura erzeugt werden, sind bekanntlich anfangs unsichtbar und werden erst sichtbar durch Quecksilberdämpfe oder durch einen Silberniederschlag im Entstehungszustande, indem man die Platte in eine frische Mischung von Eisenvitriol und Silbernitrat legt. In beiden Fällen schlägt sich das Metall (feinzertheiltes Ag oder Hg) auf den Stellen nieder, welche vom Lichte getroffen worden sind, indem das Jodsilber durch die Belichtung die Fähigkeit erlangt, Silbertheilchen und Quecksilbertheilchen anzuziehen und festzuhalten. Man nennt diesen secundären Proceß den Entwickelungsproceß. Jodsilber, welches mit Ueberschuß von Jodkalium gefällt ist, ist lichtunempfindlich (Schnauß) oder doch sehr wenig lichtempfindlich (Lea). Das mit Ueberschuß von Silbersalz gefällte Jodsilber ist dagegen höchst lichtempfindlich. Lichtunempfindliches Jodsilber wird durch Benetzen mit Silberlösung sofort lichtempfindlich, ebenso wirken Tannin, Pyrogallussäure, Gallussäure (Poitevin), Blutlaugensalz (Hunt). 1865 erkannte ich, daß diese Lichtempfindlichmacher oder Sensibilisatoren alle eine gemeinsame Eigenschaft haben: sie binden sehr energisch freies Jod, und wies ich nach, daß alle anderen jodbindenden Körper, welche keine Zersetzung auf Jodsilber an sich ausüben, die Veränderung des Jodsilbers im Lichte ebenfalls sehr energisch befördern. Dadurch wurde es wahrscheinlich, daß Jodsilber sich analog dem chromsauren Kali verhält, d.h. daß es nur lichtempfindlich ist bei Gegenwart eines Körpers, der sich mit einem der bei der Belichtung freiwerdenden Bestandtheile verbindet. Darnach geht bei der Belichtung eine Reduction des Jodsilbers vor sich, indem sich ein Silberjodür bildet und Jod chemisch von den gegenwärtigen Körpern gebunden wird. Neuere Untersuchungen haben diese Erfahrungen bestätigt, dabei aber einen auffälligen Unterschied in dem chemischen Verhalten des Jodsilbers im Lichte ergeben, je nachdem dasselbe unter Silbersalz oder unter einem der anderen genannten Körper dem Lichte ausgesetzt wird. Unter Höllenstein belichtetes Jodsilber verliert durch Behandeln mit Jodkaliumlösung den Lichteindruck vollständig. Es ist unmöglich, nachher in der oben genannten Weise ein Bild darauf zu entwickeln. Ich erkannte dieß schon vor 7 Jahren (man s. photographische Mittheilungen, Heft 2, S. 22). Unter Blutlaugensalz belichtetes Jodsilber dagegen verliert durch Jodkaliumlösung, wie ich neuerdings beobachtete, den Lichteindruck nicht. Die Ursache dieser Erscheinung dürfte in der eigenthümlichen Reaction des Jods auf Höllensteinlösung zu vermuthen seyn. 2AgJ zersetzen sich in Ag²J und J, letzteres bildet mit Silbersalz sofort Jodsilber und jodsaures Silber neben freier Salpetersäure: 6J + 6AgNO³ + 3H²O = AgJO³ + 5AgJ + 6HNO³. Geht diese Reaction bei Einwirkung von Licht vor sich, so wird das entstandene AgJ bei Gegenwart eines AgNO³-Ueberschusses sofort weiter reducirt und bildet dann Silberjodür. Die Reaction geht daher vor sich, wie folgt: 14AgJ + 12AgNO³ + 6H²O = 12Ag²J + 2AgJO³ + 12HNO³         [1] Die Stellen wo das Licht gewirkt hat, d.h. das unsichtbare Bild, enthalten demnach Silberjodür, Silberjodat und freie Salpetersäure. Ganz anders ist die Zersetzung bei Gegenwart von gelbem Blutlaugensalz. Dieses geht bei Aufnahme von Jod aus dem Jodsilber in rothes Blutlaugensalz und Jodkalium über: 2AgJ + K⁴FeCy⁶ = Ag²J + K³FeCy⁶ + KJ.         [2] Nun ist es bekannt, wie leicht Jodate in Berührung mit Jodiden bei Gegenwart freier Säure freies Jod liefern. Diese Reaction geht auch vor sich, wenn Jodkalium auf das unter Silberlösung erzeugte Jodsilberbild (Gleichung 1) wirkt, und das so entstandene freie Jod verwandelt das Silberjodür sofort wieder in Jodid und das Bild verschwindet; die rechte Seite der Gleichung 1 ergibt dieses sofort, wenn man 12 KJ hinzuaddirt: 12Ag²J + 2AgJO³ + 12HNO³ + 12KJ = 26AgJ + 12KNO³ + 6H²O. Solche Reaction ist natürlich bei dem unter Blutlaugensalz reducirten Jodsilber nicht möglich (siehe rechte Seite der Gleichung 2), da unter den gegebenen Bedingungen Jodkalium und rothes Blutlaugensalz sich gegenseitig nicht zersetzen. Lea beobachtete, daß der unter Silberlösung (siehe Gleichung 1) entstandene Lichteindruck bei längerem Stehen im Dunkeln wieder verschwindet. Er ist deßhalb der Meinung, daß die Veränderung des Jodsilbers im Licht nur eine physikalische sey. Es ist aber chemisch sehr leicht erklärbar, daß die Zersetzung wie in Gleichung 1 auch im umgekehrten Sinne erfolgen, d.h. die linke Seite der Gleichung wieder in die rechte Seite sich umsetzen kann. Diese Erscheinungen erleiden aber eine sehr erhebliche Störung, wenn die Silberlösung, unter welcher Jodsilber belichtet wird, nicht rein ist. Solcher Fall ist in der Praxis sehr häufig. Das Collodium welches als Träger des Jodsilbers dient, enthält Spuren von Nebenproducten der Pyroxylinfabrication, vielleicht Dextrin, Glucose, Nitroglucose etc. Diese sammeln sich in dem Silberbade, in welches die Collodium-Platten getaucht werden, an und schließlich erweisen sich die in solchem altem Bade präparirten Platten sehr wenig empfindlich. Der Lichteindruck auf solche bei Gegenwart von organischen Substanzen unter Silberlösung belichtete Jodsilberplatten wird durch Jodkalium nicht zerstört, während wie oben gezeigt wurde, der unter einer Silberlösung entstandene Lichteindruck durch Jodkalium verschwindet. Ganz geringe Mengen von organischen Zersetzungsproducten reichen schon zur Erzeugung gedachter abnormer Wirkung eines Silberbades hin. Bei einem Versuche mit solcher verunreinigten Silberlösung, deren Rauminhalt 1200 Kubikcentimeter und deren Silbersalzgehalt 10 Proc. betrug, genügten 6 Tropfen, d.h. 0,006 übermangansauren Kalis, um die störenden Substanzen zu zerstören und die Silberlösung wieder in normalen Zustand zu versetzen. Merkwürdig und für jetzt noch nicht gut erklärbar ist es, daß auch gelbes Blutlaugensalz den unter Silbersalz entstandenen Lichteindruck zerstört, während doch auf der anderen Seite gerade dasselbe Blutlaugensalz die Veränderung des Jodsilbers im Lichte sehr entschieden befördert. (Gleichung 2.) Die Zersetzung welche bei Gegenwart anderer jodbindenden Körper während der Belichtung des Jodsilbers vor sich geht, ist der in Gleichung 2 angegebenen analog. Meistens entsteht ein Oxydationsproduct und ein Körper vom Typus der Jodwasserstoffsäure, so z.B. mit schwefligsaurem Natron: 4AgJ + Na²SO³ + H²O = Na²SO⁴ + 2HJ + 2Ag²J.         [3] Vergleicht man Gleichung 1 mit 2 und 3, so ergibt sich, daß 14 Aeq. Jodsilber bei der Belichtung unter Silberlösung 12 Aeq. Silberjodür liefern, unter Blutlaugensalz und anderen Körpern dagegen nur 7. Daher erklärt sich's, warum das unter Silbersalz entstandene Bild viel intensiver ist, als die Bilder welche unter anderen Sensibilisatoren entstehen, und daher zieht man in der photographischen Praxis Silbersalzlösung allen anderen Sensibilisatoren vor.