| Titel: | Ueber die Erstarrungstemperatur des Anilins nach Dr. E. Lucius; von Prof. A. W. Hofmann. | 
| Fundstelle: | Band 204, Jahrgang 1872, Nr. XXXIX., S. 157 | 
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                        XXXIX.
                        Ueber die Erstarrungstemperatur des Anilins nach
                           								Dr. E. Lucius; von Prof. A. W. Hofmann.
                        Hofmann, über die Erstarrungstemperatur des Anilins.
                        
                     
                        
                           Nach dem, was die Lehrbücher über diese Frage sagen, soll das Anilin bei –
                              									20° C. noch flüssig bleiben, aber in einer Mischung von Aether und fester
                              									Kohlensäure zu einer krystallinischen Masse erstarren. Ich fürchte fast, daß ich
                              										selberHofmann, Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd.
                                    											XLVII S. 49. für diese Angaben verantwortlich bin; um so angenehmer ist es mir, daß mir
                              									die freundliche Mittheilung, welche mir Hr. Dr. Lucius von seinen Beobachtungen gemacht hat, Gelegenheit
                              									bietet, zu berichtigen, was irrthümlich in diesen Angaben ist.
                           Im Laufe dieses Winters beobachtete Hr. Lucius, daß das
                              									Anilin in einigen großen Vorrathsflaschen fest geworden war. Da man in den
                              									großartigen Werkstätten der HHrn. Meister, Lucius und Brüning zu Höchst ein Erstarren des Anilins früher
                              									niemals wahrgenommen hatte, so vermuthete Hr. Lucius
                              									zunächst eine Ausscheidung von Toluidin oder einer anderen festen Verbindung. Bei
                              									näherer Prüfung ergab es sich aber, daß der starre Körper aus Anilin und zwar aus
                              									sehr reinem Anilin von dem Siedepunkt 182 bis 183° C. und dem
                              									Volum-Gewicht 1,024 bei 17,5° C. bestand. Der Schmelzpunkt des starren
                              									Anilins erwies sich bei – 8°, und bei Abkühlung auf diese Temperatur
                              									fing die geschmolzene Masse auch wieder an fest zu werden. Als man eine größere
                              									Menge derselben destillirte und das Destillat in Fractionen aufsammelte, zeigten die
                              									ersten wie die letzten Fractionen genau dasselbe Verhalten.
                           Als mir Hr. Lucius vor einigen Tagen eine Flasche des
                              									leicht erstarrenden Anilins zur Verfügung stellte, haben wir den Versuch in meinem
                              									Laboratorium genau mit dem eben erwähnten Erfolge wiederholt. Bei dieser Gelegenheit
                              									wurden denn auch einige andere Anilinproben welche zur Verfügung standen, einer Prüfung unterworfen,
                              									so eine kleine Menge Anilin, welche noch aus Isatin gewonnen worden war, ferner ein
                              									absolut reines Anilin, welches Hr. Dr. Geyger aus Hydrazobenzol dargestellt hatte, endlich aus
                              									niedrig siedendem Handelsproducte durch mehrfache Destillation gereinigtes Anilin.
                              									Sämmtliche Proben reinen Anilins, welche dem Versuche unterworfen wurden, erstarrten
                              									bei genau derselben Temperatur wie das Höchster Präparat, aber auch nur die reinen
                              									Proben, denn Proben von nur mäßig höherem Siedepunkte zeigten die Erscheinung
                              									nicht.
                           Diese Wahrnehmung erklärt sehr einfach, wie ich zu der irrthümlichen Meinung gelangen
                              									konnte, das Anilin erstarre noch nicht bei – 20° C. Meine
                              									Beobachtungen wurden mit einem direct aus dem Steinkohlentheer gewonnenen Anilin
                              									(Kyanol) angestellt, welches mit dem damals 1843 noch nicht aufgefundenen Picolin
                              									verunreinigt war. Auffallender muß es erscheinen, daß man in den Anilinfabriken dem
                              									Anilin nicht häufiger im festen Zustande begegnet. Nach Mittheilungen des Hrn. Dr. Martius hat sich in
                              									Rummelsburg das Anilin selbst bei der niedrigsten Temperatur des letztverflossenen
                              									Winters stets flüssig erhalten. Dieß mag einerseits dem Umstande zuzuschreiben seyn,
                              									daß das fabrikmäßig dargestellte Anilin selten absolut rein, namentlich frei von
                              									flüssigem Toluidin ist, dann aber auch der Thatsache, daß sich das Anilin weit unter
                              									seine Erstarrungstemperatur abkühlen läßt, ohne fest zu werden, dann aber bei der
                              									Berührung mit einem festen Körper plötzlich erstarrt.
                           Wie dem aber auch sey, die Beobachtung des Hrn. Lucius
                              									beseitigt die Anomalie, welche der Erstarrungspunkt des Anilins zu bieten schien,
                              									insofern man denselben bei extremen Temperaturen unter 0° gelegen glaubte,
                              									während doch die so nahe stehenden Verbindungen Benzol und Phenol, die eine bei +
                              									3° C., die andere bei + 35° C., also beide oberhalb der
                              									Erstarrungstemperatur des Wassers, in den festen Zustand übergehen. (Berichte der
                                    									deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1872, Nr. 4.)