Titel: Ueber das krystallisirte oder verbrannte Stabeisen; von H. Caron.
Fundstelle: Band 204, Jahrgang 1872, Nr. LV., S. 213
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LV. Ueber das krystallisirte oder verbrannte Stabeisen; von H. Caron. Aus den Comptes rendus, t. LXXIV p. 662; März 1872. Caron, über das krystallisirte oder verbrannte Stabeisen. Ueber die Eigenschaften des Stabeisens sind viele Theorien aufgestellt worden, welche auf unvollkommene, ohne weitere Bestätigung als richtig angenommene Beobachtungen gegründet sind; ein derartiges Verfahren hemmt aber häufig weitere Fortschritte der Metallurgie, indem es von dem richtigen Wege der Vervollkommnung ablenkt. Ich hoffe einigen Nutzen zu stiften, indem ich einige dieser zu leichthin angenommenen Ansichten berichtige. Eines der eingewurzeltsten Vorurtheile ist das folgende: Wenn man eine Stange von gutem, sehnigem und festem Stabeisen zur saftigen Schweißhitze anwärmt und sie dann, ohne sie mit dem Hammer zu bearbeiten, an der Luft erkalten läßt, so zeigt das Metall nachher sowohl Rothbruch als Kaltbruch und auf der Bruchfläche sehr entwickelte krystallinisch-blätterige Textur. Solches Stabeisen bezeichnet man als verbrannt und nimmt allgemein an, daß das Metall Sauerstoff absorbirt hat. Selbst Karsten ist in seiner „Eisenhüttenkunde“ der Ansicht, daß das Eisen in diesem Zustande wohl zu einem niedrigeren Oxyde von unbekannter Zusammensetzung umgewandelt seyn könne. Dieser Hypothese wird noch heutzutage gehuldigt. Ich glaubte zunächst zur directen Analyse Zuflucht nehmen zu müssen, um die materielle Ursache dieser Erscheinung festzustellen; ungeachtet aller meiner Bemühungen war ich jedoch nicht im Stande, auf diesem Wege zu einem entscheidenden Resultate zu gelangen. Das Stabeisen enthält sowohl vor, wie nach dem Ueberhitzen immer Sauerstoff, Kohlenstoff, SiliciumIch rede hier, wohlverstanden, nur von solchem Eisen, in welchem diese Substanzen zugegen sind, denn es gibt auch ganz reine Stabeisensorten. etc. etc.; aber die, übrigens sehr geringen Mengen dieser fremden Körper waren bei gutem Eisen niemals verschieden genug von den im verbrannten Eisen enthaltenen, daß mir meine Analysen sichere Schlüsse in dieser Hinsicht zu ziehen gestattet hätten. Ich ging daher zu directen Versuchen über, deren Ergebniß ich im Nachstehenden mittheile. Eine Stange aus Franche-Comté-Stabeisen, dessen Güte und dessen sehnige Eigenschaften (auf dem Bruche) vorher durch alle gebräuchlichen Mittel festgestellt worden waren, wurde in mehrere Stücke zerschroten. Einige derselben wurden in einem gewöhnlichen Schmiedefeuer zur Schweißhitze angewärmt; andere wurden in Porzellanröhren in einem Strome von Stickgas und andere in einem von Wasserstoff (annähernd) derselben Temperatur ausgesetzt. Nach dem unter gleichen Verhältnissen erfolgten Erkalten zeigten sämmtliche Stücke, ohne Ausnahme, auf ihrem Bruche das krystallinische Ansehen des verbrannten Eisens. Bei Rothgluth ausgeschmiedet und kalt zerbrochen, zeigten sie ziemlich dieselben Eigenschaften und dieselben Fehler; beim Erhitzen zur Schweißgluth nahmen sie ihre ursprüngliche Beschaffenheit fast vollständig wieder an. Da sich demnach das sogenannte verbrannte Eisen ebenso gut in einer oxydirenden, als in einer indifferenten und in einer reducirenden Atmosphäre erhalten läßt, so darf man nach meinem Dafürhalten annehmen, daß die in Rede stehende Verschlechterung des Metalles nicht von der Absorption eines besonderen Gases herrührt, sondern bloß von der seine Molecularconstitution modificirenden Einwirkung der Hitze bedingt wird. Man behauptet auch, das Stabeisen werde in Folge von Schwingungen, denen es ausgesetzt ist, krystallinisch und brüchig. Ich brauche mich bei diesem Gegenstande nicht weiter aufzuhalten, denn die auf den Eisenbahnen gemachten Versuche, namentlich diejenigen des verstorbenen de Sénarmont und des Hrn. le Chatelier haben gezeigt, daß die Achsenbrüche sich stets entweder durch die schlechte Form der Stücke oder durch die schlechte Beschaffenheit welche das Eisen schon vor seiner Verwendung hatte, erklären lassen. Es existirt noch ein anderes Vorurtheil, welches wo möglich noch mehr Glauben gefunden hat, aber kaum gerechtfertigter erscheint. Das Stabeisen soll nämlich in Folge des Einflusses der Kälte unserer Winter krystallinisch und brüchig werden. Diese Ansicht hat ebenfalls ihren Ursprung in dem krystallinischen Ansehen der Stabeisenstücke, der Achsen oder anderer Theile, welche unter den erwähnten Temperaturverhältnissen gebrochen sind. Daß im Winter mehr Achsenbrüche auf Eisenbahnen vorkommen, daß Knochenbrüche bei Menschen und Thieren im Winter häufiger sind, als im Sommer, ist unbestreitbar; aber die Ursache dieser Unfälle beiderlei Art kann sehr wohl in der größeren Härte des Bodens und in der Steifigkeit der Gelenke liegen, somit in den stärkeren Stößen welche die exponirten Theile auszuhalten hatten. Dabei berechtigt Nichts zu der Annahme, daß die in den gebrochenen Eisenstücken nachgewiesene Krystallisation die Folge einer Temperaturerniedrigung sey. Uebrigens müßte man dann auch annehmen und beweisen, daß ein z.B. bei – 20° C. krystallinisch gewordener Eisenstab bei + 20° seine sehnige Textur wieder annimmt. Diese Betrachtungen würden vielleicht hinreichen, um sich von der Wirkung der Kälte auf das Eisen Rechenschaft zu geben; ich habe aber noch die nachstehenden Versuche gemacht: Mehrere Stücke von dem oben erwähnten guten Stabeisen wurden in der Kunsteisfabrik von C. Tellier zu Auteuil über vier Monate lang Temperaturen ausgesetzt, welche von 0° bis –18° C. variirten; andere blieben während der großen Kälte des vorigen Winters, d.h. bei einer Temperatur von ungefähr 20° C. unter Null, an freier Luft liegen. Ich versuchte, diese Stäbe unter verschiedenen Umständen, sowohl in ihrem kalten Zustande, als auch nachdem sie bis auf mehrere Grade über Null sich wieder erwärmt hatten, zum Brechen zu bringen. Sämmtliche Proben verhielten sich in Bezug auf Widerstand, dem ursprünglichen Stabe gleich und ließen von krystallinischem Gefüge Nichts wahrnehmen. Ich muß jedoch bemerken, daß ich zu meinen Versuchen stets nur gutes Stabeisen verwendete; Eisen von schlechter Beschaffenheit verhält sich anders, und ich kann nicht in Abrede stellen, daß die Zerbrechlichkeit eines derartigen schlecht gefrischten Metalles durch die Einwirkung der Kälte merklich vermehrt wird. Das Vorstehende läßt sich in folgender Weise zusammenfassen: Jedesmal wenn ein Eisenstab in Folge einer Erschütterung, einer Belastung etc. bricht und auf dem Bruche krystallinische Textur zeigt, kann man überzeugt seyn, daß diese Textur schon vorher vorhanden war; in der Regel war sie die Folge einer fehlerhaften Fabrication, aber niemals wurde sie durch die mechanische Arbeit oder durch die Kälte veranlaßt, welche das Stück nach seiner Anfertigung auszuhalten hatte. Wenn man nun das was ich nachgewiesen zu haben glaube, als richtig zugestehen will, so wird man einsehen, daß ein großes industrielles Etablissement, welches sich zahlreiche Schmiedestücke gleicher Art anzuschaffen genöthigt ist, keine wahrhafte Garantie dadurch erhalten kann, daß vier bis fünf Procent dieser Stücke einer Gewaltprobe unterworfen werden. Denn wie kann man erwarten, daß das Ausschmieden der Stücke stets mit derselben Sorgfalt, sowie stets bei derselben Anfangs- und Vollendungstemperatur ausgeführt wird, ganz abgesehen von den bei der Darstellung des Stabeisens begangenen Fehlern und Nachlässigkeiten! Es kann demnach selbst bei Verwendung von Materialien guter Qualität vorkommen, daß gerade die der Probe unterworfenen Schmiedestücke die durchschnittliche Festigkeit der Gesammtmasse der Stäbe nicht repräsentiren. Diese Versuche und diese Betrachtungen haben mich veranlaßt, die für die Praxis geeignetsten Mittel zur Wiederherstellung (Wiederbelebung) des durch schlecht ausgeführte Operationen verdorbenen Eisens und Stahles zu studiren. Zu diesem Zwecke wendet man seit langer Zeit bei Stabeisen das Anlassen, bei Stahl das Härten mit nachfolgendem Anlassen an; aber diese Mittel lassen hinsichtlich ihrer Ausführungsweise viel zu wünschen übrig. Sie sind heutzutage kostspielig, dabei unsicher, oft ungenügend und werden deßhalb wenig mehr benutzt, zumal bei großen Stücken, welche einer solchen Behandlung am meisten bedürfen. Ich war der Meinung, daß Untersuchungen in dieser Beziehung von Interesse und Nutzen seyn dürften, und habe sie begonnen; leider aber sind dieselben durch ökonomische Reformen (in den Artilleriewerkstätten) unterbrochen worden, nachdem sie bereits ziemlich weit vorgeschritten waren. Wenn die (französische) Akademie sich jedoch für meine Arbeiten interessiren würde, so dürfte ich demnächst diese Mittheilung zu vervollständigen im Stande seyn.