Titel: Vorschlag zur einheitlichen Garnnumerirung; von Fritz Pasquay in Wasselnheim.
Fundstelle: Band 207, Jahrgang 1873, Nr. LXXVII., S. 288
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LXXVII. Vorschlag zur einheitlichen Garnnumerirung; von Fritz Pasquay in Wasselnheim. Aus der Allgemeinen deutschen polytechnischen Zeitung, 1873, Nr. 1. Pasquay, Vorschlag zur einheitlichen Garnnumerirung. Nachtheile der verschiedenartigen Numerirsysteme. Die Nachtheile des gegenwärtigen Sachbestandes der Garnnumerirung sind für jeden Fachmann so handgreiflich und so lästig, daß es kaum von Nutzen seyn kann, sich dabei länger aufzuhalten. Es ist leider nur allzubekannt, daß nicht nur in einzelnen Staaten für jede Garnsorte ein besonderes Titrirsystem herrscht, sondern daß sogar in ein und demselben Staate, für dieselbe Garnsorte, mehrere Arten der Numerirung vorkommen. Yards, französische, Leipziger, brabanter, Wiener, Berliner, württemberger Ellen und Meter, – englische, österreichische, cölnische und Zollpfunde, Kilogramm neben altfranzösischen Grains, bilden ebensoviel Grundlagen der Sprachen und Idiome, welche der Fachmann zu erlernen hat, um sich in dem Babelsbau zurechtzufinden. Maaßgebend ist dabei, daß in Frankreich, wo das metrische Maaß- und Gewichtssystem mit Decimaltheilung am längsten besteht, für Streichgarne, neben dem kilogrammmetrischen, andere Systeme, die theils auf der Elle von 1,19 Met. oder 52 Pariser Zoll, und dem halben Kilogramm neben der Livre de Table des südlichen Frankreichs beruhen, vorkommen. Leinengarn wird dort nach Yards und englischen Pfunden; Seide nach Annes von 1,19 Met. und Grains von 0,053 Grm. bezeichnet. Für Kammgarne gelten hier 720, dort 714 Met. als Längeneinheit, mit 0,500 Kil., auch 1 Kil. als Gewichtseinheit. Rationelles Numerirsystem. Die Bezeichnung der Nummer, d.h. des Feinheitgrades der Garne, ist der Ausdruck des Verhältnisses der Länge zum Gewicht. Für alle diejenigen Staaten, wo das Meter- und Kilogramm-System eingeführt, oder wo diese Einführung in Aussicht steht, gibt es nur ein einziges rationelles Numerirsystem, nämlich dasjenige welches die Nummer durch das Verhältniß der Länge in Metern zum Gewicht in Grammen, – resp. Kilometern zu Kilogrammen, ausdrückt, so daß ein Garn, wovon 1000 Met. 1000 Grm. wiegen mit Nr. 1. 500   0,5 oder 500 Met.-Kil. 1200   1,2   „ 1200      „ 24500 24,5 50000 50 bezeichnet würde. Dieses System, das kilogrammmetrische, ist schon theilweise in Anwendung, z.B. für Streichgarne in Reims und im Elsaß; für Seidenabfallgarne, Floret und Noppenseide etc. Auch beruht das französische Baumwolltitrirsystem auf dem Kilometer, und dem halben Kilogramm, wie es ein unverzeihlicher Mißgriff in der Ordonnance royale vom 26. Mai 1819“, d.h. lange nach der gesetzlichen Einführung des Kilogrammes als Gewichtseinheit, vorgeschrieben. Die Umwandlung in das kilogrammmetrische System bietet demnach hier keine Schwierigkeit. Da bereits das metrische Maaß- und Gewichtssystem in den bedeutendsten Staaten des Continents besteht, und voraussichtlich bald auch in den anderen eingeführt werden dürfte, so kann kein anderes Numerirsystem die Annahme von Seite der Gesammtheit der Interessenten beanspruchen, als dieses Einzige, welches sowohl dem neuen Maaß und Gewicht, als auch dem Decimalsystem vollkommen entspricht. Ich betone das Wort vollkommen, um späterem Nachbessern von vornherein vorzubeugen und zu warnen vor halben, sogen. transitorischen Maaßregeln, wie sie sich leider auch in das Gesetz vom 17. August 1868 für Maaß- und Gewichtsordnung im deutschen Reich eingeschlichen und zwar in der Form des Centners von 50 Kilogrammen und des Scheffels von 50 Liter, die sich nicht in eine Decimalreihe von Kilogrammen und Litern einschalten lassen. Wenn solches geschieht, so hilft und bessert der verständigere Theil des Publicums nach, Jeder auf seine Weise, und schon sehen wir Handelsplätze die Waaren per Centner von 100 Kilogrm. und per Hektoliter taxiren, während andere die mißgriffenen Normen des Reichsgesetzes innehalten und so der Vortheile der Decimalrechnung verlustig bleiben. Aufmachung. Mit der Einführung eines einheitlichen internationalen Numerirsystemes ist die Frage jedoch nur halb gelöst; denn weit störender für den Verkehr ist die so sehr verschiedene Aufmachung oder Haspelung der Garne. Wenn auch die Numerirung auf einheitlichen Fuß gebracht wird, so kann eine Garnwaage (Romaine), welche auf der Scala des Quadranten die neue Nummer angibt, wenn 1000 oder 100 Met. des zu prüfenden Garnes angehängt werden, nur für den Fall dienen, daß das Garn per 100 Met. gehaspelt und unterbunden worden. Deßhalb begehrt der Käufer die Garne in der ihm passendsten Aufmachung, um nicht aus verschiedenen Productionsgegenden Strähnelängen zu erhalten, die ebensoviel Titrirwaagen, wenn nicht Umhaspelung oder umständliche Berechnungen, voraussetzen, und auch beim Abspulen nicht immer auf die zu Gebot stehenden Haspel passen könnten. Selbstverständlich findet der Spinner für die vorräthige Waare auch nicht Absatz auf allen Märkten, und oft muß er seinen Stock ruhen lassen, um in vorgeschriebener Weise gehaspeltes Garn anzufertigen. Um zu einer einheitlichen Aufmachung zu gelangen und bei dieser das vorgeschlagene kilogrammmetrische Numerirsystem aufrecht zu erhalten, müßte auch die Fadenlänge des Stranges eine runde decimalische Meterzahl betragen, z.B. 1000 Met. mit Gebinde von je 100 Met. In der Praxis könnten bei gröberen Garnen, ohne Nachtheil für Durchführung des Systemes, Stränge von mehr oder weniger Gebinde von je 100 Met. geliefert werden. Den Haspelumfang schlage ich zu 1,50 Met. vor, da auch hier, um die allgemeine Annahme zu erleichtern, eine möglichst runde Zahl nothwendig ist. Dazu weicht dieses Maaß wenig von den meisten gebräuchlichen Dimensionen ab, und ist es leicht, bei bestehenden Haspeln durch einfaches Auftragen dünner Latten auf die Flügel, den Durchmesser dem neuen Maaß anzupassen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß Stränge von 1 1/2 Met. Umfang überall leicht Eingang finden, und es liefert unsere Fabrik diese Aufmachung bereits seit 15 Jahren sowohl nach Paris, Lyon und die Normandie, als nach Berlin, Wien, Schlesien und die Rheingegend. Mit 66 Umdrehungen per Gebind, stellt sich die theoretische Länge auf 99 Met., effectiv jedoch immer auf 100 Met. und bei sehr grobem Garn, wegen der stärkeren Zunahme des Haspelumfanges, sogar über 100 Met. Ein theoretisch richtiges Innehalten der aufgewundenen Länge liegt ohnehin außer dem Bereiche der Möglichkeit, und derselbe Haspel liefert immer Abweichungen durch stärkere oder geringere Spannung der Fäden und je nach der Feinheit des Garnes. Für grobe Jute- und Phormium-Garne dürfte vielleicht ein größerer Haspelumfang geboten seyn, doch müßte unbedingt die Theilung der Strähne der Decimaltheilung des Kilometers entsprechen, und das für alle Garnsorten einheitliche Numerirsystem auch für diese Garne innegehalten werden. Gesetzlicher Zwang. Um ein einheitliches Numerirsystem schnell und sicher in die Praxis einzuführen, ist gesetzlicher Zwang zu empfehlen. Denn wenn auch für intelligente Industrielle die Wichtigkeit einer solchen Einigung für den in- und ausländischen Verkehr hinreicht, so wäre sonst doch zu befürchten, daß Jahrzehnte lang der alte Schlendrian in manchen Gegenden fortbestände. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, daß in Preußen heute noch fettes Streichgarn nach dem alten cölnischen Centner – dasselbe Garn aber, nachdem es gewaschen, nach dem Zollcentner verkauft wird; und daß in Frankreich, namentlich in Paris, nachdem dort seit circa einem Jahrhundert das neue Maaß und Gewicht gesetzlich eingeführt ist, das Gesetz aber nicht stramm gehandhabt worden, Gewichtseinheiten im Großhandel vorkommen, welche mit dem Kilogramm und dessen Decimalreihen nicht die geringste Verwandtschaft besitzen. – Kurz zusammengefaßt, formuliren sich obige Bemerkungen und Vorschläge in folgende Principien, welche einem internationalen Garn-Numerirsystem zu Grunde gelegt werden müssen, um allgemeine Anerkennung zu bedingen: 1) vollkommener Einklang mit dem neuesten Maaß- und Gewichtssystem; 2) Ausdruck der Nummer durch das Verhältniß der Länge in Metern zum Gewicht in Grammen – resp. Kilometern zu Kilogrammen; 3) Aufmachung vermittelst eines einheitlichen Haspels von 1 1/2 Meter Umfang; Gebinde von 66 Umgängen, effectiv 100 Meter.