| Titel: | Ueber ein neues Mittel, die zur Fabrication der Filzhüte bestimmten Hasen- und Kaninchen-Haare ohne Quecksilber vorzubereiten; von Hillaeret; Bericht darüber von Delpech. | 
| Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. XXXIX., S. 231 | 
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                        XXXIX.
                        Ueber ein neues Mittel, die zur Fabrication der
                           								Filzhüte bestimmten Hasen- und Kaninchen-Haare ohne Quecksilber
                           								vorzubereiten; von Hillaeret; Bericht darüber von Delpech.
                        Aus dem Journal de
                                 									Pharmacie et de Chimie, t. XVII p. 453; Juni 1873.
                        Hillaeret's Verfahren die Hasen- und Kaninchenhaare ohne
                           								Quecksilber zur Fabrication der Filzhüte vorzubereiten.
                        
                     
                        
                           Zur Fabrication der Filzhüte bedient man sich der mit einer Quecksilbersolution (von
                              									der weiter unten die Rede seyn wird) behandelten Hasen- und
                              									Kaninchen-Haare; diese Haare reichen fast allein zur Deckung des Bedarfes
                              									jener beträchtlichen Industrie hin.
                           Nach den ersten Operationen, welchen die Haare unterliegen, setzt man sie der
                              									Einwirkung einer Quecksilberlösung aus, welche den Namen Sécretage, weil die ersten Fabrikanten, die
                              									davon Gebrauch machten, deren Zusammensetzung geheim (secrète) hielten.
                           Die Quecksilberlösung wird vermittelst einer Bürste auf die Felle gestrichen, und
                              									diese dann in eine Trockenstube gebracht. Wenn sie trocken sind, werden sie
                              									geschoren, entweder mit freier Hand oder mit der Caumont'schen Maschine, welche gleichzeitig die Haare wegnimmt und das Fell in
                              									schmale Riemen, sogenannte Würmchen zerschneidet, welche zur Fabrication des
                              									Hautleimes dienen; die französischen Scheranstalten verarbeiten jährlich ungefähr 72
                              									Millionen Stück Hasen- und Kaninchen-Felle.
                           Durch Einführung der Schermaschine ist die Gefahr von Quecksilber-Vergiftung
                              									allerdings verringert worden; allein das fortwährende Eintauchen der Hände der
                              									Arbeiter in die Solution, die in der Trockenstube sich entwickelnden Dämpfe, sowie
                              									der von den Fellen abfliegende und in der Werkstätte sich verbreitende Staub veranlassen
                              									noch immer derartige Intoxicationen.
                           Zur Abstellung dieses Uebelstandes haben Fabrikanten und Chemiker wiederholt Versuche
                              									angestellt; man hat arsenige Säure, Kali, Kalk und andere Agentien probirt, allein
                              									immer ohne befriedigenden Erfolg. Wie Hillaeret
                              									nachweist, konnte das auch nicht anders seyn, den die Experimentatoren suchten auf
                              									empirischem Wege nach Mitteln zum Ersatz des secret, ohne sich Rechenschaft zu geben über die Structur der Haare, über
                              									die eigentliche Wirkungsweise der Solution auf deren Elemente und über die Ursachen
                              									des Verfilzens. Sie begnügten sich vielmehr sämmtlich mit der von Monge aufgestellten und von Berthollet wieder aufgenommenen Theorie, nach welcher die Rauhigkeiten der
                              									Epithelial-Scheide allein bei der Ineinanderverwickelung (enchevêtrement) der Haare eine Rolle
                              									spielen.
                           Hillaeret dagegen schlug einen anderen Weg ein. Ausgehend
                              									von den: Studium der Structur der normalen Haare und der Modificationen welche
                              									dieselben unter dem Einflusse der Quecksilberlösung erleiden, suchte er sich
                              									Rechenschaft zu geben von den nächsten Ursachen dieser Modificationen und eine
                              									rationelle Theorie des Verfilzens aufzustellen. Gestützt auf diese Forschungen
                              									bemühte er sich dann, das salpetersaure Quecksilber durch eine ungiftige Flüssigkeit
                              									zu ersetzen.
                           In den französischen Scheranstalten wendet man zwei Solutionen an, eine gelbe und
                              									eine weiße. Die gelbe besteht aus 25 Theilen Salpetersäure von 38°
                              									Baumé, 5 Th. Quecksilber und 7–8 Th. Wasser; die weiße aus 25 Th.
                              									Salpetersäure von 38° Baumé, 7 Th. Quecksilber und 10–12 Th.
                              									Wasser.
                           In einigen Anstalten setzt man noch wechselnde Quantitäten arsenige Säure und
                              									Quecksilberchlorid hinzu, um die Flüssigkeiten wirksamer zu machen.
                           Wie man sieht, ist die erste (gelbe) Flüssigkeit reicher an Salpetersäure als die
                              									zweite (weiße). Sie greift tief verändernd in die Haut ein und färbt sie gelb,
                              									woraus sich die ihr gegebene Benennung erklärt.
                           Die durch das Mikroskop ermittelten Veränderungen der Haare sind folgende: Die
                              									körnigen Zellen sind verunstaltet und meist im Volum vermindert; viele von ihnen
                              									haben ihre Körner verloren und sind ganz durchsichtig geworden. Die leeren Räume
                              									haben sich merklich vergrößert.
                           Die Epithelialscheide besteht nicht mehr aus einer sehr dicken Schicht mit reinen,
                              									wohl ausgebildeten und kaum wellenförmigen Rändern, ist vielmehr sehr durchsichtig
                              									und dünn geworden. Man erkennt daran Theilchen anhängender Epithelialzellen in Gestalt kleiner
                              									zerstreuter Schuppen. Diese corticale Schicht ist mithin fast ganz zerstört und
                              									zeigt nicht mehr eine fortlaufende, undurchdringliche Ueberkleidung des
                              									Marktheiles.
                           Durch die Einwirkung der weißen Flüssigkeit wird die corticale Schicht weit weniger
                              									verändert.
                           Betrachtet man unter dem Mikroskope ein normales, mit Wasser oder Glycerin benetztes
                              									Haar, so wird man finden, daß es seine Gestalt und sein Volum beibehält. Ein Haar
                              									dagegen, welches mit Quecksilberlösung behandelt worden ist, saugt unter denselben
                              									Umständen Flüssigkeit ein, schwillt beträchtlich an, zeigt nun abgerundete
                              									Contouren, und wird mehr oder weniger durchsichtig.
                           Man kann also nicht, wie Monge will, den epithelialen
                              									Unebenheiten des Haares die Ineinanderverwickelung des Verfilzens zuschreiben, weil
                              									die Fabrication der feinen, dichten und undurchdringlichen Filze die Operation der
                              									Secretage erfordert, welche zum Zweck hat, die corticale Schicht mehr oder weniger
                              									vollständig zu zerstören.
                           Nach der neuen Theorie dienen die außerordentliche Geschmeidigkeit, welche die Haare
                              									nach der Zerstörung ihrer Hülle erlangen, ihre größere Fähigkeit Feuchtigkeit
                              									aufzusaugen und ihr Bestreben sich zu drehen, wesentlich dazu ihre Verwickelung zu
                              									begünstigen. Die Operation des Walkens drückt sie zusammen, nähert sie einander noch
                              									mehr, und preßt die in die leeren Räume eingedrungene Flüssigkeit aus. Die saure
                              									Lösung, in welche die Filze dann getaucht werden, vervollständigt diese Annäherung,
                              									indem sie die Zusammenziehung des Canales des Marktheiles bewirkt.
                           Aber dieß genügt nicht, sich über die Wirkungsweise der salpetersauren
                              									Quecksilberlösung auf die Haare Rechenschaft abzulegen. Welches ist darin das
                              									directe und nothwendige Agens? Ist es die Salpetersäure? Ist es das Quecksilber, und
                              									ist seine Anwesenheit unumgänglich erforderlich? Kann es vielleicht durch einen
                              									anderen Körper ersetzt werden?
                           Hillaeret machte zuerst die Beobachtung, daß in der
                              									kräftigsten Solution, der gelben Flüssigkeit nämlich, weniger Quecksilber enthalten
                              									ist, als in der weißen. Folglich muß man der Salpetersäure überhaupt oder einem
                              									ihrer Abkömmlinge die Secretage zutheilen. Aber sowie die Flüssigkeit mit der Haut
                              									in Berührung kommt, entwickelt sich viel Untersalpetersäure. Der Verfasser
                              									vermuthete daher, daß es die Untersalpetersäure oder salpetrige Säure sey, der man
                              									die Wirkung der Quecksilberlösung auf die zur Verfilzung bestimmten Haare
                              									zuschreiben müsse.
                           Um diese Ansicht thatsächlich zu begründen, war es nöthig, das Quecksilber ganz
                              									wegzulassen und die salpetrige Säure selbst im Entstehungszustande auf die Haare wirken zu lassen.
                              									Zu diesem Zwecke tränkte Hillaeret die Felle erst mit
                              									einer neutralen ternären Substanz (Melasse, Dextrin oder Zucker), tauchte sie dann
                              									in verdünnte Salpetersäure und bemerkte nun, daß unter dem Einflusse der dabei
                              									auftretenden salpetrigen Säure die Haare eine Aenderung ihrer Structur erleiden,
                              									welche genau derjenigen gleicht, die man durch Behandlung mit salpetersaurer
                              									Quecksilberlösung hervorzubringen im Staude ist.
                           Hieraus ergab sich, daß zum Verfilzen der Haare das Quecksilber nicht unumgänglich
                              									nothwendig ist; aber es ist nicht ohne Interesse zu ermitteln, was vielleicht nicht
                              									mit der gehörigen Sorgfalt geschehen, nämlich welchen Einfluß dessen Gegenwart bei
                              									dem Processe ausübt.
                           Wahrscheinlich enthält sowohl die gelbe als auch die weiße Solution das Quecksilber
                              									großentheils im Zustande des Oxyduls, und beide sind Gemische von salpetersaurem
                              									Oxyd und Oxydul mit einer wechselnden Menge von salpetrigsaurem Salz. Aber die
                              									Erfahrung zeigt, daß wenn man Quecksilber in Salpetersäure bei gewöhnlicher
                              									Temperatur auflöst, diese Lösung auf organische Substanzen gleich wie die salpetrige
                              									Säure wirkt.
                           Es ist mithin sehr wahrscheinlich, daß die betreffende Quecksilberlösung ebenso auf
                              									die Haare wirkt, wie eine Lösung der salpetrigen Säure.
                           Aber die salpetrige Säure läßt sich nicht gut in freiem Zustande herstellen, und die
                              									Untersalpetersäure kann nicht mit Wasser in Berührung gebracht werden, ohne sofort
                              									Salpetersäure und Stickoxyd zu erzeugen, welches letztere in Berührung mit der Luft
                              									auf's neue braune Dämpfe von Untersalpetersäure gibt.
                           Diese Materien können folglich als solche nicht industriell gehandhabt werden,
                              									während die Quecksilberlösung durch ihren Gehalt an salpetrigsaurem Salz eine
                              									derjenigen der salpetrigen Säure selbst gleiche Wirkung ausübt, eine Wirkung welche
                              									man durch Verdünnen mit Wasser beliebig mäßigen und verlangsamen kann, was sie
                              									industriell bequem anwendbar macht.
                           Wenn man der Quecksilberlösung arsenige Säure zusetzt, wie es in der That einige
                              									Fabrikanten thun, so reducirt diese Säure das Oxydnitrat zu Oxydulnitrat, und sie
                              									selbst wird zu Arsensäure. Letztere vereinigt sich mit einer gewissen Portion
                              									Quecksilber zu Arseniat, und dieses bleibt in der Flüssigkeit neben den übrigen
                              									Quecksilberverbindungen.
                           Da die Lösung der Hutmacher einen großen Ueberschuß von Salpetersäure enthält, so
                              									oxydirt sich die arsenige Säure zum Theil auf deren Kosten, und es entsteht noch
                              									weiter salpetrigsaures Quecksilber, welches auf die organischen Materien ebenso wie die
                              									salpetrige Säure selbst wirkt.
                           Alles vereinigt sich also, die Theorie Hillaeret's zu
                              									bestätigen, und das sorgfältigste Studium der chemischen Processe erklärt genügend
                              									die Nothwendigkeit der Gegenwart des Quecksilbers in dem secret der Hutmacher zum Zweck der Erzeugung von salpetriger Säure.
                           Nach Feststellung dieser Theorie und Anstellung der ersten Versuche, handelte es sich
                              									nur noch darum, ein industriell brauchbares Verfahren mit Umgehung des Quecksilbers
                              									ausfindig machen.
                           Nach zahlreichen Experimenten entschied sich Hillaeret für
                              									die Melasse, obwohl sie das Unangenehme hat, die Haare
                              									zusammenzukleben und mehr Arbeitslohn erfordert. Eine nach seinen Angaben operirende
                              									Fabrik liefert befriedigende Resultate.
                           Es darf übrigens nicht verschwiegen werden, daß das Hillaeret'sche Verfahren, bei allen Vortheilen vom Standpunkte der Hygiene
                              									aus, doch auch seine industriellen Schattenseiten hat. Das Trocknen der Haare
                              									erfolgt nämlich langsamer und muß bei niedrigerer Temperatur geschehen. Nach dem
                              									ersten Trocknen müssen die Felle mit viel Wasser gewaschen werden, um die ihnen noch
                              									anhängende, nicht veränderte Melasse zu beseitigen, worauf man sie bürsten und
                              									abermals trocknen muß. Dadurch erhöhen sich natürlich die Ausgaben. Hoffen wir
                              									indessen, daß auch dieser Uebelstand noch beseitigt wird, nachdem es gelungen ist,
                              									dem größten und bedenklichsten abzuhelfen.