Titel: Ueber W. Weldon's neues Verfahren der Chlorentwickelung (mit Anwendung von Magnesia); von Georges Lemoine.
Fundstelle: Band 209, Jahrgang 1873, Nr. XLIX., S. 279
Download: XML
XLIX. Ueber W. Weldon's neues Verfahren der Chlorentwickelung (mit Anwendung von Magnesia); von Georges Lemoine. Ueber Weldon's neues Verfahren der Chlorentwickelung. Der Genannte theilt über dieses Verfahren, über welches im Jahrgang 1872 des polytechn. Journals Bd. CCIII S. 501 schon berichtet wurde, Folgendes mit: Man denke sich einen Apparat, in welchem durch Einwirkung von Salzsäure auf mit Magnesia gemischtes Manganbioxyd Chlor entwickelt worden ist. Man hat in demselben ein Gemenge von Manganchlorür und Chlormagnesium. Man dampft diese Lösung ab und fährt mit dem Erhitzen fort, indem man Luft zu der Masse hinzu treten läßt. Wenn das Chlormagnesium allein da wäre, so würde es (durch Zersetzung mit dem noch vorhandenen Wasser) Magnesia und Salzsäure geben; aber das zugleich vorhandene Manganchlorür verhindert zum Theil diese Zersetzung und sucht mit dem Chlormagnesium ein Doppelsalz zu bilden. Das Mangan oxydirt sich unter dem Einflusse der Luft um so leichter, als das Manganbioxyd mit der Magnesia eine Verbindung bildet, welche Weldon Magnesiamanganit nennt. Zugleich zersetzt das entstandene Manganbioxyd die Salzsäure und gibt Chlor. Kurz, die Reaction welche während der Abdampfung zur Trockne und der Röstung der beiden Chlorüre eintritt, ist wenigstens zum Theil die durch die Gleichung MnCl + 2 MgCl + 4 O = 2 MgO, MnO² + 3 Cl ausgedrückte. Das (mit unzersetzt gebliebenem Manganchlorür gemengte) Magnesiamanganit wird pulverisirt und dann wieder in dem gewöhnlichen Apparat mit Salzsäure zusammengebracht. Es liefert nun wieder Chlor, und als Rückstand bleibt ein Gemenge von Manganchlorür und Chlormagnesium, welches wieder in der beschriebenen Weise behandelt wird. Das bei diesem Verfahren entwickelte Chlor hat hiernach zweierlei Ursprung; es rührt theils von der Einwirkung der Salzsäure auf das mit Magnesia verbundene Manganbioxyd, theils vom Abdampfen und Rösten des Gemenges der beiden Chlorüre her. Das bei dem letzteren Proceß entwickelte Chlor, welches erheblich mehr beträgt, als das Chlor des ersteren Ursprunges, ist mit Luft und Stickstoffgas vermischt; aber dieser Uebelstand findet auch bei dem Deacon'schen Verfahren statt, und zwar hier nicht bloß bei einem Theile des Chlors, sondern bei der ganzen Menge desselben. Weldon hilft diesem Uebelstande dadurch ab, daß er dieses verdünnte Chlor durch Absorption mittelst Kalkmilch und nachherige Wiederaustreibung durch Salzsäure in concentrirtes Chlor verwandelt. Die Verdünnung des Chlors bietet übrigens für gewisse Verwendungen, wie für die Darstellung von Chlorkalklösung und von chlorsaurem Kali, keine erheblichen Uebelstände dar. Das Abdampfen und die Oxydation des Gemenges der beiden Chlorüre bewirkt man in drei besonderen Apparaten. Das Abdampfen beginnt in einer offenen Pfanne. Es wird beendet in einer Art von Muffel, die von oben erhitzt wird, und in welcher die Lösung nicht mit der Flamme in directe Berührung kommt. Das Rösten endlich geschieht auf dem Herd eines zweiten Ofens, wohin die Masse, wenn sie eine hinreichende Consistenz erlangt hat, mittelst eines Rechens geschoben wird. Die Salzsäure, welche sich am Ende des Abdampfens in Folge der theilweisen Zersetzung des wasserhaltigen Chlormagnesiums entwickelt, wird in einem Thurm, durch welchen man Wasser fließen läßt, verdichtet. In Folge dessen gewinnt man fast die ganze Menge des Chlors, welche in Form von Salzsäure in den Apparat gebracht wurde, wieder; der Verlust beträgt in der Praxis höchstens 5 Proc. Weldon nimmt an, daß die verbrauchte Säure sich in folgender Weise vertheilt: 25 Proc. liefern concentrirtes Chlor. 75 Proc. gelangen in Form von Manganchlorür und Chlormagnesium zur Abdampfung. Während des Röstens liefert die Hälfte davon verdünntes Chlor, die andere Hälfte aber geht wieder in Salzsäure über, welche man verdichtet. Die so wiedergewonnene Säure reicht hin, um das verdünnte Chlor durch Vermittelung von Kalk in concentrirtes Chlor zu verwandeln. Hiernach hält man also im Ganzen circa 62 Proc. des in der angewendeten Salzsäure enthaltenen Chlors in concentrirtem Zustande. Man verwendet das Manganbioxyd und die Magnesia gewöhnlich in Mengenverhältnissen welche gleichen Aequivalenten entsprechen. In Summa, das neue Verfahren des Hrn. Weldon bietet die Möglichkeit dar, in continuirlicher Weise Chlor zu erhalten, indem man bloß Salzsäure und Wärme aufwendet; bei dem alten Weldon'schen Verfahren ist außerdem noch Kalk nöthig. Der in der Praxis durch das neue Verfahren zu erzielende Vortheil hängt hauptsächlich von den relativen Preisen des Kalkes und der Kohle ab.Nach den von Hrn. Weldon dem Verf. gemachten Angaben würde bei dem früheren Preise der Kohle (dem Preise von 1872?) dessen neues Verfahren, verglichen mit dem ersten Verfahren der Regeneration unter Anwendung von Kalk, eine Ersparniß von 25 bis 30 Fr. per Tonne Chlorkalk gewähren. Jetzt, da die Kohle theurer geworden ist, sind die Kosten in beiden Fällen fast dieselben; nur wird bei dem neuen Verfahren die Salzsäure besser benutzt. Dieser letztere Vortheil ist je nach dem Handelswerth der Salzsäure von größerer oder geringerer Bedeutung. Weldon nimmt an, daß von der verwendeten Salzsäure wirklich nutzbar gemacht werden, indem sie Chlor liefern:bei dem gewöhnlichen Verfahren, ohne Regeneration des Manganbioxyds und bei Anwendung der großen englischen Entwickelungsapparate, 20 bis 25 Proc.;bei dem ersten Regenerationsverfahren fast 33 Proc.;bei dem neuen Regenerationsverfahren 62 Proc.Hiernach muß man, um eine Tonne Chlorkalk zu erhalten, bei den genannten drei Verfahrungsarten beziehentlich ungefähr 5, 2,6 bis 3 und 1,25 Tonnen Kochsalz verwenden. In theoretischer Beziehung bietet dasselbe die vollständige Lösung des gestellten Problems dar; das Manganbioxyd und die Magnesia sind beide nur Vermittler; sie erleiden beide nur Umwandlungen, die sich fortwährend wiederholen, und dienen immer auf's Neue wieder. Zur Zeit der Anwesenheit des Verf. in England, im September 1872, traf man in einer der chemischen Fabriken zu St. Helens bei Liverpool die letzten Vorbereitungen zur Einführung des neuen Weldon'schen Verfahrens im Großen. Jetzt wird es auch in zwei schottischen Fabriken eingeführt. Indem man nun die thunlichste Ersparung des natürlichen Manganbioxydes bei der Chlorentwickelung für nothwendig hält, und man jetzt zwischen drei vervollkommneten Methoden, den beiden Methoden von Weldon, bei denen das Manganbioxyd regenerirt, und der Methode von Deacon,Wie in der Einleitung zu Gruppe III des deutschen Katalogs für die Wiener Ausstellung (deutsche Industriezeitung, 1873 Nr. 20) bemerkt ist, hat die Deacon'sche Methode bereits in einer größeren Anzahl englischer Fabriken Aufnahme gefunden, und auch in mehreren der wichtigeren chemischen Etablissements des Continents, so z.B. in der Kuhnheim'schen Fabrik zu Berlin, ist man mit den Vorbereitungen zur Einführung derselben beschäftigt. bei welcher diese Verbindung gar nicht angewendet wird, zu wählen hat, entsteht die Frage: welche dieser drei Methoden wird in Zukunft den Vorzug erhalten? Selbst Personen, welche im Centrum der chemischen Industrie Englands wohnen und mit den bezüglichen dortigen Preisverhältnissen genau bekannt sind, können sich zur Zeit kaum definitiv über diese Frage aussprechen; man muß bloß anerkennen, daß die erste Methode von Weldon, welche sich auf die Anwendung von Luft und Kalk gründet, jetzt am meisten die Sanction der Praxis hat. Uebrigens eröffnet die Verwendung des Mangans in der Stahlfabrication der in Rede stehenden Frage bereits eine neue Lösung; die Metallurgie kann in Folge der Anwendung der Eisen-Mangan-Legirungen den Rückständen von Manganchlorür einen unmittelbaren Absatz eröffnen. Diese Frage wird jetzt in einer der größten chemischen Fabriken Frankreichs ernstlich erwogen.Lamy hat kürzlich in der Société d'Encouragement zu Paris mitgetheilt, daß die Rückstände von der Bereitung des Chlors aus Braunstein und Salzsäure von mehreren Hütten, nachdem sie mit Kalk gefällt sind, und der Niederschlag in einem Flammofen calcinirt ist, zur Darstellung von manganhaltigem Roheisen für den Bessemerproceß verwendet werden. (Bulletin de la Société d'Encouragement, Juni 1873 S. 355; polytechnisches Centralblatt, 1873 S. 824.)