Titel: | Eine Umwälzung in dem Verfahren der Sodafabrication; von Prof. Dr. Rudolph Wagner. |
Autor: | Rudolph Wagner |
Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. L., S. 282 |
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L.
Eine Umwälzung in dem Verfahren der
Sodafabrication; von Prof. Dr. Rudolph Wagner.
Wagner, über eine Umwälzung im Verfahren der
Sodafabrication.
Das internationale Preisgericht der Wiener
Weltausstellung, das in der chemischen Gruppe unter dem Präsidium des
allverehrten Prof. A. W. Hofmann aus Berlin häufig zu
einem chemisch-technologischen Congresse sich gestaltete, hat nun bei seinen
Arbeiten im Jury-Pavillon im Lauf dieses Sommers die hochwichtige Thatsache
constatiren können, daß, wenn auch Leblanc's Proceß für
einzelne Gebiete der Industriestaaten Bedeutung noch in der Zukunft behalten mag,
doch für die meisten Orte ein anderes Sodaverfahren, das seit der letzten Pariser
Ausstellung aus kleinen Anfängen bereits zu einem kräftigen Baume sich entwickelt,
in der allernächsten Zeit eingeführt werden und die Leblanc'sche Methode gänzlich ersetzen wird.
Das in Rede stehende Verfahren – es sey mit A. W. Hofmann der Ammoniakproceß genannt –
ist, was seine chemisch-wissenschaftliche Seite betrifft, keineswegs neu. Es
gehört vielmehr jener Classe von Methoden an, die fast seit einem Jahrhundert die
directe Ueberführung des Kochsalzes in Soda anstrebten, ohne, mochte man sich des
Bleioxydes, des Magnesiumbicarbonats, des Aetzkalkes, der Thonerde, der Kieselerde,
des Chromoxydes oder der Kieselflußsäure zur Zersetzung des Chlornatriums bedient
haben, beachtenswerthe Erfolge zu erzielen. Das „neue
Verfahren“ gründet sich auf die bereits vor mehr als einem
Dritteljahrhundert wahrgenommene Einwirkung von Ammonbicarbonat auf starke
Kochsalzlösung, wodurch der größte Theil des Natriums als Natriumbicarbonat gefällt
wird, während Chlorammon in Lösung bleibt, aus welchem durch Aetzkalk das zum Fällen neuer
Kochsalzmengen dienende Ammoniak wieder gewonnen wird. Die zum continuirlichen
Betriebe nöthige Kohlensäure soll das Natriumbicarbonat bei seiner Ueberführung in
Monocarbonat durch Erhitzen abgeben.
Bei dem Aufsehen, welches das Ammoniakverfahren mit Recht in den betheiligten
industriellen Kreisen erregt, und des Spruches „Jedem das
Seine“ eingedenk, wird eine kurze Darstellung der
Entwickelungsgeschichte des neuen Verfahrens sicher nicht ohne Interesse seyn.
So viel mir bekannt, waren die zwei Engländer Harrison Dyar und John Hemming im Jahr 1838 die ersten,
die auf das Ammoniakverfahren in Großbritannien ein Patent nahmen.Mechanic's Magazine, vol. XXXI p. 48. Jahresbericht der chemischen Technologie
für 1857, S. 102; Patentbeschreibung im polytechn. Journal, 1839, Bd. LXXIV
S. 129. Man versprach sich von der neuen Methode „große
Erfolge“.E. F. Leuchs, Fabrication des Natrons. München
1844, S. 118 (Nachträge). Sie gerieth indessen bald wieder in Vergessenheit. Vor 30 bis 40 Jahren
stand die Sodafabrication noch keineswegs mit an der Spitze der Großindustrie, auch
war damals das Ammoniak noch nicht massenhaft und wohlfeil genug zu erlangen und der
Zweig der Maschinenfabrication, welcher dem chemischen Industriellen die
erforderlichen Apparate und Einrichtungen geliefert hätte, war noch nicht
geschaffen. Außerdem glaubte Anthon in Prag im Jahr 1840
nachgewiesen zu haben, daß bei dem Ammoniakverfahren ein sehr beträchtlicher Theil
des Kochsalzes unzersetzt bleibe.
Nachdem das Ammoniakverfahren 16 Jahre geschlummert, betrat es die industrielle Arena
von Neuem. Im Jahre 1854 wurden darauf Patente genommen (für Frankreich am 26. Mai
1854) durch Hrn. Türck
Man vergl. Dictionnaire de Chimie industrielle,
Paris 1861, t. I p.
235. und (für Frankreich und Großbritannien am 21. Juni 1854) durch Hrn. Th. Schloesing,Jahresbericht der chemischen Technologie für 1855. S. 60. Chemiker der damals kaiserlichen Tabakmanufactur in Paris. Das Verfahren Schloesing's wurde, was den mechanischen und maschinellen
Theil betrifft, von dem Director der Tabakmanufactur, Ingenieur E. Rolland, ausgebildet.Man vergl. Annales de chimie et de physique, 4.
série, t. XIV, Mai 1868, p. 5–63; Jahresbericht der chemischen
Technologie für 1855, S. 60. Im Jahre 1855 bildete sich in Paris eine Gesellschaft zum Betrieb des
erwähnten Fabricationsverfahrens. Diese Gesellschaft gründete in Puteaux bei Paris
eine Versuchsfabrik, welche jedoch ihrer Lage und Einrichtung nach und in Anbetracht
des die Fabrication hemmenden Salzmonopols nicht vortheilhaft genug Produciren
konnte, weßhalb bereits 1858 die Fabrik wieder einging. Schloesing und Rolland waren indessen der
Ansicht, daß das neue Verfahren „früher oder später in der Sodafabrication zur Anwendung
gelangen müsse.“
Es ist hier hervorzuheben, daß Prof. Heeren in Hannover
1858 das Ammoniakverfahren einer sorgfältigen Prüfung im Laboratorium
unterwarf.Jahresbericht der chemischen Technologie für 1858, S. 97; polytechn. Journal,
1858, Bd. CXLIX S. 47. Aus seinen Versuchen und Berechnungen ergab sich, daß das Ammoniakverfahren
eher zur Fabrication von Bicarbonat als von Soda sich eignet.
Der Vollständigkeit wegen und um der historischen Treue zu genügen, sei erwähnt, daß
der Engländer Th. Bell
Patent Nr. 2616. – Repertory of
patent-inventions, 1858 p. 463;
Jahresbericht der chemischen Technologie für 1858, S. 102; polytechn.
Journal, 1839, Bd. LXXIV S. 129. am 13. Octbr. 1857 ein Patent auf ein neues Verfahren der Sodabereitung sich
ertheilen ließ, welches im Princip und in der Ausführung fast wörtlich mit dem
Verfahren von Dyar und Consorten übereinstimmte.
Während der Jury-Arbeiten auf dem Marsfelde im Frühjahr 1867 wurde bekannt,
daß in dem Ammoniakverfahren wesentliche Verbesserungen Platz gegriffen hätten,
namentlich durch die Bemühungen der HHrn. Margueritte und
de Sourdeval in Paris, ferner durch den
Paraffinfabrikanten James Young in Limefield
(Schottland). Als Thatsache von großer Tragweite ist zu betonen, daß die Firma Solvay u. Comp. zu Couillet
(Hennegau in Belgien)vergl.: Der belgische Katalog; Brüssel 1867, S. 393 (Nr. 1051). auf der Pariser Ausstellung nach dem neuen Verfahren fabrikmäßig
dargestellte Soda ausgestellt hatte.
Seit jener Zeit hat sich nun das Ammoniakverfahren dergestalt entwickelt und
ausgebildet (ich gedenke hier nur der großen Verdienste der HHrn. Ernst Solvay, Honigmann in Aachen und M. Gerstenhöfer in Freiberg), daß Prof. A. W. Hofmann in seiner classischen Einleitung zur III. Gruppe des Katalogs der
Ausstellung des deutschen Reiches in Wienman vergl. Amtl. Katalog etc., Berlin 1873, S. 98. bereits im Monat Februar 1873 sagen konnte: „Jedenfalls ist der
Ammoniakproceß der einzige, welcher dem noch fast ausschließlich gebräuchlichen
Leblanc'schen Verfahren der Sodabereitung eine
erhebliche Concurrenz zu machen droht.“
Nun, die Wiener Weltausstellung hat das Treffende des vorstehenden Satzes
documentirt.
In England, in der Marmaros in Ungarn, in der Schweiz, in Westphalen, in Thüringen,
in Baden erstehen gegenwärtig großartige Sodafabriken, darunter solche mit einer
Tagesproduction von 300 Ctr., welche nach dem verbesserten Ammoniakverfahren
arbeiten.
Die Vortheile der neuen Methode, deren Details sich selbstverständlich noch der
Veröffentlichung entziehen, gegenüber dem Leblanc'schen
Verfahren, liegen auf der Hand. Sie spitzen sich zu in der Möglichkeit der directen Ueberführung des Kochsalzes in Soda und in der
Thatsache, daß aus gesättigter Soole nur das Natrium und nicht auch die Metalle der
Mutterlaugensalze gefällt werden, in dem absoluten Freiseyn des Productes von allen
Schwefelverbindungen, in der Hochgrädigkeit der erzielten Soda, in der Einfachheit
der Apparate und Utensilien, in der großen Ersparniß an Brennstoff und an Arbeit,
und in dem in hygienischer Hinsicht und für die Adjacenten der Fabrik gewiß nicht zu
unterschätzenden Umstande, daß keine belästigenden Nebenproducte und Abfälle
auftreten. Die schwache Stelle des Ammoniakverfahrens ist vorläufig noch der Verlust
des Chlors des Kochsalzes, das bei der Regeneration des AmmoniaksDie Vorschläge G. Lemoine's (Bulletin de la Société
d'Encouragement, Juni 1873, S. 358), das Ammoniak nicht mehr durch
Kalk, sondern durch Magnesia zu regeneriren, indem das entstehende
Chlormagnesium beim Abdampfen in Salzsäure und Magnesia sich zersetze, sind
keiner Beachtung werth. Eher wäre vielleicht örtlich Baryt möglich. W. als werthloses Chlorcalcium auftritt.
Die Rückwirkung der allgemeinen Einführung des neuen Sodaverfahrens auf die chemische
Großindustrie im Allgemeinen und speciell auf den Schwefelverbrauch, die
Schwefelsäurefabrication und den Preis der Salzsäure und des Chlorkalkes, läßt sich
gegenwärtig noch nicht überblicken. (G. Solvay
Nach einer mündlichen Mittheilung von Prof. E. Chandeelon in Lüttich producirt E. Solvay in seiner Fabrik in Couillet gegenwärtig täglich 12 bis
14,000 Kil. (= 240 – 280 Centner) Soda. in Couillet, ferner Rolland und Schloesing in Paris erhielten von der internationalen
Jury in Wien für die Ausbildung des Ammoniakverfahrens das Ehrendiplom.)Das Ammoniakverfahren (nach E. Solvay?) wurde in
Frankreich am 5. März 1872 auf den Namen von Boulouvard in Marseille patentirt. Man vergl. Berichte der
deutschen chemischen Gesellschaft, 1873 S. 764.
Würzburg, 29. Aug. 1873.