Titel: | Ueber die Einführung stählerner Eisenbahnschienen. |
Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. LVIII., S. 350 |
Download: | XML |
LVIII.
Ueber die Einführung stählerner
Eisenbahnschienen.
Aus der Revue
industrielle, Juli 1873, S. 413.
Ueber Einführung stählerner Eisenbahnschienen.
Die sechs großen französischen Eisenbahngesellschaften
haben in Wien Proben von stählernen Bahnschienen
ausgestellt und mit detaillirten Notizen über die Vortheile
dieses Systemes, den eisernen Schienen gegenüber, begleitet. Das Interesse,
welches dieser Bericht angesichts der Entwickelung der Fabrication des Bessemerstahles und Martinstahles in unseren großen Hüttenwerken darbietet, veranlaßt uns, den
wesentlichen Inhalt desselben mitzutheilen.
Die Gesellschaft der (französischen) Ostbahnen hat eine
Partie Bessemer-Stahlschienen auf die angestrengtesten Strecken ihres Netzes
legen lassen. Diese von französischen Hüttenwerken gelieferten Schienen sind Vignoleschienen und von demselben Profil wie die
Eisenschienen von 35 Kilogrm. per laufenden Meter. Ihr
Gewicht beläuft sich in Rücksicht auf den Dichtigkeitsunterschied beider Metalle auf
36 Kilogrm. per Meter.
Um die Dauer der stählernen und eisernen Schienen mit einander zu vergleichen, wurde
von der Ostbahngesellschaft folgender Versuch angestellt.
Auf einer äußerst angestrengten Strecke des Hauptgeleises wurden im März 1866 60
stählerne und 60 eiserne Schienen, in Gruppen von je 6 Schienen abwechselnd, gelegt.
Im März 1872 waren über diese Schienen ungefähr 29 Millionen Tonnen Bruttogewicht
hinweggegangen. 31 von jenen 60 Eisenschienen sehr guter Qualität waren bereits seit
längerer oder kürzerer Zeit außer Gebrauch und die Veränderung der 29 anderen
gestattete nicht, der Gesammtheit einen größeren mittleren Widerstand als den einer
Frequenz von 24 Millionen Tonnen Brutto zuzutrauen. Die Stahlschienen dagegen hatten
keine andere Veränderung erlitten, als eine sehr regelmäßige Abnutzung von 0,001
Met. bei einem Verkehr von 26 Millionen Tonnen, an den Stellen wo die Circulation
unter den normalen Bedingungen vor sich ging.
Die vergleichenden Versuche mit eisernen und stählernen Bahnschienen haben folgende
Resultate geliefert. Bei erfolgender Biegung fängt die Elasticität der eisernen
Schienen unter einem Drucke von 25 Kilogrm. per
Quadratmillimeter an, sich zu ändern, und ihr Elasticitätsmodul E ist gleich 14,3 × 10⁹. Der Widerstand
der Stahlschienen bis zur Elasticitätsgrenze beträgt 38 Kilogrm., und ihr
Elasticitätsmodul ist gleich 18,4 × 10⁹. Beinahe alle Eisenschienen
zerbrechen unter einem Rammklotz von weniger als 8250 Kilogrm. während die
Stahlschienen dem größten Rammklotz, über den man bei der Prüfung verfügen konnte,
nämlich einem solchen von 9500 Kilogrm. Widerstand leisten. Bei einem 300 Kilogrm.
schweren Rammklotz, welcher auf die Mitte der Schiene zwischen den beiden 1,10 Met.
von einander entfernten Stützpunkten herabfällt, beträgt die dem Bruche der
Eisenschienen entsprechende mittlere Fallhöhe 1,60 Met., während sie bei
Stahlschienen 4,6 Met. überschreitet.
Die Ostbahngesellschaft ist gegenwärtig mit der
Untersuchung und Prüfung einer Bessemerstahlschiene von kleinem Querschnitte
beschäftigt, welche nur 30 Kilogrm. per Meter wiegt. Die
Südbahngesellschaft hat auf den frequentesten Stellen
ihres Netzes Bessemer- oder Martinstahlschienen in Betrieb, welche sie aus
den Hüttenwerken von Imphy, Creusot, Terrenoire, Firminy oder Commentry bezogen.
Diese Schienen sind Doppelkopfschienen und vom nämlichen Typus wie die
Eisenschienen; sie wiegen 38 Kilogrm. per Meter. Einige
Hohlschienen nach Brunel's System aus Bessemerstahl, im
Gewicht von 34,5 Kilogrm. per Meter, sind für
Drehscheiben in Betrieb. Auch die Westbahngesellschaft
bedient sich stählerner Schienen auf den wichtigsten Verkehrsstrecken. Die Länge des
mit doppelköpfigen Stahlschienen belegten einfachen Geleises belief sich am 21.
December 1872 auf 234 Kilometer (31 deutsche Meilen). Diese Schienen haben das
nämliche Profil wie die Eisenschienen und wiegen 38,75 Kilogrm. per Meter. Die Orleansgesellschaft hat gleichfalls auf mehreren Sectionen ihres Netzes
Doppelkopf-Stahlschienen gelegt, die sich hinsichtlich ihrer Form von den
gewöhnlichen Bahnschienen nicht unterscheiden, und 37 Kilogrm. per Meter wiegen. Die Nordbahngesellschaft hat für ihr ganzes Netz eine
Vignole-Stahlschiene adoptirt, welche 30,3 Kilogrm. per Meter wiegt. Diese Schiene ist mit Traversen an den Stoßfugen gelegt
und wird in folgenden Abständen an 9 Punkten unterstützt: in einem Abstande von 0,60
Met. in der Nähe der Fugen, von 0,90 Met. an den angrenzenden Stellen und von 1
Meter an den übrigen zwischenliegenden Punkten. Die Schienen sind durch Laschen mit
einander verbunden, welche behufs der Aufnahme von Schraubenbolzen mit vier 0,019
Met. im Durchmesser haltenden Löchern durchbohrt sind; sie ruhen in besonderen
Einschnitten direct auf den Schwellen, sind an die Zwischenschwellen mittelst zwei,
und an die Stoßschwelle mittelst vier Schraubenbolzen aus verzinktem Eisen
befestigt. Die Bolzen werden gegen die Wangen gepreßt, da man diese zu durchbohren
vermeiden wollte.
Der erste Vortheil der Stahlschienen gegenüber den eisernen entspringt aus dem
Umstande, daß sie sich in paralleler Richtung und langsam abnutzen, während die
besten eisernen Schienen unter dem Einflusse des Verkehres verderben, und außer
Dienst kommen, bevor sie in Folge einer regelmäßigen Abnutzung einen
bemerkenswerthen Theil ihres Gewichtes eingebüßt haben. Die seitens der Nordbahngesellschaft mit eisernen Bahnschienen aus den
verschiedensten Fabriken angestellten Versuche haben bewiesen, daß die besten
derselben eine Circulation von 20 Millionen Tonnen nicht aushalten; für Schienen
gewöhnlicher Qualität übersteigt diese Ziffer nicht einmal 14 Millionen. Bei
stählernen Schienen haben die Versuche gelehrt, daß sich ihr Kopf bei einer
Circulation von 20 Millionen Tonnen gleichmäßig um 0,001 Met. seiner Dicke abnutzt,
und da sie auf eine Abnutzung von 0,01 Met. berechnet sind, so kann man annehmen daß
die Dauer stählerner Eisenbahnschienen einer Circulation von wenigstens 200
Millionen Tonnen entsprechen, d.h. daß ihre Dauer diejenige der besten eisernen
Schienen um das Zehnfache übertreffen wird. Die Substitution der Stahlschienen an
Stelle der Eisenschienen involvirt daher eine beträchtliche Ersparniß an
Unterhaltungskosten; sie sichert zugleich dem Geleise eine gleichmäßige
Widerstandsfähigkeit und trägt zur Vermehrung der Sicherheit des Betriebes
wesentlich bei.
Der zweite Vortheil der stählernen Eisenbahnschienen gegenüber den eisernen resultirt
aus dem Umstande, daß sie aus einem Material gewalzt sind, welches einen
regelmäßigeren und weit stärkeren Widerstand darbietet als die letzteren. Dem Drucke
ausgesetzt, zeigen die eisernen Schienen merkbare permanente Formveränderungen,
sobald die Compression und Spannung der Fasern 17 bis 18 Kilogrm. per Quadratmillimeter erreicht, während bei
Stahlschienen jener Zustand erst bei mehr als 38 Kilogrm. eintritt. Die directe
Zugfestigkeit beziffert sich bei eisernen Bahnschienen guter Qualität auf 28 bis 36
Kilogrm. per Quadratmillimeter, bei stählernen auf 65
bis 75 Kilogrm.
Der Vortheil der Einführung von Stahlschienen statt der Eisenschienen ist daher
evident, vorausgesetzt daß die Kosten der ersteren keinen ernstlichen Einwand
darbieten. Da man nun aber in Berücksichtigung des Unterschiedes in der
Widerstandsfähigkeit der beiden Materialien das Gewicht der Stahlschienen auf 30
Kilogrm. reduciren und ihnen dabei immer noch eine größere Festigkeit und
Dauerhaftigkeit als die der eisernen Schienen lassen kann, so wird man nicht allein
im Stande seyn, den Kostenüberschuß zu reduciren, sondern auch außerdem
Schienengeleise aus Stahl billiger legen, als aus Eisen.
Als Lieferungsbedingung sind folgende Proben vorgeschrieben. Jede Schiene muß,
nachdem man sie über zwei 1,10 Met. von einander entfernte Stützpunkte auf die hohe
Kante gelegt hat, während 5 Minuten in der Mitte des Abstandes der Stützpunkte
erstens einen Druck von 17 Tonnen aushalten ohne eine merkbare dauernde Biegung,
zweitens einen Druck von 30 Tonnen, ohne daß die Biegung 0,025 Met. überschreiten
darf. Jede der beiden Hälften der zerbrochenen Schiene muß, wenn sie auf zwei an
einen Amboß von 10 Tonnen in einem Abstande von 1,10 Met. befestigten Trägern
hochkantig gelegt wird, ohne zu brechen, den Schlag eines 300 Kilogrm. schweren
Rammbären aushalten, welcher aus einer Höhe von 2,25 Met. auf die Schiene in die
Distanzmitte der Stützpunkte herabfällt. Ferner dürfen bei den successiven Fallhöhen
von 1 Met., 1,50 Met., sowie 2 Met. und 2,25 Met. die Biegungen nicht merklich von 1
Millimet., 3 Millimet., 5 Millimet., 8,18 Millimet. und 2 Centimetern abweichen.
Seit dem Jahre 1867 hat sich die Gesellschaft der Eisenbahnen von Paris nach Lyon und
dem Mittelmeer dahin entschieden, zur Erneuerung ihrer Geleise auf der 860 Kilometer
(115 deutsche Meilen) betragenden Linie von Paris nach Marseille, auf welcher die
Frequenz die Ziffer von 10,000 Zügen per Jahr auf jedem
Geleise mit einer Geschwindigkeit bis zu 90 Kilometer überschreitet, nur
Stahlschienen anzuwenden. Am 1. Januar 1873 hat die mit Stahl belegte Strecke
bereits 940 Kilometer (126 deutsche Meilen) einfache Geleislänge erreicht. Die
adoptirte Schiene wiegt 38,85 Kilogram. Ihr Durchschnitt unterscheidet sich von der
auf den nämlichen Linien im Gebrauch befindlichen Eisenschiene nur durch die von
0,016 Met. auf 0,014 Met. reducirte Dicke des Kernes und durch die von 0,10 Met. bis
0,13 Met. vermehrte Breite des Schienenfußes. Eine von je 100 fabricirten Schienen
wird folgenden Proben unterworfen:
1) Auf zwei 1 Meter von einander entfernte Stützpunkte hochkantig gelegt, muß die
Schiene 5 Minuten lang in der Mitte zwischen den Stützpunkten eine Belastung von 25
Tonnen aushalten, ohne nach dieser Probe eine wahrnehmbare Biegung zu behalten.
2) Die nämliche Schiene muß in der gleichen Lage 5 Minuten lang, ohne zu brechen,
eine Belastung von 40 Tonnen aushalten. Der Druck wird hierauf bis zum Bruch
gesteigert.
3) Jede Hälfte der Schiene, auf zwei 1,10 Met. von einander abstehende Stützpunkte
gelegt, muß, ohne zu brechen, den Stoß eines 300 Kilogrm. schweren Rammbären
aushalten, welcher 2 Meter hoch auf die Mitte des Intervalles herabfällt.
4) Ein freier Abschnitt von 0,70 Met. Länge wurde aus jedem Gusse gewählt; er mußte,
auf zwei 0,50 Met. von einander entfernte Stützpunkte gebracht, ohne zu brechen, den
Stoß eines 300 Kilogrm. schweren, aus 1,50 Met. Höhe herabfallenden Rammbären
aushalten.
Die im Jahr 1867 auf die Dauerhaftigkeit des Metalles gegründeten Hoffnungen finden
sich heute durch die Erfahrung vollständig gerechtfertigt. Man beobachtet an den
seit länger als 5 Jahren in Gebrauch befindlichen Stahlschienen keine Abweichung aus
ihrer Form, sondern lediglich eine Abnutzung, deren Gleichmäßigkeit die vollkommene
Homogenität des Metalles documentirt. Die nach einem Verkehr von 40000 Zügen
constatirte Abnutzung beträgt 0,0008 Met., in verticalem Sinne gemessen, also 0,001
Met. für je 50000 Züge. Da der Kopf der adoptirten Schiene ohne zu große Schwächung
um 0,010 Met. und mehr sich gleichmäßig abnutzen darf, so ist man zu der Annahme
berechtigt, daß 500000 Bahnzüge über die Stahlschienen hinweggehen müssen, um sie
außer Dienst zu setzen. Gibt man jedoch, um zufälligen Ereignissen und etwaigen
Fehlern Rechnung zu tragen, nur 400000 Züge als äußerste Grenze zu, und erwägt man
auf der anderen Seite, daß die mittlere Dauer der eisernen Bahnschienen unter den
nämlichen Bedingungen einer Passage von 80000 Wagenzügen entspricht, so gelangt man
zu dem Schluß, daß die stählernen Eisenbahnschienen mindestens
fünfmal so dauerhaft sind, als die eisernen.
Die Anzahl der zerbrochenen oder aus sonstigen Ursachen aus den Geleisen entfernten
Schienen beträgt im Durchschnitt 1 Schiene auf 15 Kilometer per Jahr. Die Brüche, welche zum größten Theil gleich in den ersten Tagen
des Gebrauches vorgekommen sind, müssen in den meisten Fällen einem
Fabricationsfehler zugeschrieben werden. Haben die Stahlschienen einmal einige
Monate ausgehalten, so können sie als gegen jeden Unfall gesichert betrachtet
werden, und man kann alsdann sagen, daß sie überhaupt keinen Bruch mehr
erleiden.