Titel: | Ueber den kubischen Raum und das Luftvolumen als Grundbedingung gesunder Wohnungen; von General Morin, Director des Conservatoriums der Künste und Gewerbe in Paris. |
Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. LXXIII., S. 425 |
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LXXIII.
Ueber den kubischen Raum und das Luftvolumen als
Grundbedingung gesunder Wohnungen; von General Morin,
Director des Conservatoriums der Künste und Gewerbe in Paris.
Aus den Comptes rendus
t. LXXVII p. 316, August 1873.
Morin, über den kubischen Raum und das Luftvolumen als
Grundbedingung gesunder Wohnungen.
Die Anregung zu der vorliegenden Studie gab mir eine im Jahr 1867 von Dr. F. de Chaumont in
Edinburg veröffentlichte Abhandlung, betitelt: „de
la ventilation et de l'espace cubique.“ Aus den
Beobachtungsresultaten dieses gelehrten englischen Chirurgen, im Verein mit den
schönen Untersuchungen des Hrn. F. Blanc über die
Zusammensetzung der Luft in geschlossenen Räumen, ließen sich, wie es mir schien,
werthvolle Notizen für die Fortschritte der öffentlichen Gesundheitspflege schöpfen,
welcher unsere verschiedenen Civil- oder Militärverwaltungen immer noch
allzuwenig Wichtigkeit beilegen.
Hr. de Chaumont hebt hervor, daß die Eindrücke auf den
Geruchssinn mit dem Verhältnisse der Kohlensäure regelmäßig Schritt zu halten
scheinen. Auf seine Versuche gestützt, glaubt er schließen zu dürfen daß, wenn die
Luft der Säle nicht mehr als 0,0006 ihres Volumens Kohlensäure enthält, der von der
Anwesenheit organischer Stoffe herrührende Geruch in vielen Fällen unmerkbar ist,
und daß dieses Verhältniß als dem annehmbaren Minimum der Luftreinheit entsprechend
betrachtet werden muß.
Verhältniß, in welchem die Kohlensäure
in der Luft bewohnter Räume enthalten ist.
Die Chemiker nehmen im Allgemeinen an, daß die Luft im normalen reinen Zustande
zwischen 0,0004 und 0,0006 Kohlensäure enthält. Für die approximativen
Rechnungen, welche wir auszuführen beabsichtigen, wollen wir dieses Verhältniß zu
1/n = 0,0005 annehmen. Nach den neuesten Erfahrungen
wird das Gewicht der Kohlensäure, welche ein gewöhnlicher Mensch stündlich
ausathmet, zu 38 Grammen geschätzt. Da das specifische Gewicht derselben 1,524 mal
so groß als das der atmosphärischen Luft ist, von welcher bei einer Temperatur von
0° der Kubikmeter 1,298 Kilogrm. wiegt, so kann das per Stunde ausgeathmete, auf 0° reducirte Kohlensäurevolumen zu
0,038 Kil./(1,298 × 1,524) = 0,020 Kubikmet.
angenommen werden. Aber außer der Kohlensäure, welche durch
den Act der Respiration in die Luft eingeführt wird, und den gesunden Charakter
derselben leicht alteriren kann, entwickelt sich auch unaufhörlich Wasserdampf,
dessen Anhäufung man ernstlich verhindern sollte. Durch eine von dem Kriegsminister
ernannte CommissionDie Commission bestand aus dem General Schramm als
Vorsitzenden, dem Militärintendanten Genty de
Bussy, dem Geniehauptmann Cathala, Herrn
Boussingault vom Institut, den Militärärzten
Brault und Moizin,
und Hrn. Le Blanc als Berichterstatter. sind in mehreren von jungen und gesunden Soldaten bewohnten Casernen, behufs
der Constatirung des Gesundheitszustandes dieser Locale, Beobachtungen angestellt
worden, deren Resultate in folgender Tabelle übersichtlich zusammengestellt
sind.
Textabbildung Bd. 209, S. 425
Bezeichnung der Caserne; Rauminhalt
des Zimmers; Zahl der Personen; Kubikischer Raum per Person; Dauer des
Aufenthaltes; Kohlensäuregehalt; Dampfgehalt per Kubikmet. bei 15° C.;
Dampfvolumen per Person und Stunde; Kubikmeter; Stunden; Gramme; De
l'Assomption; Rue de Babylone; Quai d'Orsay; Mittel
Man sieht, daß in Folge des Zuschließens der Zimmer und der Nichterneuerung der Luft,
das Verhältniß der Kohlensäure in diesen Räumen dasjenige in normaler Luft bei
weitem überstiegen hat, ein Umstand welcher das Fehlerhafte in den Dimensionen
dieser Locale recht in's Licht stellt und auf die Nothwendigkeit hinweist, die Zahl
der Bewohner wenigstens
um 1/3 zu reduciren, um jedem Individuum ungefähr 16 bis 20 Kubikmeter
einzuräumen.
Wenn der 0,0123 Kubikmeter betragende Mittelwerth des Wasserdampfes, welcher bei
15° C. auf jede Person per Stunde kommt, um ein
Beträchtliches kleiner ist, als der aus den Versuchen von Dumas resultirende Werth von 0,0433 Kubikmetern, so ist dieser Unterschied
dem Umstande zuzuschreiben, daß ein Theil der entwickelten wässerigen Dünste sich an
den Wänden condensirte; und das Volumen von 0,0123 Kubikmetern kann als dasjenige
betrachtet werden, welches per Stunde mittelst
anhaltender Ventilation evacuirt werden sollte.
Nach den vorhergehenden Daten wären die der Gesundheit nachtheiligen Gas- und
Dunstvolumina, welche von einem gesunden Individuum per
Stunde ausgeathmet werden:
Kubikmeter
Kohlensäure
0,0200
Wasserdunst und sonstige ihn begleitende
Hautausdünstungen
0,0123
–––––
Zusammen m
=
0,0323
Wir wollen m = 0,03 Kubikmeter annehmen und von diesen
Bestimmungen ausgehend uns mit der Lösung des folgenden Problemes beschäftigen:
Welches Luftvolumen muß man in ein von 1 Person bewohntes
Local einführen, um dasselbe in einem Zustande zu erhalten, welcher in
gesundheitlicher Rücksicht dem der äußeren Luft hinreichend nahe kommt?
Bezeichnen wir mit E den auf die Person kommenden
kubischen Raum; mit 1/n = 0,0005 das mittlere normale
Verhältniß der Kohlensäure, welche in der als rein betrachteten Luft enthalten ist;
mit m = 0,030 Kubikmeter das Volumen der Mischung von
Kohlensäure (0,020 Kubikmet.) und Wasserdunst (0,010 Kubikmet.), welches in den
gewöhnlichen Fällen per Stunde und per Individuum hinausgeschafft werden muß. Für Spitäler
wird es zweckmäßig seyn, m = 0,040 Kubikmet., für
Wöchnerinnen und Verwundete m = 0,060 Kubikmet. als
Minimum zu setzen. Es sey ferner das Luftvolumen, welches per Stunde und Individuum zu entfernen und einzuführen ist, damit das
Verhältniß der verdorbenen Luft oder der Kohlensäure nicht einen durch die
Beobachtung bestimmten Werth 1/n¹ überschreite,
den wir höchstens = 0,0008 setzen wollen, als Grenze bei welcher sich nach den
Beobachtungen des Hrn. de Chaumont in bewohnten Räumen
bereits ein gewisser Geruch bemerklich macht. Alsdann ist das in dem Raume E enthaltene Kohlensäurevolumen
(1/n) E =
0,0005 E;
das durch die Respiration entwickelte Gas- und
Dampfvolumen
m = 0,030 Kubikmet.
Das Volumen x der hinzutretenden frischen Luft wird an
Kohlensäure
(1/n) x =
0,0005 x
liefern. Das Volumen x der zu
extrahirenden verdorbenen Luft wird an Kohlensäure
(1/n¹) x = 0,0008 x
mitnehmen. Für das Gesammtvolumen der in dem Raum E während des Ventilationsbetriebes und der
continuirlichen Emanationen enthaltenen Kohlensäure ergibt sich daher der
Ausdruck:
(1/n) E +
m – x (1/n¹ – 1/n);
und wenn ihr Verhältniß zum Volumen E des occupirten Raumes constant und gleich 1/n¹ seyn soll, so hat man:
Textabbildung Bd. 209, S. 427
Führt man in diese Formel die gegebenen Werthe ein, so findet man für
E = Kubikmet.
10
12
16
20
30
40
50
60,
x
= „
90
88
84
80
70
60
60
40
Man sieht, daß, je mehr das Volumen der bewohnten Räume zunimmt, desto mehr das
Volumen der behufs der Erhaltung eines bestimmten Grades von Salubrität zu
erneuernden Luft abnimmt, oder daß letzteres Volumen in dem Maaße zunimmt, in
welchem der auf eine Person kommende kubische Raum kleiner wird.
Casernen. – Demnach würde der Raum von nur 10 bis
12 Kubikmetern, welcher in unseren Casernen reglementmäßig auf den Mann gerechnet wird, zur Erhaltung
der Luftreinheit auf 0,0008 Kohlensäuregehalt, eine Lufterneuerung von 88
Kubikmetern per Stunde und Individuum, oder das
acht- bis neunfache per Stunde erfordern. Man
braucht sich daher nicht über den unangenehmen Eindruck zu wundern, den man
empfindet, wenn man morgens in die Casernenstuben unserer Soldaten tritt, in welchen
keine andere Ventilation existirt, als die welche durch die gewöhnlich ungeheizten
Kamine hervorgebracht wird. In den englischen Casernen beträgt der auf den Mann
kommende kubische Raum 16,98 Kubikmeter, und die Zuführung frischer Luft ist auf 85
Kubikmeter per Stunde und Mann festgesetzt, eine Ziffer
welche der aus der obigen Formel abgeleiteten entspricht.
Schlafzimmer. – Ein für eine einzige Person
bestimmtes Schlafzimmer von 4 Meter Breite, 5 Meter Länge und 3 Meter Höhe, also von
60 Kubikmeter Rauminhalt, wird im Allgemeinen für hinreichend groß gehalten. Um
dasselbe aber auf dem oben bezeichneten Gesundheitsgrad zu erhalten, wäre eine
Circulation von 40 Kubikmetern per Stunde erforderlich.
Nun gibt es wohl Niemand, der sich, wenn er des Morgens wieder in sein Zimmer tritt,
das er einen Augenblick verlassen hatte, nicht durch den mehr oder weniger
empfindlichen Geruch beengt fühlte, welcher im Zimmer herrscht, wenn es darin an
einer Ventilation fehlt. Wenn sich nun aber in einem derartigen Local mehrere
Personen, statt einer, aufhalten, so nehmen die Ursachen der Infection, selbst bei
merkbarem Luftwechsel, in einem raschen Verhältnisse zu.
Damit das Verhältniß der Kohlensäure und der wässerigen Dünste im vorstehenden Falle
0,0008 niemals überschritte, müßte, wie sich leicht mit Hülfe der obigen Formel
nachweisen läßt, das Volumen der erneuerten Luft 540 Kubikmeter betragen, was einer
9 fachen Erneuerung per Stunde entspräche. Mit dem
Vorschlage, die Verhältnisse der Kamine so zu reguliren, daß sie mit einem mäßigen
Feuer eine fünffache Lufterneuerung per Stunde
hervorbringen, bin ich noch immer hinter den angemessenen Salubritätsbedingungen,
wenn es sich um einen längeren Aufenthalt handeln sollte, zurückgeblieben.
Einfluß der Größe der Locale. – Für einen Raum von
100 Kubikmeter per Person würde man mittelst der oben
aufgestellten Formel finden, daß das Volumen frischer Luft, welche einzuführen ist,
um den gesunden Zustand in der festen Grenze von 1/n¹ = 0,0008 zu erhalten, nach einer Stunde gleich Null wäre, was nur
sagen will, daß die von einem Individuum während einer Stunde ausgeathmete
Kohlensäure gerade hinreichen würde, um den Zustand der Luft auf jenes Verhältniß
zu bringen; nachher
aber würde bei fortgesetzter Bildung von Kohlensäure und anderen Gasen die Luft sich
mehr und mehr verschlechtern. Angenommen, es fände bei dem oben erwähnten
Schlafzimmer von 60 Kubikmeter Rauminhalt kein Luftwechsel statt, es sey also x = 0, so würde nach 10 Stunden Aufenthalt in einem
vollständig abgesperrten Zimmer die Quantität des entwickelten Gases und Dunstes
m × 10 = 0,300 Kubikmet.
seyn, und man erhielte aus obiger Formel
0,300 Kubikmet. = 60 Kubikmet. (1/n¹ – 0,0005),
woraus
1/n¹ = (0,30 Kubikmet. + 60
× 0,0005)/60 = 0,0055,
d.h. das Zehnfache des normalen Verhältnisses in der Luft.
Die Hypothese eines vollkommen geschlossenen Zimmers ist zwar offenbar übertrieben,
insofern die Abkühlung der Luft während der Nacht immer eine gewisse Erneuerung
durch die Ritzen und Fugen der Thüren und Fenster nach sich zieht; die vorstehende
Rechnung erklärt aber zur Genüge die theilweise Infection selbst der elegantesten
Schlafzimmer. Sie zeigt zugleich die schweren Mißstände, welche in gesundheitlicher
Beziehung diejenigen bewohnten Locale darbieten, in denen kein Abzugscanal, kein
Schornstein vorhanden ist, welcher, wenn auch nie ein Feuer angezündet würde,
mindestens eine natürliche Ventilation gestattete. In dieser Hinsicht läßt die
Mehrzahl der Schulsäle, lassen die Zimmer für Kinderlehre in den Kirchen, und
insbesondere die kaminlosen Stuben der Casernen viel zu wünschen übrig; und es wäre
leicht, hier verbessernd einzuschreiten, indem man die einfach auszuführenden
Vorsichtsmaßregeln beobachtet, welche dazu dienen, den Uebelstand des Eindringens
kalter Luft in der Nähe der Personen zu vermeiden.
Anwendung der Formel auf die Versuche des Hrn. Le Blanc
bezüglich des Amphitheaters für Physik und Chemie an der Sorbonne. –
Dieses Amphitheater hatte im Jahr 1842 einen Rauminhalt von 1000 Kubikmetern und
faßte 900 Zuhörer, wornach auf jeden der letzteren nur 1,111 Kubikmeter kamen. Man
kann sich kaum ein ungünstigeres Verhältniß vorstellen. An einer Ventilation fehlte
es ganz und gar. Das einzige Mittel, die Zuhörer gegen Asphyxie zu schützen, bestand
darin, die Thür offen zu halten. Hr. Le Blanc hat in
diesem Local bei Gelegenheit einer Vorlesung von Dumas,
in welcher unmittelbar nach dem Beginne ungefähr 400, am Schlusse 900 Zuhörer anwesend
waren, folgende Verhältnisse der in der Luft enthaltenen Kohlensäure constatirt:
bei Beginn der Vorlesung
0,0065 Kubikmet.
am Schlusse
0,0103 „
Obige Formel unter der Annahme angewandt, daß gar kein Luftwechsel stattfinde, würde
einen weit stärkeren Gehalt an Kohlensäure nachweisen; der Unterschied rührt
offenbar größtentheils von dem günstigen wiewohl unzureichenden Einflusse der
offenen Thür her.
Das Resultat dieser im Jahr 1842 angestellten und zu jener Zeit publicirten Versuche
war so schlagend, und der durch sie constatirte Zustand so beklagenswerth und so
wenig schmeichelhaft für eine den berühmtesten Vertretern der Wissenschaft gewidmete
Anstalt von so hoher Bedeutung, daß man hätte erwarten sollen, die Administration
des öffentlichen Unterrichtes würde sich beeilen, sofort Abhülfe zu schaffen. Es
geschah jedoch nichts, und jetzt, nach Verfluß von 30 Jahren ist der Zustand der
Dinge noch der nämliche.
Aehnliches läßt sich leider auch von dem Sitzungssaal der Akademie der Wissenschaften
selbst sagen, welcher ungeachtet der so oft erhobenen Reclamationen und Klagen der
Mitglieder in gesundheitlicher Beziehung so viel zu wünschen übrig läßt.
Anwendung auf Spitäler. – In den mit Ventilation
ausgestatteten Spitälern gewährt man einen Raum E = 50
Kubikmetern per Bett, und eine auf ein Minimum von 60
Kubikmetern per Stunde festgesetzte Lufterneuerung;
allein es ist anzunehmen, daß sowohl in Folge der Respiration, als auch der
Hautausdünstungen das per Stunde und Individuum
entwickelte verdorbene Gasvolumen, wie wir bereits oben erwähnten, nicht weniger als
m = 0,040 Kubikmet. seyn kann. Führen wir diese
Werthe in die Gleichung
Textabbildung Bd. 209, S. 430
ein, so ergibt sich zunächst
(1/n¹ – 1/n)(60 + 50) = 0,040 Kubikmet.,
woraus
1/n¹ – 1/n = 0,00036
und da 1/n = 0,0005 ist, so
folgt
1/n¹ = 0,00086,
ein Werth welcher nach den Beobachtungen von Dr. de Chaumont einer Luft
entspricht die, wenn auch nur in geringem Grade unangenehm, doch immerhin mit einem
schwachen Geruche behaftet ist. Man sieht demnach, daß eine Zuführung von 60
Kubikmetern frischer Luft per Stunde, welche zu
adoptiren man so lange gezaudert hat, für die gewöhnlichen Spitalsäle durchaus nicht
übertrieben ist.