Titel: Ueber die Verwendung von Stahlblech zu Dampfkesseln; von Joseph Schmidhammer.
Fundstelle: Band 211, Jahrgang 1874, Nr. LXVII., S. 337
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LXVII. Ueber die Verwendung von Stahlblech zu Dampfkesseln; von Joseph Schmidhammer. Aus der österreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen, 1874, Nr. 7. Schmidhammer, über die Verwendung von Stahlblech zu Dampfkesseln. Die Verwendung von Stahlblech zu Dampfkesseln fand schon zu Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre statt, und zwar ziemlich gleichzeitig in Deutschland und England, versuchsweise auch in Frankreich. Es stand hierzu nur Tiegelgußstahl zur Verfügung. Die vorzüglichste Veranlassung dazu war das wachsende Bedürfniß, Kessel für sehr hohe Dampfspannungen, über 6 bis 10 Atmosphären, herzustellen, bei welchen das Eisenblech schon eine Dicke erreicht, welche man nicht gern mehr in Anwendung bringt. Außerdem ist in jenen Ländern ein gutes Kesselblech von Eisen selten und theuer. Das Bedürfniß nach einem besseren und widerstandsfähigeren Materials zeigte sich am meisten beim Bau der Locomotiven, von welchen man neben der höheren Dampfspannung eine Verminderung des Eigengewichtes statt einer Vermehrung verlangte. Der Tiegelgußstahl wollte jedoch immer noch nicht durchdringen, theils seines hohen Preises wegen, – theils in Folge einer gewissen abergläubischen Furcht vor dem Worte Stahl, bei welchem man sich – wie mitunter selbst heute noch – von der Vorstellung eines glasharten Federmessers nicht recht trennen konnte, obgleich man um jene Zeit es schon verstand, mittelharten Stahl auch in Tiegeln und im Großen zu machen, und die hervorragendsten Experten die Verwendung von Stahl zu Kesseln auf das eindringendste empfohlen haben. Bei dem Auftauchen des Bessemerprocesses wurde es bald in weiten Kreisen bekannt, daß man Stahl in allen Härtegraden erzeugen kann, und es wurde der allgemeine Begriff Stahl, der sich vor Zeiten lediglich auf ein Material für Schneidwerkzeuge beschränkte, alsbald auf ein weiteres Feld ausgedehnt, und der Bessemerstahl wurde als vorzüglich geeignet für die Dampfkesselfabrication erkannt. Was die Vorzüge der Bleche aus Bessemerstahl und aus dem ihm gleichstehenden Martinstahl gegenüber den Eisenblechen anbelangt, so erlaube ich mir vor Allem auf die größere absolute Festigkeit der für Kessel geeigneten Stahlsorten hinzuweisen. Diese steht mit jener des guten Eisenbleches in einem Verhältniß von mindestens 100 zu 166 und darüber. Man kann daher bei Kesseln, bei welchen die Blechstärke durch eine Verminderung derselben nicht unter 3''' kommt, unter welche Stärke man aus Rücksicht der Stabilität und einer dichten Nietung nicht gern herunter geht, unbedenklich die Bleche um 1/4, ja selbst um 1/3 dünner machen, als bei Eisen. In Oesterreich und Frankreich wurde seinerzeit eine Reduction der Blechstärken selbst bis zur Hälfte vorgeschlagen. Schon bei jenen Kesseln, bei welchen man nur mittelgroße Bleche verwenden will, ist der absolute Preis des Stahlbleches entweder gleich oder sogar beträchtlich geringer; ein Umstand, welcher die Anschaffungskosten von Stahlkesseln selbst dann günstiger stellt, wenn der Kesselschmied seine Fabricationskosten um 1 bis 2 fl. höher berechnet. Kesselbleche von Stahl können in allen Größen um einen gleich billigen Preis hergestellt werden, nicht so die Eisenbleche. Dieses begünstigt eine rationellere Herstellung von Kesseln aus möglichst wenigen großen Blechen. Beide vorgenannten Vortheile, geringere Kesselwanddicke und weniger Nähte begünstigen eine größere Verdampfungsfähigkeit der Stahlkessel und größere Sicherheit gegen das Anbrennen durch die Stichflamme. Die Stahlbleche sind fast absolut frei von inneren Fehlern und Blasen, welche beim Eisenblech so häufig erst nach einigem Gebrauche im Feuer aufgehen. Locomotiv-Kessel aus Stahlblech endlich haben den großen Vorzug ihrer Leichtigkeit, welcher dann ganz besonders zur Geltung kommt, wenn die Kessel auf sehr hohe Spannungen, z.B. 9 bis 10 Atmosphären construirt werden. Man hat bei den sehr schweren Locomotiven eine bedeutende Anstrengung der Schienengeleise constatirt, abgesehen von dem Arbeitsaufwand durch das Einbiegen der Schienen zwischen den Schwellen. Bei Kesseln von erheblichem Durchmesser kommt ferner noch in Betracht, daß für hohe Spannungen das Eisenblech schon eine Dicke erhalten muß, welche man aus praktischen Rücksichten nicht mehr gern anwendet. Wenn nun diesen Vortheilen gegenüber es doch Gegner der Stahlkessel gibt, so ist diese Erscheinung leicht zurückzuführen 1) darauf, daß jede neue Sache ihre Gegner hat, begründet im Schlendrian der hergebrachten Meinungen; 2) daß bei der Neuheit des Gegenstandes es für Manchen einen unwiderstehlichen Reiz bildet, durch Mittheilung einer neuen Thatsache sich interessant zu machen, daher Mängel einer neuen Sache immer viel öfters besprochen werden, als ganz dieselben Mängel an einem längst bekannten Gegenstande, wodurch die Vorurtheile gegen das Neue künstlich genährt werden; 3) hierzu kommt endlich der höchst vage Begriff von Stahl und die noch heute nicht selten höchst unklaren Vorstellungen von seinen Eigenschaften, sowie die häufige Verwechslung der Eigenschaften des gehärteten und nicht gehärteten Stahles. Das Vertrauen zu dem Materials stieg übrigens rasch, und zwar viel rascher als die Erfahrungen, die man mit der Behandlung desselben erst zu machen hatte. Es konnte daher nicht fehlen, daß Anfangs mancherlei Mißgriffe gemacht wurden, in Folge welcher in manchen Kreisen wieder ein Rückschlag im Vertrauen auf das Stahlblech im Allgemeinen eintrat, wenn auch mit großem Unrecht und zum Nachtheile für die gute Sache und den Fortschritt, da man die indeß kaum nennenswerten und nur vereinzelt auftretenden Folgen solcher Mißgriffe irrthümlich für unvermeidliche Mängel des verwendeten Materiales selbst hielt. Ich brauche nur einige wenige Beispiele zu erzählen. Gleich im Jahre 1865 wurde in der Werkstätte einer bedeutenden Bahn ein schweres Stahlblech zu einer Feuerbüchse umgebordet, auf einem ziemlich massiven Richtblocke von Gußeisen; man ließ die fertige Platte darauf über Nacht erkalten, und wunderte sich am anderen Tage, daß sie angesprungen war. In einer anderen Werkstätte, wo sonst die Stahlbleche schon damals sehr aufmerksam und vorsichtig behandelt wurden, kam ich eben dazu, als die Arbeiter eine Stahlplatte, welche man nach dem Umborden soeben gleichmäßig glühend gemacht hatte, aus der Fabrik herauszogen, und am Boden liegen ließen Ich fragte dieselben, was sie nun mit der Platte weiters machen würden? „Hier abkühlen lassen,“ war die Antwort. Es war ein kalter Decembertag, und der Boden theilweise mit Eis überzogen, so daß es unter der Platte aufkochte. Die Absicht des Ausglühens war gut und richtig, diese Methode des Erkaltenlassens aber schwerlich in der Absicht der Vorgesetzten dieser guten Leute. Wenn die Platte trotzdem keinen Schaden erlitten hat, so wenig wie manche andere, welche nicht minder barbarisch behandelt worden ist, so kann man gewiß nicht sagen, daß das Material eine allzu zarte Behandlung verlangt. Schlimmer ist es, wenn eine Platte oder ein Theil derselben bedeutend überhitzt worden ist, welchen Fehler man bei den meisten während der Arbeit verunglückten Platten nachweisen kann. Immerhin sind die bei Verarbeitung der Stahlbleche gemachten Erfahrungen von den Fabriken nicht unbeachtet geblieben, da seit längerer Zeit ein Anreißen der Bleche bei der Arbeit fast gar nicht mehr vorkommt. Man wird fragen: Nun, wie soll man ein Stahlblech behandeln? Ich muß darauf erwiedern, kaum mit größerer Vorsicht, als ein gewissenhafter und kunstgeübter Kesselschmied es auch bei Eisenblech thun wird. Eine Cylinderplatte kann mit der Biegmaschine kalt gebogen werden; bei dickeren Blechen ist es gut, wenn sie dunkelroth gebogen werden. Das Umborden der Bleche wäre am besten, wenn es mittelst Pressen bei einer einzigen gleichmäßigen Erhitzung des Bleches auf einmal geschehen würde, bei nachheriger langsamer Abkühlung im trockenen Sande. In der Regel werden die Bleche nur stückweise umgebordet, indem man nur einen Theil des Randes auf einmal in einem Schmiedefeuer erhitzt, wobei ein stellenweises Ueberhitzen oder Verbrennen vermieden werden soll, und indem dieser Theil über einen Richtstock umgebogen wird, gerade wie bei Eisenblech. Wenn das Blech endlich fertig umgebordet ist, wird es von rationellen Kesselschmieden in einem Flammofen gleichmäßig rothwarm gemacht, im Allgemeinen ausgerichtet, und langsam erkalten gelassen. Ich erlaube mir die Frage, ob dieser Arbeits-Vorgang nicht auch bei Eisenblech beobachtet wird, oder doch befolgt werden soll? etwa mit Ausnahme des langsam Erkaltenlassens, was nichts weiter kostet als einige Quadrat-Klafter Raum und etwas trockenen Sand. Oder wird ein Eisenblech verbessert, wenn es bei dem stückweisen Erwärmen im Schmiedefeuer stellenweise überhitzt wird? Leider kommt dieses nicht selten vor, weil der Schmied ein größtmögliches Segment auf einmal warm machen will, um recht rasch vorwärts zu kommen. Bei der Aneinanderfügung der einzelnen Ringe eines Kessels oder Blechrohres, oder Einpassung eines Kesselbodens sieht ein richtiger Kesselschmied schon im Voraus darauf, daß die übereinander gesteckten Theile nicht klaffen und zu große Fugen bilden, weil sonst der äußere Blechring, welcher durch die Nietung auf den inneren gewaltsam niedergezogen wird, zwischen je zwei Nieten wellenförmig kurze Bogensegmente bilden, und die klaffende Fuge durch Niederstemmen und Stauchen im kalten Zustande erst dampfdicht gemacht werden muß, was die absolute Festigkeit des Materiales in beiden Fällen gewiß beeinträchtigt, immerhin bei Stahl etwas mehr als bei Eisen. Wenn man sieht, wie gegen diese einfachen Regeln so häufig gefehlt wird, so muß man sich wundern, daß man selbst bei Eisenkesseln verhältnißmäßig so selten ein Unglück zu beklagen hat. Bei Stahlkesseln ist mir übrigens noch keines bekannt geworden. Das eben Gesagte ist Alles, was man bei Anfertigung von Kesseln aus Stahlblechen zur Befolgung empfehlen kann, und ich wiederhole es, es wird diese Behandlung auch den Eisenblechen recht wohl thun. Wie wenig begründet die Furcht vor dem Stahle als Material für Dampfkessel ist, und wie stark verbreitet die Anwendung des Stahlbleches für Dampfkessel immerhin schon ist, möge aus nachstehenden Zahlen entnommen werden. In Neuberg allein wurden seit Mitte des Jahres 1865 bis Ende 1873 bei 108,000 Centner Stahlbleche erzeugt. Von diesen wurden verwendet: zu Schiffsoberbautheilen und Schiffsmasten an gewöhnlichen Stahlblechen 8000 Ctr. zu Deckpanzern für Donaumonitore stahlplattirte Bleche über 1000 Ctr. zu Blockhäusern, Bauträgern, Dampfhammergerüsten, Schmiede- und      anderen Krahnen, und zu den verschiedenartigsten anderen Zwecken      rund circa 24000 Ctr. –––––––––––– Zusammen 33000 Ctr. Der Rest von 75,000 Centnern wurde für Locomotiven und Stabilkessel geliefert. Die Zahl der Locomotiven, bei welchen während obigen Zeitraumes Neuberger Stahlblech in Verwendung kam, ist allein 1424 Stück, davon 687 Stück ausschließlich aus diesem Materiale. Diese vielen Locomotiven laufen auf vielen Bahnen des In- und Auslandes, und die vorstehenden Zahlen sprechen mehr zu Gunsten des Stahlbleches als manche theoretische Auseinandersetzung. Auch in England, wo man die besseren Stahlsorten aus fremdem Roheisen erzeugt, ist die Verwendung von Stahlblech zu Kesseln wieder in Aufnahme gekommen. Namentlich sollen in einer großen Locomotivfabrik zu Crewe bei Manchester seit mehr als zwei Jahren die Locomotiv-Kessel nur aus Bessemer-Stahlblech ausgeführt werden. Das Werk Neuberg selbst besitzt nachstehende Stahlkessel: Stuck seit demJahre Feuerflächevon jeQuardratfuß Dampfspannungfür den Betriebin AtmosphärenUeberdruck DurchmesserZoll BlechstärkeLinien Kessel Sieder Kessel Sieder 2 liegend 1866 445 7 54 36 5 4 2 1867 445 6 54 36       4 1/2       3 1/2 3 1867 517      8 1/2 54 42       6 1/2 5 1 stehend 1869 264 6 45       4 1/2 1 liegend 1872 460       6 1/2 54 42       6 1/2 5 1 stehend 1873 375 6 48       4 1/2 Diejenigen dieser Kessel, welche aus den Fabriken der Wiener Maschinenfabrik der Staatsbahn, aus den Maschinenfabriken von G. Sigl in Wien und Joseph Körösi in Andritz bei Graz hervorgegangen sind, haben bis jetzt nicht die geringsten Anstände ergeben; nur das Fabricat von einer vierten Kesselschmiede, bei welcher schon ursprünglich die Vernietungen sehr mangelhaft, die Fugen weitklaffend und durch gewaltsame Verstemmung, ja sogar eingeschlagene Blechkeile und Kitt gedichtet waren, hat sich nach einem fünfjährigen Betriebe ein Leckwerden bei einigen Nietstellen gezeigt, was seit 1 1/2 Jahren wieder behoben ist. Man wolle aus diesem kleinen Beispiele ersehen, daß es wieder die Art der Ausführung ist, welche den Anstand herbeigeführt hat. Sämmtliche Kessel sind fortwährend in Betrieb.