Titel: Ueber die Fabrication des Fensterglases; von Dr. Wisthoff.
Fundstelle: Band 211, Jahrgang 1874, Nr. XCVI., S. 476
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XCVI. Ueber die Fabrication des Fensterglases; von Dr. Wisthoff. Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1873 S. 230. Wisthoff, über die Fabrication von Fensterglases. Die älteste Fabrication ist wohl die der kleinen „Rundscheibchen,“ bekannt unter dem Namen „venetianische Rundscheibchen, Patzen oder Rundscheibchen.“ Dieselben sind wohl italienischen Ursprungs. Im 12. und 13. Jahrhundert wurden dieselben schon bei Kirchen und Palästen angewandt, und zwar in hellgrüner Farbe. Später in gelber, blauer, violetter und rother Farbe. Aus diesem Fabricate entstand das sogenannte Mondglas, luna.; oder, in zwei Theile getheilt „Halbmondglas,“ demi lune. Dasselbe zeichnet sich durch hohen Glanz aus, was dem Umstande zuzuschreiben ist, daß es, nur wenigen Manipulationen im Feuer ausgesetzt, seinen ursprünglichen Glanz beibehält. In der Mitte dieser runden Scheiben befindet sich eine dicke, nicht verwendbare Stelle, vom Ansatz der Glasmacherpfeife herrührend, so daß die aus einer Scheibe von 4 Fuß Durchmesser stammenden Scheiben eine Größe von 18 bis 20 Zoll in's Geviert selten überschreiten. Nur in England werden diese Scheiben noch angefertigt und zwar bei Chance Brothers, sowie auch bei Hartley und Comp. in Sunderland. An die Stelle dieses Glases trat in Deutschland gegen Ende des 18. Jahrhunderts das sogenannte Tafelglas. Bei dessen Herstellung wurde die Kugel zum Cylinder verarbeitet. Derselbe war am äußersten Ende zu öffnen, was dadurch erreicht wurde, daß man etwas glühendes Glas vorlegte, diese Stelle dem Feuer aussetzte und durch fortwährendes Erwärmen und Hineinblasen zersprengte. Die rauhen Wandungen wurden mit der Glasmacherschere abgeschnitten (altdeutsch geschnien, von schnien, schneiden). Die Franzosen nennen noch heute diese Manipulation: „sniederer.“ Diese so hergestellten Cylinder wurden nun von der Glasmacherpfeife abgetrennt, der Länge nach aufgeschnitten und in einem besonderen Ofen „Streckofen“ gestreckt, d.h. zu flachen Tafeln verarbeitet. Die hierzu verwandten Steine waren nicht glatt genug, um eine ganz fehlerfreie Glastafel zu erzeugen. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, ließ man die erste Glastafel auf demselben liegen und streckte auf dieser die übrigen Walzen (Cylinder). Auch dieses Verfahren besteht noch in einzelnen Glashütten Belgiens und Frankreichs und wird von den Franzofen als étendre (strecken) sur des lagues (auf Lagen, Unterlagen) bezeichnet. Beide Bezeichnungen: sniederer und lagues, sprechen dafür, daß Frankreich und Belgien diese Fabrication aus Deutschland übernommen haben. Nachdem die Walzen gestreckt, geglättet waren, wurden sie in der zweiten Abtheilung des Streckofens in verticaler Stellung aufgestellt. Wenn ein solcher Ofen gefüllt war, ließ man ihn erkalten und zündete ihn, nachdem die Scheiben herausgenommen, wieder an. Der Glasmacher hatte die weitere Verarbeitung seines Fabricates, als Strecken, Schneiden und Verpacken, selbst vorzunehmen. Zu jener Zeit wurde auch Spiegelglas aus diesem Fensterglase hergestellt. Man fertigte zu diesem Zwecke dicke Tafeln an und schliff sie auf beiden Seiten ab. Diese Arbeit war jedoch vollständig von der Fabrication des Glases getrennt und vorzugsweise in Händen der Juden. Es gab zwei Größen dieser Spiegel, welche vorzugsweise in Nürnberg fabricirt, unter dem Namen Juden- und Halbjudenmaaß in den Handel kamen. Das Walzenglas, sowie das frühere Mondglas wurde Vorzugsweise mit Potasche geschmolzen und bei Holzfeuerung geschmolzen und verarbeitet. In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde diese Fabrication in Frankreich in der Weise verbessert, daß man Theilung der Arbeit einführte. Der Glasmacher erhielt einen Gehülfen (gamin); zum Strecken gebrauchte man continuirliche Oefen, deren zweite Abkühlungshälfte aus einem langen, mit eisernen Wagen versehenen Canale bestand, in welchem die fertige Tafel durch allmähliche Entfernung des vollen Wagens von der Feuerstelle abgekühlt wurde. Zum Strecken der Walzen (cylindres oder canons) wurden besondere Arbeiter, Strecker (étendeurs) benutzt. Das Zerschneiden und Verpacken wurde ebenfalls durch besondere Glasschneider (coupeurs) und Packer (emballeurs) besorgt. Die Fabrication wurde sehr bald in Belgien eingeführt und in großartigem Maaßstabe ausgebeutet. Im Jahre 1856 bestanden in Belgien, in der Gegend von Charleroi, an 100 Glasöfen, jetzt 180, oder fast ebenso viel als im übrigen Europa. Belgien versorgt, Dank seiner günstigen Lage, fast die ganze Welt mit Fensterglas. Die übrigen producirenden Länder, als England, Deutschland, Frankreich, beziehen einen Theil von dort. Rußland bezieht allerdings auch von Deutschland. England und die Schweiz produciren ebenfalls Fensterglas, auch Schweden, Norwegen, Spanien, Portugal und Italien. Belgien producirt, wie schon früher gesagt, die größte Quantität. Deutschland, und zwar Westphalen und die Rheinprovinz, producirt das beste Glas. Frankreich producirt das hellste: England die größten Scheiben. Bis zum Jahre 1860 war der gewöhnliche, 6–10 Hafen (Schmelzgefäße) haltende Ofen (Schmelzofen) in Gebrauch. Hin und wieder wurden Versuche mit dem Siemens'schen Regenerativ-Gas-Ofen gemacht. Erst in den letzten sechs Jahren kommt derselbe häufiger zur Anwendung. In diese Zeit fällt auch die Anwendung des Boëtius'schen Ofens, dem der Siemens'sche jedoch vorzuziehen ist. Die größten Oefen hat England; während die deutschen, französischen und belgischen Oefen 6–10 Hafen von 3–3 1/2 Fuß Höhe und gleicher Weite halten, arbeiten die Engländer mit Oefen, welche 6 bis 10 Hafen von annähernd 5 Fuß Höhe und 5 Fuß Weite besitzen. In den meisten Ländern ist die Holzfeuerung jetzt zu kostspielig und hat der Kohlenfeuerung Platz gemacht. Belgien besitzt die zur Fensterglasfabrication geeignetsten Kohlen, welche weniger Schwefel als die deutschen Kohlen enthalten. Deutsche Hütten arbeiten aus diesem Grund mit sogenannten „Trommeln“ unabhängig vom Glasofen geheizten Oefen, worin die halbfertige Walze (Cylinder) in stark rußender Flamme erwärmt wird. Durch diese rußende Flamme wirkt der Schwefelgehalt der Kohle wmiger schädlich auf das glühende Glas ein. Die zum Strecken benutzten Oefen arbeiten mit 1 bis 12 Streckplatten. Die fertigen Scheiben werden auf eisernen Wagen abgekühlt. In jedem Ofen befinden sich 10–12 solcher Wagen, von denen jeder mit 10–12 Glastafeln belegt wird. Seit ca. 3 Jahren wurde in Belgien ein Ofen gebaut, worin diese 10–12 Wagen durch ein Hebelwerk ersetzt wurden, welches jede einzelne Scheibe, sobald eine neue hinzukommt, um die ganze Länge derselben von der Feuerungsstelle entfernt. Auf diese Weise geht die Abkühlung viel schneller von statten. Wenn früher ein Ofen 100–120 Scheiben während der ganzen Dauer seines Betriebes enthielt, so sind jetzt nicht mehr als 10 Tafeln in demselben. Dieses neue System hat sich bewährt und verschafft sich mehr und mehr Eingang in allen Hütten. Die billigen Frachtsätze in Belgien, sowie die günstige Lage des Landes, vermehren für Deutschland die Schwierigkeit mit Belgien zu concurriren. An die Stelle des geblasenen Spiegelglases ist längst das gegossene getreten. Das erstere war stark grünlich gefärbt, wohingegen das letztere fast farblos ist und deßhalb auch ein richtigeres Bild zurückwirft. Die Spiegelglasmanufacturen, von den kolossalsten Capitalien unterstützt, haben gewaltige Fortschritte gemacht. Noch vor dreißig Jahren staunte man in Berlin die aus der kaiserlich russischen Manufactur herrührenden Monster-Spiegelscheiben, welche dem König von Preußen zum Geschenk gemacht waren, an. Dieselben sind ca. 3 Quadrat-Meter (nicht 3 Meter Quadrat) groß. Die Londoner Ausstelluung von 1862 zeigte bereits eine Spiegelscheibe von circa 12 Quadratmeter. Die größte und älteste Spiegelmanufactur in Frankreich ist die der Gesellschaft St. Gobain, deren Werke in St. Gobain, Ciry und Moluçon in Frankreich, Aachen, Stolberg und Mannheim in Deutschland liegen. England hat die Werke in St. Helens und an der Themse. Belgien die von Floreffe, St. Marie d'Oignies. In Norddeutschland existirt seit einigen Jahren das seit 1872 an eine Actiengesellschaft übergegangene Werk des Hrn. Koch in Grünplan. Augenblicklich wird ein großes Werk in Gelsenkirchen, Westphalen, errichtet. Alle diese Werke fabriciren auch das bekannte, zur Bedachung etc. verwandte sogenannte Rohglas. Gegen Ende der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde in Sunderland, England, von Hartley und Comp. das sogenannte farbige Kathedral-Glas gefertigt. Dasselbe wird auf eisernen Tischen gegossen und gewalzt (in derselben Weise wie das Spiegelglas). Durch diese Verarbeitung werden die beiden Seiten des Glases rauh und uneben, wodurch das durchfallende Licht gebrochen wird. Durch diese Eigenschaft erhalten die hiermit verglasten Räume ein gedämpftes Licht und findet dieses Glas überall dort Anwendung, wo ein solcher Effect gewünscht wird, wie in Kirchen etc. Seit dem Jahre 1862 wird es auf den Glashütten von Wisthoff und Comp. in Königsstehle a. d. Ruhr fabricirt, seit 1864 ebenfalls in Frankreich.