Titel: Die Dampfmaschinen-Steuerungen auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Ingenieur Müller-Melchiors.
Fundstelle: Band 212, Jahrgang 1874, Nr. XXIV., S. 161
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XXIV. Die Dampfmaschinen-Steuerungen auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Ingenieur Müller-Melchiors. Mit Holzschnitten und Abbildungen auf Tab. IV. (Fortsetzung von S. 92 des vorhergehenden Heftes.) Müller-Melchiors, über die Dampfmaschinen-Steuerungen auf der Wiener Weltausstellung 1873. Die einzige Einwendung, welche man vom constructiven Gesichtspunkte aus gegen die Meyer-Steuerung erheben kann, besteht darin, daß der doch immerhin empfindliche Mechanismus der Schrauben im Schieberkasten eingeschlossen, der Beaufsichtigung entzogen und dem Ansetzen von mitgerissenen Kesselsteintheilchen etc. ausgesetzt ist. Aus diesem Grunde müssen bei manchen Maschinen die Metallmuttern der Expansionsplatten wiederholt ausgewechselt werden, indem sich dieselben ausgelaufen haben und einen todten Gang gestatten, welcher selbstverständlich mangelhafte Dampfvertheilung zur Folge hat. Um diesem Uebelstande zu begegnen, hat man die Meyer-Steuerung mehrfach abgeändert, und so waren auch auf der Ausstellung verschiedene derartige Modificationen vertreten. Zunächst ist hier die Dampfmaschine der Berliner Union zu erwähnen, welche statt der innen befindlichen Schrauben einen äußeren Mechanismus zum Verstellen der Expansionsplatten angewendet hat, ferner verschiedene Anwendungen der schon früher bekannten Rider-Steuerung und endlich eine Verbesserung derselben bei der großen von der Maschinenfabrik G. Sigl in Wien ausgestellten zweicylindrigen Condensations-Dampfmaschine. Die Berliner Union, Actiengesellschaft für Eisengießerei und Maschinenfabrikation (vormals M. Webers) in Berlin hatte eine horizontale Hochdruck-Dampfmaschine von 366 Millim. Cylinderdurchmesser und 706 Millim. Hub ausgestellt, mit einer patentirten automatischen Expansionsvorrichtung, welche jedenfalls sehr geistreich construirt ist, deren praktische Verwendbarkeit aber in Wien nicht erprobt Sprung in der Paginierung, in der Seitenchronolgie aber richtig.werden konnte, nachdem die Ausstellungsmaschine – gleich so vielen anderen – nicht in Betrieb gesetzt wurde. Das Princip dieser Construction besteht darin, daß jede der beiden Expansionsplatten, wie aus Figur 1 ersichtlich ist, ihre eigene Schieberstange hat, welche unabhängig von einander durch zwei gesonderte Stopfbüchsen aus dem Schieberkasten heraustreten, so daß also innerhalb desselben nur fest verbundene Theile vorhanden sind. Außerhalb des Schieberkastens jedoch sind die Schieberstangen durch Bolzen mit einer gemeinsamen Scheibe s verbunden, welche in einem Kreuzkopfe k drehbar gelagert ist (Fig. 2). Dieser Kreuzkopf wird in seiner Führung durch die Stange l des Expansions-Excenters hin und her bewegt, während die Schieberstange r des Vertheilungsschiebers hinter k frei durchpassirt. Einer bestimmten Stellung der Scheibe s in dem Kreuzkopfe entspricht nun eine constante Stellung der beiden Expansionsplatten zu einander und zu ihrer Gleitfläche somit, nachdem der Hub immer unverändert bleibt, ein bestimmter Füllungsgrad. Sobald aber die Scheibe s verdreht wird, ändert sich auch zugleich die Distanz der zusammen arbeitenden Kanten und damit – ganz analog der Meyer-Steuerung – die Dauer des Dampfeintrittes. Die Verdrehung der Scheibe s geschieht mittels des Regulators auf folgende Weise. An denselben Bolzen, welche die Verbindung der Scheibe s mit den Schieberstangen herstellen, greifen die lang geschlitzten Enden zweier Hebel an, welche an ihrem anderen Ende in dem festen Ständer drehbar gelagert sind und in der Mitte je einen vorspringenden Anschlagbolzen a resp. a' besitzen. Solange diese Bolzen auf kein Hinderniß treffen, gestatten die hin und her schwingenden Hebel eine freie Bewegung der Scheibe s mit dem Kreuzkopfe k; sobald aber die Bolzen rechts oder links an die Coulisse c anstoßen, findet durch die fortschreitende Bewegung des Kreuzkopfes eine Verdrehung der Scheibe in demselben nach links oder rechts – und in Folge dessen eine Entfernung oder Näherung der Expansionsplatten zu einander statt. Es ist somit klar, wie durch Verstellung der doppelt geschlitzten Coulisse c mittels des Regulators die Expansion leicht und einfach regulirt werden kann mit um so größerer Empfindlichkeit, als nur die Coulisse frei in ihren Führungen zu bewegen ist, während die Verschiebung der Expansionsplatten gegen einander durch die Bewegung des Kreuzkopfes hervorgebracht wird. Selbstverständlich kann jedoch durch diese Vorrichtung, nachdem bei der betreffenden Maschine nur ein gewöhnlicher Kugelregulator angewendet ist, welcher mit directer Hebelübersetzung auf die Verstellung der Coulisse wirkt, die Functionirung eines astatischen Regulators nicht ersetzt und somit die Maschine auch nur auf einen einzigen Beharrungszustand regulirt werden. Außer der hier besprochenen Modification der Meyer-Steuerung für automatische Expansion, welche in der Hauptsache noch mit dem Originale zusammenfällt, war auch eine schon früher bekannte Expansions-Steuerung – Patent Rider –, welche den Grundgedanken der Meyer-Steuerung benützt, in vier Exemplaren vertreten, nämlich bei zwei kleineren Dampfmaschinen der Firma Gebrüder Sulzer in Winterthur, ferner bei je einer Maschine von Salomon Huber in Prag und von G. Sigl in Wien. Gebrüder Sulzer verwenden die genannte Steuerung für ihre kleineren Maschinen in der aus Figur 3 und 4 ersichtlichen Anordnung, welche sich in der Hauptsache direct an die ursprüngliche Steuerung von A. K. Rider in New-York anschließt und in allen Details äußerst nett und durchdacht construirt ist. Diese Steuerung kann hier als bekannt vorausgesetztBeschrieben in Dingler's polytechn. Journal 1870, Bd. CXCV S. 486. und deshalb nur kurz erwähnt werden, daß die Canäle des Grundschiebers g an dessen unterer Gleitfläche parallel sind, an der oberen Gleitfläche aber unter einem spitzen Winkel zusammenlaufen, und daß eine halbcylindrige Platte e, deren Kanten um denselben Winkel geneigt sind, in der halbkreisförmigen Aushöhlung des Grundschiebers läuft und die Stelle der bei der Meyer-Steuerung angewendeten Expansionsplatten vertritt. Beide Schieber erhalten von den Schieberstangen I, resp. l' durch Vermittlung der in festen Führungen bewegten Kreuzköpfe k bezieh. k' ihre hin und her gehende Bewegung; die Expansionsschieberstange ist aber auch zugleich einer drehenden Bewegung fähig, welche ihr durch einen mit Feder und Nuth aufsitzenden Hebel h mitgetheilt werden kann (Figur 4). Indem nun dieser Hebel h von der Regulatorhülse aus nach aufwärts oder abwärts verschoben wird, erfolgt auch eine Verdrehung der Expansionsschieberplatte in dem Grundschieber und dadurch eine Näherung oder Entfernung der zusammenarbeitenden Kanten in Folge ihrer Anordnung schief gegen die Bewegungsrichtung der Schieber. Es wird also hier in einfacherer Weise derselbe Effect erzielt, wie bei der gewöhnlichen Meyer-Steuerung durch das Zusammenschrauben oder Auseinanderschrauben der Expansionsplatten; die Möglichkeit einer empfindlichen selbstthätigen Regulirung ist aber hier ebenso problematisch wie bei der älteren Anordnung dieser Steuerung Es war leider nicht möglich die zwei kleinen Sulzer'schen Maschinen im Gange zu sehen und ein Zweifel an der Wirksamkeit des Regulators auf den nicht entlasteten Expansionsschieber muß daher gestattet sein umsomehr, als bei der von Salomon Huber in Prag ausgestellten und im Gange befindlichen Maschine mit Rider-Steuerung die Regulator-Vorrichtung, wie man sich durch einfache Probe überzeugen konnte, total unempfindlich war. Dagegen zeigte die letzte der hier zu besprechenden Dampfmaschinen, ausgestellt von der bekannten Maschinenfabrik G. Sigl in Wien eine Empfindlichkeit in der Regulirung ihrer entlasteten Rider'schen Schieber, welche nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Die betreffende zweicylindrige Condensations-Maschine, mit 20 Zoll (527 Millim.) Cylinder-Durchmesser und 40 Zoll (1054 Millim.) Hub, war während der Dauer der Ausstellung zum Betriebe eines Theiles der österreichischen Maschinen-Abtheilung in Thätigkeit und gestattete somit auch ein Urtheil über die praktische Bewährung des angewendeten Systemes, die sonst vielleicht zweifelhaft erscheinen könnte. Holzschnitt IX, Bd. 212, S. 184 Die Figur 5 zeigt diese interessante Anordnung im Querschnitte, Fig. 6 in der Ansicht bei abgeschraubtem Schieberkastendeckel und abgehobenen Expansionsschiebern, Fig. 7 endlich im Horizontalschnitte durch den Schieberkasten. Statt den Rider'schen halbkreisförmigen Expansionsplatten sind hier vollkommen cylindrische Expansionsschieber angewendet, welche in dem zweitheiligen Vertheilungsschieber eingeschlossen sind und in aufgerolltem Zustande die beistehend (Holzschnitt IX) angedeutete Contour besitzen. Die eine der schiefen Kanten ab bewirkt dabei, wie aus Fig. 5 und 7 deutlich ersichtlich ist, die wechselnde Dampfvertheilung in der unteren Hälfte des Vertheilungsschiebers, ganz analog der Original-Steuerung, während die zweite Kante cd auf der symmetrisch gegenüber liegenden Spalte im Obertheile des Vertheilungsschiebers, welche frei mit dem Schieberkasten communicirt, einspielt. Es ist klar, daß auf diese Weise jede gewünschte Entlastung des Expansionsschiebers erreicht werden kann, solange der ringsum dichte Schluß der Gleitflächen nicht durch die Abnützung, zu welcher allerdings zunächst keine Tendenz vorhanden ist, illusorisch gemacht wird. Unter allen Umständen kann diese Anordnung nur bei vollkommen ausgeführten und vorzüglich im Stand gehaltenen Dampfmaschinen räthlich erscheinen und nur für solche Verhältnisse ist dieselbe wohl auch von dem Constructeur bestimmt worden. Die weitere Disposition dieser ausgezeichnet ausgeführten und unter die schönsten Maschinen der Ausstellung rangirenden Dampfmaschine gehört nicht in den Rahmen dieser Abhandlung; erwähnt mag nur noch werden, daß auch hier wieder zum Zwecke der Erzielung kurzer Dampfwege das Expansions-Excenter zunächst der Kurbel aufgekeilt ist und seinen Schieber direct bewegt, während die Bewegung des seitlich von ersterem angebrachten Vertheilungs-Excenters durch Hebel, welche auf einer Zwischenwelle aufgekeilt sind, dem Vertheilungsschieber mitgetheilt wird. Die Füllung ist variabel innerhalb der Grenzen 8 bis 60 Procent. Die bis jetzt behandelten Doppelschieber-Steuerungen mit veränderlicher Expansion bewirkten dieselbe dadurch, daß die Distanz der zusammenarbeitenden Kanten des Expansionsschiebers und seiner Gleitfläche auf dem Grundschieber verstellt, wurde, und es konnte gewissermaßen als Typus und Ursprung aller verschiedenartigen Mechanismen dieser Gruppe die altbekannte und bewährte Meyer-Steuerung angeführt werden. Eine zweite Gruppe der Doppelschieber-Steuerungen bilden diejenigen Vorrichtungen, bei welchen die Variirung der Füllung durch Veränderung des Hubes und Voreilungswinkels des Expansions-Excenters bewerkstelligt wird, während der Expansionsschieber selbst unverändert bleibt. Dies kann zunächst wie bei den Steuerungen mit einem Schieber in einfachster Weise dadurch geschehen, daß das Expansions-Excenter mittels Klemmschrauben an einer festen Scheibe auf der Maschinenwelle in verschiedenen Stellungen zu fixiren ist, wie es auch bei mehreren kleineren Maschinen (Clayton and Shuttleworth, Robey and Comp. u.a.) durchgeführt war, bei denen aber die Veränderung der Füllung selbstverständlich nur während des Stillstandes der Maschine erfolgen konnte. Statt dessen hat Ingenieur Friedrich in Wien das Expansions-Excenter selbst wieder auf einer excentrischen Scheibe – „Verstell-Excenter“ – angebracht, welche direct mit dem Regulator verbunden und durch ihre Drehung Voreilung und Excentricität des Expansions-Excenters zu ändern im Stande ist. Die Figuren 8 und 9 zeigen, wie diese bewegliche Scheibe s durch ihre vorstehenden Arme a mit den Linsen L, L eines auf der Schwungradwelle w angebrachten Feder-Regulators in Verbindung steht. Die fixen Drehpunkte der Regulator-Linsen L sowie die excentrische Führung der Scheibe s befinden sich an einem gemeinschaftlichen Gußstücke T, welches auf die Schwungradwelle w aufgekeilt ist und gleichzeitig als Vertheilungs-Excenter fungirt, indem die excentrisch abgedrehte Nabe desselben den Ring v des Vertheilungs-Excenters trägt. Der Vertheilungsschieber hat somit Hub und Voreilen constant, der Expansionsschieber dagegen, dessen Excenter-Ring e über den aus dem Lagerstücke T vorspringenden Theil der verschiebbaren Scheibe s gelegt ist, wird mittels derselben vollkommen vom Regulator abhängig. Indem nun die Regulator-Linsen, welche in der vorliegenden Skizze in der niedrigsten Lage, gezeichnet sind, bei zunehmender Geschwindigkeit ihren Ausschlag vergrößern und damit das Verstell-Excenter s verdrehen, wird auch der Excenter-Mittelpunkt o, welcher für die gezeichnete Stellung die größte Füllung gestattet, in dem Kreisbogen ox verschoben und gibt dadurch, bei zunehmendem Hube und Voreilungswinkel, immer kleinere Füllungsgrade. Zu diesem Zwecke muß aber – für die in der Skizze angenommenen Stellungswinkel der Kurbel A und der beiden Steuer-Excenter zu einander – der Expansionsschieber (Figur 9) in seiner mittleren Stellung auf dem Vertheilungsschieber die Canäle des letzteren nicht offen, wie dies bei den meisten Doppelschieber-Steuerungen und speciell bei der Meyer-Steuerung immer der Fall ist, sondern mit einer bestimmten Ueberdeckung y geschlossen halten.Vergleiche die Anmerkung 31 auf S. 83 (im vorhergehenden Hefte). Diese Steuerung war bei einer liegenden, von der Firma Friedrich und Comp. in Wien ausgestellten Maschine und bei einer Locomobile der Maschinenfabrik G. Sigl in Wien angebracht und ergab in beiden Fällen ganz schöne Resultate. Obwohl aber die hier durchgeführte automatische Verstellung des Expansions-Excenters unstreitig das effectivste Mittel zur Regulirung der Expansion bildet, können doch vom constructiven Gesichtspunkte aus schwerwiegende Einwendungen gegen dieses System erhoben werden, so daß man wohl in den meisten Fällen vorziehen wird, die Steuerungs-Excenter fest auf der Schwungradwelle anzubringen. Mit festen Excentern aber läßt sich bei der hier zu behandelnden Gruppe von Doppelschieber-Steuerungen nurmehr durch Anwendung einer Coulisse variable Expansion erzielen, welche, wenn von zwei Excentern bewegt, Variation des Hubes und des Voreilens gestattet, während bei einem Excenter zum Antrieb der Coulisse nur die Größe des Hubes verändert werden kann. Drei Aussteller, welche Coulissen zur Bewegungsübertragung der Excenter auf die Expansionsschieber angewendet hatten, sind hier zu erwähnen: D. New and Comp. in Nottingham (England) Gustav A. Lessner in St. Petersburg und Lucien Guinotte, Director der Kohlenwerke in Mariemont etc. (Belgien). Mit der Besprechung dieser Mechanismen, welche in allen drei Fällen eigentliche „Doppelschieber-Steuerungen“ mit Grund- und Rückenschieber angewendet hatten, ist zugleich die hier zu behandelnde Classe von Steuerungen vollkommen erschöpft. Bei der von New ausgestellten Maschine, deren Steuerung in Figur 10 skizzirt ist, sowie bei der in Figur 11 und 12 dargestellten Steuerung von Lessner wird die Coulisse A nur von einem Excenter angetrieben und kann somit nur der Hub des Expansionsschiebers zur Erzielung einer variablen Füllung verändert werden. Dieses geschieht mittels eines Coulissensteines, welcher von dem Regulator selbstthätig in der Coulisse A verstellt wird und in dem ersteren Falle (New) direct mit der Schieberschubstange verbunden ist, bei der letzterwähnten Maschine (Lessner) aber eine zweite Coulisse B bewegt, von welcher aus durch die Querwelle w und den Hebel h der Expansionsschieber mit wechselndem Hube bewegt wird. Die letztere, anscheinend unnöthig complicirte Anordnung mag wohl durch die äußere Disposition der Maschine, wonach die Excenter auf der entgegengesetzten Seite von den Steuerschiebern angebracht sind, bedingt worden sein. In welcher Weise durch die Veränderung des Hubes hier die Füllung variirt wird, braucht nach der in der Einleitung gegebenen allgemeinen Erläuterung der Doppelschieber-Steuerungen nicht näher erörtert zu werden; aus dem dort aufgestellten Diagramme (Holzschnitt I S. 81 d. v. H.) ergibt sich auch, daß hierdurch allein, sobald nicht unpraktisch große Excentricitäten angewendet werden sollen, nur mäßige Variationen der Füllung erreichbar sind. (Fortsetzung folgt.)

Tafeln

Tafel Tab. IV
Tab. IV