Titel: | Ueber eine neue Classe von Explosivkörpern, welche während ihrer Fabrikation und Aufbewahrung sowie während ihres Transportes nicht explosiv sind; von Dr. Hermann Sprengel. |
Fundstelle: | Band 212, Jahrgang 1874, Nr. LV., S. 323 |
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LV.
Ueber eine neue Classe von Explosivkörpern,
welche während ihrer Fabrikation und Aufbewahrung sowie während ihres Transportes nicht
explosiv sind; von Dr. Hermann Sprengel.
Aus dem Journal of the
London Chemical Society durch den American Chemist,
November 1873, S. 174.
Sprengel, über eine neue Classe von Explosivkörpern.
Des Schweden Alfred Nobel wichtige Entdeckung eines
Verfahrens, um die Explosion von „Nitroglycerin und anderen analogen
Substanzen“ zu bewirken oder (um seine eigenen, im Jahre 1864
ausgesprochenen WorteVergl. Nobel's englisches Patent vom 20. Juli
1864, Nr. 1813. zu gebrauchen) „die Detonation von Explosivkörpern, welche
entweder nicht entzündlich sind oder die ohne Explosion, durch spontane
Zersetzung eines kleinen Antheiles ihrer Masse, mit deren Hilfe eine initiative
Explosion“ (d. i. der Anfang einer Explosion) „eingeleitet
wird, welche sich dann von selbst weiter ausbreitet, entzündet werden
können“, – diese Entdeckung rief eine neue Aera in der
Geschichte der Explosivkörper hervor.
Die Detonation des Nitroglycerins in der Form von Dynamit, welche „unter
allen Umständen im abgeschlossenen sowie im nicht abgeschlossenen Raume mit
Hilfe einer starken Zündkapsel hervorgebracht wird“,Vergl. Nobel's englisches Patent vom 7. Mai 1867,
Nr. 1345. eine im Jahre 1867 gemachte weitere Erfindung Nobel's, welcher damals darthat, daß „das dieser Detonation zu
Grunde liegende Princip in der plötzlichen Entwickelung eines sehr intensiven
Druckes oder Stoßes besteht,“ ferner die von Abel und Brown im Jahre 1868 zur Ausführung
gebrachte glückliche Anwendung dieses Princips zum Detoniren von
„Schießpulver, Schießbaumwolle und andere explosive Verbindungen (mit
Ausnahme von Nitroglycerin und Dynamit), sofern dieselben nicht in einem engen
Raume eingeschlossen sind“
Vergl. F. A. Abel's und E. O. Brown's englisches Patent vom 10. October 1868,
Nr. 3115. und meine eigenen nach dieser Richtung hin im Jahre 1871 ausgeführten
Experimente nebst ihren ErgebnissenVergl. H. Sprengel's englische Patente vom 6.
April 1871, Nr. 921 und vom 5. October 1871, Nr. 2641., – alles dieses kann als die natürliche Entwickelung von Nobel's erster Entdeckung angesehen werden.
Die Gesichtspunkte, welche mich bei der Ausführung dieser Experimente leiteten, waren
die nachstehenden.
Eine atmosphärische Luft enthaltende Hohlkugel kann zum Explodiren gebracht werden
dadurch, daß man sie unter dem gewöhnlichen atmosphärischen Drucke in ein Vacuum
oder in einen erwärmten Raum bringt, vorausgesetzt, daß die auf diese Weise
hergestellte Druckdifferenz größer ist als die Widerstandsfähigkeit der Hohlkugel.
Wäre es uns möglich, ein Geschütz in einem Raum abzufeuern, dessen Atmosphäre
dieselbe Dichtigkeit besäße, wie das durch die Verbrennung des Pulvers erzeugte
Gasgemisch, so könnte eine Explosion (im eigentlichen Wortsinne) nicht erfolgen und
Pas Projectil würde im Laufe in Ruhe bleiben.
Dies zeigt, daß eine Explosion nichts anderes ist als die
plötzliche „Auslösung“
Vergl. Mohr: Allgemeine Theorie der Bewegung und
Kraft, als Grundlage der Physik und Chemie. (Braunschweig 1869, S.
155.) (H. H.) jener Kraft, welche die Molecüle von gasförmigen Substanzen, die unablässig
streben sich gegenseitig abzustoßen und sich gleichsam in unbeschränktem Maße im
Raume zu zerstreuen, zusammenhielt oder comprimirte.Vergl. H. Sprengel: Research on the Vacuum im Journal of the
Chemical Society 2. ser. III p. 20 (1865). Der starre und der flüssige Zustand des Stoffes können als die Grenze der
Compressibilität (der Zusammendrückbarkeit) angesehen werden und demnach sind Explosivkörper solche starre und flüssige Stoffe, welche
sich plötzlich in den gasförmigen Zustand versetzen lassen. In der Regel erweist
sich Wärme oder in Wärme umgesetzte gehemmte Bewegung als die Ursache dieser
plötzlichen Zersetzungen, welche in den meisten Fällen einfach plötzliche Verbrennungen von Verbindungen sind, die eine solche
Zusammensetzung besitzen, daß ihre Verbrennungsproducte entweder gänzlich, oder doch
theilweise in gasförmigem Zustande auftreten. Wir kennen jedoch verschiedene, höchst
explosive Verbindungen, welche entweder eine so geringe Menge Sauerstoff enthalten, daß ihre
Explosibilität sich schwerlich einer plötzlichen Verbrennung als einziger Ursache
zuschreiben läßt – wie Howard's Knallquecksilber
C₂Hg (NO₂) N, Brodie's Acetylperoxyd,
C₄H₆O₄, Berthelot's Acetylenkupfer,
(C₂HCu₂) O, Grieß' salpetersaures
Diazobenzol C₆H₄ . HNO₃ u.a.m. – oder aber gar keinen Sauerstoff enthalten, wie Dulong's Chlorstickstoff, Cl₃N, Jodstickstoff, J₂HN u.s.w. Eine Explosion wie die
des Jodstickstoffes, welche durch die leise Berührung mit einer Vogelfeder
hervorgerufen wird, läßt sich ebenso ansehen, wie das dem Anscheine nach durch ein
hineingeworfenes Sandkorn verursachte stürmische Ueberkochen einer überhitzten
Flüssigkeit. Jodstickstoff und seine Verwandten müssen bei gewöhnlichen Temperaturen
gasförmig sein. Jedenfalls kommt die in einem oder in mehreren ihrer gasförmigen Bestandtheile
gefesselte Tension plötzlich zum Ausbruche und die Ursache, welche diese fesselnden
Bande lockerte, scheint in den meisten Fällen Wärme oder gehemmte Bewegung zu
sein.
Das relative Volum des so gebildeten Gasgemisches wird in den erstgedachten
Beispielen durch die gänzliche oder theilweise Vergasung des Explosivkörpers, in den
der zweiten Reihe von Verbindungen angehörenden Fällen durch den diesen
mitgetheilten Temperaturgrad bedingt. Nehmen wir 0,003665 als den durchschnittlichen
Expansionscoefficienten der Gase an, so wird ein Temperaturzuwachs von je
273° C. eine Expansion im Volumen bewirken, welche der bei 0°
gemessenen Gesammtmenge des entwickelten Gases gleich ist. Daher ist es, so weit es
den Druck anbelangt, ganz dasselbe, ob ein Explosivstoff eine größere Gasmenge und
weniger Wärme oder ob er eine verhältnißmäßig geringere Gasmenge und mehr Wärme
entwickelt. Sowohl die durch diese plötzlichen Verbrennungen erzeugte Gasmenge, als
die durch dieselben verursachte Temperaturerhöhung werden in nicht unbeträchtlichem
Maße von der chemischen Zusammensetzung des Brennstoffes bedingt und können beide
durch Berücksichtigung dieser Thatsache verstärkt oder abgeschwächt werden z.B.
dadurch, daß man mittels derselben Gewichtsmenge Sauerstoff Kohlenwasserstoffe von
verschiedener elementarer Zusammensetzung verbrennt.Vergl. Bunsen: Gasometrische Methoden; deutsche
Originalausgabe, S. 247 u. ff. ( „Verbrennungserscheinungen der
Gase“.) Das denkbare Maximum sowohl von Gasmenge als auch von Temperaturerhöhung
läßt sich indessen in der Praxis nicht erreichen und zwar aus dem Grunde, weil wir
nicht im Stande sind, dem zu verbrennenden Explosivkörper reinen oder elementaren
Sauerstoff – so wenig in starrer, als in flüssiger Form – zuzuführen.
Wir sind sonach genöthigt, zu einer Form unsere Zuflucht zu nehmen, in welcher der
Sauerstoff bereits mit einem anderen Elemente oder mit einer Gruppe von Elementen
verbunden, aber so lose mit ihnen vereinigt ist, daß ihr gegenseitiges Adhäriren
plötzlich aufgehoben wird durch eine anfängliche, in der Gegenwart von Wasserstoff
oder Kohlenstoff eingeleitete Explosion von Elementen, welche in Folge ihrer
Billigkeit sowie deshalb, weil ihre Oxydationsproducte zu den am wenigsten
schädlichen gehören, die für praktische Zwecke am besten geeigneten Brennstoffe
bilden, welche angewendet werden können. Indessen müssen diese Sauerstoffträger,
selbst wenn sie nach der Verbrennung Gasform haben, aus dem Grunde zurückgewiesen
werden, weil sie nur selten Wärmegeneratoren sind, sonach die übrigen
Verbrennungsproducte abkühlen. Die aus einer derartigen chemischen Reaction sich
ergebende, potentielle Energie oder Arbeitsfähigkeit
S. Tyndall: „Die
Wärme betrachtet als eine Art der Bewegung“. Deutsch
von Helmholtz und Wiedemann. (Braunschweig, 1867.) H. H. hängt offenbar ab von der Plötzlichkeit der Verbrennung, ferner von der
relativen Verschiedenheit des Gehaltes der anzuwendenden Hydrocarbone an Kohlenstoff
und Wasserstoff, von der Dichtigkeit oder dem specifischen Gewichte des so
zusammengesetzten Explosivmittels und speciell von der Menge
des für die Umwandlung des Wasserstoffes und des Kohlenstoffes zu Wasser und zu
Kohlensäure verfügbaren Sauerstoffes.
Eine Umschau auf dem Gebiete der (mit dem hier in Rede stehenden Gegenstande mehr
oder weniger nahe verknüpften) Sauerstoffverbindungen führte zur Aufstellung der
nachfolgenden Tabelle, in welcher, einerseits ihr Gesammtgehalt an Sauerstoff,
andererseits die in ihnen enthaltene Menge des für die oben gedachte Verbrennung
verfügbaren Sauerstoffes in Procenten angegeben ist.
Bezeichnung der Verbindung
Zusammensetzung
derVerbindung
GesammtgehaltanSauerstoff
Gehalt an fürdie Verbrennungverfügbarem
Sauerstoff.
Wasserstoffsuperoxyd
H₂O₂
94,1
47,0
Wasser
H₂O
88,8
–
Salpetersäure
HNO₃
76,2
63,5
Salpetersäureanhydrid
N₂O₅
74,0
74,0
Kohlensäureanhydrid
CO₂
72,0
–
Lithiumsuperoxyd?
Li₂O₂
71,1
35,5
Oxalsäure
H₂C₂O₄
71,1
–
Stickstofftetroxyd
NO₂
69,5
69,5
Tetranitromethan
C (NO₂)₄
65,3
65,3
Schwefelsäure
H₂SO₄
65,3
?
Ueberchlorsäure
HClO₄
63,6
55,7
Trinitroglycerin
C₃H₅
(NO₂)₃O₃
63,4
42,3?
Salpetersaures Ammoniak
NH₄NO₃
60,0
50,0?
Schießbaumwolle
C₆H₇
(NO₂)₃O₅
59,3
32,3?
Salpetersaures Natrium
NaNO₃
56,4
47,0
Trinitroacetonitril
C₂ (NO₂)₃N
54,5
54,5
Acetylperoxyd
C₄H₆O₄
54,2
13,5?
Essigsäure
C₂H₄O₂
53,3
?
Glycerin
C₃H₈O₃
52,2
?
Kieselsäureanhydrid
SiO₂
51,9
–
Salpetersaurer Harnstoff
H₄N₂CO, HNO₃
51,4
32,5
Cellulose
C₆H₁₀O₅
49,4
?
Pikrinsäure
C₆H₃
(NO₂)₃O
48,9
41,9
Kohlensaures Kalium
KNO₃
47,5
39,6
Chlorsaures Kalium
KClO₃
39,2
39,2
Bezeichnung der Verbindung
Zusammensetzung
derVerbindung
GesammtgehaltanSauerstoff
Gehalt an fürdie Verbrennungverfügbarem
Sauerstoff.
CyansäureCyanursäureCyamelidFulminursäure
CNHOC₃N₃H₃O₃CnNnHnOnC₃H₃N₃O₃
37,2
?
Mangansuperoxyd
MnO₂
36,7
18,3
Salpetersaures Diazobenzol
C₆H₄N₂,
HNO₃
28,7
23,9
Nitrobenzol
C₆H₃ (NO₂)
26,2
26,2
Jodsäureanhydrid
I₂O₃
23,9
23,9
Phenol
C₆H₆O
17,1
?
Knallquecksilber
C₂Hg (NO₂) N
11,2
11,2
Holzkohle
CmHnOp
10,0
?
Diese Tabelle lehrt uns, daß der Gesammtgehalt einer Verbindung an Sauerstoff
keineswegs ein Kriterium ihres Gehaltes an für die Verbrennung verfügbarem
Sauerstoff bildet. Die Entscheidung bezüglich dieser letzteren Sauerstoffmenge ist
in manchen Fällen zweifelhaft, namentlich wenn wir die Verfügbarkeit des
constitutionellen Sauerstoffes in organischen Verbindungen, wie in der Cellulose, im
Glycerin, in der Essigsäure, Holzkohle u.s.w. in Betracht zu ziehen, oder wenn wir
mit Fällen von Isomorie, wie dieselben durch die Cyanursäure und die Fulminursäure
(Isocyanursäure) vertreten worden, zu thun haben. Nimmt der in ihnen enthaltene
Sauerstoff oder ein Theil desselben an der Verbrennung Antheil? Wenn die Explosion
der Schießbaumwolle und des Nitroglycerins lediglich in der auf Kosten des von drei
Molecülen Stickstofftetroxyd gelieferten Sauerstoffes erfolgenden plötzlichen
Verbrennung des Kohlenstoffes und Wasserstoffes besteht, so werden sich Gemische oder Gemenge
zusammensetzen lassen, welche (mit Bezug auf die vorstehende Tabelle) mehr für die Verbrennung verfügbaren Sauerstoff
enthalten, als die genannten, so außerordentlich kräftigen Explosivmittel und
dieselben sonach in ihrer Wirkungsfähigkeit übertreffen müssen.
Von der Betrachtung ausgehend, daß eine Explosion (in der Regel) eine plötzliche
Verbrennung ist, ließ ich auf zahlreiche Gemische oder Gemenge von oxydirenden und
verbrennbaren Substanzen die heftige Erschütterung einer Zündkapsel wirken. Diese
Gemische wurden unter Beobachtung solcher Mengenverhältnisse der einzelnen
Bestandtheile zusammengesetzt, daß ihre gegenseitige Oxydation und Desoxydation der
Theorie nach vollständig erfolgen mußte. Bei meinen sämmtlichen Versuchen benützte
ich die in Abel's und Brown's
Patent beschriebene Zündkapsel. Dieselbe besteht aus einem conischen Metallröhrchen von
der Stärke ungefähr eines Gänsekieles und 5,6 Centim. Länge, welches mit 0,65 Grm.
Knallquecksilber gefüllt ist. Eine solche Kapsel wurde auf das Ende einer
Sicherheitszündschnur, wie dieselben beim Bergbau gebräuchlich sind, aufgesteckt und
das mit dieser Kapsel versehene Ende der Schnur entweder frei, oder mit einem dünnen, an einem Ende geschlossenen Glasrohre von 10
Centimeter Länge umgeben, in die Mitte des auf seine Explosibilität zu prüfenden
Gemisches eingeführt. Durch Anzünden des anderen, aus der Ladung heraushängenden
Endes der Zündschnur wurde das Knallquecksilber zum Detoniren gebracht, wodurch
seine Hülle heftig erschüttert und seine Energie (oder Kraftäußerung) auf die in
einer offenen, weitmundigen, je 20 bis 100 Grm. enthaltenden Glasflasche befindliche
Explosivladung übertragen.
Ein Blick auf die Tabelle wird dem Leser zeigen, daß unter allen sauerstoffhaltigen
Verbindungen das Wasserstoffsuperoxyd am meisten Oxygen
enthält, während das Salpetersäureanhydrid (wasserfreie
Salpetersäure) derjenige Körper ist, welcher den größten Gehalt an für die
Verbrennung verfügbarem Sauerstoff enthält. Da aber diese Verbindung gleich den
beiden nächstfolgenden, Stickstofftetroxyd
(Untersalpetersäure) und Tetranitromethan, wegen ihrer
chemischen Beschaffenheit und der Schwierigkeit ihrer Darstellung gegenwärtig
lediglich chemische Merkwürdigkeiten sind, so richtete sich meine Aufmerksamkeit in
ganz natürlicher Weise auf den vierten der in der Tabelle aufgeführten Körper, die
Salpetersäure, einen billigen und leicht zu
beziehenden Handelsartikel. So fand ich denn, daß (unter gewissen Bedingungen), eine Anzahl von verschiedenen organischen Substanzen, in
Salpetersäure von etwa 1,50 spec. Gewichte gelöst, durch Detonation
explodiren.
Die Classe der Kohlenwasserstoffe liefert uns die passendsten verbrennbaren
Substanzen, welche sich durch Salpetersäure auflösen lassen; da sie aber bei ihrer
Behandlung mit der letzteren zu einer heftigen chemischen Reaction und einer
bedeutenden Wärmeentwickelung Anlaß geben, bedingt durch die Entstehung von
Nitroverbindungen, so ist es vorzuziehen, diese letztere selbst in Salpetersäure
aufzulösen. Fügt man z.B. ohne die Beobachtung der gehörigen Vorsichtsmaßregeln
Phenol zu Salpetersäure, so steigt die Temperatur des Gemisches bedeutend, bis zum
Entzündungspunkte, wohingegen bei Anwendung von Trinitrophenol an Stelle des
ersteren die Temperatur so beträchtlich sinkt, daß ein Gemisch vom letzteren mit
Salpetersäure als ein sehr wirksames Kältegemisch benützt werden kann.
Sehr instructiv ist ein näheres, vergleichendes Studium der elementaren
Zusammensetzung dieser Gemische gleichzeitig mit demjenigen anderer bekannter
Explosivkörper, wie der Schießbaumwolle und des Nitrolgycerins. Wir lassen hier
einiges über diesen Gegenstand folgen:
1.
Nitrobenzol
C₆H₅ (NO₂)
=
28,08
Salpetersäure
5( HNO₃)
=
71,92
–––––
100,00
Elementare Zusammensetzungvor der
Explosion
Muthmaßliche Zusammensetzungnach der
Explosion
C
=
16,4
CO₂
=
60,27
H
=
2,28
H₂O
=
20,55
N
=
18,18
N
=
19,18
O
=
62,10
––––––––
–––––––
100,00
100,00
2.
Trinitrophenol
C₆H₃ (NO₂)₃O
=
58,3
Salpetersäure
2 3/5 (HNO₃)
=
41,7
–––––
100,00.
Elementare Zusammensetzungvor der
Explosion
Muthmaßliche Zusammensetzungnach der
Explosion
C
=
18,33
CO₂
=
67,20
H
=
1,43
H₂O
=
12,83
N
=
19,97
N
=
19,97
O
=
60,27
––––––––
–––––––
100,00
100,00
3. Schießbaumwolle C₆H₇
(NO₂)₃O₅.
Elementare Zusammensetzungvor der
Explosion
Muthmaßliche Zusammensetzungnach der
Explosion
C
=
24,24
CO₂
=
55,52
H
=
2,36
H₂O
=
21,24
N
=
14,14
N
=
14,14
O
=
59,26
C
=
9,10
––––––––
––––––––
100,00
100,00
4. Trinitroglycerin C₃H₅
(NO₂)₃O₃.
Elementare Zusammensetzungvor der
Explosion
Muthmaßliche Zusammensetzungnach der
Explosion
C
=
15,85
CO₂
=
58,18
H
=
2,20
H₂O
=
19,80
N
=
18,50
N
=
18,50
O
=
63,45
O
=
3,52
––––––––
––––––––
100,00
100,00.
Diese Analysen liefern den Nachweis, daß meine Gemische keine nutzlosen Reste
zurücklassen, weder Kohlenstoff wie Schießbaumwolle, noch Sauerstoff wie Nitroglycerin,
obschon in der Wirklichkeit die Zersetzungen selbstverständlich nicht so einfach
verlaufen, wie es hier dargestellt worden ist. Es liegt indessen klar auf der Hand,
daß man die elementare Zusammensetzung von Gemengen und Gemischen mannigfach zu
modificiren vermag, während die elementare Zusammensetzung chemischer Verbindungen
unveränderlich und starr ist. Durch Vermehrung oder Verminderung der Gewichtsmenge
des Kohlenwasserstoffes sind wir im Stande, allen für die Verbrennung verfügbaren
Sauerstoff zur Verwerthung zu bringen und entweder Kohlenoxyd oder Kohlensäure, oder
ein Gemenge von diesen beiden Gasen mit einem Worte, mehr Gas und weniger Wärme oder
aber weniger Gas und mehr Wärme zu erzeugen, wie dies z.B. durch quantitative
Abänderung des Zusatzes von Holzkohle in gewöhnlichem Schießpulver möglich ist.
Das Gemisch von Nitrobenzol mit Salpetersäure von der oben angegebenen Zusammensetzung explodirt, wenn es
mittels eines Detonationszünders entzündet wird, mit intensiver Heftigkeit.
Nitrobenzol löst sich in Salpetersäure reichlich und wird durch Verdünnen des
Lösungsmittels mit Wasser bis zu dem specifischen Gewichte 1,42 aus demselben wieder
abgeschieden. Beim Zusammenmischen beider Substanzen entwickelt sich anfänglich
einige Wärme; daher erfordert die Verarbeitung größerer Mengen die Anwendung von
Kühlvorrichtungen. Beim Vermischen von 25 Kub.-Cent. beobachtete ich ein
Steigen des Thermometers auf 50° C. Bei Anwendung von Dinitrobenzol würde
sich die Temperatur wahrscheinlich erniedrigen. Das Gemisch zeigt das Ansehen der
Salpetersäure, wenngleich der Zusatz von 28 Procent Nitrobenzol zur Säure diese
letztere weniger flüchtig und weniger hygroskopisch zu machen scheint. Mit
Infusorienerde versetzt und innigst gemengt, verbrennt das Gemisch mit einer blassen
Flamme wie Dynamit, doch weniger lebhaft. Ein Anzeichen von Explodirbarkeit wurde
beim Verbrennen nicht beobachtet. Ich fand es als sehr schwierig, es durch
Concussion zum Explodiren zu bringen, als ich kleine Kügelchen desselben, in
Stanniol eingeschlagen, auf einen Ambos brachte. Schießbaumwolle und Nobel's Dynamit, in gleicher Weise behandelt, explodirten
in Folge eines weit schwächeren Schlages. Die Explosion von 35 Grm. der in einer
offenen, und auf einer Schmiedeisenplatte von 6,5 Millim. Stärke stehenden
Glasflasche befindlichen Flüssigkeit brachte einen tiefen Riß mit zackigen Rändern
in der Platte hervor, während die Explosion einer gleichfalls 35 Grm. schweren
Scheibe von comprimirter Baumwolle an einer anderen Stelle derselben Eisenplatte
einen weniger tiefen und nicht zackigen Einriß verursachte. Gleiche Mengen (35 Grm.)
von dem Nitrobenzolgemisch, von Schießbaumwolle und von Nitroglycerin, auf 7,6 Centim.
starken Fichtenbrettern zum Explodiren gebracht, riefen in allen drei Fällen fast
ganz gleiche Wirkungen hervor; das Holz wurde durchgeschlagen und zersplittert. Es
ist sehr zu bedauern, daß eine exacte Methode zur Vergleichung der Kraft
detonirender Explosivkörper bis jetzt noch nicht existirt.
Die nachstehenden Betrachtungen führten mich zu der Annahme, daß meine sauren
Explosivstoffe in Bezug auf Kraft alle übrigen bisher bekannten, dieser Classe
angehörenden Körper übertreffen müssen.
Da wir von dem in dem Nitrobenzolpräparate enthaltenen Sauerstoffe fünf Aequivalente
als nicht verfügbar für die Verbrennung oder als bereits mit dem Wasserstoffe der
Salpetersäure in Form von Wasser verbunden anzusehen haben, und da wir drei
Aequivalente des in dem Nitroglycerin enthaltenen Sauerstoffes, nämlich den vom
Glycerin (einem dreiatomigen Alkohol) herrührenden, in gleichem Sinne betrachten
können, so finden wir, daß in dem Nitrobenzolgemische 52,97 Procent und im
Nitroglycerin 42,3 Procent für die Verbrennung verfügbarer Sauerstoff zurückbleiben,
wovon indessen aus Mangel an Brennstoff nur 38,77 Procent verwerthet werden können.
Da die potentielle Energie (oder die Arbeitsfähigkeit) mit der während einer
Verbrennung oder eines Verbrennungsprocesses entwickelten Wärme und der dabei
verbrauchten Sauerstoffmenge in Wechselseitiger Beziehung steht, so bin ich
vielleicht dazu berechtigt, die oben angegebenen Zahlen als einen, wenn auch nur
rohen Maßstab für die Kraft der beiden in Rede stehenden Explosivmittel anzusehen.
Demnach nehme ich an, daß die Kraft des Nitroglycerins zu der des sauren
Nitrobenzolgemisches sich verhält wie
38,77
:
52,97 oder wie
100
:
136,6.
Nimmt man 1 Aequivalent oder 2 Gewichtstheile Binitrobenzol und 4 Aequivalente oder 3
Gewichtstheile Salpetersäure, so steigt die Menge des in dem Gemische enthaltenen,
für die Verbrennung verfügbaren Sauerstoffes auf 53,3 Procent.
Wie dieses oder die anderen Präparate sich verhalten, wenn sie nach dem Vermischen
ihrer Bestandtheile längere Zeit aufbewahrt werden, bin ich nicht im Stande
anzugeben, da ich die Explosionsversuche mit ihnen stets bald nach dem Mischen
ausführte. Ihre Explodirbarkeit scheint durch den Zusatz einer geringen Menge Wasser
zerstört zu werden. Es gelang mir wenigstens nicht, das Nitrobenzolgemisch unter den
oben angegebenen Bedingungen zum Explodiren zu bringen, sobald die zur Darstellung
desselben verwendete Salpetersäure weniger als 25 Procent von dem Monohydrat
enthielt. Die Einschließung der Ladung in einen engen Raum und die Benützung
einer kräftiger wirkenden Zündkapsel dürften vielleicht eine stärkere Verdünnung mit
Wasser ermöglichen. Die hohe specifische und latente Wärme des Wassers, durch welche
die durch die Explosion des Detonators entwickelte, anfänglich frei werdende Wärme
absorbirt wird, mag zur Erklärung dieses Mangels an Explodirfähigkeit dienen. Ich
kann wenigstens nicht umhin die merkwürdige Explodirfähigkeit des Knallquecksilbers
mit der Thatsache in Verbindung zu bringen, daß die specifische Wärme des
Quecksilbers dreißigmal geringer ist als die des Wassers. Das Knallquecksilber aber
enthält 70 Procent Quecksilber.
Bunsen (Gasometrische Methoden, S. 258) machte, als er
explosive Gasgemische gradweise mit unverbrennlichen Gasen verdünnte, die
Beobachtung, daß die Explodirbarkeit oder Entzündlichkeit dieser Gemische an einer
sehr scharfen Grenze ganz plötzlich aufhörte.
Pikrinsäure ist (zu 58,3 Theilen) in einer äquivalenten
Menge Salpetersäure (in 41,7 Theilen) leicht löslich. Während des Lösungsvorganges
sinkt die Temperatur, wie schon oben bemerkt wurde, so tief, daß das Glas, in
welchem das Gemisch bereitet wird, bald gefriert. Gleich dem vorigen Gemische
explodirt auch dieses Präparat mit sehr großer Heftigkeit, wenn es mit Hilfe eines
Detonators entzündet wird.
Nach Ausschluß des sechsten Theiles vom Sauerstoffgehalte der Salpetersäure und des
vom Phenol herrührenden Sauerstoffes bleiben noch 50,92 Procent an für die
Verbrennung verfügbarem Oxygen.
Es möge hier die Bemerkung Platz finden, daß die Pikrinsäure selbst eine
Sauerstoffmenge enthält, welche dazu hinreicht, daß sie für sich allein, ohne die
Beihilfe anderer Oxydationsmittel, eine kräftige Explosivsubstanz bildet, wenn sie
mit Hilfe eines Detonators entzündet wird. Bei ihrer Explosion findet fast gar keine
Rauchbildung statt.
Zum Beweise für die intensive Hitze, welche durch die Verbrennung dieser Gemische
erzeugt wird, will ich hier nachstehendes Factum mittheilen. Eine auf der Maschine
gepreßte messingene Patronenhülse von 4,8 Centim. Länge, 1,3 Centim. Durchmesser und
11,4 Grm. Gewicht wurde theilweise mit 0,65 Grm. Jagdpulver, theilweise mit 1,3 Grm.
Sand, welcher mit der (knapp 0,65 Grm. wiegenden) Lösung von Pikrinsäure in
Salpetersäure angefeuchtet worden war, so geladen, daß der Sand auf dem Pulver lag.
Die dann mit einer Kugel versehene Patrone wurde sogleich in das kalte Rohr eines
gezogenen Martini-Henry'schen Hinterladergewehres
eingeschoben und letzteres abgefeuert. Beim Herausziehen der Hülse zeigte sich, daß
die obere Hälfte derselben ihre Form vollständig verloren hatte; das Metall war
geschmolzen und die in der Patrone zurückgebliebenen Sandtheilchen erschienen
zusammengesintert wie durch einen Blitzschlag.
Es liegt auf der Hand, daß sich anstatt der beiden oben erwähnten, noch zahlreiche
andere verbrennliche Substanzen anwenden lassen. Obgleich es, um ein möglichst
inniges und gleichmäßiges Gemisch zu erhalten, vorzuziehen ist, daß eine
vollständige Auflösung stattfindet, so ist dies augenscheinlich doch nicht
unumgänglich nöthig, da mir die Herstellung eines Explosivpräparates auf dem Wege
gelang, daß ich
17,4 Theile
Naphthalin zu ungefähr
82,6
„
Salpetersäure
–––––––––
100,00
von dem oben angegebenen Concentrationsgrade hinzufügte. Das
auf diese Weise erhaltene Gemisch besitzt in Folge des Umstandes, daß in ihm ein
mikrokrystallinischer Niederschlag suspendirt ist, eine halbflüssige Consistenz.
Derselbe Grund, welcher mich veranlaßte, das Nitrobenzol dem Benzol vorzuziehen,
spricht auch für die Anwendung theilweis oxydirter Verbindungen aus der Reihe der
Alkohole und der Fettsäuren. Ich bedaure, daß ich in Bezug auf diesen Punkt zuverlässige
experimentelle Resultate nicht mitzutheilen habe.
Ein aus Essigsäure und Salpetersäure zusammengesetztes Explosivpräparat würde
bestehen müssen aus:
Essigsäure
C₂H₄O₂
=
37,3
Salpetersäure
1 3/5 (HNO₃)
=
62,7
–––––
100,0
Elementare
Zusammensetzungvor der Explosion
Muthmaßliche Zusammensetzungnach der
Explosion
C
=
14,92
CO₂
=
54,84
H
=
3,47
H₂O
=
31,23
N
=
13,93
N
=
13,93
O
=
67,68
–––––––
–––––––
100,00
100,00
Sollte sich ein Gemisch von Essigsäure und Salpetersäure als nicht explosiv erweisen,
so würde diese Thatsache einen interessanten Beweis zu Gunsten der Wichtigkeit der
Anordnungsweise der Molecüle in einer explosiven Verbindung abgeben. Ich will hier
daran erinnern, daß Brodie's Acetylperoxyd (Philos. Transact. 1863 t.
CLIII) eine der am heftigst wirkenden bekannten Explosivsubstanzen ist. Die
Zusammensetzung und die nahe Verwandtschaft der Essigsäure und des
Acetylperoxyds
Essigsäure =
C₂H₃O
H
O
Acetylperoxyd
= C₂H₃OC₂H₃O
O₂
C
=
40,0
C =
40,7
H
=
6,6
H =
5,0
O
=
53,4
O =
54,3
–––––––
–––––
100,0
100,0
gibt zu der Erwartung Anlaß, daß eine mechanische Beimengung
von für die Verbrennung verwerthbarem Sauerstoff der Essigsäure die Explodirbarkeit
ihres überoxydirten Radicales mittheilen wird.
Die Auswahl unter den oxydirenden Agentien ist weit beschränkter als die unter den
verbrennbaren Stoffen mögliche, namentlich wenn wir eine vollständige Vergasung der
Verbindung beanspruchen. Unter ihnen ist das salpetersaure
Ammoniak (Ammoniumnitrat) (NH₄NO₃) der nächste Körper,
welcher unsere Aufmerksamkeit fesseln muß, indem er zusammengesetzt ist aus:
N
=
35
entsprechend
N
=
35
H
=
5
„
H₂O
=
45
O
=
60
„
O
=
20
––––––
––––––
100
100.
Es ist zu bedauern, daß diese Substanz hygroskopisch ist; andernfalls würde sie mit
Vortheil als ein Zusatz oder als ein Ersatzmittel für den Kalisalpeter beim
gewöhnlichen Schießpulver (Schwarzpulver) verwendet werden können. Diese
Schwierigkeit dürfte wohl gehoben werden können durch Anwendung luftdichter Patronen
und durch das Incorporiren eines nicht flüchtigen Kohlenwasserstoffes als
Brennmaterial für diejenigen 20 Procent Sauerstoff, welche nicht von dem
Wasserstoffe des Ammoniums zur Verbrennung in Anspruch genommen werden.
Ich fand, daß durch einen Zusatz von Ammoniumnitrat zu Jagdpulver die
Anfangsgeschwindigkeit der Projectile in nachstehender Weise vermehrt wird:
GewichtsmengedesJagdpulvers
Gewichtsmengedes
zugesetztenAmmoniumnitratpulvers
GewichtdesProjectils
AnfangsgeschwindigkeitproSecunde
4,92 Grm.
–
31,49 Grm.
410 Meter
3,69
„
+
1,23 Grm. (a)
31,49
„
431,5 „
2,46
„
+
2,46 „ (b)
31,49
„
452,2 „
(a)
bestand aus
100
NH₄NO₃
+ 7,5 Kienruß,
(b)
„ „
80
„
+ 15,0 Kohle vom Holze des rothen Hartriegels (Cornus sanguinea L.)
Das Ammoniakpulver wurde (vor dem Füllen der Patrone) mit dem Jagdpulver sorgfältig
gemengt; von dem letzteren wurde eine geringe Menge zurückbehalten und um die Percussionskapsel
herumgeschüttet. Die Geschwindigkeiten der Geschosse wurden mit Hilfe von Le Boulengé's Chronograph (beschr. in diesem
Journal Bd. CLXXIX S. 30) bestimmt.
Als ich salpetersauren Harnstoff (mit Kalisalpeter
versetzt) anstatt des ihm verwandten salpetersauren Ammoniaks anwendete, beobachtete
ich keine Beschleunigung der Geschwindigkeit des Projectils. Ich erinnere daran, daß
salpetersaurer Harnstoff kein Krystallisationswasser enthält und ein völlig
stabiles, nicht hygroskopisches Salz ist.
Nitroglycerin kann gleichfalls als oxydirendes Agens zur
vollständigen Vergasung betrachtet werden. Da es einen Sauerstoffüberschuß von 3,52
Procent enthält, so ist anderweitigVergl. Dr. H. Sprengel's englisches Patent vom 5. Oct. 1871, Nr. 2642; sowie Berthelot: „Sur
la force de la poudre et des matières
explosives“ in den Annales de
Chimie er de Physique, 1871 t. XXIII
p. 265. empfohlen worden, diesen Sauerstoff durch den Zusatz einer äquivalenten
Menge Brennmaterial zu verwerthen. So erfordern
100 Theile
Nitroglycerin
1,156 Naphthalin oder
100 „
„
8,03 Pikrinsäure,
um in N, H₂O und CO₂ zu zerfallen; oder
100
Theile
Nitroglycerin
erfordern
14,09 Naphthalin oder
100
„
„
„
706,16 Pikrinsäure respect.
14,16
„
„
„
100 „
um zu N, H₂O und CO zu zerfallen.
Da ein Zurückbleiben von Säure in Nitroglycerin als muthmaßliche Ursache sehr
unerwünschter, nicht vorherzusehender Explosionen auf das sorgfältigste zu vermeiden
ist, so kann der Zusatz von einer organischen Base wie z.B. von Anilin, welches in Nitroglycerin leicht löslich ist, dem
zweifachen Zwecke entsprechen, jede etwa in Folge einer langsamen Zersetzung
entstandene Spur von Säure zu neutralisiren und gleichzeitig den im Nitroglycerin
enthaltenen Ueberschuß von Sauerstoff zu verbrennen.
Indem wir jetzt den Versuch, eine vollständige Vergasung zu erzielen, verlassen,
wenden wir uns wieder zu denjenigen Explosivkörpern, welche mit dem gewöhnlichen
Schießpulver (Schwarzpulver) insofern nahe verwandt sind, als die ihre oxydirenden
Bestandtheile ausmachenden Agentien Salze einer nicht flüchtigen Basis sind.
Von den letzteren ziehen wir zunächst das chlorsaure
Kalium in Betracht. Dieses Salz gibt, wenn mit
beinahe allen organischen Substanzen gemengt, explosible Compositionen.
Ich wenigstens machte diese Erfahrung, als ich geringe Mengen derartiger Gemische der
Concussion zwischen Eisen und Eisen unterwarf. Da das Mengen des chlorsauren Kaliums
mit verbrennlichen Substanzen – wenigstens mit starren Körpern dieser Art
– eine anerkannt sehr gefahrvolle Operation ist, so
verwendete ich, um Reibung zu vermeiden, verbrennbare Flüssigkeiten, welche mit
porösen Kuchen oder Stücken von chlorsaurem Kali in Berührung gebracht, von
denselben ruhig und gefahrlos absorbirt werden. Diese würfel- oder
kuchenförmigen Salzstücke erhält man durch Pressen des mit Wasser schwach
angefeuchteten Salzpulvers in geeigneten Formen; nach dem Trocknen besitzen sie die
Cohärenz des Hutzuckers und der Grad ihrer Porosität wird von der größeren oder
geringeren Feinheit des Salzpulvers sowie von dem größeren oder geringeren Drucke
bedingt, welchem das letztere beim Pressen in Formen unterworfen wurde. Beide
Eigenschaften regulirt man der Menge des flüssigen Brennstoffes entsprechend,
welcher der Salzmasse durch Absorption einverleibt werden soll.
Als ich auf derartige Kuchen die Detonation von 0,65 Grm. Knallquecksilber einwirken
ließ, explodirten sie nicht sondern nur dann, wenn die der Salzmasse einverleibte
Flüssigkeit eine gewisse Menge von Schwefel oder einer Nitroverbindung enthielt. So
z.B. explodirten sie
sehr heftig
bei
einem
Zusatze
von
Schwefelkohlenstoff,
ebenso
„
„
„
„
Nitrobenzol,
heftig
„
„
„
„
1/2 Benzol + 1/2 Schwefelkohlenstoff,
ebenso
„
„
„
„
Schwefelkohlenstoff der mit Naphthalin
gesättigt worden,
sehr gut
„
„
„
„
Phenol, in Schwefelkohlenstoff aufgelöst,
gut
„
„
„
„
3/4 Petroleum + 1/4 Schwefelkohlenstoff,
nicht gut
„
„
„
„
mit Schwefel gesättigtem Petroleum,
ebenso
„
„
„
„
mit Schwefel gesättigtem Benzol.
Das einfache Benzolgemenge (ohne Schwefel) exploderte gar nicht.
Schwefel scheint in Kohlenwasserstoffen nur wenig löslich zu sein; doch gibt es
Ausnahmen und zu diesen gehört das Naphthalin, in welchem er sich leichter löst.
Wenn die Zersetzung des Schwefelkohlenstoffgemenges in der der folgenden
Gleichung:
2 (KClO₃) + CS₂ = 2KCl + CO₂ +
2SO₂
entsprechenden Weise vor sich ginge, so würden 100 Theile
chlorsaures Kalium 31 Th. Schwefelkohlenstoff erfordern. Ich machte indessen die
Beobachtung, daß ich durch Anwendung einer geringeren Menge des letzteren (von 15
bis zu 20 Theilen CS₂) bessere Resultate erhielt, indem sich dann bei der
Zersetzung Schwefelsäure bildete.
Als ein solches Gemenge in Granitbrüchen (bei Tagebauten) zum Sprengen verwendet
wurde, erwies sich dasselbe als ungefähr viermal so wirksam, wie eine gleiche
Gewichtsmenge gewöhnliches Sprengpulver (Schwarzpulver).
Obgleich das einfache (schwefelfreie) Benzolgemenge unter den angegebenen Bedingungen
nicht explodirte, so läßt doch die große Aehnlichkeit zwischen Concussion und
Detonation vermuthen, daß alle Substanzen, welche sich durch Concussion zum
Explodiren bringen lassen, auch durch Detonation dazu gebracht werden können, falls
die letztere genügend stark ist. Ich fand nun auch wirklich,
daß, wenn ich die Percussionskapsel mit einer Hülle von Schießbaumwolle umgab,
die auf diese Weise verstärkte oder vervielfältigte Detonationskraft der
ersteren in höchst befriedigender Weise das Explodiren von Gemengen aus
chlorsaurem Kalium, welche weder Schwefel, noch eine Nitroverbindung enthielten,
wie z.B. von Benzol-, Petroleum- und Phenolgemengen bewirkte.
Derartige Gemenge in Form von 80 Grm. schweren Kuchen explodirten mit großer
Kraftäußerung, sobald ich die Detonation von 15 Grm., 8 Grm. und 7 Grm.
Schießbaumwolle auf sie einwirken ließ, nachdem sie frei auf eine Unterlage gelegt
worden waren.
Die praktische Bedeutung dieser Thatsache liegt klar auf der Hand.
Wir verdanken Abel die Entdeckung der interessanten
Thatsache (Philos. Transact. 1869 t. CLIX), daß nicht allein die Quantität, sondern auch die Qualität, d. i.
die chemische Beschaffenheit des Detonationsmittels bei der Fortpflanzung einer
Explosion eine wichtige Rolle spielt. Zukünftige Experimente werden den Nachweis
liefern, daß das Unterbringen des Explosivkörpers in einem abgeschlossenen Raum im
Verein mit der Quantität und gleichzeitig der Qualität des Detonators die Explosion
von Gemengen zu bewirken vermag, welche bisher als nicht explosiv galten.
Die zwischen chlorsaurem Kalium und Benzol stattfindende Reaction läßt sich in ihrer
einfachsten Form in nachstehender Weise vergegenwärtigen:
Textabbildung Bd. 212, S. 337
Zusammensetzung vor der Explosion;
Muthmaßliche Zusammensetzung nach der Explosion; Moleculargewichte; starr;
gasförmig.
Ich bemerkte keine Neigung zum Explodiren, als die oben gedachten Kuchen, mit der
brennbaren Flüssigkeit imprägnirt, entzündet wurden.
Gleichwie bei den sauren Gemischen, so sind auch bei diesen Gemengen sehr viele
Abänderungen möglich und zulässig. Das chlorsaure Kalium kann theilweise (vielleicht
gänzlich) durch salpetersaures Kalium oder salpetersaures Natrium ersetzt werden.
Anstatt der oben erwähnten Kohlenwasserstoffe kann man theilweise oder gänzlich
nicht flüchtige Hydrocarbüre verwenden; ferner lassen sich Fette, Bitumen, Harze
oder andere starre Kohlenwasserstoffe benützen, welche einen so niedrigen
Schmelzpunkt haben, daß es praktisch ausführbar ist, die Kuchen der oxydirend
wirkenden Salze mit ihnen zu durchtränken, während sie in geschmolzenem Zustande
sich befinden. Da der Kohlenstoff in der Form von Holzkohle, von Graphit und von
Diamant sehr verschiedene Affinitätsgrade zum Sauerstoffe zeigt, so wird auch hier
durch die Benützung eines schwierig zu entflammenden
Kohlenwasserstoffes oder irgend eines anderen flüssigen Brennstoffes die den mit
chlorsaurem Kalium dargestellten Zusammensetzungen eigene Tendenz zum Explodiren
vermindert werden.
Am Schlusse dieser einleitenden Untersuchungen möchte ich noch vom Standpunkte der
Praxis aus über den in den vorstehenden Mittheilungen abgehandelten Gegenstand
einige Bemerkungen machen. Es lassen sich allerdings gegen die Anwendung einiger der
besprochenen Explosivmittel Einwürfe machen. Die sauren Explosivgemische sind
hygroskopisch und in Folge der ätzenden Eigenschaften der Salpetersäure schwierig zu
handhaben. Ferner ist es nicht leicht ein zur Anfertigung der für ihre Aufnahme
bestimmten Patronen geeignetes Material zu finden. Wir haben die Wahl zwischen Glas,
Steinzeug, Eisen und (bei Anwendung der dieser Classe angehörenden Explosivkörper in
der Form von Dynamit) vielleicht Papier. Doch bleibt noch die Aufgabe übrig, zu
untersuchen, ob die aus der Anwendung jener sauren Explosivsubstanzen sich
ergebenden Vortheile diese Uebelstände nicht aufzuwiegen im Stande sind. In Bezug
auf Billigkeit, Wirkung, Sicherheit und Zuverlässigkeit stellen sie sich anderen,
gegenwärtig angewendeten Explosivmitteln vortheilhaft gegenüber. Die oxydirend
wirkenden, in Kuchenform oder in gekörntem Zustande
anzuwendenden Substanzen sind, nachdem sie mit den öligen Flüssigkeiten imprägnirt
worden, gegen die nachtheilige Einwirkung des Wassers geschützt. Man hat zu
berücksichtigen, daß neun Zehntheile sämmtlicher Explosivstoffe (einschließlich des
gewöhnlichen Schwarzpulvers) zu Sprengzwecken Verwendung finden und daß die
werthvollen Eigenschaften des gemeinen Schießpulvers als forttreibendes Mittel für
bergmännische Arbeiten nicht erforderlich sind. Hier bedürfen wir (mit wenigen
Ausnahmen) der stärksten und zugleich billigsten Kraft.
Darauf gründet sich
mein Glauben an eine Zukunft der in den vorstehenden Mittheilungen besprochenen
Explosivkörper.
Die im Laufe der letzten Jahre in der Chlorfabrikation gemachten bedeutenden
Fortschritte lassen eine Erniedrigung der Preise für die Chlorsäuresalze hoffen und
Salpetersäure wird und muß stets billiger sein als Nitroverbindungen.
Endlich – und dies dürfte nicht der geringste Vorzug der neuen Explosivstoffe
sein – können wir, zur Vermeidung der Gefahr
freiwilliger Explosionen dieser Verbindungen während ihrer Fabrikation, ihrer
Aufbewahrung und ihres Transportes, den oxydirend wirkenden
Bestandtheil getrennt von dem verbrennbaren Agens halten bis zu dem Augenblicke,
in welchem ihre chemische Verbindung, unserm Willen gehorchend, vor sich gehen
soll. Ich weiß sehr wohl, daß ein solcher Weg schon früher eingeschlagen
und als unpraktisch wieder verlassen worden ist; allein damals waren die zur
Herstellung der Explosivstoffe verwendeten oxydirenden sowohl als auch der dazu
nöthige verbrennbare Bestandtheil Körper von starrem Molecularzustande. Jetzt aber
haben wir mit zwei Flüssigkeiten oder doch mit einer Flüssigkeit und einem starren
Körper zu thun, deren Vermischung weit leichter ausführbar ist.
Auf diesen Punkt einiges Gewicht zu legen, fühle ich mich um so mehr berechtigt, als
dies meiner Ansicht nach der einzige Weg ist, welcher uns durch die zur Erzeugung
und Anwendung dieser gefährlichen Explosivkörper erforderlichen Operationen mit absoluter Sicherheit hindurchführen.
H. H.