Titel: Ueber die chemische Reinigung (Entkletten) der Wolle; von Duclaux, Lechartier und Raulin.
Autor: Duclaux , Lechartier , Raulin
Fundstelle: Band 213, Jahrgang 1874, Nr. XX., S. 65
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XX. Ueber die chemische Reinigung (Entkletten) der Wolle; von Duclaux, Lechartier und Raulin. Ueber die chemische Reinigung der Wolle. Bekanntlich greifen die starken, mit Wasser verdünnten Säuren – namentlich die Schwefelsäure – unter Mitwirkung der Wärme die vegetabilischen Materien weit leichter an als die Wolle. Seit 1853 hat man davon eine interessante industrielle Anwendung gemacht; Fenton und Crom nahmen nämlich damals ein englisches Patent auf die Zerstörung der Baumwolle und anderer Pflanzenfasern in halbwollenen Lumpen, um daraus die reine Wollfaser zu gewinnen. In einem französischen Patente vom 22. Mai 1854 constatirten Izart und Lecoup einen bedeutenden praktischen Fortschritt dadurch, daß sie hervorhoben, das chemische Verfahren sei auch geeignet, in Wolle gewisse vegetabilische Verunreinigungen, welche derselben im natürlichen Zustand anhängen, wie z.B. Kletten, Stroh etc., zu zerstören; man könne es mithin auf jede wollene Substanz, ob unverarbeitet oder verarbeitet, ausdehnen. Dieser Wink blieb nicht unbeachtet, denn während man früher eigener Arbeiter bedurfte, welche mit den Händen oder mit Hilfe eines Zängelchens die Strohtheile, Kletten etc. aus der rohen Wolle entfernen mußten, zerstört man heut zu Tage alle derartige hängen gebliebene Unreinigkeiten mittels Säure binnen wenigen Minuten – eine Operation, welche man unter dem Namen chemische Reinigung oder (épaillage, wörtlich Entstrohung) „Entkletten der Wolle auf chemischem Wege“ begreift. Auf das Patent von Izart und Lecoup folgten noch mehrere, ohne daß jedoch in einem derselben wirklich Fortschritte und Verbesserungen enthalten waren. Das Verfahren selbst begreift im Wesentlichen drei Operationen: 1) Einlegen der rohen oder verwebten Wolle in ein Schwefelsäurebad von 3 bis 4'' B. 2) Ausschleudern in einer Centrifuge und 3) Aussetzen einer Temperatur von circa 100°. Durch die Einwirkung der Säure erleiden die Kletten eine Art Verkohlung und werden so brüchig, daß sie bei der weiteren Verarbeitung der Wolle (nach vorausgegangenem Ausspülen der Säure) als Staub herausfallen. Uebrigens darf nicht übersehen werden, daß die Behandlung organischer Materien durch Säuren und Wärme, wobei die vegetabilische Substanz zerstört und die animalische unverändert bleiben soll, immerhin etwas delicater Natur ist und daher Vorsicht erforderlich macht. Ueber Stärke der Säure, Temperatur etc. ist man noch keineswegs so im Reinen, daß nicht auch Mißerfolge stattgefunden hätten, und aus diesem Grunde sind von uns zahlreiche Versuche angestellt worden, um dem Industriellen feste und sichere Anhaltspunkte bei der Anwendung des Verfahrens zu geben, deren Ergebnisse wir nun hier folgen lassen wollen. Man hat, um die wollenen Stoffe vor der Einwirkung der Säure – wie man voraussetzte – sicher zu schützen, empfohlen, dieselben erst in eine Lösung verschiedener Salze, wie Sulfate, metallische Chloride und ganz besonders Zink-, Alaunerde-, Zinnsalze zu beizen. Um darüber ein entscheidendes Urtheil fällen zu können, behandelten wir einige Wollstoffe gleich oder erst nach dem Eintauchen in Lösungen von Alaun oder Zinnsalz mit Schwefelsäure von verschiedener Stärke. Der Erfolg war stets der gleiche, d.h. durch die vorherige Behandlung mit einem solchen Salze ging die Wolle aus dem Säurebade nicht besser hervor als aus letzterem allein, und wenn sie eine Veränderung erlitten hatte, so zeigte sich dieselbe in beiden Fällen gleich groß. Das vorhergehende Behandeln mit Salzen konnte auf die spätere Färbung der Stoffe von guter oder schädlicher Wirkung sein. Darauf bezügliche Versuche ergaben im Allgemeinen, daß die Farbe der (durch die Salze) geschützten Stoffe von derjenigen der ursprünglichen mehr abwich als die Farbe der nicht gebeizten. Die ursprünglichen und die mit Schwefelsäure von passender Verdünnung allein behandelten Stoffe hatten eine gleichförmige, nahezu identische Farbe. Die gebeizten Proben hingegen besaßen eine unregelmäßige, von fremdartigen Nüancen durchsetzte Farbe, namentlich bei hellgrau und graublau, und selbst dann noch, wenn das Zinnsalz in einer Verdünnung von 1 Kilogramm auf 800 Liter Wasser angewendet worden war. Die sogenannten schützenden Bäder sind mithin nicht nur völlig nutzlos, sondern auch für die spätere Färbung nachtheilig. Um nun wieder auf diejenigen Agentien zurückzukommen, welche die Fähigkeit besitzen, die vegetabilische Materie zu zerstören, ohne die Wolle anzugreifen, so heben mehrere Patente mit großer Zuversicht als solche die vegetabilischen und mineralischen Säuren, das Chlor und dessen Sauerstoff-Verbindungen etc. hervor. Aber die Zahl solcher Agentien ist nur klein; so greift der Chlorkalk die Wolle stark an, während die Kletten dadurch nicht zerstört werden, und die vegetabilischen Säuren wirken weder auf die Wolle, noch auf die Kletten ein. Wir haben uns daher auf die Prüfung des Verhaltens der Schwefelsäure allein beschränkt. Taucht man ein Stück Stoff kalt in verdünnte Schwefelsäure, so erfolgt damit noch keine Einwirkung; wenn man das eingetauchte Stück aber nachher in einem bis auf 100° geheizten Raum bringt, so werden die darin vorhandenen Kletten in wenigen Minuten verkohlt. Wir haben drei Proben Wollstoffe mit Schwefelsäure von verschiedener Verdünnung behandelt und mehr oder weniger lange verschiedenen Temperaturen ausgesetzt. Nach dem Herausnehmen aus der Säure waren die Proben der ersten Reihe dem bloßen Abtropfen überlassen worden. Die Proben der zweiten Reihe hatte man in der Hand so weit ausgedrückt, daß sie nur noch ein ihrem eigenen gleiches Gewicht Flüssigkeit enthielten; die Proben der dritten Reihe endlich hatte man in einer Centrifugalmaschine ausgeschleudert, und betrug die darin zurückgebliebene Flüssigkeit kaum die Hälfte vom Gewichte des Stoffes. In sämmtlichen blos abgetropften Proben war die Wolle augenscheinlich. verändert; sie besaß eine geringere Festigkeit als die der ausgedrückten Proben. Die Veränderung erschien übrigens an den verschiedenen Stellen der Zeugfläche ungleich, stärker an den Rändern namentlich den unteren. Die Proben der zweiten Reihe waren innerhalb passender Grenzen der Säureverdünnung und Temperaturhöhe ziemlich unversehrt und von ziemlich gleichförmigem Ansehen; aber innerhalb derselben Grenzen übertrafen die Proben der dritten Reihe die übrigen hinsichtlich der Unversehrtheit der Wolle. Diese Differenzen kamen noch mehr zum Vorschein, als man die Proben in ebensolche Färbebäder, als zur Ermittelung des Einflusses der sogen, schützenden Bäder gedient hatten, brachte; denn die Nüancen sämmtlicher Proben der ersten Reihe waren mehr oder weniger unregelmäßig und verschieden von denen der ursprünglichen Proben, jene der zweiten Reihe wiederum ziemlich, und die der dritten Reihe vollkommen befriedigend. Mithin ist das Ausschleudern eine zur Erzielung untadelhafter Fabrikate nothwendige Bedingung, namentlich bei ganzen Tuchstücken, bei welchen das gleichförmige Ausringen kaum möglich wäre. Die ungünstigen Resultate mit den blos abgetropften Proben sind eine unmittelbare Folge des nun zu besprechenden Einflusses der Säuremenge auf die Conservirung der Wolle und der ungleichen Vertheilung der Säure auf den Stoff während der Verdunstung der Flüssigkeit unter dem Einflusse der Schwere und der Capillarität. Wir haben viele Versuche angestellt, um den Einfluß der Säuremenge, der Temperatur des Heizlocales und der Dauer des Verweilens in diesem auf die Resultate der Entklettung der Wollstoffe kennen zu lernen. Es ergab sich dabei u.a., daß – wenn man den Stoff zwei Stunden lang bei 110° aussetzte – 2 Liter Säure auf 100 Liter Wasser ein passendes Verhältniß sind, während bei 1/4 Liter Säure die Kletten kaum angegriffen werden, und bei 17 Liter Säure die Wolle eine derartige Veränderung erleidet, daß der Stoff an den Rändern verkohlt wird und beim Waschen in Fetzen zerfällt. Man erhält im Allgemeinen bei gleicher Temperatur und gleich langem Verweilen in dem Trockenraum innerhalb gewisser Säure-Grenzen gute Resultate; unterhalb der Minimal-Grenze werden die Kletten nicht genügend zerstört, und oberhalb der Maximal-Grenze wird die Wolle beschädigt. Der geeignete mittlere Säure-Zusatz variirt übrigens im umgekehrten Sinne mit der Temperatur und der Dauer des Verweilens im Trockenlocale. Die so behandelten Stoffe wurden erst mit warmem Wasser, dann mit alkalischem Wasser gewaschen, in fließendem Wasser gespült, in mehrere Reihen getheilt und gleichzeitig mit nicht entkletteten Proben gefärbt, und zwar hellgrau, stahlgrau, graublau, scharlachroth, goldgelb, grün und kastanienbraun. Im Allgemeinen näherte sich die Farbe der entkletteten Proben um so mehr derjenigen der nicht entkletteten, als die Säuremenge geringer, die Temperatur des Trockenlocales weniger hoch und die Dauer des Verweilens darin kürzer war; sie zeigte sich übrigens unter gewissen Grenzen normal und gleichmäßig. Oberhalb dieser Grenzen erschien die Farbe mit blassem Ton und glanzlos, weniger gleichmäßig, und mit einer der ursprünglichen Musterprobe fremden Nüance, jedoch bei den verschiedenen Farben in ungleichem Maße. Die nachfolgende Tabelle gibt eine bestimmte Grenze an, welche der Fabrikant nicht überschreiten darf, wenn er befriedigende Resultate erzielen will. Temperaturdes Trockenlocals. Säuremengefür 2stünd. Verweilen imTrockenlocale. Säuremengefür halbstünd. Verweilenim Trockenlocale.   80°    1 1/2  bis  4 1/2 Liter   3       bis 7       Liter 110° 1          „   3          „ 1 1/2   „  4 1/2    „ 150°    1/2    „   1          „ 1         „  1 1/2    „ Die Veränderlichkeit der Farben beim Färbeprocesse sowohl an den mit Zinnchlorür als auch an den mit zu viel Säure behandelten Stoffen ist eine merkwürdige Erscheinung. Es läßt sich denken, daß das Zinnsalz, welches die allgemeinen Eigenschaften der Beizmittel besitzt, möglicherweise der Wolle in einem solchen Grade adhärirend bleibt, daß die Verbindung durch Waschen nicht wieder zerstört wird, und daß dadurch die Adhäsion des Farbstoffes eine Modification erleidet. Dieselbe Vermuthung wäre vielleicht auch in Bezug auf die Schwefelsäure zulässig; wenigstens ist den Praktikern wohl bekannt, daß die Wolle Schwefelsäure in größerer Menge absorbirt als das Wasser, und daß die Säure ihr nur äußerst schwierig vollständig wieder zu entziehen ist. Schließlich wollen wir noch hervorheben, daß Violette vor Kurzem ähnliche Untersuchungen wie die hier beschriebenen angestellt hat und zu denselben Ergebnissen wie wir gelangt ist. (Aus dem Bulletin de la Société chimique de Paris, t. XXI, p. 337, April 1874, auszugsweise mitgetheilt.