Titel: Ueber eine neue Darstellungsmethode und einige bemerkenswerthe Eigenschaften der Salicylsäure, von Professor Dr. Kolbe in Leipzig.
Fundstelle: Band 213, Jahrgang 1874, Nr. XLIV., S. 166
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XLIV. Ueber eine neue Darstellungsmethode und einige bemerkenswerthe Eigenschaften der Salicylsäure, von Professor Dr. Kolbe in Leipzig.Auszug aus einem vom Verfasser zu Leipzig vor der k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften am 8. Mai 1874 gehaltenen (der Red. gefälligst eingesendeten) Vortrage. Kolbe, über bemerkenswerthe Eigenschaften der Salicylsäure. Die speciellen physikalischen und chemischen Eigenschaften der Salicylsäure sind sorgfältig studirt und im Allgemeinen gut bekannt, weniger oder eigentlich fast noch gar nicht sind die physiologischen Wirkungen derselben untersucht. Die einzige in dieser Richtung bekannt gewordene Thatsache ist die vor einer Reihe von Jahren von Bertagnini mitgetheilte Beobachtung, daß Salicylsäure in größeren Dosen (6 Gramm in zwei Tagen) gegeben Ohrensausen bewirkt, und daß sie beim Durchgange durch den Körper zum Theil in Salicylursäure übergeht, während ein anderer Theil sich unverändert in dem Urin vorfindet. – Nach Versuchen, welche im hiesigen Hospital angestellt sind, ist die Salicylsäure, wenn davon 0,3 Grm. innerlich genommen sind, schon nach 2 Stunden und noch nach 20 Stunden im Harn nachweisbar. Die Erfahrung, daß die Salicylsäure sich aus Carbolsäure und Kohlensäure leicht zusammensetzen läßt, und die bekannte Eigenschaft derselben, sich beim Erhitzen über den Siedepunkt in Karbolsäure und Kohlensäure zu spalten, ließen mich vermuthen, daß die Salicylsäure ähnlich der Carbolsäure Gährungs- und Fäulnißprocesse aufhält oder ganz verhindert, und daß sie überhaupt antiseptisch wirkt. In dieser Richtung theils von mir selbst, theils vom Prof. Thiersch hierselbst angestellte Versuche haben zu merkwürdigen Ergebnissen geführt, durch welche meine Vermuthung von den antiseptischen Eigenschaften der Salicylsäure eine überraschende Bestätigung erfahren hat. Ich beschränke mich darauf, über jene Versuche hier vorerst kurz zu referiren. Um zu sehen, ob die Salcylsäure die Wirkung verschiedener Fermente zu vernichten oder aufzuhalten im Stande sei, habe ich zunächst Amygdalin in Wasser aufgelöst, dieser Lösung eine kleine Menge Salicylsäure beigemischt und nach gehörigem Durchmischen eine Emulsion von süßen Mandeln hinzugefügt. Nach Verlauf einer Viertelstunde, wo eine zweite Mischung von Mandel-Emulsion und Amygdalin, die keine Salicylsäure beigemischt enthielt, längst stark nach Bittermandelöl roch, war bei jener Salicylsäure haltigen Mischung nicht der mindeste Geruch nach Bittermandelöl wahrzunehmen. Ist der Zusatz von Salicylsäure sehr gering, so kommt der Bittermandelölgeruch nach einigen Stunden zum Vorschein; ist aber die Menge von Salicylsäure etwas beträchtlicher, jedoch immer noch minimal, so ist selbst nach 24 Stunden kein Geruch entstanden. Senfmehl, welches mit lauwarmem Wasser nach wenigen Augenblicken einen starken Geruch nach Senföl erzeugt, gibt mit Wasser eine geruchlose Mischung, wenn demselben zuvor ganz wenig Salicylsäure beigemischt war. Wird eine Lösung von Traubenzucker mit wenig Salicylsäure (höchstens ein Tausendstel) vermischt, so übt Hefe hernach keine Wirkung mehr darauf aus, und bereits in Gährung begriffene Zuckerlösung hört auf zu gähren, wenn man kleine Mengen Salicylsäure hinzufügt. – Dr. v. Meyer, mit welchem ich diese Versuche zusammen ausführe, hat darüber Folgendes notirt. Vier Glasgefäße, deren jedes mehr als 1 Liter Zuckerlösung enthielt, wurden mehrere Tage und Nächte nach einander constant auf der Gährungstemperatur erhalten. Der Zuckerlösung in den Gefässen a und b wurde keine Salicylsäure beigemischt, sondern nur Hefe. Im Gefäße c war vor dem Eintragen der Hefe die Gährungsflüssigkeit mit 0,18 Grm. und in d mit 1 Grm. Salicylsäure versetzt. Der Inhalt der Gefäße a und b gerieth gleich am ersten Tage in volle Gährung, der von c gleichfalls aber in schwächerem Grade. In d war keine Spur von Gasentwicklung wahrnehmbar, die Flüssigkeit klärte sich darin allmälig vollständig. Die der Zuckerlösung in c zugefügte Menge (0,18 Grm.) Salicylsäure war also zu gering, um die Gährung zu verhindern. Es wurden derselben deshalb am dritten Tage noch 0,2 Grm. Salicylsäure hinzugefügt, wonach die Gährung vollständig aufhörte. Am fünften Tage war die Gährung in den Gefäßen a und b (welche von vorn herein gar keine Salicylsäure erhalten hatten) schwach, ging jedoch noch fort. Es wurden der Mischung in b jetzt 0,4 Grm. Salicylsäure zugefügt. Dies hatte zur Folge, daß am sechsten Tage die Flüssigkeit in b zwar noch trüb aber ohne Pilzdecke war, während auf der Flüssigkeit in a eine solche in üppigster Weise vegetirte. – Wir setzen jene und ähnliche Versuche fort, und prüfen zunächst, welchen Einfluß die Salicylsäure auf den Verlauf der Milchsäure- und Buttersäure-Gährung übt, und ob, wie zu vermuthen ist, die Salicylsäure auch die Wirkung der Diastase auf Stärkelösung aufhebt. Von hellem Leipziger Bier vorzüglicher Qualität wurden in mehreren weiten Bechergläsern, hernach mit Papier lose bedeckt, je 1000 Grm. vertheilt und 14 Tage lang bei einer zwischen 20° und 24° C. schwankenden Temperatur hingestellt. Jene Menge Bier wurde im einen Gefäß mit 0,2 Grm., im zweiten mit 0,4 Grm., im dritten mit 0,8 Grm., im vierten mit 1,2 Grm. pulveriger Salicylsäure versetzt und durchmengt. In einem andern Glas blieb das Bier unvermischt. Dieses letztere fing schon am Ende des zweiten Tages an zu verderben und sich mit einer Pilzdecke zu überziehen. Im Gefäß mit 0,2 Grm. Salicylsäure begann die Pilzvegetation am dritten Tage, in dem Bier mit 0,4 Grm. Salicylsäure am fünften Tage, mit 0,8 Grm. am zehnten Tage, und die 1000 Grm. Bier, welchen 1,2 Grm. Salicylsäure zugesetzt war, zeigten selbst nach 12 Tagen noch keine Pilzbildung. Selbstverständlich war das Bier in dem offenen Gefäße sauer geworden. Ein Tausendstel Salicylsäure, dem Biere beigemischt, genügt also, dasselbe vor dem Verderben durch Pilzbildung zu schützen. Wir haben uns sodann noch durch einen Versuch davon überzeugt, daß frische reine Kuhmilch, mit 0,04 Proc. Salicylsäure vermischt und bei einer Temperatur von 18° in einem offenen Gefäße stehen gelassen, 36 Stunden später gerinnt, als die daneben gestellte gleiche Menge Milch, die keine Salicylsäure enthielt. Zusatz von etwas mehr Salicylsäure verzögert das Sauerwerden und Gerinnen noch länger. Die Milch bleibt wohlschmeckend; die kleine Beimengung von Salicylsäure ist durch den Geschmack durchaus nicht wahrzunehmen. Frisch gelassener Harn wurde in zwei Theile getheilt und in gesonderten Gefäßen mehrere Tage hingestellt, nachdem der einen Hälfte wenig Salicylsäure zugesetzt war. Dieser Harn war am dritten Tage noch klar und frei von Ammoniakgeruch, während die unvermengte Probe längst in Fäulniß übergegangen war und starken Geruch verbreitete. Frisches Fleisch, mit Salicylsäure eingerieben, hält sich an der Luft wochenlang ohne zu faulen. Ich habe eben eine größere Menge frisches Ochsen- und Hammelfleisch, mit Salicylsäure präparirt, in einem bedeckten großen Topfe fest zusammengelegt, um dasselbe nach Ablauf zunächst eines Monats auf seine Brauchbarkeit in der Küche und auf seinen Geschmack zu prüfen. Die Salicylsäure läßt sich vor dem Gebrauch durch Abwaschen größtentheils wieder entfernen. Der zurückbleibende Antheil Salicylsäure wird, da sie einen nicht unangenehmen schwach süßlichen Geschmack besitzt, hernach schwerlich durch den Geschmack wahrgenommen werden können. Wenn diese Versuche ein günstiges Resultat geben, so verspricht die Salicylsäure ein Mittel zu werden, welches es ermöglicht, daß ein Theil der Fleischmengen, welche jetzt in Fray-Bentos auf Liebig'schen Fleischextract verarbeitet werden, aus Südamerika zu geringem Kostenpreis in wohl erhaltenem und schmackhaftem Zustande mit geringen Kosten uns zugeführt wird. Noch sei hier bemerkt, daß ich im Monat März und April frisch gelegte Hühnereier in eine wässrige Lösung von Salicylsäure, welche von letzterer noch einen Theil suspendirt enthielt, eingelegt, und darin etwa eine Stunde habe liegen lassen; nachdem sie an der Luft wieder trocken geworden waren, wurden sie in eine mit Häcksel gefüllte Kiste gelegt. In eine zweite Kiste wurde jedesmal an demselben Tage ein ebenfalls frisches Ei, ohne mit Salicylsäure imprägnirt zu sein, eingelegt. Nach Ablauf von 6, 9 und 12 Monaten wird sich herausstellen, ob die mit Salicylsäure behandelten Eier noch genießbar sind, vielleicht gar noch wie frische Eier schmecken. Ich werde das Ergebniß dieser Versuche seiner Zeit veröffentlichen. Ueber die antiseptischen Wirkungen der Salicylsäure und speciell über die Verwendung derselben für chirurgische Zwecke hat Professor Thiersch in der chirurgischen Abtheilung des Leipziger Hospitals angefangen Versuche anzustellen, welche bemerkenswerthe Resultate gegeben haben, worüber er mir am 7. Mai folgende Notiz hat zukommen lassen: „Auf noch nicht gereinigten Quetschwunden und auf schorfenden Krebsflächen als Pulver, für sich oder mit Stärkemehl vermischt, aufgestreut, zerstört die Salicylsäure für längere Zeit die Fäulnißgerüche ohne nennenswerthe entzündliche Erscheinungen hervorzurufen. In Lösungen von 1 Th. Salicylsäure, 3 Th. phosphorsaurem Natron und 50 Th. Wasser begünstigt sie die Ueberhäutung von Granulationsflächen. Ueber ihre Wirkung bei frischen Wunden liegen bis jetzt folgende Thatsachen vor. Während der Operation wird die Wunde unter einem Sprühnebel von Salicylsäure in Wasser (1 : 300) gehalten. Der Verband der Wunde bestand in Wundwatte, mit Salicylsäure im krystallisirten Zustande imprägnirt. Die Watte wird mit Salicylsäure in Wasser (1 : 300) genetzt, eben so die Mullbinde, mit welcher die Watte festgehalten wird. Hinterher fortwährende Beträufelung des Verbandes mit Salicylsäurelösung (1 : 300), etwa 8 Tropfen in der Minute. Nach einer am 27. April vorgenommenen Oberschenkel-Amputation hatte der Patient bei jener Behandlung keine Schmerzen, keine Geschwulst, kein Fieber. Die erste Erneuerung des Verbandes fand am sechsten Tage statt. Die Wunde war bis auf einige kleine Stellen geschlossen. Das während dieser sechs Tage unter dem Verbande zurückgehaltene Wundsecret war geruchlos. Mit gleich günstigem Ergebniß wurde am 4. Mai eine Amputation des Oberarmes und am 5. Mai Resection des Oberarmes ausgeführt. Wo Salicylsäure mit Wunden in Berührung ist, tritt sie alsbald in großer Menge im Harn auf. Die bisherigen Erfahrungen berechtigen zu der Hoffnung, daß Salicylsäure die guten Wirkungen ohne die unangenehmen der Carbolsäure hat.“ Die bemerkenswerthe Eigenschaft der Salicylsäure, die Pilzbildung zu verhindern, und die Fermente unwirksam, unschädlich zu machen, läßt mich vermuthen, daß sie für gewisse Krankheiten auch in den Arzneischatz Aufnahme finden wird. Es ist gewiß der Mühe werth zu versuchen, welche Wirkungen kleinere oder größere Dosen von Salicylsäure, bei den ersten Anzeichen ausbrechender Cholera dem Patienten innerlich gegeben oder durch Klystiere applicirt, auf den Verlauf der Krankheit ausüben.Salicylsäure, nach dem neuen Verfahren von Prof. Dr. Kolbe bereitet, kann zu billigem Preise (100 Gramm = 3 Reichsmark) von der Fabrik des Hrn. Dr. F. v. Heyden in Dresden (Neustadt) bezogen werden.D. Red. Leipzig, Mai 1874.