Titel: | Mittheilungen aus dem chemisch-technischen Laboratorium des Polytechnicums in Carlsruhe. |
Autor: | K. Birnbaum , J. Koken |
Fundstelle: | Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 52 |
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Mittheilungen aus dem chemisch-technischen
Laboratorium des Polytechnicums in Carlsruhe.
Untersuchung einer sauer reagirenden Flüssigkeit
aus dem Uebersteiger des Vacuumapparates einer Rübenrohzuckerfabrik von K. Birnbaum und J. Koken.Vergl. 1875 215 383.
Birnbaum und Koken, Untersuchung einer sauer reagirenden
Flüssigkeit aus dem Uebersteiger des Vacuumapparates einer
Rübenrohzuckerfabrik.
Im Frühjahr 1874 beobachtete man in Waghäusel eine stark saure Reaction derjenigen
Flüssigkeit, welche sich im Uebersteiger des Vacuumapparates der Rohzuckerfabrik
ansammelte. Die Wände des Uebersteigers wurden wiederholt durch die Säure zerstört;
die Flüssigkeit nahm aus diesem Apparate Blättchen eines dunkelbraunen Eisensalzes
mit sich Hr. Director Dr. Cunze forderte uns auf, die hier wirksamen Säuren zu ermitteln und übergab
uns dazu außer einer größeren Quantität von der im Uebersteiger angesammelten rohen
Flüssigkeit eine kleine Menge des erwähnten Eisensalzes — ein Destillat,
welches erhalten war beim Kochen der rohen Flüssigkeit mit verdünnter Schwefelsäure,
endlich ein Zinksalz, welches durch Neutralisation des zuletzt erwähnten Destillates
mit Zinkcarbonat dargestellt wurde.
Das braune Eisensalz erwies sich bei der Analyse als Eisenoxydacetat. Die Blättchen,
in denen es auftrat, waren keine Krystalle, sondern wurden unter dem Mikroskope als
Bruchstücke der dünnen Haut erkannt, in welcher das Eisenoxydacetat beim langsamen
Verdunsten seiner Lösung zurückzubleiben pflegt. — Das Zinksalz besaß einen
Geruch, der an Valeriansäure erinnerte. Durch Umkrystallisiren (die Lösung des
Salzes schied beim Erwärmen Zinkoxyd ab) gereinigt und bei 100° getrocknet,
bestand es aus einer seidenglänzenden, strahlig-krystallinischen Masse,
welche 43,0 Proc. Zinkoxyd bei der Analyse lieferte. Da Zinkacetat (C4H6ZnO
4) 44,2 Proc. Zinkoxyd enthält, so bestand das
untersuchte Salz vorherrschend aus der Zinkverbindung der Essigsäure, vielleicht
verunreinigt durch das Salz einer kohlenstoffreicheren Säure; es kam darauf an,
festzustellen, ob und welche andere Säuren neben der Essigsäure vorhanden waren. Wir
suchten diese Frage zunächst zu entscheiden durch fractionirte Krystallisation von
Salzen und wählten dazu die meistens gut krystallisirenden Bariumsalze. Das oben
erwähnte schon in Waghäusel durch Erwärmen des Uebersteigerinhaltes mit verdünnter
Schwefelsäure erhaltene Destillat, neutralisirten wir mit Bariumcarbonat und
bestimmten den Baritgehalt in den nach einander anschießenden Krystallisationen. Derselbe betrug in den
ersten Krystallen 59,4, in den später erhaltenen 56,1 Proc. — Zahlen, welche
ebenfalls auf Essigsäure hinweisen (C4H6BaO4 + H2O verlangt 56,0 Proc.
Barit).
Aber auch diesem Bariumsalze haftete der eigenthümliche Geruch des Zinksalzes an;
offenbar waren nur sehr kleine Mengen einer kohlenstoffreicheren, der Essigsäure
homologen Säure vorhanden. Um diese isoliren zu können, verarbeiteten wir eine
größere Menge des Uebersteigerinhaltes, der seines bedeutenden Zuckergehaltes wegen
nicht direct mit verdünnter Schwefelsäure destillirt werden konnte, in folgender
Weise. Eine größere Quantität der Flüssigkeit verdampften wir nach der
Neutralisation mit Soda zur Syrupconsistenz, ließen dann erkalten, säuerten mit
Schwefelsäure an und schüttelten wiederholt in der Kälte mit Aether. Die ätherischen
Auszüge wurden vereinigt, der Aether abdestillirt und der Rückstand mit
Bariumcarbonat neutralisirt. Die etwa vom Aether aufgenommene kleine Menge von
Schwefelsäure wurde in dieser Weise gleich beseitigt. Die noch schwach gelb gefärbte
Lösung der Bariumsalze wurde zur Trockne gebracht (8 Liter Uebersteigwasser gaben
etwa 125 Grm. rohes Bariumsalz) und der Rückstand mit verdünnter Schwefelsäure
destillirt. Nicht flüchtige organische Säuren waren in dem Destillationsrückstande
nicht zu erkennen. Das Destillat besaß den Geruch der Essigsäure, etwa vorhandene
andere Säuren waren in so kleinen Mengen anwesend, daß ihr Geruch vollständig durch
die Essigsäure verdeckt wurde. Die Säuren wurden nun wieder an Barium gebunden; der
Baritgehalt der nach einander anschießenden Krystallisationen ergab sich zu 58,5
57,7 56,5 53,3 51,9 46,8 Proc.
Diese Zahlen zeigen, daß wieder Essigsäure auch in diesen Salzen in größter Menge
vorhanden war, daneben aber mußten Säuren mit kleinerem und größerem
Kohlenstoffgehalte zugegen sein. In der That gelang es auch, durch die reducirende
Wirkung der Salze der ersten Krystallisation auf eine ammoniakalische Silberlösung
die Anwesenheit von Ameisensäure zu erkennen; der
kleinste Baritgehalt, 46,8 Proc., war ziemlich nahe dem des Bariumbutyrates. (C8H14BaO4 + 2H2O verlangt 44,1 Proc.)
Diese letzte Krystallisation gab auch beim Erwärmen mit Alkohol und Schwefelsäure
einen Aether, dessen Geruch an den des Buttersäureäthyläthers erinnerte. —
Auch durch Analyse der wie die Bariumsalze behandelten Kupfersalze kamen wir zu
keinen Zahlen, die einen sicheren Schluß erlaubten.
Zu besseren Resultaten gelangten wir durch Trennung der Säuren von einander durch
fractionirte Destillation ihrer Aethyläther. Die in obiger Weise aus 10 Liter der
rohen Flüssigkeit gewonnenen Säuren versetzten wir mit reinem Alkohol, sättigten das Gemisch
unter Erwärmen am Rückflußkühler mit Salzsäure, beseitigten die Salzsäure durch
schwaches Erwärmen und längeres Stehen des Präparates neben Aetzkalk, entfernten
durch Chlorcalcium das Wasser und unterwarfen die Aether schließlich der
fractionirten Destillation. Das Sieden begann bei 65°; rasch stieg das
Thermometer auf 75° und blieb hier constant, bis fast die ganze Menge des
Aethers übergangen war. Dann ging das Quecksilber sehr schnell auf 119° und
blieb bei dieser Temperatur, bis der letzte Tropfen überdestillirt war. 119°
ist aber der Siedepunkt des normalen Buttersäureäthyläthers; es war also
nachgewiesen, daß neben Ameisensäure und Essigsäure kleine Mengen von Buttersäure vorhanden waren. Die wenigen Tropfen des bei
119° übergangenen Destillates zersetzten wir durch Kochen mit Aetzkali,
destillirten das Kaliumsalz mit verdünnter Schwefelsäure und neutalisirten das stark
nach Buttersäure riechende Destillat mit Kalk. Das so gewonnene Calciumsalz lieferte
bei der Analyse nach dem Trocknen über Schwefelsäure 28,47 Proc. Kalk.
Calciumbutyrat (C8H14CaO4) verlangt 26,16
Proc. Bedenkt man aber, daß hier Verhältnisse vorliegen, unter denen neben
Buttersäure kleine Mengen von Essigsäure in das Salz eintreten können, so genügen
die angegebenen Zahlen, um die Anwesenheit von Buttersäure darzuthun.
Außer diesen Gliedern der Fettsäurereihe gelang es nur noch Oxalsäure in dem Uebersteigerinhalt nachzuweisen. Alle diese Säuren waren
theilweise an Ammoniak gebunden, welches in Strömen entwich beim Erwärmen des mit
Soda oder Kalk übersättigten Condensationswassers.
Die rohe Flüssigkeit war braun gefärbt, schwach fluorescirend, besaß den Geruch der
Rübenmelasse. Im Wasserbade bis zum constanten Gewichte abgedampft, hinterließ 1
Liter des Uebersteigerinhaltes nahezu 200 Grm. einer zähen, beim Erkalten amorph
erstarrenden Masse. Der Zucker, welcher aus dem Vacuumapparate übergespritzt war,
bestand zum größten Theile aus Saccharose, enthielt nur kleine Mengen von Dextrose.
Durch wiederholte Destillation von 0,5 Liter des Uebersteigerinhaltes mit verdünnter
Schwefelsäure und Titration des Destillates fanden wir, daß die genannte Quantität
der rohen Flüssigkeit 13,6 Grm. Essigsäure, zum Theil frei, zum Theil an Ammoniak
gebunden, enthielt. Da die untersuchte Flüssigkeit das spec. Gewicht 1,040 besaß, so
enthielt sie 2,61 Gewichtsprocente Essigsäure. Durchschnittlich sammeln sich im
Uebersteiger des Vacuumapparates bei dem Verkochen von 4000 Kilogrm. Füllmasse (mit
im Mittel 80 Proc. Zucker) 25 Liter Flüssigkeit an; es entstehen also bei dem
Verkochen 0,023 Proc. vom Zuckergewichte an Essigsäure oder äquivalente Mengen ihrer
Homologen. Daß die Säuren theilweise an Ammoniak gebunden sind, kann nicht auffallen. Die
Füllmasse im Vacuumapparate reagirt bei normalem Betriebe schwach alkalisch, beim
Verkochen können deshalb leicht stickstoffhaltige Nichtzucker unter Freiwerden von
Ammoniak zersetzt werden; die Folge davon ist es ja, daß das Condensationswasser bei
dem Vacuumapparate in der Regel schwach ammoniakalisch reagirt.
Schwieriger ist es, die Bildung der beobachteten Säuren zu erklären. Selbst im
Vacuumapparate kann möglicher Weise eine theilweise Zersetzung des Zuckers durch
trockne Destillation, vielleicht unter Mitwirkung der Alkalien, eintreten; es können
dabei Säuren entstehen, die sich mit dem gleichzeitig auftretenden Ammoniak
verbinden. Die Ammoniumverbindungen verflüchtigen sich dann unter theilweiser
Zersetzung durch Dissocation, das flüchtigere Ammoniak wird zum Theil weiter
fortgeführt von den Wasserdämpfen als die Säuren, welche letztere im Uebersteiger
condensirt werden. Oxalsäure und Ameisensäure sind bekannte Zersetzungsproducte des
Zuckers bei der Einwirkung von Alkalien auf denselben, Essigsäure bildet sich auch
immer bei der trocknen Destillation des Zuckers. Neben dieser hätte sich in dem
vorliegenden Falle auch Buttersäure gebildet. Durch folgende einfache
Reactionsgleichungen ließen sich diese Processe erklären:
C12H22O11 + H2O = 6C2H4O2
C12H22O11 = C2H4O2 + 2C4H8O2 + H2O + CO2.
Allerdings ist es uns nicht gelungen, bei einem directen Versuch, bei dem eine
gesättigte Zuckerlösung, welche durch Zusatz von Aetzkali schwach alkalisch gemacht
war, bei möglichst niederer Temperatur der Destillation bis zur beginnenden
Gelbfärbung des Retorteninhaltes unterworfen wurde, das Auftreten von Essigsäure und
Buttersäure zu beobachten.
Wahrscheinlicher ist es, daß die Fettsäuren von den noch im Dicksafte enthaltenen
organischen Nichtzuckern geliefert wurden. Stickstoffhaltige Nichtzucker können im
Vacuumapparate durch das anhaltende Kochen des alkalischen Dicksaftes zersetzt
werden; es können, unter Bildung von Ammoniak, Alkalisalze von organischen Säuren
entstehen. Möglich ist es, daß das Ammoniak zum Theil an Kohlensäure gebunden
auftritt, daß durch Wechselwirkung zwischen Alkalisalzen der Fettsäuren und
Ammoniumcarbonat Veranlassung zur Bildung der flüchtigen Ammoniumverbindungen der
Fettsäuren gegeben wird. Diese Auffassung wird dadurch unterstützt, daß ähnliche
Processe in den Verdampfkörpern beobachtet wurden. CunzeZeitschrift des Vereins für Rübenzucker-Industrie im Zollverein, 1866
S. 177. zeigte, daß bei der Concentration des Dünnsaftes zu Dicksaft Oxalsäure in
den Verdampfkörpern sich bildet und in diesen in der Form von Calciumoxalat
abgelagert wird. ScheiblerBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 1870 S. 155.
brachte die Bildung der Oxalsäure unter diesen Verhältnissen auch mit der Zersetzung
von stickstoffhaltigen Nichtzuckern in Verbindung. Diese Beseitigung von organischen
Nichtzuckern, welche in den Verdampfkörpern beginnt, wird in dem Vacuumapparate
weiter geführt. Auch hier bildet sich, wie wir oben nachgewiesen haben, Oxalsäure;
daneben aber treten auch flüchtige Fettsäuren auf. Erst in dem Vacuumapparate ist
die Flüssigkeit so schwach alkalisch, daß die entstehenden Ammoniaksalze nicht mehr
vollständig zersetzt werden können; erst beim Verkochen wird die Lösung so
concentrirt, daß die Ammoniaksalze unter theilweiser Zersetzung sich verflüchtigen.
Aus den Verdampfkörpern dagegen tritt gewöhnlich nur Ammoniak mit den Wasserdämpfen
aus, die Säuren der Ammoniumsalze werden in ihnen an Kalk oder Alkalien gebunden; in
den Verdampfkörpern ist wohl die Concentration noch nicht so weit vorgeschritten,
daß die Ammoniumsalze als solche sich verflüchtigen könnten.Stammer (vergl. 1865 177 163) fand auch im Brüdenwasser der Verdampfkörper Spuren von
Fettsäuren.
Noch eine dritte Quelle der Fettsäuren ist aber zu berücksichtigen.
In der Campagne 1873/74 waren die Rüben sehr der Fäulniß unterworfen. Dabei bilden
sich gerade Fettsäuren. Durch Gährung entsteht aus dem Zucker Essigsäure; I. PierreComptes rendus, t. 49p. 286 (vergl. 1862 164 318). beobachtete auch, daß bei der Fäulniß von
Zuckerrüben Buttersäure sich bildet. Möglich also ist es, daß Faulstellen an Rüben
die Fettsäuren in die Fabrik einführten. Auch MargueritteZeitschrift des Vereins für Rübenzucker-Industrie im deutschen Reiche,
1874 S. 169. theilte kürzlich mit, daß beim Kochen von
Rübenfüllmasse mit Schwefelsäure Buttersäure und Valeriansäure auftreten. Er gibt
freilich nicht an, wie er diese Säuren erkannt hat, scheint aber der Ansicht zu
sein, daß durch ihre Anwesenheit, wenigstens zum Theil, die unangenehmen
Eigenschaften der Rübenmelasse bedingt seien. Allerdings würden die durch
Faulstellen der Rüben in die Fabrik eingeführten Ammoniaksalze bei der Scheidung
durch den Kalk zersetzt, es würden unter Entwickelung von Ammoniak die
leichtlöslichen Kalksalze der Fettsäuren sich bilden. Diese müßten dann durch die
verschiedenen Phasen der Rohzuckerfabrikation hindurchwandern, um schließlich durch
das Ammoniak oder Ammoniumcarbonat, welches in den Verdampfkörpern, im
Vacuumapparate immer auftritt, zersetzt zu werden.
Diese letzte Erklärung des Auftretens von Fettsäuren im Uebersteiger des
Vacuumapparates setzt voraus, daß die Salze dieser Säuren durch die Kohlenfilter
nicht absorbirt werden. Es ist bekannt, daß die Knochenkohle namentlich schwer
lösliche Salze, oft unter Bildung derselben, aus den Säften aufnimmt; es kann aber
nicht auffallen, daß die sehr leicht löslichen Calciumsalze der Essigsäure und
Buttersäure durch die Kohlenfilter zum größten Theile unabsorbirt hindurchgehen.
Aber nicht allein die Salze der Fettsäuren mit Calcium oder den Alkalimetallen sind
zu berücksichtigen, in den Verdampfkörpern kann die Bildung der Ammoniumsalze
beginnen, sie müßten bei der Filtration des Dicksaftes durch die Kohlen nicht
absorbirt werden. Die Beantwortung der Frage, wie sich Knochenkohle gegen Lösungen
von Ammoniumsalzen verhält, scheint uns nicht ohne Interesse zu sein, wir sind mit
Versuchen in dieser Richtung beschäftigt.