Titel: Schwefelnatrium in der Gerberei; von Wilhelm Eitner.
Fundstelle: Band 218, Jahrgang 1875, S. 438
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Schwefelnatrium in der Gerberei; von Wilhelm Eitner. (Fortsetzung von S. 361 dieses Bandes.) Eitner, über Schwefelnatrium in der Gerberei. Die Brandsohlleder, welche früher eine Behandlung mit Kalk erfahren, wodurch sie, obschon sie einen Theil ihres Kernes verloren haben, dennoch im aufgequollenen Zustande in die Farbe kommen, bedürfen anfangs natürlich keine Säure zum Auftreiben, aber desto mehr Gerbstoff, damit sie nicht zu Grunde gehen. Dieser Gerbstoff dringt verhältnißmäßig rasch in das Leder, weil er in den Farben überhaupt rascher aufgenommen wird, als in der Grube, und weil ihm ferner durch den Kalk, welcher viele Hauttheile aufgelöst und entfernt hat, der Weg in das Innere der Haut gebahnt wird. Die Farben, in welche die Leder der Brandsohlgruppe eingetrieben werden, enthalten demnach mehr Gerbstoff und viel weniger Säure als die Schwellfarben der Sohlleder. Wollen wir dieses Factum indeß festhalten und daraus Schlüsse ziehen für die Behandlung von Häuten, welche mit Schwefelnatrium ganz in derselben Weise, welche ich für die Enthaarung von Sohlhäuten angegeben habe, enthaart wurden, die aber für Brandsohlleder oder ähnliche Sorten bestimmt sind. Die mit Schwefelnatrium enthaarte Haut gleicht, wie schon früher bemerkt, vollständig einer geschwitzten Haut, ist aber sehr verschieden von der gekälkten, weshalb auch die erstere eine andere Behandlung als die letztere, wenigstens in den ersten Perioden der Gerbung verlangt. Unter allen Umständen ist die mit Schwefelnatrium enthaarte Haut weniger aufgetrieben als die gekalkte und ist dort um so matter, wo man sie mit weichen Wässern behandelt hat; sie geht auch in den Brühen, in welchen geäscherte Häute gut aufgehen, weniger gut auf, weil erstere bereits durch den Kalk eine Vorschwellung erhalten haben, letztere aber sich noch im natürlichen Zustande befinden. Sie geht aber in Brühen gut auf, in welchen gekälkte Häute bereits Schaden leiden würden. Die Farben, in welchen die zu Brandsohlledersorten bestimmten Schwefelnatrium-Häute angegerbt werden, müssen daher im Allgemeinen etwas mehr sauer sein als die Brühen für Kalkhäute; man setzt ihnen daher etwas mehr Sauerbrühe zu. Gin Lederfabrikant, welcher mit Extracten gerbt, in welchen bekanntlich verhältnißmäßig wenig Säure vorhanden ist, beklagte sich bei mir, daß in seinen Brühen die mit Schwefelnatrium gehaarten Häute gar nicht aufgehen und er sehr mangelhafte blechige Leder erhielt. Aus dem oben Gesagten erklärt sich dies vollständig; seine Brühe war eben zu wenig sauer. Vielfach beklagt man sich ferner, daß die mit Schwefelnatrium behandelten Häute mehr Lohe in den Farben und resp. ein bis zwei Farben mehr verlangen als gekälkte Häute. Dies ist ganz richtig und erklärt sich ebenfalls aus dem Vorhergesagten. Der Gerber erklärt das Reifsein der Häute für das Versetzen aus dem Grade der Angerbung und des Aufgegangenseins derselben. Wie schon bemerkt, gehen die nach der neuen Methode enthaarten Häute schwieriger auf und gerben sich auch langsamer an als gekälkte Waare. Die langsamere Angerbung und der größere Verbrauch von Lohe hat seinen Grund darin, daß erstens in diesen Häuten mehr Material zum Gerben überhaupt da ist, weil ihnen keine Substanz entzogen wurde, wie dies im anderen Falle durch den Kalk stattfindet, und weil zweitens aus demselben Grunde ihr Gefüge fest und geschlossen ist, während es durch Kalk gelockert und theilweise zerstört ist. Wo also mehr Material, welches gegerbt sein will, vorhanden ist, da muß folgerichtig auch mehr Gerbstoff für die Gerbung gegeben werden, was natürlich auch mehr Gewicht macht. – Diese Zugabe an Gerbstoff kann in diesem Falle an zwei Orten stattfinden. Man gibt entweder in der Vorgerbung (in den Farben) mehr Material, und zwar entweder bei genügender Menge Sauerbrühe mehr Lohe in die einzelnen Farben oder gibt eine oder zwei Farben mehr, wodurch man ein Leder erhalten wird, welches zwar ganz den Charakter der gewöhnlichen Brandsohlledersorten, jedoch eine größere Festigkeit und günstigeres Gewicht zeigen wird. Oder aber man gibt bei jedenfalls genügender Menge von Sauerbrühe die gewöhnliche Anzahl Farben, läßt jedoch die Sätze länger stehen, nachdem man hier reichlicher Gerbematerial gegeben hat. Im letzteren Falle erhält man ein dem eigentlichen Sohlleder näher stehendes Leder mit dessen bekannter Festigkeit und lohnendem Uebergewicht. Die erste Methode mögen jene Lederfabrikanten einschlagen, welche mit Knoppern, Valonea oder Myrobalanen versetzen; nur mögen sie die Sätze bei gleichem Quantum Zeug etwas länger stehen lassen. Die zweite Methode empfiehlt sich besser, wenn man Lohe zum Versetzen verwendet. Der eben beschriebene Gang der Gerbung darf aber nur dann in Anwendung gebracht werden, wenn die Häute zum Zwecke der Enthaarung auf der Haarseite mit dem Schwefelnatrium bestrichen wurden; er ändert sich bedeutend, wenn man die Häute auf der Aasseite anschwödet. Es kommt vor, daß hier und da die Haare als für zu werthvoll angesehen werden, um sie zerstören zu wollen, was bei der ersten Methode der Fall ist, und daß der Erlös aus denselben größeren Vortheil zu bieten scheint, als wenn auf Kosten der Haare die Haut mehr geschont wird, weshalb man das Anschwöden auf der Fleischseite vornimmt, wobei natürlich die Haare erhalten bleiben. Bei dieser Methode zeigte sich ein Uebelstand, in dessen Ursachen man, wie dies in der Gerberei-Praxis so häufig der Fall ist, nicht einging und oft lieber die Methode selbst bei Seite legte. Diese so bestrichenen Häute ließen hier nur theilweise die Haare, gewöhnlich an den dünneren Stellen, während an den dicken Stellen, wie an Köpfen, Rücken etc. oder an Stellen, welche stark mit Fett behaftet sind, die Haare nicht lose wurden. Ueber diesen Uebelstand sowohl als auch darüber, wie man denselben einfach beseitigt, schreibt mir ein bedeutender Fabrikant Folgendes. „Wie Sie wissen, machte ich schon 1873 mit Schwefelnatrium Versuche, aber keiner gelang zu meiner vollen Zufriedenheit. Wenn ich die Häute am Aas bestrich und auf Haufen legte, zeigte sich zwar nach kurzer Zeit, daß die Haare lose wurden, jedoch nicht so, daß man die Häute vollständig und gut haaren konnte, und je länger die Leder auf Haufen liegen blieben, desto schwerer ging das Haar ab; die Häute blieben zwar ganz weich, aber sie fühlten sich immer trocken an. Darauf machte ich folgenden Versuch. Die bestrichenen Häute ließ ich auf einige Zeit auf Haufen, bis die Haare lose wurden, dann hängte ich selbe in den Drehäscher und ließ sie alle 2 Stunden einigemal laufen und konnte nach 6 bis 10 Stunden ganz leicht und vollkommen im Walkfaß haaren. Ich hatte später noch vielfach Gelegenheit wahrzunehmen, daß die am Aas geschwödeten Leder sehr leicht trocknen, und daß dieses Abtrocknen die natürlichste Ursache des Nichtlassens der Haare ist. Diesem Uebelstande abzuhelfen, kam ich auf die Idee, die Leder vor dem Trockenwerden dadurch zu bewahren, daß ich die angeschwödeten und dann zusammen geschlagenen Häute in einen Bottich dicht einlegte, dann mit Wasser soweit übergoß, daß die Häute von diesem überdeckt waren, und dann 12 Stunden stehen ließ. Der Versuch gelang vollständig. Die Leder waren gut aufgequollen und stiegen allmälig aus dem Wasser heraus, weil ihr Volum durch Wasseraufnahme zugenommen hatte; Haare und Gneist ging an allen Stellen der Haut leicht ab. Ich behandle nun seit zwei Jahren alle Felle und einen Theil meiner Häute auf obige Weise und mir ist nie irgend ein Anstand vorgekommen; ich würde schon alle meine Sohlleder mit Schwefelnatrium enthaaren, nachdem ich Qualitäts- und Gewichtsproben zu meiner Zufriedenheit durchgeführt habe, wenn ich ausreichend Geschirre hätte, da Sohlleder, mit Schwefelnatrium behandelt, eine längere Vorgerbung und somit mehr Farbengeschirre erfordern. Ich constatirte ein Mehrgewicht bei mit Schwefelnatrium enthaarten Häuten gegen geäscherte von 19,4 Proc.“ Aus diesem Schreiben geht also hervor, daß, wenn in geeigneter Weise ausgeführt, auch mit dem Anschwöden am Aas man zum Ziele gelangt, daß dies in sehr kurzer Frist erreicht wird, und daß ein Mehrgewicht des Leders um 10,4 Proc. als ein weiterer gewiß nicht zu unterschätzender Vortheil resultirt. Wie hat nun in diesem Falle die Gerbung zu erfolgen? Die Häute sind hier, wie die gekälkten, prall aufgegangen. Das Enthaarungsmittel mußte, da es an der Fleischseite aufgetragen wurde, die ganze Haut durchdringen, nm bis zu den Haarwurzeln zu gelangen und diese aufzuweichen; dadurch wurde auch die Haut geschwellt, d.h. in den Zustand versetzt, Wasser von außen in sich aufzunehmen. (Aus diesem Grunde erklärt sich das Trockenwerden der Häute, wenn selbe nach dem Anschwöden nicht in Wasser gelegt werden.) Die Fasern solcher Häute sind bereits in dem Zustand einer Vorschwellung und bedürfen deshalb in den Farben keineswegs jener kräftigen Schwellmittel, also größerer Quantitäten von Säuren, wie dies geschwitzte oder am Narben geschwödete Häute zum Auftreiben beanspruchen. Es genügen daher hier die gewöhnlichen Farben, d.h. solche, in welche man geäschertes Leder eintreibt; besser noch sind etwas süßere und im späteren Verlauf der Angerbung stärkere Farben als diese. Eine oder zwei Farben müssen auch hier mehr als gewöhnlich geäscherten Häuten gegeben werden, weil man es auch hier nun mit besserem Material als bei geäscherten Häuten zu thun hat. Die Vermehrung der Farben wird besonders bei der Erzeugung der sogen. Lohterzen mit Fichtenlohe eine dringende Nothwendigkeit werden, ohne daß zu befürchten ist, daß bei Anwendung von mehr Brühenfarben die Leder zu weich werden. Die mit Schwefelnatrium auf der Aasseite behandelten Häute schwellen in den Farben weit besser als gekälkte, und es sind die verhältnißmäßig geringen Säurequantitäten der Fichtenlohfarben, selbst aus der an gährungsfähigen, daher an Säurebildnern armen böhmischen Fichtenlohe, noch immer genügend im Stande, diese Häute aufzutreiben, in welchen Farben gekälkte Waare schon verfallen und, wenn in diesem Zustande in die Grube gebracht, ein weiches, wenig festes Leder liefern würde. Aus dem Gesagten geht nun klar hervor, daß die Anwendung des Schwefelnatriums gegenüber dem Kalkäscher derartige Vortheile bietet, daß man mit Gewißheit annehmen kann, es werde, falls die Erkenntniß des Richtigen mit der fortschreitenden Entwicklung der Intelligenz sich Bahn bricht, das Kalkäschersystem nach und nach gänzlich aufgegeben werden; denn es ist allgemein anerkannt, daß eine Beschleunigung der ersten Operationen mit der rohen Haut, namentlich im Sommer, ganz besonders wünschenswerth ist, und daß außerdem durch die darauf folgende und bei rationeller Behandlung gebotene Art der Gerbung nicht nur lohnenderes Gewicht, sondern ganz besonders bessere Qualität erzielt wird. Gute Qualität der Waare ist aber das Losungswort des Gerbers der Zukunft, ohne welchen Vorzug in kurzer Zeit kein Fabrikant mehr wird bestehen können. Ich kann es nur als ein unverständiges Gerede bezeichnen, wenn man sagt: was nützt die neue Methode, bei welcher wir mehr Gerbstoff brauchen, und besonders, wenn wir für unser jetziges Leder noch Abnehmer gefunden und finden. Bis jetzt ist es wohl so ziemlich noch gegangen; aber schon erhebt sich drohend die Gefahr in Gestalt des amerikanischen Hemlockleders, welches jetzt schon in Deutschland die einheimische Mittelwaare vom Markte zu verdrängen im Stande ist und gegen unsere mittleren und schlechteren Knoppernleder um so leichter die Concurrenz aufnehmen kann und wird, als die Qualität des Hemlockleders bisher nicht schlechter als der unserer Knoppernterzen ist und der Preis gegenüber dem mit dem theuren Knoppern- und Valoneamaterial gegerbten Leder hier am Platze bedeutend niedriger zu stehen kommt, so daß bereits manche Lederconsumenten darauf ihr Augenmerk zu richten beginnen. Nur gute Qualität kann unsere Fabrikation schützen und soll und muß daher alles mit Ernst und Energie aufgenommen und gethan werden, was eben im Stande ist, den fremden Gast von unseren heimischen Consumenten abzuhalten, und dazu gehört in erster Linie im Vereine mit zweckmäßiger Gerbung die Vorbereitung der Häute hierzu mit Schwefelnatrium. Ebenso wie in der Halbsohllederfabrikation hat auch das Schwefelnatrium seine entschiedenen Gegner in der Oberlederfabrikation, und mißlungene Versuche damit mögen auch in diesem Theile der Gerberei genug vorgekommen sein. Man war aber durchaus nicht dazu berechtigt, hier den Stab darüber zu brechen, da andererseits eine Reihe von Fabrikanten die besten Resultate erzielten – natürlich bei richtiger Verwendung desselben und mit Anpassung der Gerberei auf diese Enthaarungs- und Aeschermethode. Eine Mitursache der vielen negativen Resultate mag auch sein, daß ich in meiner ersten, vor drei Jahren veröffentlichten Abhandlung über diesen Gegenstand nur ungenügende Angaben machen konnte, da mir zu dieser Zeit selbst noch wenig praktisches Material vorlag, und daß diese ungenügenden Angaben als fertige Gebrauchsanweisungen von den Schwefelnatrium-Fabrikanten ausgegeben wurden. Wie in vielen anderen Fällen, so hat auch hier eine Neuerung in den Augen der meisten Praktiker nur dann einen Werth, wenn bei Anwendung derselben auch alle sonstigen Operationen beim Alten bleiben können. Dies ist nun bei Verwendung des Schwefelnatriums in der Oberlederfabrikation nicht der Fall; einige wenn auch kleine Modificationen müssen hier immer vorgenommen werden, und diese wollen wir nun der Reihe nach behandeln. Man verlangt von den Oberledersorten nebst einer entsprechenden Festigkeit immer einen größeren und geringeren Grad von Weichheit und Geschmeidigkeit, welche Eigenschaften des Leders man nur dadurch allein zu erreichen glaubt, daß man die Häute und Felle einer Behandlung im Kalk unterzieht, d.h. dieselben äschert. Durch den Kalk will man nun eine Lockerung der Haut erzielen. Diese Hautlockerung besteht in der Zerlegung der groben Faser (eigentlich Faserbündel) in ihre niedrigeren Elemente, also in die feineren und feinsten Fasern, was durch Auflösen der Kittsubstanz, mittels welcher die letzteren zu Bündeln vereinigt sind, bewirkt wird. Durch die Zerlegung der groben Faser in ihre feinen Elemente wird der nöthige Grad von Weichheit und Geschmeidigkeit genügend erreicht, wie wir dies an Geweben beobachten können, welche um so zarter und weicher sind, aus je feineren Fäden sie gewebt sind. Nebst dieser Zerlegung der groben Faser hat der Kalk auch noch die Eigenschaft, Substanz aus dem Inneren der Fasern aufzulösen und daraus zu entfernen, was durchaus nicht mehr zur Herstellung eines Oberleders nothwendig, sondern was bereits schädlich ist. Die Entziehung werthvoller Substanz aus der Haut und das Ansetzen, als unlöslicher kohlensaurer Kalk, in die Haut sind die Schattenseiten des Kalkäschers, welche eben durch Anwendung des Schwefelnatriums umgangen werden können. Man wird folgenderweise verfahren. Die Häute oder Felle werden eben so gut, wie dies sonst geschehen muß, geweicht, gestreckt, eventuell in der Kurbelwalke (wo diese vorhanden) gewalkt. Das Strecken wird nur zu häufig, besonders in Oesterreich, sehr leichthin gehandhabt; es ist aber besonders in unserem Falle nothwendig, daß die Häute so vollkommen wie möglich von allem anhaftenden Fleische, Zellgewebe und Fette befreit werden. Hierauf werden mit dem schon angegebenen Schwefelnatrium-Kalkbrei (1 Th. Schwefelnatrium mit 3 Th. Kalklösche) die Häute und Felle auf der Fleischseite angeschwödet. Die Quantität des Schwefelnatriums, welche per Stück Haut genommen werden muß, richtet sich nach Qualität und Größe der Haut, nach Qualität des Schwefelnatriums, nach dem größeren und geringeren Grade der Weichheit der Felle und nach der Härte des Wassers, mit dem gearbeitet wird; auch ist sie sehr häufig von der Qualität des Kalkes, welcher zum Beimischen gebraucht wird, in hohem Grade abhängig. Stärkere, kräftigere Waare, eben so große und härtere (überseeische) Waare bedürfen mehr, auch muß man bei hartem Wasser etwas mehr geben, weil durch die Bestandtheile dieses Wassers ein Theil des Schwefelnatriums gebunden, daher unwirksam gemacht wird. (Schluß folgt.)