Titel: Ueber die optische Inactivität des reducirenden Zuckers, welcher in Handelswaare enthalten ist; von A. Girard und Laborde.
Fundstelle: Band 220, Jahrgang 1876, Nr. , S. 256
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Ueber die optische Inactivität des reducirenden Zuckers, welcher in Handelswaare enthalten ist; von A. Girard und Laborde. Girard u. Laborde, über optische Inactivität des reducirenden Zuckers. In der Wissenschaft sowohl als in der Praxis herrschen zwei entgegengesetzte Meinungen über den Einfluß, welchen der reducirende Zucker, der in Handelswaare enthalten ist, auf das polarisirte Licht ausübt. Einerseits hat Dubrunfaut seit langem die Ansicht aufgestellt, daß dieser reducirende Zucker überhaupt nur in den exotischen Melassen Rotation besitze; anderseits glauben viele Chemiker und Fabrikanten, daß dieses Product nur aus Invertzucker bestehe und in Folge dessen eine Linksdrehung besitze, entsprechend 0,38 der Rechtsdrehung der Saccharose. Diese Meinung wurde sogar erst vor wenigen Monaten von Prof. Gunning in Amsterdam in einem officiellen Berichte an das niederländische Finanzministerium vertheidigt. In einem Momente, wo die optische Zuckeranalyse mit Bezug auf die Zuckerbesteuerung von hervorragender Bedeutung ist, bietet die Untersuchung dieser beiden Meinungen ein besonderes Interesse. Ist nämlich die erste richtig, so genügt die Anzeige des Polarimeters, um den Gehalt einer Handelswaare an Saccharose festzustellen; befindet sich aber die Wahrheit auf Seite der zweiten Meinung, so muß man die mittels des Polarimeters gefundene Ziffer vermehren um den Betrag 0,38 p, wobei p die Anzahl von Hundertsteln reducirenden Zuckers bedeutet, die man auf maßanalytischem Wege mittels Kupferlösungen gefunden hat. Die Wichtigkeit dieser Frage veranlaßte die Verfasser, dieselbe näher zu untersuchen, und wir haben gefunden, daß nicht nur die von Dubrunfaut vertretene Meinung die allein richtige ist, sondern daß seine Ansicht sogar auch für die exotischen Melassen maßgebend ist. Wir haben uns übrigens darauf beschränkt, die Producte aus dem Zuckerrohre zu untersuchen, da die Quantität reducirenden Zuckers in den Producten aus der Runkelrübe in Folge der zur Zeit adoptirten alkalischen Behandlung, zu gering ist, um sich vom optischen Standpunkte aus damit zu befassen. Rübenzucker zu 0,5 und Melassen zu 1,5 reducirenden Zuckers werden täglich seltener. Anders aber verhält es sich mit dem Zucker und der Melasse aus dem Zuckerrohre; hier sieht man oft die Menge des reducirenden Zuckers sich bis zu einer Ziffer erheben, daß die Glucose-Correctur in bestimmten Fällen 5 bis 10 Hundertstel der Saccharose betragen würde; die Frage wird daher dann von entschiedener Bedeutung. Um sie zu lösen, unterwerfen wir der Analyse Rohrzuckersorten von verschiedener Herkunft, Melassen aus exotischen Zuckersiedereien, Melassen von Raffinadezucker und von Candis. Bei keinem dieser Producte sehen wir, daß die Gegenwart von reducirendem Zucker auf die Angaben des Polarimeters qualitativ oder quantitativ von Einfluß gewesen wäre. Endlich haben wir, um unsern Untersuchungen mehr Genauigkeit zu geben, alle Bestimmungen auf gewichtsanalytischem Wege — ohne Titerflüssigkeiten gemacht. Nachdem wir den Rohrzuckergehalt des Handelsproductes am Polarimeter bestimmt und zu 16g,19 gefunden hatten, behandelten wir eine abgewogene Menge davon in der Siedhitze mit einem Ueberschusse von Kupferlösung; das so gewonnene Kupferoxydul wurde dann gewogen, und zwar bald direct, bald nach seiner Umwandlung in Oxyd, bald nach erfolgter Reduction durch Wasserstoff; in gewissen Fällen wendeten wir alle drei Methoden zugleich an. Darauf invertirten wir eine andere Probe mit Salzsäure und behandelten sie hierauf ebenso. Indem wir dann von der durch die Inversion gelieferten Ziffer diejenige abzogen, welche die directe Analyse gibt, und die Differenz nach dem Verhältnisse der Formeln von Glucose zu Saccharose corrigirten, erhielten wir den wahren Saccharosegehalt unserer Untersuchungsobjecte. In allen Fällen zeigte sich dieser Gehalt fast ganz identisch mit den Angaben des Polarimeters. Die folgenden Analysen werden dies beweisen. Zucker aus dem Zuckerrohre. Um die Resultate empfindlicher zu machen, operirten wir nicht mit dem Zucker selbst, sondern mit den Syrupen, welche wir erhielten, indem wir diese Zucker mit einer kleinen Menge Wasser läuterten — in der Art, daß wir in einer bestimmten Menge Substanz eine größere Portion reducirenden Zuckers concentrirten. Reducirender Zucker. Saccharose durch die Kupferanalyse. Saccharose durch den Polarimeter. Havannahkisten 18,27 52,30 52,50 Fässer 11,50 58,74 58,93 Kisten 27,28 47,13 46,00 Kisten 23,93 54,95 54,50 Fernambukfässer 29,14 35,21 34,00 Nossi-Bé-Fässer 19,33 53,30 53,00 Bastardcandis 9,41 78,00 77,00. In einigen Fällen fanden wir den Handelszucker so reich an reducirendem Zucker, daß wir ihn direct ohne Läuterung verarbeiteten. West India 8,12 76,18 76,50 Madras 10,17 74,66 75,50. Melassen aus Zuckersiedereien. Proben sichern Ursprunges wurden uns von der Firma Sougius und Demondésir verschafft. Die Resultate waren dieselben wie mit den krystallisirbaren Zuckern. Reducirender Zucker. Saccharose durch Kupferlösung. Saccharose durch den Polarimeter. Gehöfte Clerange (Marie-Galante) 19,02 52,71 54,00 Siederei Gentilly (Guadeloupe) 15,45 43,10 43,00 Siederei Bellevue (Port-Louis) 19,57 46,43 47,00 Siederei Beauport (Guadeloupe) 17,56 48,00 47,00 Siederei d'Arbousier (frischer Syrup) 24,16 37,57 38,50 Siederei d'Arbousier (vergohr. Syrup) 36,63 31,35 31,50 Melasse von Nossi-Bé 30,21 28,38 28,00. Melassen aus Raffinerien. Auch hier finden wir optische Inactivität des reducirenden Zuckers. Saint Louis (Marseille) 12,56 38,78 38,16 Etienne (Nantes) 24,04 34,90 34,00 Boutin (Bordeaux) 22,24 38,30 38,50 Récollets (Nantes) 33,59 37,04 38,00 Acher (Havre) 8,08 43,00 43,00 S. Lasnier (Candissiederei) 43,69 30,49 28,50 Cossé-Duval 48,52 29,04 29,00. Die Uebereinstimmung der aus diesen Analysen gewonnenen Resultate ist von der Art, daß man nach unserer Meinung die von Dubrunfaut vertretene Anschauung als vollständig exact ansehen und zugeben muß, daß in den Producten des Handels ein reducirender Zucker vorhanden ist, welcher auf das polarisirte Licht ohne Einfluß und deshalb auch unfähig ist, die Ergebnisse des Polarimeters mit Rücksicht auf den Saccharosegehalt eines Zuckers zu beeinträchtigen. (Comptes rendus, 1876 t. 82 p. 214.) V. G.