Titel: Elektrochemische Studien über die Benzolderivate; von Friedrich Goppelsröder.
Autor: Friedrich Goppelsröder
Fundstelle: Band 221, Jahrgang 1876, S. 75
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Elektrochemische Studien über die Benzolderivate; von Friedrich Goppelsröder. Goppelsröder, elektrochemische Studien über die Benzolderivate. Am 30. Juni 1875 deponirte ich bei der Industriegesellschaft zu Mülhausen einen versiegelten Brief, worin ich anzeigte, daß ich mich seit sechs Monaten mit der Untersuchung der Wirkung des galvanischen Stromes auf organische Körper und namentlich auf solche der aromatischen Reihe beschäftigt, und daß ich dabei eine Reihe von Erscheinungen beobachtet habe, welche den Beweis liefern, daß sich durch Elektrolyse gewisser Benzolderivate Farbstoffe bilden. Ich sprach die Ueberzeugung aus, daß man bei Anwendung eines wohlfeilen galvanischen Stromes, wie derselbe z.B. mittels der Gramme'schen Maschine sich herstellen läßt, mit Hilfe verschiedener Glieder der aromatischen Reihe Farbstoffe zu fabriciren im Stande sein werde. Ich hatte die Absicht, mit der Publication der Resultate bis zur Jubiläumsfeier der Industriegesellschaft am 11. Mai l. J. zu warten. Da aber inzwischen J. J. Coquillion der Pariser Akademie der Wissenschaften (Comptes rendus, Nr. 9, 30. August 1875; vgl. auch dieses Journal S. 68) Mittheilungen machte, welche die auch von mir aufgefundene Thatsache der Bildung des Anilinschwarz durch die Elektrolyse der Anilinsalze betraf, so sah ich mich veranlaßt, durch das Präsidium der Industriegesellschaft meinen versiegelten Brief öffnen zu lassen und meine Resultate über Elektrolyse unter Vorweisung von Versuchsresultaten und Anstellung von Versuchen sowohl der Gesellschaft als auch speciell der chemischen Section derselben mitzutheilen. Gleichzeitig machte ich der Akademie der Wissenschaften in Paris bezügliche Mittheilungen. Ich verweise auf das Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse, wo im Maiheft 1875 meiner ersten vorläufigen Notiz bezüglich der Wirkung des galvanischen Stromes auf verschiedene Substanzen der aromatischen Reihe im Protokoll der Sitzung der chemischen Section vom 14. April 1875 Erwähnung gethan ist; wo im Februar-Märzheft 1876 meine Notiz über das elektrolytische Anilinschwarz sich vorfindet, die ich in der Sitzung der Gesellschaft vom 26. Januar desselben Jahres vorgewiesen habe. Ich verweise auf die Comptes rendus der Sitzungen der Pariser Akademie der Wissenschaften, Bd. 81 Nr. 21 (22. November 1875), Bd. 82 Nr. 5 (31. Januar 1876) und Nr. 21 (22. Mai 1876). Seitdem im J. 1800 Nicholson und Carlisle die Zersetzung des Wassers durch den galvanischen Strom bewerkstelligt hatten, hat man den elektrolytischen Phänomenen eine immer größere Aufmerksamkeit geschenkt, aber der Strom diente hauptsächlich nach Davy's Vorbild zu Zersetzungen, um beispielsweise die Metalle darzustellen, und nur seltener hat man gesucht, ihn für synthetische Zwecke zu benutzen. Man braucht nur den Artikel über Electricité dynamique im Dictionnaire de Chimie pure et appliquée von Ad. Würtz, redigirt von G. Salet (p. 1219 bis 1221), oder den der Elektrolyse gewidmeten Abschnitt in dem Specialwerke von Gustav Wiedemann: Die Lehre vom Galvanismus, Bd. 1 S. 287 bis 428 durchzulesen, um zu sehen, wie wenig noch in diesem Gebiete von Seiten der Chemiker gethan worden ist. Was meine Resultate betrifft, so weiß ich selbst am besten, wie sehr bescheiden dieselben noch sind; doch hoffe ich, daß fortgesetzte Arbeit uns immer mehr ein neues Forschungsfeld erschließen wird. Bis dahin wurden hauptsächlich unorganische Körper der Elektrolyse unterworfen oder der Einwirkung der bei der galvanischen Zersetzung des Wassers oder anderer Elektrolyten freiwerdenden Bestandtheile unterworfen. Man hat aber doch auch schon, wie das die Untersuchungen von Pelletier, Matteucci, Kolbe, Bourgoin, Schützenberger, Brazier und Goßleth, Bouis, Würtz, Kekulé, Berthelot, Friedet, Riche, d'Almeida und Dehérain, u.a. zeigen, organischen Stoffen einige Beachtung zugewendet. In Würtz' Dictionnaire finden wir u.a. auch verzeichnet, daß die Salze des Anilins sich am positiven Pole lebhaft unter dem Einflusse des elektrolytischen Sauerstoffes färben. Im Artikel Matières colorantes, dérivées de l'aniline steht bei der Aufzählung der verschiedenen Farbreactionen, welche mit Anilin beobachtet worden sind, p. 311 auch der Satz: Letheby: Action de l'électricité sur une solution acide de sulfate d'aniline.“ – Meine bisherigen Resultate sind die folgenden. I. Das auf elektrochemischem Wege aus Anilinsalzen erhaltene Schwarz. 1) Wenn ein schwacher oder starker galvanischer Strom durch eine kalte oder warme, verdünnte oder concentrirte, neutrale oder saure wässerige Lösung des salzsauren, schwefelsauren oder salpetersauren Anilins geht, so bildet sich in mehr oder weniger kurzer Zeit am positiven Pol ein grüner Absatz, der durch Violett und Blauviolett hindurch dunkelindigblau wird. Weinsteinsaures, oxalsaures und essigsaures Anilin geben nur einen braunen, von wenig Grün begleiteten Beschlag. Aendert man die Pole, so findet Entfärbung statt an dem Pole, welcher vorher positiver Pol gewesen war; die erwähnten Färbungen aber wiederholen sich an dem Pole, welcher der negative gewesen war. Die Reaction ist sehr empfindlich, denn 1mg chlorwasserstoffsaures Anilin, in 60cc Wasser gelöst, hat nach einigen Stunden eine grüne Färbung an der positiven Platinelektrode gegeben. Bei einer Lösung von 1mg desselben Salzes in 30cc Wasser erhält man nicht nur die grüne, sondern auch die blaue und violette Reaction. Mit 2mg,5 salzsaurem Anilin, aufgelöst in 30cc Wasser, erschien nach Verlauf von zwei Stunden blauviolette und zum Theil grüngrauliche Färbung, nach noch einer Stunde braungelbliche Färbung, später sehr merkliche grüne Reaction. Die Flüssigkeit, in welche die positive Elektrode eintaucht, zeigt sehr verschiedene Färbungen, bald gelbe, orangenrothe oder violette. Wenn das Anilinsalz ganz zersetzt worden ist, ist die Flüssigkeit farblos. Baumwolle, Filtrirpapier, Wolle oder Seide, welche zum Leiten des Stromes von einem Gefäß zum andern angewendet werden, werden mit demselben Farbstoff wie die Elektrode bedeckt und färben sich sogar auf verschiedene Art, weil die Flüssigkeit verschiedene Farbstoffe enthält, welche sich dann durch die Capillarität der Fasern von einander trennen. Statt dieser Conductoren kann man auch Asbest anwenden. 2) Die negative Elektrode bedeckt sich höchstens mit einem leichten schwarzen Anflug, und es bildet sich höchstens ein leichter, braungelblicher Absatz auf dem Boden des Gefäßes. Die Flüssigkeit an diesem Pole färbt sich braungelb oder röthlichbraun. Die Conductoren von einer Polzelle zur andern färben sich mit analogen Farben. 3) Der grüne Absatz, welchen man in erster Linie am positiven Pole erhält, wird im trockenen Zustande durch Ozon nicht verändert; er wird aber grünblau und dann blau in Ammoniakgas; nach dem Verdampfen des Ammoniaks ist er wieder grün. Der grüne Absatz des positiven Pols verändert sich im feuchten Zustande durch Ozon, wird dunkelviolettblau, wenn man ihn mit einer Lösung von Kaliumbichromat erhitzt, um durch eine starke Säure wieder grün zu werden. Der dunkel indigblaue Absatz ist ein Gemisch verschiedener Farbstoffe, worunter das Anilinschwarz, von welchem die andern Farbstoffe durch verschiedene Lösungsmittel, wie Wasser, Alkohol, Aether, Benzol, abgetrennt werden können. Die Menge und die Qualität dieser Farbstoffe, welche das Schwarz begleiten, hängen von der Natur und Concentration der Flüssigkeit, von der Stromstärke, von der Temperatur und andern Umständen ab. Der an der positiven Elektrode gebildete Absatz erscheint nach der Reinigung durch auf einander folgende Behandlungen mit Wasser, Alkohol, Aether und Benzol als ein sammetschwarzes Pulver. Die Elementaranalyse dieses schwarzen Körpers, welche ich zum Theil mit HH. Assistent Schmid und Amsler, zum Theil mit Hrn. Assistent Barrelet ausgeführt habe, hat die folgenden Resultate ergeben: Analyse. Kohlenstoff. Wasserstoff. Stickstoff. Chlor.   1 5,263 Proc.   2 5,263   „   3 5,408   „   4 5,181   „   5 71,421 Proc. 4,912 Proc.   6 71,421   „ 5,439   „   7 71,255   „ 5,221   „   8 15,3376 Proc.   9 15,3170   „ 10 8,800 Proc. 11 9,083   „ Im Mittel: 71,366 Proc. 5,241 Proc. 15,327 Proc. 8,941 Proc. Dieses Mittel führt zur Formel C₂₄H₂₁N₄Cl. Da alles Chlor durch Behandlung mit einer schwachen Kalilösung aus dem schwarzen Körper weggenommen wird, so betrachte ich diesen sammetschwarzen Körper als das monochlorwasserstoffsaure Salz der Tetraminbase C₂₄H₂₀N₄, welche metallisch glänzend, krystallinisch aussieht. Ich gebe dieser Base die rationelle Formel: Textabbildung Bd. 221, S. 78 Das elektrolytische Anilinschwarz, welches mit dem chlorwasserstoffsauren Anilin erhalten wurde, hat demnach die Formel: C₂₄H₂₀N₄ + HCl; folglich muß das aus dem schwefelsauren Anilin erhaltene Schwarz die Formel haben: 2 (C₂₄H₂₀N₄) + H₂SO₄. Die Basis des elektrolytischen Anilinschwarz gibt wie andere Polybasen der aromatischen Reihe am leichtesten monosaure Salze. Sie ist nicht sublimirbar, unlöslich in Wasser, Alkohol, Benzol und dessen Homologen, unveränderlich durch schwache Säuren, selbst beim Kochen, wird aber grün durch Kochen mit concentrirter Essigsäure, widersteht der Wirkung von reducirenden und oxydirenden Mitteln, wird durch Ozon im trockenen und feuchten Zustande nicht verändert, nicht durch elektrolytischen Sauerstoff und elektrolytischen Wasserstoff, auch nicht durch aus Schwefelsäure mit Zink sich entwickelnden Wasserstoff, ebenso nicht durch Chlorwasser; sie ist unlöslich in der Lösung der Alkalien, wodurch sie aber bei deren genügender Concentration zum Theile verändert wird; denn Alkohol kann nun eine blaue Substanz daraus ausziehen, die durch Ammoniak grün und durch Säuren gelb wird. Erhitzt man unter Druck das elektrolytische Schwarz mit Alkohol, so färbt sich dieser dunkelviolett, das durch Alkalien noch schöner, durch verdünnte Säuren nicht verändert wird. Das elektrolytische Schwarz löst sich in Schwefelsäure. Die Lösung ist violett, blaugrün oder braun, je nachdem die Schwefelsäure mehr oder weniger stark auf das Schwarz einwirkte. Gießt man die violetten, blauen und grünen schwefelsauren Lösungen in Wasser, so erhält man einen grünen Niederschlag, dessen Filtrat meist farblos ist, aber hie und da auch röthlich war und in diesem Falle einen rothen Körper enthielt, dessen alkoholische Lösung auf Zusatz von Ammoniak schön rosa wird mit schöner Fluorescenz, welche derjenigen des Naphtalinrosa gleicht. Der grüne Niederschlag, welcher durch Eingießen der schwefelsauren Lösung des Schwarz in Wasser entsteht, ist in den gewöhnlichen Lösungsmitteln unlöslich, obgleich er so fein in Wasser sich suspendiren läßt, daß er aufgelöst zu sein scheint. Dieser grüne Niederschlag löst sich in Schwefelsäure in der Wärme mit schmutzigvioletter Farbe auf und wird durch Wasser wieder niederschlagen. Erhitzt man ihn lange mit Schwefelsäure, so färbt die entstandene Lösung Wasser rosaroth und nimmt hernach durch Ammoniak eine bläuliche Färbung mit gelber Fluorescenz an. Mit Aetzkali wird er bläulich, und die Flüssigkeit selbst ist roth. Durch Ammoniak wird das Grüne violett und selbst schwarz, mit Essigsäure von neuem grün. Setzt man zu dem Wasser, worin das Grün suspendirt ist, Ammoniak oder ein Alkali, so wird die Flüssigkeit intensiv blau, aber der Farbstoff findet sich noch immer einfach suspendirt, nur ein sehr kleiner Theil löst sich, denn die filtrirte Flüssigkeit ist schwach violettbläulich gefärbt. Der nascirende Wasserstoff entfärbt sie nach und nach. Wird diese Basis in einem Verbrennungsrohre für sich oder im Gemisch mit Natronkalk zur Rothglut erwärmt, so entwickeln sich Anilindämpfe, welche Curcuma bräunen; erhitzt man stärker, so erhält man Ammoniak. Ist die Natronkalkschicht nicht lang genug, so erhält man zu gleicher Zeit ein violettes Sublimat, das sich in Alkohol blauviolett im durchscheinenden Tageslicht und rothviolett im künstlichen Licht löst; diese Lösung wird grün durch Salzsäure, durch Alkalien nachher wieder blau. Wie wir sahen, verliert das gereinigte elektrolytische, aus Anilinchlorhydrat erhaltene Schwarz durch Kochen mit einer verdünnten Aetzkalilösung ohne weitere Metamorphose die Gruppe HCl und ändert sich in eine schwarze Substanz von krystallinischem Aussehen und Glanz. Wenn aber dasselbe elektrolytische Product mit einer concentrirten Aetzkalilösung gekocht wird, so findet eine eingreifende chemische Metamorphose der Base statt. 4g,142 des auf solche Weise behandelten elektrolytischen Schwarz gaben an die Kalilösung 3g,1605 ab, denn der Rückstand wog nach dem Waschen und Trocknen nur 0g,9815. Der in Wasser unlösliche Rückstand wog also nur 23,693 statt 90,895 Proc. vom angewendeten Schwarz. Der alkalische Auszug wurde mit Salzsäure neutralisirt und concentrirt; der Rückstand gab an Alkohol eine gelbbraune Substanz ab. Behandelt man das Anilinschwarz in zugeschmolzenen Röhren und bei einer Temperatur von wenigstens 190° mit Anilin, Methyldiphenylamin, Pseudotoluidin, Methylanilin und Nitrobenzol, so greifen diese Substanzen das Schwarz an und färben sich; das Anilin färbt sich violett, das Methyldiphenylamin braun, das Pseudotoluidin violettbraun, das Methylanilin rothbraun und das Nitrobenzol braunroth. Durch eine analoge Behandlung mit Alkohol färbt sich dieser violett und die violette Flüssigkeit gibt folgende Reactionen: Salzsäure und Schwefelsäure entfärben sie, die Färbung kommt wieder durch Neutralisation mit Ammoniak; Chlorwasser und schweflige Säure entfärben sie, wenig Kalilauge färbt sie blau, ein Ueberschuß violettroth; Salpetersäure macht sie braunviolett und Essigsäure braun, worauf die violette Färbung durch Saturation mit Kali wieder kommt. Unter ähnlichen Bedingungen greift Jodäthyl das Schwarz auch an, aber ich will zuerst diese verschiedenen Metamorphosen weiter studiren, ehe ich mehr davon rede. Diese Arbeit war schon längst redigirt, als ich in den Berichten der Deutschen chemischen Gesellschaft, 1876 Nr. 8 Nietzti's Resultate seiner Analysen des auf gewöhnlichem Wege erhaltenen Anilinschwarz vorfand, welchem er die Formel C₁₈H₁₅N₃ . HCl gibt (vgl. dieses Heft S. 74.) Die Resultate fernerer Analysen werden zeigen, ob wirklich Verschiedenheiten in der Constitution der auf verschiedenen Wegen aus Anilinsalzen erhaltenen Schwarz existiren. Ich habe zwei quantitative elektrolytische Versuche mit abgewogenen Mengen von reinem salzsaurem Anilin angestellt, indem ich so lange den galvanischen Strom durch ihre wässerigen Lösungen gehen ließ, als sich noch Schwarz bildete. Der Niederschlag wurde gewaschen, getrocknet und gewogen. Nach der Gleichung 4 (C₆H₅NH₂ + HCl) – 8 H = 4 (C₆H₄NH) + HCl sollten 517,84 Gew. Th. salzsaures Anilin 398,46 Gew. Th. elektrolytisches Anilinschwarz geben. Es soll also durch die Deshydrogenation des Anilinsalzes ein Gewichtsverlust von 23,053 Proc. stattfinden. Im ersten Versuche verwendete ich 2g,268 salzsaures Anilin. Das erhaltene, nur mit Wasser gewaschene Schwarz wog nach dem Trocknen 0g,4525 weniger; der Verlust betrug 19,95 Proc. Im zweiten Versuche wendete ich 1g,9995 desselben Anilinsalzes an; das auch nur mit Wasser gewaschene schwarze Product wog 0g,365 weniger; der Verlust betrug 18,25 Proc. Folglich differiren bei diesen beiden Versuchen gefundener und theoretischer Verlust um 3,103 und 4,803 Proc., was von Nebenproducten herrührt, die sich durch die Elektrolyse des Anilinsalzes neben dem Schwarz gebildet haben und sich nur durch Wasser und Alkohol in der Kochhitze entfernen lassen. Diese beiden Versuche beweisen die sehr beträchtliche Ausbeute an Anilinschwarz auf galvanischem Wege. Ich werde später zeigen, daß man die Arbeitsweise derart abändern kann, daß man statt des Schwarz andere Farbstoffe erhält. (Fortsetzung folgt.)