Titel: | Ueber Hanfseil-Transmission; von K. Keller. |
Fundstelle: | Band 221, Jahrgang 1876, S. 412 |
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Ueber Hanfseil-Transmission; von K. Keller.
Mit Abbildungen auf Taf.
X [a/3].
Keller, über Hanfseiltransmission.
Unstreitig eines der interessantem Systeme von Transmissionen zeigt die
Hanfseiltransmission (1876 220 189). Das
Uebereinstimmende dieser Art von Kraftübertragung mit der Drahtseiltransmission
liegt in der Benützung von Seilen, welche endlos um die beiden in Verbindung zu
setzenden Triebrollen geschlungen werden; doch unterscheiden sich diese beiden Arten
von Seiltransmissionen insbesondere dadurch, daß bei der Drahtseiltransmission für
die Verbindung von zwei Stellen nur stets ein oder im äußersten Falle zwei Seile
angewendet werden, während bei der Transmission mit Hanfseilen stets eine größere
Anzahl derselben (bis 12 oder noch mehr) benützt werden. Alle diese Seile liegen
neben einander auf den für jedes einzelne Seil mit einer besondern keilförmigen
Rille versehenen Seilscheiben oder Seiltrommeln. Dieser Hanfseilbetrieb selbst ist
erst in neuerer Zeit aus Schottland, wo er vor etwa 10 Jahren eingeführt wurde, nach
Deutschland gekommen, bislang aber hier nur in wenigen Ausführungen zu treffen. Ich
erwähne als die mir theilweise persönlich, theilweise durch Zeichnungen bekannten:
die Anlage der Jute-Spinnerei und Weberei (früher Hieronymus und Comp.) in BonnAus England geliefert., diejenige der Baumwollspinnerei von J. A. Lindgens'
Erben in Hochneukirch a. d. M. Gladbach-Dürener BahnNach dem Project des Civil-Ingenieurs Kley
in Bonn ausgeführt., und eine kleinere Anlage in Eberstadt bei Darmstadt in der Illig'schen PapierfabrikAus der Fabrik von Dahm und Mönkemöller in Bonn.; ferner eine Anlage in Christiania und eine solche in Galway in Irland. Die
großartigste dieser erwähnten Anlagen ist entschieden diejenige von Hochneukirch,
aber leider gewesen, indem dieselbe vor einiger Zeit total abbrannte. Die Besitzer
derselben lassen aber auch für den Wiederaufbau der Spinnerei Hanfseilbetrieb
einrichten, eine Thatsache, welche entschieden zu Gunsten dieser Betriebsmethode
spricht.
Bei allen Ausführungen ist auf der Hauptmaschinenachse eine breite, gleichzeitig als
Schwungrad dienende Scheibe oder Trommel angebracht, welche so viele Rillen enthält,
als Seile darauf gelegt werden sollen. Das Profil dieser Rillen ist das in Figur 6 in 1/2 natürlicher
Größe dargestellte und angewendet für ein Seil von 2 Zoll engl. oder 5cm Durchmesser. Die Conicität (Keilform)
der Rillen scheint nothwendig, um wegen der dadurch erhöhten Reibung zwischen Seil
und Trommelumfang eine möglichst geringe Seilspannung nöthig zu haben. Freilich
führt diese Keilform der Rillen einen später noch zu erwähnenden Uebelstand mit
sich.
Die Anstrengung der Seile ist eine zweifache, zum einen Theil bedingt durch die
Längenspannung, zum andern Theile veranlaßt durch die Biegung des Seiles. Wenn der
Durchmesser der benützten Seilscheiben oder Trommeln auf der ersten getriebenen
Welle nicht kleiner als der 45- bis 50fache Seildurchmesser genommen wird, so
kann die durch die Biegung entstehende Mehrspannung füglich vernachlässigt werden.
Der Durchmesser der als Schwungrad dienenden Seiltrommel soll dann noch einmal so
groß, also etwa 90 bis 100 mal so groß wie der Seildurchmesser genommen werden.
Berücksichtigen wir nur die Längenspannung, so ist die Anstrengung, welche bei
dieser Betriebsmethode, so viel sich aus Ausführungen rechnen läßt, einem einzelnen
Seile zugemuthet wird, sehr gering, nur etwa 7,5 bis 8k pro 1qc des Seilquerschnittes, d.h. des Querschnittes des das Seil einhüllenden
Cylinders, woraus für den effectiven Seilmaterialquerschnitt eine Anstrengung von
etwa 10k resultirt.
Die bis heute benützten Seile sind aus Hanf oder Jute gefertigt und zwar aus drei
Litzen gedreht, und besitzen dieselben einen Durchmesser des umhüllenden Cylinders
von 3, 4, 4,5 und 5cm. Versuche mit andern
Materialien, z.B. Baumwolle, sind nicht genügend gemacht. Lederseile sind
versuchsweise angewendet, aber als bei Weitem zu theuer gefunden worden. Diese
Anstrengung von 7,5 bis 8k des äußern oder
auch von 10k des effectiven Querschnittes
ist äußerst gering, zumal im Vergleich zu derjenigen, welche die bei Hebezeugen
angewendeten Seile in der Regel auszuhalten haben (etwa 100k pro 1qc des umschriebenen Kreisquerschnittes). Es ergibt sich somit für die
genannten vier Seilgrößen eine zulässige Totalspannung von beziehungsweise
54 98 124 152k.
Nimmt man mit Vernachlässigung der keilförmigen Rillen an, daß von den beiden
verschiedenen im Seile herrschenden Spannungen die größere im treibenden Theile
zweimal so groß sei als die kleinere im nachgezogenen, so ergibt sich als die am
Umfange der Seilscheiben zu übertragende Kraft beziehungsweise
27 49 62 76k,
und bei einer Geschwindigkeit des Seiles oder des
Scheibenumfanges von 10m pro Secunde eine
Arbeitsleistung beziehungsweise
270
490 620 760mk oder
3,6 6,5
8,6 10e,1.
Für andere Geschwindigkeiten ergäbe sich die Leistung im Verhältniß größer. So ließe
sich beispielsweise die Anzahl der anzuwendenden Seile bestimmen, wenn dieselben
4cm,5 Durchmesser haben und bei 15m Geschwindigkeit 90e übertragen sollen, mit
A = 90/8,6 × 10/15 = 7 Stück.
Zweckmäßig nimmt man dann für die Anzahl der Seile noch ein
Stück mehr, damit auch für den Fall der Reparatur eines solchen die übrigen nicht
stärker als mit der Maximalspannung von 7,5 bis 8k belastet werden. Unbedingt nöthig ist dies in dem Falle, daß bei
geringen zu übertragenden Kräften etwa nur ein einziges Seil genügte. Die Anwendung
eines einzigen Seiles ist aber erfahrungsgemäß unzulässig, insbesondere für die
erste und einzige Kraftübertragung von der Schwungradscheibe aus. Infolge eines
zufälligen Stoßes oder eines unerwarteten heftigen Widerstandes könnte dieses eine
Seil reißen, und wenn gerade Niemand an der Maschine ist, dieselbe plötzlich derart
ins Laufen gerathen, daß sie selbst im höchsten Grade gefährdet würde.
Ein Anstand, und zwar oft ein nicht geringer, ergibt sich bei den vielen Seilen durch
die vielen Verbindungsstellen (Flechtstellen). Es ist in Folge dieses Umstandes wohl
kaum möglich, alle Seile auf mathematisch genau gleiche Länge zu flechten. Durch die
verschiedenen Längen ist aber eine verschiedene Einsenkung bedingt, welche sich auch
ergibt, wenn die Flechtung selbst bei den verschiedenen Seilen in verschiedenem
Grade nachläßt. Hieraus entsteht sodann eine ungleiche Vertheilung der zu
übertragenden Kraft auf die einzelnen Seile. Dies kann jedoch einen erheblichen
Nachtheil nicht herbeiführen; denn wenn nur überhaupt genug Seile angewendet sind,
so ist die Mehrbelastung, welche in Folge dieser Verhältnisse auf einzelne Seile
trifft, noch lange nicht im Stande, schädlichen Einfluß auf die Festigkeit derselben
auszuüben, sondern es werden sich die mehrbelasteten Seile nur im Verhältniß zu den
weniger in Anspruch genommenen etwas mehr recken, und hierdurch von selbst mit der
Zeit ein gewisser Gleichgewichtszustand sich herstellen. Zudem kann, wie ich mich
selbst überzeugt habe, eine Flechtstelle, welche etwa zu sehr nachgegeben hat,
leicht gelöst, und die zwei Enden rasch auf andere Seillänge gesplissen werden. Daß
dieses Spleissen ebenso gelernt und geübt sein muß, wie die ähnliche Operation bei
Drahtseilen, ist
natürlich. Vor Allem muß dabei ein Augenmerk darauf gerichtet werden, daß das Seil
an der Flechtstelle, welche immerhin eine Gesammtlänge von mindestens 2m hat, nicht erheblich dicker ausfällt als
an den übrigen Stellen; sonst tritt jener Uebelstand ein, welchen ich oben, als
durch die keilförmigen Seilrinnen veranlaßt, erwähnt habe. Es können nämlich die
dickern Stellen sich nicht so tief in die keilförmigen Rinnen einlegen wie die
übrigen, und läuft also das Seil mit seinen dickern Stellen effectiv in einem Kreise
von größerm Durchmesser als mit den dünnern; die Folge davon ist ein steter Wechsel
in den Geschwindigkeiten, Einsenkungen und Spannungen, was bei einer Transmission
mit vielen Seilen für das Auge einen äußerst unangenehmen Eindruck macht. Doch habe
ich die Ueberzeugung gewonnen, daß dieser Uebelstand bei einiger Uebung im Flechten
vollkommen oder doch nahezu vollkommen vermieden werden kann.
Daß das Ausdrehen der Seilrinnen auf ganz genau gleiche Durchmesser und Profilformen
geschehen muß, ist selbstverständlich.
Betreffs der allgemeinen Disposition dieses Seilbetriebes bedarf es nur noch der
Erwähnung, daß man das schlaffe Seil in der Regel oben laufen läßt, da dann der für
den ganzen Seillauf benöthtigte Raum nicht so groß ist, als wenn das schlaffe Seil
mit seiner bedeutenden Einsenkung unten läuft. Zweckmäßig erscheint es
erfahrungsgemäß ferner, wenn man den Seillauf, insbesondere jenen der ersten
Haupttransmission (von der Schwungradscheibe auf die erste getriebene Scheibe), von
den eigentlichen Arbeitsräumen getrennt, etwa in einem eigenen gemauerten Gange,
anbringt, wie dies in dem erwähnten Bonner Etablissement zu sehen ist und auch bei
dem Neubau der Spinnerei von J. A. Lindgens' Erben in
Hochneukirch ausgeführt wird. Die Skizze in Fig. 7 und 8 mag die ganze
Einrichtung veranschaulichen.
Ein vollkommen senkrechter Betrieb, d.h. die Verbindung zweier senkrecht über
einander liegenden Rollen durch Hanfseile soll nicht gemacht werden.
In Folge des ungemein ruhigen Ganges dieser Transmission, welche sich (im Gegensatz
zu dem Räderbetrieb) durch keinerlei Geräusch bemerkbar macht, ist auch die
Abnützung der bewegten Theile, Lager u.s.w. auf ein Minimum reducirt, abgesehen
davon, daß die ganze Anlage bei Transmissionen in obere Stockwerke überhaupt viel
einfacher wird, als man es auf die gewöhnliche Weise mit Königswelle und conischen
Rädern zu erreichen im Stande ist. Daß die Reparaturkosten verschwindend kleine
sind, mag daraus folgen, daß gemäß ganz zuverlässiger persönlicher Mittheilungen ein
Satz Seile mindestens 3 Jahre in vollkommen brauchbarem Zustande bleibt, nach andern Mittheilungen die
durchschnittlich aufzuwendenden Kosten bei 400e etwa 400 M., mithin pro 1e etwa
1 M. betragen.
Schließlich mögen einige Beispiele von ausgeführten Seiltransmissions-Anlagen
in nachstehender Tabelle geordnet folgen.
Kraftbedarf.
Schwungrad-scheibe.
Erste getriebene Scheide.
Seile.
Nr.
Nr.
Um-drehungen.
Durch-messer.
Um-drehungen.
Durch-messer.
Anzahl.
Durch-messer.
Geschwindig-keit.
e
cm
cm
cm
m
I
88
55
550
150
200
7
5
15,8
II
75
55
550
215
140
–
5
15,8
III
270
120
366
240
183
13
4,5
23,0
IV
120
70
457
210
152
8
–
17,2
I und II Spinnereien von S. A. Lindgens' Erben in
Hochneukirch.
III Seildugsfabrik von Henry Heyerdahl in Christiania.
IV Galway Sacking Canvas Manufacturing Company in Galway (Irland).
Nennt man endlich
Δ den Durchmesser des Seiles in
Centimeter,
P die totale,
p die durch ein Seil zu übertragende
Umfangskraft,
a die Anzahl der Seile,
so ergibt sich mit k = 7k,5 zulässiger Anstrengung des
Kreisquerschnittes
Δ = 0,58 √(P/a) × 0,58
√p.
Bezeichnet ferner
R den Halbmesser der Seilscheibe,
N die Anzahl der Pferdestärken,
n die Umdrehungszahl,
so kann auch gesetzt werden
Textabbildung Bd. 221, S. 415
Zur Bestimmung der Seilcurven brauchen wir das Verhältniß y zwischen der größten, im ersten Seile vorkommenden Spannung T bezieh. T₁ und
seinem Gewichte γ pro laufenden Meter, und zwar
kann dieses gesetzt werden:
y = T/γ = 80 für das straffe Seil und
y = T₁/γ = 40
für das schlaffe Seil,
worauf die Verzeichnung der Seilcurve auf bekannte Weise
durchzuführen ist. (Nach der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1876 S.
397.)